Alles Käse Ich muß gestern durch die Lebenssäfte derart weggetreten (pompette) gewesen sein, daß ich eine Unterlassung begangen habe, auf die normalerweise der Entzug aller postrevolutionären bürgerlichen Rechte und dreißig Jahre deutsches Weizenmischbrot auf Sankt Helena steht. Daß ich den Café vergessen habe, ist läßlich angesichts der Probleme, die man damit im Land von Beste Bohne hat (das wird hier schon noch abgehandelt!). Nicht unbedingt entschuldbar, aber wohl der (altersbedingten?) Sucht nach allen Arten von Crémes und Küchlein geschuldet ist der Abschluß des Menues mit dem Kuchen. Aber die allerhöchstheilige Sure des französischen Küchenrosenkranzes weglassen: das Gebet auf den zu heiligenden Käse?! Bevor mich die Verbannung auf das Bratwurst-Atoll Labskaus ereilt, will ich Buße tun und schleunigst nachbeten. Nein. Ich überlasse das einem Hohepriester, einem von mir sehr geschätzten Maitre fromager. Er hat vor einiger Zeit eine bemerkenswerte Hymne gesungen, die den Titel trägt Käse hält aufrecht. Auch dazu habe ich selbstverständlich meinen Käse abzugeben. «‹Die Kartoffel hat man einst verboten›, schrieb der Maitre fromager, ‹weil man von ihr Lepra bekam›: Die Unwissenden hatten statt der Knolle die Blüte gegessen, und davon war ihnen übel geworden. Nun meinten die klagenden Deutschen wohl, der Schimmel müsse mitgegessen werden! Im Freiburger Käseprozeß ging es in Wirklichkeit um Protektionismus. Die deutsche Käseindustrie wollte die französischen Produkte vom Markt fernhalten. Bis in den Bundesrat hat es ein Gesetzentwurf gebracht, wonach die Einfuhr von Käse aus nichtpasteurisierter Milch aus ‹hygienischen› Gründen untersagt werden sollte.Ich war kürzlich mal wieder in Besançon (wohin ich ja bekanntermaßen des öfteren mal komme, hatte dort einer meiner Lieblingsbeschäftigungen gefrönt: Gleich beim Reinkommen in die schöne alte Markthalle im Zentrum, an der place de la Revolution, direkt am Stand links ein großes Stück Comté zu kaufen, dann gegenüber bei Nicolas ein Fläschchen l'Etoile aus dem Jura und beim Bäcker nebenan dazu ein Baguette und sich dann an das nur ein paar Schritte entfernte Ufer des Doubs setzen, nach La Madeleine rübergucken, friedlich vor mich hinkauen und auch das Nachspülen nicht vergessen. Eines weiteren Kommentars dazu bedarf es ja wohl kaum. Immer noch diesen Geschmack in mir tragend wollte ich dann am vergangenen Wochenende die schöne Erinnerung auffrischen. Deshalb fragte ich an der doch recht großen Käsetheke des Supermarktes — alles gibt's nunmal nicht im Hofladen —, ob man Rohmilchkäse im Angebot habe. Das hätte ich unterlassen sollen. Nicht nur, daß «die deutsche Käseindustrie» weiterhin «erhebliche Mengen ‹sauberen› Käses» in den Handel schiebt. Es gibt fast nichts anderes mehr. Und letzterer verlangt für diese zwar aus Milch hergestellte, aber dennoch plastikartige Masse mittlerweile rund fünfzig Prozent mehr — ohne die Erzeuger an diesen exorbitanten Gewinnen zu beteiligen. Schlimmer noch: Der Bevölkerung ist der gute Geschmack mittlerweile derartig verdorben, daß sie, zudem fortwährend auf der Suche nach dem Billigsten, nur noch nach diesen überwiegend einheitlich nach nichts schmeckenden Produkten verlangt (am liebsten Butterkäse). Und wer an der Käsetheke eines kleinstädtischen deutschen Supermarktes nach Gereiftem aus nicht pasteurisierter Milch fragt, muß mit einigem Entsetzen feststellen, wie schlecht das sogenannte Fachpersonal über Tatsachen informiert ist. Das ist zum einen verständlich, denn die Chefetage erzählt ihm (wider besseres Wissen), derart Unreines sei nach EU-Bestimmungen nicht zulässig. — Je weniger aufgeklärt das Personal ist, um so geringer ist der Energie- und damit Zeitverlust, der dabei entsteht, den Kunden darüber aufklären zu müssen, wie wenig man daran interessiert sei, wirklich hochwertige Produkte anzubieten. Zumal solche nunmal nicht gefragt seien ... Und zum anderen hat das Fachpersonal solches nie gegessen, ja genossen, allenfalls in der frühesten Kindheit, beim Besuch von Urgroßmuttern. Aber die Erinnerung daran ist eher dürftig. Daß der Käse, wie man ihn damals bei Ur-Oma gegessen hatte, im großstädtischen Fachhandel, ja sogar in Kaufhäusern überall angeboten wird, entzieht sich jeder Kenntnis. Denn in die große Stadt fährt die Fachverkäuferin für Käse (gemeinsam mit dem Gatten) ohnehin nur, um beim nächsten supergeizgeilen und alles andere als blöden Großbilligheimer den neuesten LSD-Flachbildschirm-fernseher zu kaufen, aus dem es ihm dann via Werbung (die er auch noch mitbezahlt) hochaufgelöst bunt und kinomäßig subgewooft entgegenschallt: Aus deutschen Landen frisch auf den Tisch! Hygenisch. Sauber wie der frisch gewienerte Abfallkübel (in den das Zeugs hineingehört). Ab und an kauft es etwas besonderes, das Fachpersonal. Zumal die Schwester zu Besuch kommt, die vor vielen Jahren von so einem Froschschenkelfresser in die französische Provinz verschleppt worden war. Ihr muß dann eben französischer Käse auf den Tisch gestellt werden (glücklicherweise gab's was im «Angebot» des Arbeitgebers). Aber das Fachpersonal weiß nicht, daß der — in Frankreich! — nach denselben Putzmittelrezepten hergestellt wird wie der aus den Fabriken im Allgäu oder Niederbayern oder der norddeutschen Tiefebene. Marktanpassung. Oder Besuchvergraulen auf immer (die Schwester ist doch ohnehin so komisch, so etepetete geworden seit der Zeit, als sie sich aufgemacht hat nach drüben, vor allem beim Essen). Allüberall ruft das Volk nach Bier, das nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraut worden ist. Ehrensache. Aber Käse kauft es, den nicht einmal mehr die nun wirklich vor nichts zurückschreckende Sau fressen mag. Und selbst dort, wo diese abends vom Bauern mit ins Bett genommen wird, auf daß sie sich nun auch wirklich wohlfühle, im Bio-Hofladen, werden ihr kaum Reste wohlschmeckenden, weil nach alten Rezepten hergestellten Käses (geschweige denn solchen aus Frankreich) in den Trog geworfen. Doch nicht etwa, weil es keine Überbleibsel gibt, weil alles verkauft wurde, nein, sondern weil sich nichts im Angebot befand. Denn auch in den Läden der Bio-Bauern-Höfe (die ohnehin bald eingehen, weil die Supermärkte für'n Appel und'n Ei Bio-Obst und -Gemüse et cetera aus Chile oder China verkaufen, weil in deutschen Landen sowas ja nicht wächst, vor allem nicht so billig), hat man sich an Nachfragen zu orientieren, will man überleben. Also befindet sich mittlerweile sogar dort toter Käse im Angebot, herangekarrt aus der achthundert Kilometer entfernten, blitzsauberen oberbayrischen Käsemanufaktur. Hauptsache biodynamisch. Weshalb dann auch die Rinde mitgegessen werden darf. So wurde zwar, wie der Maître fromager schrieb, das Anti-Käse-Gesetz damals zu Fall gebracht. Aber gesiegt haben letztendlich die weltweit mit uns «spielenden» Plastik-Konzerne, denen sich die einheimischen Produzenten unterworfen haben (wenn sie nicht ohnehin dazugehören) und die uns nach wie vor weismachen möchten: Nur Frische zählt. Aber Käse will, ebenso wie Fleisch, nunmal reifen. Die Zeit ist reif (für die Revolution)! P. S. Madame Lucette friert den aus der Heimat in größeren Mengen mitgebrachten Käse ein. Der ist immer noch besser als derjenige, der hier gekauft werden kann.
LSD im Fernseher
Ich krieg ja nicht immer die neuen Entwicklungen auf dem unbegrenzten Gebiet des technischen "Fortschritts" mit, aber wenn es, wie du schreibst, jetzt auch "LSD-Flachbildschirmfernseher" gibt, bin ich doch geneigt, einige Vorbehalte gegen die Verblödungselektronik zurückzunehmen. Nimmt man die oral? Ich möcht auch einen einwerfen. Hast du schon mal jemand getroffen, der das ausprobiert hat? Muss ja die volle Dröhnung sein.Aber halt - könnte es sein, dass das ein einfacher Vertipper war, weil E gleich neben dem S liegt, und du LED tippen wolltest? Das wäre jetzt aber eine echte Enttäuschung. Frohe Tage! hap Volle Dröhnung
Das bleibt jetzt so. Damit Du auch mal ein bißchen TV-Unterhaltung hast und mal wieder auf nen ordentlichen Trip kommst. Den ganzen Tag taz lesen ist ja wie einen schlechten eingeworfen haben, was einen ja bekanntlich in den Horror schießt.Schluss-Spurt
Ja freilich, unbedingt lassen, den Vertipper, iss ja eine sehr verständliche Sprachschöpfung, der LSD-Fernseher. Und was den taz-Horror betrifft - in der bisherigen Form geht der tazblog am Dienstag zu Ende, weshalb ich noch etwas Grundsätzlicher werde zum Abschluss. Je mehr ich drüber nachdenke, krieg ich leise Paranoia, wenn ich die Möglichkeiten durchspiele, wer diese Zeitung eigentlich finanziert. Du hast recht - das schießt einen in den Horror, ich brauch ne Pause: Lies bloß mal die Einträge von gestern! tazblogL & p - hap >> kommentieren Spamming the backlinks is useless. They are embedded JavaScript and they are not indexed by Google. |
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