Slow Shave

Es ist durchaus beachtenswert, welche Mühe man sich gibt, den sich von des Tages Last vor dem Bildschirm Erholenden einfühlsam mit den Unbilden eines traurigen Alltags vertraut zu machen (was man naheliegenderweise dann auch gebannt verfolgt, keinen Sekundenbruchteil auslassend). In diesen (über-)lebenshilferelevanten Service-Sendungen des Spätnachmittags- oder Vorabendprogramms, die für den wegen eines dringenden Arbeitstrinkens verhinderten GEZahler spätnächtens oder auch frühmorgens wiederholt werden, sind nicht nur das korrekte Blumengießen oder das optimale Plazieren von Backpapier im Mikrowellengerät ein Thema, auch auf die Unantastbarkeit einer selten gewordenen, weil aussterbenden Stechmückenrasse wird hingewiesen. Nicht zuletzt kommt auf denjenigen hochprofessionelle Unterstützung zu, dem der Arbeitsmarkt bislang nicht die ihm gebührende Beachtung geschenkt hat.

Allem voran steht allerdings die Produktinformation, die gerne von einem ausführlichen Neunzig-Sekunden-Interview begleitet wird, wie man es von einem unverständlicherweise kürzlich geschaßten österreichischen Fachmann für deutsche Klostergartenkräuter kannte. Ausführliche Vergleichstests, beispielsweise zwischen Raps-, Sesam, Oliven- oder Motorenöl, gehören ebenso zum Informationsprogramm wie die unterschiedlichen Möglichkeiten einer gründlichen und vor allem raschen Rasur, da es sich bei der frühmorgendlichen Zeit, wie allgemein bekannt, um eine doch sehr kostbare handelt. Dabei wird selbstverständlich selten auf die öffentliche Meinung verzichtet. Deshalb zogen für einen Vorspann zu einer dieser Untersuchungen kürzlich Reporter der größten öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalt aus, um Passanten nach ihrem Rasierverhalten zu befragen. Wobei es in erster Linie weibliche Befragte waren, die die verblüffendsten Meinungen zum besten gaben. So verwies eine etwa zweiundzwanzigjährige Frau die Frage glatt oder dreitagebärtig? ins Zeitlose: Egal, wenn ich es liebe, kann das auch einen Bart haben.

Ausführlichen Tests unterzogen wurden die Grundhautglättungsrarten. Wobei die interessante Information hinzukam, daß die unermüdliche privatwirtschaftliche Forschung dem Gegensatzpaar Naß- oder Trockenrasur eine Kompromißmöglichkeit hinzugefügt hat: die Naß-Trockenrasur. (Leider reichte die Sendezeit nicht aus, deren Funktionsprinzip zu erläutern. Zu sehen war ein vermutlich elektrisches Gerät. Es kann nur, wie es in der Sprache des Polizeisprechers coram publico heißt, gemutmaßt werden, daß dieses, ähnlich der Waschmaschine, an die städtische oder landesverbundliche Wasserversorgung angeschlossen wird.) Testpersonen waren konsequenterweise typologisch höchst unterschiedliche und durchaus faszinierende Charaktere, die anzunehmenderweise nach den beispielhaften Kriterien des italienischen Gerichtsmediziners und Psychiaters Cesare Lombroso ausgewählt und überraschenderweise allesamt innerhalb einer kölnisch-nächtlichen Pokerrunde ausgemacht wurden.

Diesen zugeteilt wurden: 1.: preisgünstiges Einmal- beziehungsweise, je nach Bartwuchsintensität, Mehrfachnaßrasiergerät zum Preis von etwa je 0,25 Euro; 2.: ein ebensolches, allerdings der Premiumklasse angehörendes zum Preis von 4,50 Euro pro (Rasur-)Kopf; 3.: das erwähnte elektrische Marken-Naß-Trocken-Rasiergerät zum Preis von etwa 69,99 Euro. Als Gutachter bestellt waren zwei namentlich genannte Barbiermeister (die zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen hier leider nicht erwähnt werden können); sie hatten anhand von Wattetests den Glättungsgrad beziehungsweise -grat festzustellen.

Als Testsieger hervor ging das Mehrfachnaßrasiergerät der mehrschneidigen gehobenen Klasse. Es hinterließ nicht nur eindeutig weniger Verletzungsspuren im Gesicht des sensiblen Probanden, sondern ließ auch eine sehr viel raschere Rasur zu, so daß dieser unverhältnismäßig schneller wieder in die Pokerrunde zurückkehren konnte als etwa der Kollege der unteren Preisklasse, der zunächst in der örtlichen Chirurgie notfallversorgt werden mußte. Dem Gesetz der (Test-)Serie zufolge landete die gleichermaßen wasser- und strombetriebene Bartentfernungsmaschine in der Mitte der Bewertung.

Löblicherweise überließ die Service-Redaktion dem mündigen Fernsehbürger das endgültige Urteil. Allerdings und erfreulicherweise unterließ sie es nicht, auf das gute alte Barbierhandwerk zu verweisen, das zwar etwas mehr Zeit und damit Geld erfordere, aber letztendlich am gründlichsten und wellnesstechnisch am erholsamsten arbeite.

Fazit: Nachdem Slow Food sich ja bereits bewährt hat, sollte die Gründung von Slow Shave unbedingt in Erwägung gezogen werden.

Es ist zu vermuten, daß es hier etwas ruhiger wird in nächster Zeit. Ich werde mich wohl auf Findungsreise begeben nach den besten Barbieren, die erwiesenermaßen ausschließlich in der arabischen Exklave Frankreich angesiedelt sind. Es gibt viel zu tun, warten wir's also ab (mit dem Rasieren). — Aber wer weiß, vielleicht packe ich ja ein paar Barthaare mit ein. Sucht.
 
Fr, 12.09.2008 |  link | (2884) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ich schau TeVau















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Jean Stubenzweig motzt hier seit 6023 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 07.09.2024, 02:00



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