Truffe

Ich habe keinen Hund. Ich gehe mit solch einem altkontinentalen Tier durch die Fluren, durch die Auen, durch die Wälder, durchs weltweite Netz. Nur es ist in der Lage, einen solche exorbitante Schatzknolle zu ergründeln:

«Heute möchte ich Ihnen etwas erzählen, nämlich von einem unerträglichen C. Ja, von einem C, einem hohen C, einem dreigestrichenen genaugenommen: c'''. Die Geschichte trägt sich zu in Haydns Klaviersonate Nr. 59 Es-Dur, Hob. XVI/49. Es-Dur ist ja schon so eine Tonart, über die sich viel räsonnieren ließe. Aber jetzt, passen Sie auf!»

Keks zum Tee
 
So, 01.06.2008 |  link | (3361) | 3 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Fundsachen


hap   (01.06.08, 23:24)   (link)  
Oje
Iss ja nich so, dass ich das nicht gern lese - räsonnieren über Es-dur. Aber es iss ja nun mal so, dass chinesische Dissidenten alle im Internet veröffentlichen, argentinische Dichter nur noch online gelesen werden können - von den kubanischen ganz abgesehen -, und sich alle, die sich in Deutschland nicht mehr an den sogenannten Mainstream anpassen wollen oder können, nur noch im Internet vertreten sind? Heh, das iss schon okeh, aber irgendetwas läuft da falsch. Kann man nur noch mit business as usual überleben?
Das hier kommt vom tazblog, hans-pfitzinger.de

1. Juni 2008

Nackt unter Palmen tanzen

Mich hat der Sommer der Liebe 1967 erwischt, als ich gerade 22 und ein halbes Jahr aus der Bundeswehr entlassen war. Die Beatles hatten gerade "Sergeant Pepper" herausgebracht. Dann kamen die ersten Demos, der erste Joint, die erste (und einzige) Knast-Erfahrung. Nach dem Studium wollte ich nur noch weg. Ich ging dorthin, wo, so sah ich das damals, die wahre Revolution zugange war: Nordkalifornien, San Francisco, das mythische, viel besungene, und die Uni in Berkeley, wo 1965 alles anfing mit dem Free Speech Movement.
Heute bin ich 62, und mit Sicherheit gehöre ich nicht zur direkt angepeilten Zielgruppe von Martin Reicherts Buch "Wenn ich mal groß bin. Das Lebensabschnittsbuch für die Generation Umhängetasche". Aber ich will ja immer noch wissen, wie die heute 20-, 30-, 40-Jährigen mit dieser Welt umgehen, in die sie genauso ungefragt reingeworfen wurden wie ich. Deshalb habe ich den langen Auszug aus Reicherts Taschenbuch gelesen, für den ihm das taz.mag gleich drei Seiten eingeräumt hat. Wenn ich das Gelesene als Maßstab nehme, komme ich mir viel jünger vor als dieser 35 Jahre alte taz-Redakteur.
Der Unterschied liegt möglicherweise in den Umständen, in die ich hineingewachsen bin: Die jungen Menschen 1968 hatten nicht die Sorgen, die heute vorherrschen, und vor allem hatten sie keine Existenzangst, keine Angst um Jobs, Karrieren, Rente. Und: Die Pille für die Frau war schon erfunden, und kein Mensch wusste was von AIDS und vom Ozonloch. Die Regierenden waren zwar auch damals nicht ernst zu nehmen, aber im Vergleich zu George W. Bush hatte ein Gauner wie Richard Nixon noch Spuren von, wenn auch krimineller, Intelligenz. Und der SPD stand Willy Brandt vor, nicht Kurt Beck.
Die Grundversorgung der Menschen war gesichert, jetzt konnte man sich um die Utopien kümmern. Das war auch eine der Ursachen, weshalb Ende der sechziger Jahre Vieles so, frisch, frech, fröhlich, frei daherkam, und Erscheinungen wie die Beatles und die Stones, die Hippies und die Spaßguerilla und die freischwebenden Haschrebellen möglich wurden. Eines war dabei oberste Maxime und wurde von den meisten geteilt: Wir wollten nie so werden wie unsere Eltern. Denn die hatten den ganzen Kriegsscheiß miterlebt, hatten geackert und geschuftet, um sich aus der blanken Existenznot rauszuarbeiten, und hatten dabei ein gutes Stück Lebensfreude eingebüßt und die Rockmusik verpasst. Nein, nie so werden wie die Eltern mit ihren Wohnküchen und Schlafzimmereinrichtungen und Stühlen und Tischen und Autowaschen am Wochenende und Rasenmähen und Stores am Fenster. Wir wollten auf Kissen am Boden sitzen, auf Matratzen schlafen, den Konsum aufs Nötige beschränken und nackt unter Palmen tanzen.
Wenn ich nachrechne, könnte Martin Reichert altersmäßig gesehen mein Sohn sein. Und ich stelle erschrocken und amüsiert zugleich fest: Die "Generation Umhängetasche" (als Begriff eher smart als cool) will so werden wie die Generation meiner Eltern. Die beschreibt Reichert so: "Menschen, die sich von Utopien und politischem Engagement entfernt haben und deren Träume nicht weiter als bis zur Haustür ihrer geschmackvollen Wohnung reichen." Und, so könnte man hinzufügen, sich nach einer festen Partnerschaft, einem Häuschen im Grünen und einem ausreichend gut bezahlten Job in der Stadt sehnen, damit sie sich ein Auto zum Pendeln leisten und ihre Einrichtung bei Ikea kaufen können. Mit anderen Worten: Glück und Erfüllung im Konsum finden.
Dagegen ist überhaupt nichts zu sagen, außer, dass Millionen in Deutschland so leben (oder so leben wollen), dass es Abermillionen in allen Ländern der Welt anstreben, und dass das schlicht und einfach nicht mehr geht. Es ist unmöglich geworden, und das haben die Konsumverweigerer von damals auch schon geahnt.
Menschen, die den von Reichert propagierten Lebensstil pflegen oder anstreben, wurden und werden sehr treffend als ahnungslose Spießer bezeichnet. Und ihr Horizont reicht eben nur bis zur eigenen Wohnungstür. Aber eine Frage sei erlaubt: Hat man das nicht schon mal so gemacht, und hat uns das nicht zur gegenwärtigen Misere geführt? Wäre es nicht angebracht, unter den neuen Bedingungen mal wieder was Neues auszuprobieren? Verantwortungsvoll zu leben? Einen Lebensstil anzustreben, der nicht zerstört, sondern heilt? Und nicht mehr zu verzichten auf die Lebensqualität, die beim liebevollen Umgang mit der Natur und den Mitmenschen und Mitgeschöpfen auf diesem engen Planeten entstehen kann?
Martin Reichert schreibt intelligent, unterhaltsam, gut, routiniert, und wenn ich zu Ende gelesen habe, überkommt mich das Gefühl, dass das eben Gelesene völlig nutzlos war. Immer wieder werden Ballons aufgeblasen, die beinahe zu schillern beginnen und vorgeben, bedeutungsvoll zu sein, und dann fallen sie wieder zu schlaffen Hüllen zusammen, und da war dann doch nichts.
That's entertainment, und das hat seinen Platz, aber es weist nirgends über sich hinaus. Und am Ende bleibt das Gefühl, die Generation Umhängetasche ist nichts weiter als eine raffinierte, berechnende Erfindung. Eine smarte Geschäftsidee: Business as usual.


jean stubenzweig   (02.06.08, 10:00)   (link)  
Sergeant Pfitzinger
Nun bin ich dann aber doch ein wenig erstaunt: hap bei der Armee. Nun gut, es war ja mal eine reine Verteidigungsarmee. Aber selbst als verteidigenden Armisten kann ich mir hap nur schwerlich vorstellen. Und dann noch im Vorfeld des Sommers der Liebe.

Und, ach ja, da war ja nochwas: Etwa Ende der Neunziger, das neue Jahrtausend mochte auch schon angebrochen sein, saß ich neben einem großen Freilufttisch in der Stadt, die von Claudius Seidl gerne als «unsere kleine» tituliert wurde, mit Langhans und Zacher und einigen mehr. Da klingelte es mir in den Ohren, als eine dieser entzückenden Kommunennachkommenschaften gegenüber dem Ersten Vorsitzenden klar und deutlich verkündete, sie sei eindeutig für den Status des Verlobtseins. Er gebe ein wenig Halt.

Bereits zu diesem Zeitpunkt war es also nicht mehr weit «bis zur Haustür ihrer geschmackvollen Wohnung».

Aber das als Kommentar zu Keks zum Tee? Das erschließt sich mir nicht ganz.


hap   (02.06.08, 23:19)   (link)  
Verlobt
Verlobt find ich gut - iss ja kein Staat dabei. Um alle Bedenken auszuräumen: Der Leutnant der Reserve Hans Pfitzinger ist anerkannter Kriegsdienstverweigerer aus politischen Gründen. Er hat seinen Antrag mit der Verabschiedung der Notstandsgesetze begründet und wurde in seinen Bedenken bestätigt. Aber um Anerkennung seiner Bedenken ging es eigentlich gar nicht. Sie wollten jemanden, der so denkt, nicht mehr bei der Armee haben. Son Typ hätte ja vielleicht auch noch angezweifelt, dass die deutsche Freiheit am Hindukusch verteidigt wird.
Jetzt isser 40 Jahre älter, und in der Tat: Er glaubt nicht, dass seine Freiheit am Hindukusch verteidigt wird. Er glaubt aber fest daran, dass dort die Freiheit von Rheinmetall und Heckler & Koch und dem Diehl-Konzern in Nürnberg verteidigt wird, deutsche Waffen zu exportieren und an jedem Krieg dieser Welt einen Haufen Geld zu verdienen. Für alle Menschen, die vom Krieg in irgendeinem Teil der Welt heimgesucht werden, kommt der Tod aus Deutschland.
Frohes Schaffen!
hap
P. S. Alles was du weißt ist falsch! (Monty Python)















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