Identität durch Sprache

«Wer die Sprache für ein bloßes Handwerkszeug hält, hat nichts begriffen und wehrt sich natürlich auch nicht dagegen, daß man seine kulturelle Identität einem kurzfristigen und allzu oft nur vermeintlichen wirtschaftlichen Vorteil opfert.»
Der Übersetzerin Gabi Zöttls zentrales, ihr verständlicherweise am nächsten liegendes Thema ist die Sprache (das ist wahrlich nicht bei allen Übersetzern so). Auch ich spreche und schreibe gerne über Sprache. Was uns verbindet, ist nicht die Definition von Sprache als Handwerkszeug, sondern sehr viel mehr die der Sprache als identitätsschaffendes und -bewahrendes Elexier. So kam es zu einem Austausch, auf den hier hingewiesen sein möchte; der Bezug auf die untenstehenden Zeilen kann nur hergestellt werden, wer Sprache ist Identität im Über-Setzer-Logbuch aufschlägt.

Ich muß noch einmal auf dieses Philosophenstammtischgeraune eingehen, mit dem die selbsternannte Elite, die ihre klugen Köpfe hinter großen Zeitungen versteckt, pfeilscharf an der Wirklichkeit vorbeitrifft, die nicht wahrhaben will, daß es das Widerstreben gegen sie bereits gegeben hat, bevor das Elektronetz so leicht verfügbar wurde: in gedruckten Zeiten wurde dieser «Pöbel» eben allenfalls in die Papierkörbe hineingeschwiegen, in denen Leserbriefe in der Regel landen. Doch mittlerweile bringen solche Köpfe sogar Sprachintegrationswillige gegen sich auf. Denn ihr Aufbegehren ist nicht mehr, aber auch nicht weniger als die südspanische Mauer gegen den Mob, der in die eigenen Latifundien eindringen und ihnen die Butter vom Brot nehmen will. Auch wollen sie ja nicht wirklich, daß ihre Sprache gesprochen wird. Sie sollen ruhig unter sich bleiben, in ihrem Gestammel, in ihrer akulturellen Schwitze, wo sie eben hingehören — zurück auf eure Bäume, ihr Affen! In eure arabischen oder afrikanischen oder branden- oder mecklenburgischen Favelas oder wie auch immer eure ärmlichen, faulenden Hütten genannt werden mögen! Theoretisch könnte man sich zumindest annähern. Aber Verständigung interessiert sie nicht wirklich, unsere geistige Elite hoch oben über all den ruhenden Wipfeln des alten guten, wahren und schönen europäischen Geistes.

Unglücklicherweise hat dieses Elektronetz nun Verbindungen zum einen oder anderen Dorfschullehrer hergestellt, der ihre Sprache nicht nur versteht, sondern mindestens so gut, wenn nicht gar besser beherrscht als sie, und ihnen so ihre Fehler nachzuweisen vermag, beileibe nicht nur die grammatikalischen ihres aufgeklärten (Katechismus-) Denkens. Früher kannten sie ihn nicht, da der nicht auf ihren Podiumsdiskussionen und Vernissagen und Colloquien herumturnte, weil er seine Zeit lieber damit verbrachte, andere etwas zu lehren und sich damit zugleich selbst den Horizont zu erweitern. Mit einem Mal ist er aufgetaucht aus einer Versenkung, von deren Existenz man ihnen an Universität oder Journalistenhochschule nie etwas erzählt hatte (oder gerne vergessen hat, wie's da unten aussieht?).

Es ist vielleicht unser junger Dorfschullehrer aus dem Film Elina.* Zwar kennt er nicht die Sprache der Kinder, aber kurz nach seiner Ankunft lernt er bereits das erste Wort. Doch seine Lernwilligkeit bezieht sich nicht aufs schiere Erfassen eines Handwerkzeugs, mittels dessen er sich möglicherweise Gefühlsressourcen sichern kann. Bereits hier verfügt er über den höheren sogenannten emotionalen Quotienten als seine Vorgesetzte, die weit oben auf dem dreigekrönten Kulturbaum sitzt und nicht erkennt, welches vielfältige Leben da unten herumwuselt. Später spricht sie zwar immer noch nicht Finnisch, diese Untermenschensprache, wird vermutlich auch nie lernen, von welcher außerordentlichen Kultur die genährt ist, aber sie hat immerhin verstanden, daß sie mit ihrem gefühlsbereinigten und monarchieunterwürfigen, aseptischen Kulturschwedisch nicht an die Kinder, also an die Menschen herankommt.

Unser Jungdorfschullehrer wußte von Anfang an um die Bedeutung unterschiedlicher Sprachen, die sich nunmal nicht im Labor heranzüchten und dort gentechnisch oder politökonomisch verändern lassen, sondern die über Jahrtausende gewachsen sind und die man lernen muß, um diejenigen zu verstehen, die das ausmachen, was der gute alte Herr Brockhaus mal so gesagt hat: Kultur ist die Gesamtheit der Lebensäußerungen eines Volkes.

* Die Besprechung des Films Elina in Wikipedia ist am ehesten zu empfehlen, nicht zuletzt deshalb, da darin auch auf die Sprachen-Problematik hingewiesen wird und aus der Analyse hervorgeht, daß es sich dabei eben nicht ausschließlich um einen reinen (weil menschelnden) Kinderfilm handelt, wie das anderenorts vermittelt wird.
 
Fr, 08.08.2008 |  link | (2455) | 2 K | Ihr Kommentar | abgelegt: lingua franca


hap   (08.08.08, 10:36)   (link)  
Die Sprache
"In Frankreich empfindet man das Bedürfnis der Unterhaltung in allen Klassen: Die Sprache ist dort nicht allein, wie anderswo, ein Mittel, um sich seine Gedanken, Gefühle und Angelegenheiten mitzuteilen, sondern ein Instrument, das man gerne spielt, und das den Geist anregt, wie bei einigen Völkern die Musik, bei anderen die starken Getränke."
Nicolaus Sombart, Rendezvous mit dem Weltgeist


jean stubenzweig   (08.08.08, 11:49)   (link)  
Musik!
Hinreißend. Danke.















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Jean Stubenzweig motzt hier seit 6023 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 07.09.2024, 02:00



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