Reifes Fleisch

Bevor ein Gesetz tatsächlich verabschiedet werden sollte, nach dem für den menschlichen Verzehr ungeeignetes, sogenannt minderwertiges Fleisch in rosa Farbwölkchen getaucht werden soll, man dann also irgendwie nicht mehr so günstig einkaufen kann, die Nachbarn würden es ja dann sehen, rasch noch ein Tip:

Verdorbenes Fleisch wieder gut zu machen

«Verdorbenes Fleisch wird in kochendem Wasser, von dem man sofort den Schaum abnimmt, mit einer festen, glühenden, nicht mehr rauchenden Holzkohle 2-3 Minuten lang in Berührung gebracht. Diese zieht allen übeln Geruch des Fleisches oder der Brühe in sich ein. Zum Braten bestimmtes, verdorbenes Fleisch wird vorgängig ebenso behandelt. Auch etwas alte Fische lassen sich in dieser Weise verbessern.»
Neues und bewährtes Illustriertes Kochbuch für alle Stände von H. Davithis, Druck und Verlag von Enßlin & Laiblin, Reutlingen, um 1906, Seite 164; versehen mit dem Eintrag:

«Dieses Buch erhielt Clara Möller zur Weihnacht 1906.»

•••

Wobei sich allerdings die Frage stellt, ab wann Fleisch als ungenießbar gilt! Meist ist ja das, was in deutschen Landen als frisch verkauft wird, ungenießbar, nämlich so zäh wie ein deutscher Schulranzen aus den fünfziger und auch noch sechziger Jahren. Fleisch, zumindest das vom Rind, braucht Reife! Wie der Wein. Oder der Mensch. Bereits vor diesen breit angelegten Feldversuchen diverser, aus Geldgier sozusagen vor keiner noch so alten Leiche zurückschreckenden Fleischhändler war es schwierig, in Deutschland ein wirklich gutes Stück Fleisch zu erstehen.

Da gab es in München eine kleine Schlachterei, bei der es Monate der Einschmeichelei dauerte, bis der Inhaber etwas von dem herausrückte, was er immer für sich selbst zurückgelegt hatte. Als dann eines Tages der Vertrauenbeweis in Form der Vorlage eines französischen Passes erbracht war, hellte sich das Gesicht des ohnehin freundlichen, aber eben vorsichtigen Serben auf und bat zugleich um Verständnis für sein Mißtrauen. «Wenn ich lege in Theke, alte Frau kommt und sagen: Fleisch kann bald allein laufen zu Polizei, um anzeigen mich.» Danach gab es immerzu, sogar französisch geschnittenes (hat mal in Saint-Étienne geschlachtet, der nette Herr Vuković — vive le accent !), schönstes, feinstes, wunderbar gut abgelagertes, also dunkelbraunes, zauberhaft marmoriertes Entrecôte. Nicht nur zur Fête Nationale. Und auch nie für den Grill (wie in Norddeutschland)! Das ist Mord. An der Kultur.

So hat das (im Rohzustand) auszusehen (etwas dunkler darf es schon sein). Oder rechts unten aus der Pfanne von Le Tastevin, mittendrin auf der île Saint Louis im 4. Arrondissement, und doch abgelegen vom touristisch überschwemmten, immer schnieker, schrecklicher werdenden Juden- und Schwulenguck-Quartier Marais. Am besten nach dem Apéritif zu Fuß von der place de la Bastille aus einen Spaziergang machen zu diesem angenehmen kleinen Restaurant, in dem zu reservieren es sich verständlicherweise empfiehlt. Es sei denn, man wartet ab, bis die Pariser wieder in die Büros zurückmüssen. Oder man geht, besser fährt ganz woanders hin, beispielsweise ins 13. Arrondissement, in die rue Banquier. Dort gibt's auch Pastis.
 
Mi, 25.06.2008 |  link | (6069) | 2 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Geschmackssache


chat atkins   (25.06.08, 20:51)   (link)  
Die Vorstellung, das überreife Fleisch mancher unserer Politiker 2 - 3 Minuten auf glühender Holzkohle zu rösten, damit sie wieder genießbar würden - diese Vorstellung, die mir bei der Lektüre kam, die ist für mich nicht ohne Reiz.


jean stubenzweig   (26.06.08, 12:04)   (link)  
In einen Topf,
dafür wäre ich dann doch eher – es geht (hier) schließlich in erster Linie ums Kochen – fast alle(s) in den Eintopf mit:

«In rotem Schwefel, gelbem Operment,
In siedend heißem Blei, das sie zerbeiße,
In ungelöschtem Kalk, der sie verbrennt,
In schwarzem Pech, gemischt mit stinkigem Schweiße,
In Laugen aus Urin und Wuchrerscheiße,
Im Spülicht, dick von Lepraeitersud,
Im Käse dreckiger Füße, Natternblut,
Gut umgerührt, mit Gallensaft vergoren,
Von Füchsen, Dachsen, Wölfen, wild vor Wut ...»
Darin mögen sie dann alle schmoren.

François Villon, Ballade; Übersetzung: Martin Remané, Berlin (DDR) 1978


En realgar, en arsenic rochier;
En orpiment, en salpestre et chaulx vive;
En plomp boullant pour mieulx les esmorchier;
En suif et poix, destrempez de lessive
Faicte d'estrons et de piassat de juifve;
En laivailles de jambes a meseaulx;
En racleure de piez et viels houseaulx;
En sang d'aspic et drogues venimeuses;
En fiel de loups, de regnars et blereaulx ...
















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