Im Schmollstübchen

Der Freiburger Gymnasiallehrer und Pfarrer Franz Josef Brugger etwa gründet kurz vor der Revolution von 1848 einen «Verein zur Beförderung der deutschen Reinsprache». Mit standesgemäßer Besserwisserei und nicht ohne grimmigen Humor schlägt Brugger vor, Professor mit Wissmeister, Perücke mit Glatzberge, Politiker mit Staatsklügler oder Schlaukopf und Polizei mit Gewaltei zu übersetzen. «Die erotische Blondine amüsiert sich im Boudoir mit dem Finanzminister» hieße, ins Bruggersche Reindeutsch übertragen: «Das liebeatmende Hellhärchen vergnügt sich im Schmollstübchen mit dem Rechtslandwart.»

Aus dem in weiten Teilen köstlichen, in allen Bereichen informativen und dennoch (oder ebendrum) anregenden Rundfunkessay des geschätzten Martin Halter:

Gastarbeiter der Sprache
Zu Geschichte und Aktualität der Fremdwörter im Deutschen


Zwar wurde der Beitrag bereits im März vergangenen Jahres gesendet, aber der freundliche Südwestrundfunk stellt das Manuskript als rtf-Datei kostenlos zur Verfügung: Gastarbeiter der Sprache.

Im Vorspann heißt es:

«67 Prozent aller Deutschen halten das Vordringen fremdsprachlicher Ausdrücke für unerfreulich oder Besorgnis erregend. Seit sich das Deutsche vor bald 500 Jahren als Volks- und Schriftsprache durchzusetzen begann, galt das Fremdwort immer wieder als Fremdkörper im Sprachleib, ein Unkraut, das den wohl gehegten Schrebergarten einheimischer Gewächse zu vergiften und überwuchern drohte. Der Kampf der Sprachpuristen um eine unverfälschte, von fremden Verunreinigungen befreite Muttersprache ist — gerade in Deutschland, wo die Sprache von jeher als Kern nationaler Identität galt — hochgradig emotional besetzt und ideologisch kontaminiert. Während die Fremdwörter von ihren Freunden als multikulturelle Bereicherung und Erweiterung eines bornierten deutschen Sprach- und Denkhorizonts begrüßt werden, sind sie für ihre Gegner Zielscheibe nationalistischer Ressentiments und latent rassistischer Reinheitsfantasien. Sprache ist immer mehr als ein pragmatisches Kommunikationsmittel, nämlich Hoheitszeichen, Schutzschild und Waffe nationaler Identität, und je mehr diese bröckelt, desto erbitterter wird der Kampf ums Eigene im Medium der Sprache geführt.»

«Ich habb ihn doch gar ned dangiert.» (Loddar Mathäus)
«Das wird doch alles von den Medien hochsterilisiert.» (Bruno Labadia)
 
Mi, 06.08.2008 |  link | (3124) | 10 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Fundsachen


nnier   (06.08.08, 13:16)   (link)  
Dieter E. Zimmer etwa fürchtet, dass verkappte Anglizismen wie "Sinn machen" oder "etwas erinnern" den grammatisch-syntaktischen Tiefencode des Deutschen nachhaltig verändern.
Wenn ich mich recht erinnere, betrachtet Zimmer die Sache in seinem Buch sehr differenziert und unterscheidet u.a. danach, ob ein Anglizismus etwas Neues und mehr bedeutet als der verdrängte "alte" Ausdruck (wie etwa "Team" etwas Anderes und mehr als "Mannschaft"), also Ausdrucksmöglichkeiten erweitert, oder ob ein solches Wort Bedeutungen vermischt, verwischt und verlorengehen lässt. Demnach könnte er sich mit dem im besprochenen Text zitierten Goethe vermutlich gut einigen:
Die Gewalt einer Sprache ist nicht, dass sie das Fremde abweist, sondern dass sie es verschlingt. Ich verfluche allen negativen Purismus, dass man ein Wort nicht brauchen soll, in welchem eine andre Sprache vieles und zarteres gefasst hat. Meine Sache ist der affirmative Purismus, der produktiv ist und nur davon ausgeht: Wo müssen wir umschreiben, und der Nachbar hat ein entscheidendes Wort. Der pedantische Purismus ist ein absurdes Ablehnen weiterer Ausbreitung des Sinnes und Geistes.
Das ist etwas völlig Anderes als Reinheitsfanatismus mit nationalistischen Anklängen, der sich in den beiden folgenden Zitaten ausdrückt:
Nur ein deutsch sprechendes deutsches Volk kann Herrenvolk werden und bleiben.
(Eduard Engel)
Wir sind die, die nicht tatenlos daneben stehen, wenn die weltweite Kulturvielfalt mit einer übel riechenden McDonald’s-Coca-Cola-Einheitssoße überschüttet wird. Wir sabotieren die globale Herrschaft von Disneyworld und Hollywood, wir lassen unser schönes Land nicht zum 51. Bundesstaat der USA verkommen.
(Verein Deutsche Sprache)
Dies ist natürlich unappetitlich, hat aus meiner Sicht aber auch nichts mit der Besorgnis und Trauer darüber zu tun, dass eine Sprache an Vielfalt durchaus nicht automatisch gewinnt, wenn neue Wörter alte verdrängen, sondern dass auch Bedeutungsnuancen verlorengehen können und etwas plötzlich nur noch "Sinn macht", statt welchen zu haben. Natürlich gilt dies nicht nur für sogenannte "Fremdwörter", sondern auch für Teile der neuen Rechtschreibregeln, z.B. die leidige Getrenntschreibung zusammengesetzter Wörter.

(Man muss ja nicht gleich so enden.)


jean stubenzweig   (06.08.08, 13:59)   (link)  
Unendliches Thema
ist das. Ich beschäftige mich damit ebenfalls seit langem und habe die eine oder andere Äußerung dazu getan.

Ich muß jetzt aber raus. Sobald ich dazu komme, gebe ich nochmal Laut.

Dennoch soviel: das mit Sick ist wirklich heftig. Ich hätte nicht gedacht, daß der Nationalkulturbewahrungsterror einmal so weit gehen würde. Terror – anders kann ich das nicht nennen.


nnier   (06.08.08, 14:06)   (link)  
Das mit Sick ist aber eine Parodie. Wenn auch eine sehr naheliegende.


jean stubenzweig   (06.08.08, 14:15)   (link)  
Schlecht
für mich. Aber ich hab's wohl nicht genau genug gelesen, sondern in der Eile nur überflogen.

Aber gut, wie auch immer.


nnier   (06.08.08, 17:52)   (link)  
Beim ersten Lesen bin ich auch darauf hereingefallen. Um mich mal selbst zu verlinken: Gar so weit hergeholt ist es auch gar nicht.


jean stubenzweig   (07.08.08, 01:45)   (link)  
Es mußte so enden.
Nicht, daß ich nichts richtig (mehr) mitkriege, sondern das Sick zum Gespött wird, besser: sich selbst zum Gespött macht (Sie haben's ja beschrieben). Ich habe den Rummel an mir vorüberziehen lassen und deshalb von Show-Einlagen nie etwas mitbekommen. Schlimm. Solche Bücher kaufe ich ohnehin nicht, da sie für mich unter Ratgeber segeln. Und bei Zwiebelfisch denke ich zunächst einmal an nicht anderes, als daß ich seit Monaten nicht mehr drinnen war im Alt-68er-Schaukelstuhl am Berliner Savignyplatz.

Aber wie Sie ja schrieben: «Gar so weit hergeholt ist es auch gar nicht.»

«Es gibt einen Typus des übellaunigen, heimattümelnden Sprachschützers» schrieb Jens Jessen vergangenes Jahr, dem man nicht im Dunklen begegnen möchte.» Und Josef Joffe meinte: «‹Die zunehmende Anglisierung ist kontraproduktiv›», murrt Annette Schavan, die Bildungs- und Forschungsministerin, die die ‹deutsche Sprache bedroht› sieht. Hätte sie statt ‹zunehmend› das Wörtchen ‹inkremental› benutzt, wäre der gesamte Satz ausländisch, genauer: eingedeutschtes Latein und Französisch. Und was ist mit ihrem Vornamen? Der ist die französische Verkleinerungsform von ‹Anna›». Ein kleines Meinungssammelsurium setze ich anschließend hier rein.

Wir haben uns in einem kleinen Blättchen, dem zwischen 1991 und 1996 erschienenen Laubacher Feuilleton, immer wieder mit dem Thema Sprache beschäftigt, und einiges ist ja bereits hier sozusagen zur Sprache gekommen: Lapsi linguae.

Und mich wird das ohnehin nicht loslassen. Hat es nie. Also wird es noch mehr dazu geben. Bis zwischen die Jungen und mich ein Übersetzer geschaltet werden muß. Das ist kein Altersstarrsinn. Sondern altersbedingtes Ausleben von Gefühl. Wie bei der Musik. Ich höre, wonach mir ist. Der Rest wäre dann Schweigen.


vert   (07.08.08, 11:11)   (link)  
im nationalismuspfuhl wälzen sich irgendwann auch die schlaueren, das scheint wirklich schwierig zu sein ohne auszukommen...


jean stubenzweig   (07.08.08, 12:13)   (link)  
Irgendwas Tragikomisches
hat das mit Wolf Schneider. Mehr aber auch nicht. Ihn mit «stechschritt, kz und volksmusik» in Verbindung zu bringen, halte ich für leicht überzogen. Er war zwar immer preußisch-offiziersartig orientiert, was mich an ihm störte (soweit ich's in Erinnerung habe; lange her), aber sicherlich nicht nationalistisch oder gar nationalsozialistisch ausgerichtet.

Schneider gehört sicherlich nicht in die rechte Ecke. Im Gegensatz zu einigen anderen, die das welsche Wort im Deutschen tatsächlich für den Untergang der «eigenen» Kultur halten. Am schlimmsten sind die Trittbrettfahrer mit einem Kulturhorizont, der zwar von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt reicht, aber bereits beim Erwägen des historischen Hintergrunds aufs eigene Nichtwissen reduziert sind.

Mir scheint, mark793 liegt am nächsten dran mit der Vermutung der schneiderschen «verbal-gedankliche(n) Fehlschaltung».

Weiteres Diskussionsmaterial habe ich ja heute reingestellt.


vert   (07.08.08, 14:29)   (link)  
sein problem. nicht ich habe ihn dorthin gestellt, das hat er selbst getan.
wahrscheinlich war es eine fehlschaltung, klar, aber welchem ungeist ist sie entwachsen? sowas passiert einem doch nicht zufällig auf wdr5, wenn man sich seit jahren mit der debatte und seinen akteuren beschäftigt.
das habe ich nicht getan; wolf schneider war mir bis dato unbekannt und das war das erste, was ich bewusst von ihm gehört habe, ansonsten plätschert der larmoyante sprachverhunzungsdiskurs einfach unfröhlich weiter an mir vorbei.
sicher - ich hab auch ausgeteilt, es geht auch mehr gegen seinesgleichen als direkt gegen ihn. aber ich verdiene mein geld nicht damit, dann hätte ich ihn besser gekannt, und mir so eine breitseite auch gespart. aber ich war wirklich böse. (und das bin ich selten. also so wirklich.)


jean stubenzweig   (07.08.08, 14:48)   (link)  
Ich prangere
das Austeilen auch nicht an. Hätte mir auch passieren können, wär's mir zu Ohren gekommen. Altersstarrsinn fällt mir noch dazu ein.

Ja, man darf sowas nicht sagen, und schon gar nicht, wenn man ein solches Journalistendenkmal ist. Und eben junge Menschen ausbildet, die später an der Meinungsfront stehen sollen.















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