Andere Kultur

Es ist zwar nicht unbedingt mein Revier, und ich will auch nicht dilettierend wildern. Aber auch das ist nunmal Feuilleton oder meinethalben Kultur oder großes Staunen:

Für völlig unterbelichtet in Sachen Kapital(ismus)mechanismen halte ich mich ja nicht. Aber nach der gestrigen Sendung in arte über die kriegerische Übernahme der Marktmacht am Beispiel des (von mir allein seiner sektenartigen Verkaufsmethoden wegen seit je ungeliebten und in Europa glücklicherweise mehr oder minder glücklosen) US-Einzelhandelsriesen war ich dann doch ein wenig überrascht. Die haben den US-Amerikanern nicht nur geschätzte bis zu einer Million Arbeitsplätze eingeebnet, indem sie die Hersteller der günstigeren (Stunden-)Löhne wegen nach China (dort bis maximal fünfzig US-Cent) gezwungen haben, um die «sozialen» Preise in den eigenen gigantomanischen Läden «halten» zu können. Und dann stellen sich diese Walrösser hin und sagen's auch dem letzten, der's nicht hören will: Wir tun Gutes, da wir dem Menschen mehr Kaufkraft ermöglichen. Euphemismus wäre da ein zu beschönigenderer Begriff ...

Dieser Mechanismus hat den USA überdies ein gigantisches Handelsbilanzdefizit eingebracht. Mit eingefädelt hatte das bereits Bill the Clinton, der seinen Landsleuten vermittelte: China ist ein riesiger Markt für uns! Heute stehen etwa drei Milliarden US-Dollar Export circa 130 (bis 150?) chinesischer Einfuhr gegenüber. In den USA wächst kaum noch ein Produktionspflänzchen.

Weit weg? Die Amis sind selbst schuld? Falls es noch niemand gemerkt haben sollte: Dieses soziale Verhalten großer Handelsketten hat seit langem bei uns Einzug gehalten. Auf eines dieser unzähligen Beispiele verweist Andreas Pramanns Göttinger Landbote. An die Bewertung der euroglobalen Arbeitsmarktdaten — von den meisten Informationsverlautbarungsorganen, privat oder öffentlich-rechtlich, meist vornehm unterlassen — mag jeder sich selber machen.

So werden enorme Gewinne gemacht und die Löhne der hiesigen Arbeitnehmer halbiert und auch auf ein Viertel reduziert. Es ist ja nicht das erste Mal, daß ich auf dieses eine absurde Beispiel hinweise: Bio made in China. Unterhaltungselektronik, beispielsweise der allseits geliebte und überlebensnotwendige Flachbildschirm: ein Drittel kommt mittlerweile aus dem Reich der Mitte, das so heißt, weil es sich von jeher als Weltgeldmaschine verstand. Der Käufer bekommt das nur nicht mit, weil die altbekannten Firmennamen auf den Produkten kleben (auf die Herkunftshinweiese schaut ohnehin kaum jemand). Aber lange wird's nicht mehr dauern, bis auch die gänzlich verschwunden beziehungsweise von anderen ersetzt sein werden. Fusionen, zumindest aber joint ventures auch europäischer Firmen mit chinesischen Unternehmen sind an der Tagesordung.

Wann wacht der Mensch eigentlich auf und macht kaputt, was ihn kaputtmacht? Zerschlagen kann beziehungsweise soll so aussehen: Boykottieren! Anderswo kaufen. Es gibt noch Händler, die privat geführt und nicht von nimmersatten Börsenzockern bestimmt werden, aber trotzdem durchaus sehr preisgünstige Waren anbieten. Sicher, die sind gezwungen, bei dieser Preispolitik mitzumachen. Aber auch als nicht so Betuchter sollte ich lieber ein seriös geführtes mittleres Unternehmen «unterstützen» als diese Horden, die nichts als Verwüstung hinterlassen. Und wenn wir denn endlich wieder das Geld verdienen, das wir verdienen, dann können wir ja dann endlich (wieder) dort einkaufen, wo's so romantisch ist: beim Bauern. Wenn der dann überhaupt noch eine Kuh oder ein Huhn im Stall hat und Käse und Eier nicht längst aus fernöstlicher Plasteproduktion bestehen und der ganze Weizen nicht längst von unseren Renn-LKW und den Hyperkähnen weggesoffen worden ist.

Ich gebe zurück an die Expertenzentrale.
 
Sa, 30.08.2008 |  link | (1394) | 6 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftsspiele


nnier   (30.08.08, 17:25)   (link)  
... an die Expertenzentrale, in der man mich nicht findet. Ich kann Ihnen nur vollständig zustimmen, was die Abneigung gegen Wal-Mart und deren Behandlung ihrer Mitarbeiter angeht. Mit Entsetzen habe ich damals (vor einigen Jahren, als der Konzern sich hier ausgebreitet hat) die Reportagen über das für die Mitarbeiter obligatorische, hirnwaschende morgendliche Begeisterungsschreien ("Wal-Mart! Wal-Mart!") gesehen; sie wollten für ihre Niedriglöhne den ganzen Menschen, mit Leib und Seele. Ich habe mich gefreut, als der Konzern hier den Rückzug antreten musste und sein amerikanisches Konzept nicht erfolgreich durchprügeln konnte. Wobei es ja längst auch anderswo Usus ist, auch noch für dreifünfzig die Stunde ein "ehrliches" Lächeln und "echte" Begeisterung von seinen Mitarbeitern einzufordern, die ja froh sein können, ... (vgl. den Link zum Göttinger Landboten).


jean stubenzweig   (30.08.08, 18:23)   (link)  
Ach, das mit dem
«zurück an die Expertenzentrale», das ist ein kokettes Spitzchen gegenüber denen, die früher meinten und das auch heute noch tun, ein «Kulturbeutel» wie ich habe nichtmal den Anflug einer Ahnung. Es sind zugleich diejenigen Politik-Redakteure, die in politischen Prognosen mir gegenüber regelmäßig den kürzeren zogen.

Ansonsten: ja, übel. Aber versuchen Sie das mal denen zu vermitteln, die mehr oder minder unmittelbar davon betroffen sind. Das ist es, was mich fast mehr noch verärgert als als das Wissen um diese Methoden, meinetwegen auch «Mechanismes» des Kapitalmarktes. Und wenn sie dann auf der Schlachtbank liegen, rufen sie Zeter und Mordio und den Herrn im Himmel an (oder sind ohnehin der Meinung, der Herr hat's so gerichtet).


vert   (30.08.08, 18:10)   (link)  
einerseits haben sie natürlich gründlich recht mit ihrer abneigung gegen überseebioprodukte. das mag zwar bio sein - öko ist es hingegen noch lange nicht.
andererseits ist mir auch nicht einleuchtend, warum weniger entwickelte länder und landwirtschaften nicht ihre chance auf teilhabe an der globalisierung haben sollen. ökologisches witschaften erweist sich somit auch als lohnend und bewahrt einige länder oder auch nur landstriche vor den fehlern und verbrechen unserer vergangenheit.
entwicklungsländer können sich nur entwickeln, wenn sie (handels)partner anstatt bittsteller werden, also quasi die ganzen eine-welt-läden überflüssig machen.


jean stubenzweig   (30.08.08, 18:39)   (link)  
Es geht doch nicht
darum, daß ich anderen Menschen in anderen Ländern keinen Wohlstand gönne, zumal der Hinweis auf Bio hier nur ein (wiederholter und durchaus auch ironischer) Hinweis auf die Verlogenheit des Systems ist. Mir geht es auch darum – und das sollte doch herauszulesen sein –, auf diese ausbeuterischen Machenschaften hinzuweisen, die diese augenwischerische Globalisierungbeterei mit sich bringt. In Europa und anderswo verschwinden die Arbeitplätze, während der «Bio-Bauer» in China ja bei weitem nicht die fünfzig US-Cent pro Stunde erhält, die dem Montierer von Fernsehgeräten zugestanden werden. Ihre Containerunterkunft müssen davon beide bezahlen.

«Handelspartner»? Schauen Sie sich dochmal genauer an, was da abgeht. Teilweise ist es oben ja bereits beschrieben.


hap   (30.08.08, 22:40)   (link)  
Fremde Reviere
Im Revier der Wirtschaftsidioten zu wildern, sollte inzwischen die vornehmste Aufgabe aller sein, die sich mit dem Überleben der Spezies befassen. Wenn wir die heutige Version der Nationalökonomen weiterhin als ernsthafte Wissenschaftler betrachten, werden wir teuer und bitter dafür bezahlen. Ich hab das die letzten Monate auf meinem tazblog verfolgt und beschrieben, und ich kann dir nur sagen: Diese korrupten Dummbeutel haben nicht den Schimmer einer Ahnung, wovon sie reden. Wenn sich da nicht endlich alle guten Geister aus anderen Bereichen einmischen, sind wir geliefert.
DIW, ifo-Institut, RWI, INSM und wie sie alle heißen: Diese Dreckskerle erzählen ihren Auftraggebern, die allesamt aus der Kapitalistenmeute stammen, lediglich das, wofür sie bezahlt werden, und was sich auf den Wirtschaftsseiten von FAZ - SZ - ZEIT - SPIEGEL - HANDELSBLATT - MANAGERMAGAZIN -
STERN - FINANCIALTIMES verwerten lässt.
Nein, nicht zurück an die Expertenzentrale, auch nicht zurück ans gesunde Volksempfinden, zurück an den gesunden Menschenverstand, und einmischen, einmischen. Dazu noch ein Satz von Florian Peters aus Kiel, Leserbrief, taz von heute:
"Der Wirtschaftswissenschaft sei angeraten, auch in ihren eigenen Reihen mal etwas mehr von dem Wettbewerb um die besseren Ideen in Erwägung zu ziehen, den sie von anderen alle Naselang fordert - und sich etwas weniger im Konsens über die stets gleichen Zirkelschlüsse zurückzulehnen."
Ich sag dir was im Vertrauen: Die meisten Nationalökonomen, die sich zu neoliberalen Meinungen missbrauchen lassen, sind dumm wie Bush.


vert   (31.08.08, 04:21)   (link)  
ich hatte das mit der expertenzentrale überlesen, daher komme ich natürlich nicht, auch wenn menschen in meinem umfeld dort (in der biobranche) ihr geld verdienen und ich deshalb einen gewissen einblick habe.
die gesammelten problemstellungen von mikro- und makroökonomie werden wir nicht in einem blog lösen - und schon gar nicht mehr heute nacht!
;-)















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