Analyst vor Ort

Das war ja zu erwarten, seit langem rechnete ich damit, und gestern abend bin ich erlöst worden, habe ich's endlich gehört: «Analyst» nannte die resche öffentlich-rechtliche phoenix-Dame im Gespräch mit dem SPD-Herrn (Dreßler) einen Politikwissenschaftler der Universität XY, der die akute Parteilage anal ... — ja, was denn nun, analystiert? klistiert? — hat. Hätte sie nun dem Nachwuchs angehört, der's nicht anders kann, weil im Bachelor-Schnellgang für solche Erbsenzählereien keine Zeit vorhanden ist, weil keiner mehr da ist in den Redaktionen, der's ihm sagen könnte, schulterzuckend resignierend hätte ich's hinnehmen müssen. Aber besagte gestrige Frau Moderatorin dürfte einem Jahrgang angehören, zu dessen Schul- und Studienzeiten man noch nichtmal eine Ahnung davon gehabt haben dürfte, wer oder was so ein deutscher Bachelor (nicht nur sprachlich) alles kaputtmachen kann.

Der aus der Weltwirtschaftssprache Englisch zur besseren Unterscheidung oder zur stilvollen Abgrenzung gegenüber allen Unwissenden oder was auch immer erst gar nicht übersetzte Analyst ist immer noch der, der (mittlerweile gerne als Bachelor) alltäglich auf allen Kanälen allen, aber auch wirklich allen, die's nicht wissen wollen, die chaotische Situation an den Finanzmärkten noch mehr verunklart, weil er selber nicht weiß, weshalb die Börse mal wieder rauf- und runterhüpft und deshalb garantiert die Anlagetips gibt, mit denen man ganz schön verunfallen kann (wie uns das Schweizerische als lingua franca der Finanzwelt verundeutlicht). Während der Analytiker analysiert, etwa die Psyche von Bankmanagern, die gerade mal wieder entgegen allen positiven Weissagungen einen völligen Zusammenbruch hingelegt haben und nun gezwungen sind, Schutz zu suchen unter der Fittiche des radikal antikommunistischen Volksvermögensverwalters, sei es den Geisteszustand von Politikern, die behaupten, nur mit ihnen und der christlichen Atomkraft gehe es immerzu aufwärts in die freiheitlichste aller Freiheiten da oben.

Wie vor etwa fünfzehn Jahren die Journalisten (samt Politikern) Pütt-Anleihen genommen haben für eine andere sprachliche Fahrt nach unten. Befand der Bergarbeiter sich früher vor dem Fahrstuhl, der ihn in seine finstre Arbeitswelt bringen sollte, dann hieß das: Vor Ort. Heute habe ich immerzu Angst, der Notarzt könnte es nicht schaffen, weil er sich vor Ort befindet, also irgendwo da draußen vorm Dörp herumirrt, weil er sich auf eine dieser satellitischen Landkarten verlassen hat, die heute zur Grundausstattung eines jeden modernen Menschen gehören und die einen überall hinführen, nur nicht an den Ort, an den der Herr Doktor gelangen möchte, um jemanden zu retten.

Der Sprache, der kann er nicht mehr helfen, denn die ist gestorben, während er so lange vor Ort nach ihr fahndete.
 
Mi, 10.09.2008 |  link | (1815) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: lingua franca















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Jean Stubenzweig motzt hier seit 5814 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 22.04.2022, 10:42



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