Tondichters Lautmaltag

Seinetwegen habe ich mich schon des öfteren frozzeln lassen müssen, wegen dessen sogenannter Lautmalereien. Doch ich bin nunmal ein in der Romantik Verstrickter und Verhakelter; auch wenn einige mich davon befreien wollen, heißt das nicht, daß dieser Freiheit nicht doch unendliche Sehnsucht innewohnt. Und dann auch noch einer aus dem sogenannten Hohen Norden. Aber das versteht kein Mensch — und stecke er noch so tief drinnen in der von der Kunst kommenden Kunst —, der morgens um fünf nach drei toskanischen Flaschen Schubertiaden in der Endlosschleife braucht. Es reicht eben nicht aus, nur einmal Urlaub auf der Fähre nach Helsinki gemacht zu haben und dann im Schwerstzustand vom Kahn gefallen zu sein. Etwas mehr sollte man schon gesehen haben von diesem Land, dessen unvergleichlicher Natur Europäer nach Canada fahren, dessen (immer noch so unskandinavischen, also ungermanischen) Menschen, deren Sprache an sich bereits Gesang ist, deren Liebe zu ihrem (wohl überhaupt phantasiereichsten) Nationalepos, in dem es weniger um den Krawall und viel mehr um Singen und Gesang geht und von dem er Teile vertont hat: des Kalevala. Er ist der einzige Komponist, dessen Musik der alles andere als mit musikalischem Gehör ausgestattete Unsereiner in der Regel nach dem dritten Takt erkennt, oftmals bereits beim ersten Ton, dessen unvergleichliches Violinkonzert ihn, wie gerade erst am gestrigen Nachmittag im Autoradio in eine Starre versetzt, die aus der kurvenreichen Strecke durchs Moor eine kerzengerade zu den Sumpfgeistern werden lassen kann, dessen Symphonien Klänge ihn in andere (ihm bekannte) Gefilde tragen, dessen Tondichtungen ihn alles andere abschalten. Das schaffen andere nicht, nicht einmal romantische Franzosen.

Vor einiger Zeit stellte ich nun glücklicherweise fest, daß es außer mir und Esa-Pekka Salonen offensichtlich noch andere Menschen gibt, die die Musik von Jean Sibelius gerne hören. Die Dame von Charming Quark hatte ihm zum 50. Todestag ein Ständchen geschrieben. Daraufhin hörte ich ausnahmsweise mal gerne viel NDR-Kultur — und klappte bei den boulevardesken Histörchen oder den musikalischen Vergleichen mit Edvard Grieg (ausnahmsweise durfte Ase mal nicht sterben!) einfach die Ohren runter. Oder schaltete das Kultursülzradio ab, denn schließlich verfüge ich über eine nicht ganz so kleine Sibelius-Plattensammlung. In ihr steht ein Dirigent ganz vornan, einer, den nicht nur dieser Klassik-Dudelsender nicht (mehr) zu kennen scheint: Sir John Barbirolli (der auch Mahler so interpretiert hat, wie unsereins ihn gerne hört). Christoph Schlüren schrieb 1999:
«... einen der größten Mahler-Exegeten des Jahrhunderts.

Darüber gerät leicht in Vergessenheit, daß der Sohn eines italienischen Geigers und einer Französin, exquisite Cellist und langjährige Chefdirigent der New Yorker Philharmoniker (1936-43) auch in anderem Repertoire Unübertroffenes geleistet hat. So muß sein Zyklus der sieben Symphonien von Jean Sibelius als beste Gesamteinspielung dieser in ihrer Bedeutung und Tragweite hierzulande noch immer verkannten Gipfelwerke nordischer Tonkunst gelten.»
(Aus: Musikproduktion Jürgen Höflich)
•••
«Meine Symphonien sind Musik, die als musikalischer Ausdruck ohne jedwede literarische Grundlage erdacht und ausgearbeitet worden ist. Ich bin kein literarischer Musiker. Für mich fängt die Musik dort an, wo das Wort aufhört. Eine Szene kann in einem Gemälde, ein Drama in Worten ausgedrückt werden; eine Symphonie soll zuerst und zuletzt Musik sein. Natürlich habe ich es erlebt, daß im Zusammenhang mit einem musikalischen Satz, den ich schrieb, sich mir innerlich ganz unfreiwillig ein Bild aufdrängte, aber das Samenkorn und die Befruchtung meiner Symphonien lagen im rein Musikalischen. Als ich symphonische Dichtungen schrieb, war das Verhältnis natürlich anders. ‹Tapiola›, ‹Pohjolas Tochter›, ‹Lemminkäinen› oder ‹Der Schwan von Tuonela› sind Eingebungen aus unserer nationalen Dichtung, aber ich erhebe keinen Anspruch darauf, daß sie als Symphonien zu betrachten seien.»

Jean Sibelius, 1934, zitiert nach: Christoph Schlüren
Im übrigen hat Christoph Schlüren 2000 mit Daniel Barenboim anläßlich dessen fünfzigjährigem Bühnenjubiläum ein Gespräch geführt, in dem der Dirigent und Pianist ungemein spannend über Musik-Interpretation und deren Geschichte erzählt; ins Netz gestellt von Klassik heute.
 
Mo, 28.07.2008 |  link | (3010) | 2 K | Ihr Kommentar | abgelegt: La Musica


chat atkins   (28.07.08, 14:55)   (link)  
Weil in Bayreuth gerade die Nazimucke den Hirnlosen wieder um die Hormonzäpfchen schwallt: Die Romantik bei Sibelius und bei Wagner, das verhält sich wie fragile Lyrik zur Du-bist-Deutschland-Kampagne ...


jean stubenzweig   (28.07.08, 16:25)   (link)  
Wohl! Wohl!
Und nun werden auch noch die Massen zugehallt. Am Bayreuther Wallestrand, Von und mit einem Großflachbildschirm. (Die bikiniierte Frau Angela kam gar nicht ins Bild?!). Von der Stirne heiß muß rinnen der Schweiß. Na ja, der olle Schiller kann dafür eigentlich eher weniger. Ich bin wohl ein wenig überhitzt. Deshalb begebe ich mich jetzt wohl besser, ohne Walküren zu reiten,

«Bis zum Gurt in tiefe Sümpfe,
Bis zur Hüft' in Wasserweisen, ...»

Den Ostseestrand, den lassen wir lieber, da geht nichts mehr. Alle Hamburger sind dort. Und wahrscheinlich ein paar andere, die in Bayreuth keine Liege mehr gekriegt haben. Keine Handbreit Handtuch hat da noch Platz. Und Wagner gehört gleich gar nicht dort hin. «An der Ostseeküste, am sandigen Strand ...»















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