Eintagsmuseum Widdersberg

© Kuno Lindemann + Jean Stubenzweig. Die Maße der 1983 zur Ausstellung im Kunstverein Ingolstadt entstandenen Gemälde liegen jeweils bei circa 80 x 60 Zentimeter.
Ich bitte um Vergebung für die dürftige Abbildung; mir geht jedwede photographische Fähigkeit ab, nicht einmal fliehende Linien bekomme ich eingefangen und Fremdkörper oder den Blitz der Hilflosigkeit aus dem Bild gehalten.

Die anfänglichen achtziger Jahre in München, über das gesamte westdeutsche Land hatte sich bereits schwerer Kohl-Geruch verbreitet, über Bayerns Isar-Athen dräute mancherlei seltsames Kunsverständnis, oftmals arge Schlichtheiten, eingeführt von wortaufgeblasenen Einführungen, von Mündern gesprochen, aus denen bisweilen diensteinfältiges Pathos speichelte. Es gab allerdings auch ein fröhliches Durcheinander, von amtsbeflissenen Kulturbeamten gerne Chaos genannt. Mittendrin befand sich der sanft-mürrische, fast wortkarge, aber explosive Künstler Kuno Lindemann. Ich war sicher, er habe sich bereits Ende des genannten Jahrzehnts, spätestens jedoch in den Neunzigern endgültig von seinem Metier verabschiedet, da der große Erfolg sich nicht einstellen wollte. Nun habe ich allerdings dank Internet herausgefunden, daß es noch im neuen Jahrtausend mit ihm noch einmal eine Ausstellung in Pforzheim gab. Mich freut das sehr, und ich würde es begrüßen, raffte er sich noch einmal auf (eine Abbildung aus den neunziger Jahren in artnet).

So gesehen müßte eigentlich ein ganz anderer Text hier stehen, ausgelöst von einem Ausflug in mein Fundus-Wunderland, bei dem drei Manuskriptseiten sich aus einem Rahmen lösten, darin eines seiner ungemein energischen, energetischen, mit der Bürste gezeichneten Blätter, von dem ich fast mit Verblüffung festgestellt habe, daß es auf mich so kraftvoll wirkt wie vor etwa dreißig Jahren (das Bild füge ich nachträglch ein, sobald es mir gelungen sein sollte, es zu photographieren). So sei zunächst ein Fitzelchen aus dem Text von Gerhard Götze, dem seinerzeitigen Herausgeber des in München erschienenen und längst verblichenen Magazins NIKE zitiert. Es führt ein in die Arbeit dieses Malers, der bereits vor seinem Studium ein Meister war, ein Malermeister.
Häufig nahmen wir das Leben somnambul. Tschernobyl lag gerade zwei Tage zurück und unsere Schritte eilten nicht mehr »so« sorglos die Treppenstufen hinab. Plötzlich hatte uns die Sinnlosigkeit allen Tuns überrannt. Wir erwogen Äther; suchten spontan die nächstliegenden Apotheken auf, doch unser Gesichtsausdruck verriet die Absicht.

Kuno sprach von den drei Fischern in der Camargue, denen er eines Morgens begegnete. Sie hatten ihre neues Netz eingeholt, und statt reicher Beute an Fischen, war nur verklappter Industriemüll und Plastikrückstand darin. Gemeinsam befreiten sie das Netz von dem vermeintlichen Gut und brachten ihre Wut mit jedem neuerlichen Handgriff zum Ausdruck. Nach Beendigung machte sich Kuno als Strandläufer auf, schuf Ritzen in die Sanddünen und sammelte den umliegenden Zivilisationsmüll, von dem er annahm, ihn später künstlerisch zu verwenden. In Algen verwobene Plastikreste füllt er vakuumverpackt in Dosen; doch der Zeitlauf relativiert, schafft unversehens neue Impulse, die künstlerisch zu verarbeiten herausfordern.
Später zerstörte Lindemann Mauern, er skulpturierte mit dem Preßlufthammer. Die Photographien von Siegfried Wameser geben einen Eindruck von der Umgebung wieder, in der er teilweise tätig war. Und auf diese, nicht nur für mich unvergleichliche Weise schuf er skulpturale Gemälde.
Bedeutungsträger wird fortan die Rohheit, Sprödigkeit des Materials, wobei es nachgerade unterschiedslos bleibt, ob es Produkte des Abfallcontainers oder neue industriegefertigte Produkte sind. Sie werden amalgamiert und stehen für ein künstlerisches Synonym: »Kuno Lindenmann geht durch die Wände.« In dessen Vollzug entstehen Skizzen, aber auch eigenständige bildnerische Gleichnisse, Synergien zu den Installationen, die das Thema intonieren. Heftig aufgetragene Schraffuren in Teer oder grell bis verhaltenen Farben nehmen sich aus wie Applikationen einer Obsession. Die Widerspiegelung konstruktiver Emblematik in diesen Arbeiten verweist auf den Topos der Tradition.
Gerhard Götze in Nike
Diese Zustandsbeschreibung von Gerhard Götze einer bemerkenswerten Arbeit sollte hier also eher stehen anstatt dieses nachfolgenden Geplappers im Stil eines Kunstfunktionärs, der gut im Geiste von Herrn Kohl hätte schreiben können oder der der Herr Apotheker, ein Passauer Stadtrat namens Dr. Gottfried Schäffer, Ende der Siebziger auch stellvertretender Vorsitzender des «Vereins Europäische Wochen», selbst hätte sein können, der mir in den Siebzigern mal etwas von einer «europäischen Kulturübung» geistesfeucht ins Mikrophon hauchte. Dieses Textchen, das eigentlich ein Vorträgchen ist, ist tatsächlich aus dem jahrzehntelangen Versteck hervorgekrochen, um das damalige Ereignis wachzurufen. Es möge als späte Erinnerung für alle seinerzeit im oberbayerischen Dörfchen Widdersberg Anwesenden gelten, wo im großen Haus der Lindemann-Freunde einen Tag lang ausnahmlos Arbeiten von ihm gezeigt wurden und an dem es überhaupt recht fröhlich zuging. Sie dürfen sich diesen kleinen Beleg ins Familienalbum kleben, sollten sie via Internet draufstoßen.

Eine Einführung in die eintägliche, saubere Arbeit von Kuno Lindenmann

Meine Damen, meine Herrn, sehr verehrte Anwesende.
Zunächst einmal möchte ich Sie um Verzeihung bitten bezüglich meiner Abwesenheit. Leider ist mir bei meinem kürzlich gemachten Versuch1, die Kunst auf den Kopf der Kritik zu stellen, dieselbe auf denselben gefallen, wodurch sich eine gewisse Sprachlosigkeit, Sprachleere einstellte. Da wir jedoch über den schier unerschöpflichen Schöpfergeist aus dem Gott sei dank bereits erforschten Tiefen unserer technologischen Entwicklungen, genauer: über deren Resultate verfügen können, können wir meiner Sprachlosigkeit einen ihr adäquaten Partner zur Seite stellen, quasi als Sprachrohr der Sprachlosigkeit; die Elektronik, bisweilen Walkman genannt. So will ich denn Herrn Kohl2 meinen Dank für die durch ihn gewährte zumindest sprachliche Unterstützung aussprechen und Sie, verehrte Anwesende, um Verständnis für die hier unumgängliche Maßnahme, mein kurtes Grußwort, um das ich gebeten wurde, auf diesem Wege dennoch zu übermitteln. Denn ein fehlendes Grußwort bei einer Museumseröffnung, das wissen wir alle, würde das gesellschaftliche Gefüge dieses unseres Landes gefährlich ins Wanken bringen. Und das, was wiederum, wie sicherlich nicht nur ich meine, erwiese der Kunst unserer Zeit keinen Gefallen, kann sie doch nur in einem entsprechenden Rahmen sich zur vollen Blüte entfalten und somit eine Wirkung erzielen, die über das Maß einer gesellschaftspolitischen Irrelevanz eines zunehmenden Versuches ihrer Popularisierung hinausgeht. Kunst braucht ds Gepränge wirkungsvoller Präsentation, ansonsten sie im Sumpf der Nivellierungstendenzen desjenigen steckenbliebe, das sich in immer neuen Aktivitäten anheischig macht, in ihr, der Kunst, etwas anderes entdecken zu wollen als das, das muß an dieser Stelle einmal gesagt werden, als das, was sie nur sein kann, nämlich die Reflektion darüber, wie man sich in ihr und mit ihr ausruhen kann von unserem Alltag, der wiederum einzig in dem positiven Denken manifestiert ist, das sich sich an Leistungsfähigkeit orientiert.

Und ein herausragender Vertreter dieser Leistungsfähigkeit, die uns tagtäglich weltweit zu höherem Ansehen verhilft, ist der Künstler, mit dem in disem Museum an diesem heutigen einzigen Tage eröffnet wird — und auch wieder geschlossen: Kuno Lindenmann Nicht nur. daß er alltäglich unter Beweis stellt, daß sich die Definition des Begriffes Kunst aus der Conditio sine qua non Können rekrutiert, indem er als Malermeister in des Wortes wahrstem Sinne der Jugend unseres freiesten aller freien Staaten den Umgang mit der Materie lehrt, er nachgerade verifiziert, welche Unabdingbarkeit das Handwerk doch ist, will daraus große Kunst entstehen. Weil Kuno Lindenmann ein Könner unter dem Fixstern Handwerk ist, darf er Künstler sein. Doch damit nicht genug. Er leistet, wie wir am heutigen Tage alle sehen können, er leistet mehr, und zwar unserer Gemeinschaft wahrlich einträgliche Dienste. Kuno Lindemann ist, wenn ich e einmal so vereinfachend ausdrücken darf, ein sauberer Künster. Gäbe es ihn nicht, und das haben zahlreiche Ausstellungen bewieen, stünde der Begriff Privatinitiative im Verständnnis der Allgemeinheit nicht in einem solchen hohen Kurse. Oder, anders formuliert, die Müllabfuhren unserer Stadt und der umliegenden Kommunen hätten einen vielfach höheren Einsatz zu leisten bei der wesentlicher werdenden architektonischen Vergagenheitsbewölltigung. Gilt es doch aufzuräumen damit, was uns an architekturideologischem Ballast bald über den Kopf gewachsen wäre. Überall dort, wo die Monumente doktrinärer Baumaßnahmen der Vergangenheit, eine Glätte, die uns Klarheit suggerrieren soll, eliminiert werden, trägt Kuno Lindemann kraft seiner fundierten Materialkenntnisse dazu bei, Platz zu schaffen für Bauwerke, die vom guten Geist des Gestern durchweht sind. Und in aller Konsequenz hält er es dabei mit Hippokrates beziehungsweise Johann Wolfgang von Goethe: ars longo vita brevis — die Kunst ist lang, das Leben kurz, das will heißen, er scheut auch nicht davor zurück, extremen Kontakt mit den Matrerialien aufzunehmen, die ihn bewegen und die uns, in bildhaerische Form gebracht, hierher zu kommen bewegt haben. Ein Handwerker fürwahr, nimmt er für seine Arbeit nicht nur den Kopf zuhilfe, sondern auch seine Gliedmaßen. Zuweilen, das hat er unlängst bewiesen, stellt er gar sene Gesundheit unter das Primat der künstlerischen Aussage, die einzig darauf abzielt, unser architektonisches Dasein zu schmücken.

Ein Künstler wie Kuno Lindemann, der solche kreative Leistung auf den allgemeinverständlichen Nenner Alltäglichkeit zu bringen vermag, der Kunst und Körper in die Einheit zwingt und nicht, wie so häufig, aufoktroyierten Zwängen schieren Intellektualismusses unterliegt, der hat es wahrlich verdient, in der gewiß nicht alltäglichen Idee eines Eintagsmuseums personifiziert zu werden.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


Anmerkungen
1 Bezug auf Rudi Dutschke, dessen Buch Versuch, Lenin auf die Füße zu stellen 1974 bei Wagenbach erschienen war.
2 Als Dank für dessen immer wärmende Worte, über die wir damals ständig gackerten.

 
Do, 31.05.2012 |  link | (2436) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Artiges















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