Restefisch und Rustikales

Die Küche von Marseille ist zwar in erster Linie provençalisch beeinflußt, klar, denn die Stadt ist nunmal das Zentrum der Provence, jedoch auch der gesamte Mittelmeerraum schwimmt in den Töpfen und liegt auf den Tellern. (Jean-Claude Izzo: «Bei uns essen alle gefüllte Weinblätter.») Dazu zählen selbstverständlich auch arabische Einflüsse, da ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung von dort her — zum Beispiel aus den ehemaligen Kolonien — eingewandert ist und weiterhin einwandern möchte (was immer schwieriger wird; erst haben wir sie ausgeraubt, und nun lassen wir sie nicht rein, weil sie ein bißchen was von dem abhaben wollen, das ihnen gehört). Dabei gilt allerdings zu beachten, daß hier ebenso italienisch, korsisch, spanisch, jüdisch-sephardisch oder armenisch, nicht zuletzt griechisch gekocht wird, denn aus diesen Ländern kommen überwiegend die Vorfahren der Einwohner von Marseille.

Erwähnenswert ist sicherlich die Bouillabaisse, ein aus Marseille stammendes Gericht, das längst in ganz Frankreich, mittlerweile über das Land hinaus äußerst beliebt ist und auch anderenorts angeboten wird (wenn es sich dabei allerdings allzu häufig um irgendeine Fischsuppe handelt, die auf den Namen Bouillabaisse getauft wird). Doch es ist sehr selten, daß dabei die Qualität der von einheimischen Köchen (oder gar die der Fischersfrauen) zubereitete Bouillabaisse erreicht wird. In den Restaurants von Marseille gehört diese — ursprünglich, das hat sich geändert — von Fischern aus nicht verkauften Fischen, Crevetten und Muscheln — also Restbeständen (so haben's alle Fischer, eben nicht nur die ganz armen, vernünftigerweise praktiziert) — gekochte Suppe zum Standard. Selbst in überwiegend touristisch frequentierten Gaststätten wird sie (vermutlich) schmecken, da man sich bei diesem sogenannten Nationalgericht von Marseille möglichst keine Blöße geben wird. Doch am besten bedient wird man sein, wo Alteingesessene die Bouillabaisse (oder andere Gerichte) genießen (etwa in diesem dunklen Loch in Cassis, lediglich erhellt von der Suppe und den beglückten Gesichtern).

In Wikitravel heißt es im (ohnehin nicht so recht zutreffenden; Stand: Mai 2007) Text zu Marseille zwar: «Meiden Sie die scheinbar einladenden Restaurants und Bistros direkt am Vieux Port! Hier findet eine regelrechte kulinarische Massenabfertigung von Touristen statt. Es ist zu empfehlen, sich vom Hafen und der Canebière weg zu orientieren und in den schmalen Gässchen nach einem passenden Restaurant zu suchen. Auch wenn es oft nicht den Anschein hat, die kleinen, unauffälligen Lokale bieten meist die mit Abstand beste Küche.»

Zuzustimmen ist an dem Punkt: Besser nicht direkt am Vieux Port mit Aussicht auf die Schiffe et cetera, auch wenn sich dort am Abend durchaus sehr viele (überwiegend junge) Einheimische aufhalten. Ihnen geht es um das vielzitierte sehen und gesehen werden. (Es gibt, wie beispielsweise auf der Münchner Leopoldstraße oder dem Berliner Kudamm — ach, wer will denn da noch hin ...? —, am Quai des Belges nicht einmal für einen faltbaren Smart einen Parkplatz, so daß das schwarze BMW-Cabriolet irgendwo auf einem Trottoir einer Seitengasse aufgebahrt werden muß. Dafür wird am Oval des Quai des Belges permanent Rundstreckenrennen gefahren.) Hier, in diesen scheibenlosen Schaufenstern (wie nahezu überall in Hafenstädten) kann man einen Café, eine Limonade oder auch ein Glas Wein oder einen Pastis trinken, aber essen sollte man dort nicht.

Doch es kann durchaus ganz in der Nähe der Canebière oder des Quai des Belges, also des Alten Hafens sein. Oftmals sind es nur ein paar Schritte zu einem der «kleinen, unauffälligen Lokale», die «die mit Abstand beste Küche» bieten. Vorsicht geboten ist allerdings in der direkt hinter dem Quai de Rive Neuve gelegenen rue Saint Saëns um die place Thiars: Hier findet tatsächlich besagte «regelrechte kulinarische Massenabfertigung von Touristen statt». Es ist eher anzuraten, etwa die rue Saint Saëns vom Cours Jean Ballard aus in Richtung rue Paradis zu gehen, vorbei an der place Ernest Reyer, dem Opernvorplatz (die putains, die Bordsteinschwalben, die vom frühen Nachmittag an dort flanieren, sind absolut unaufdringlich; man lebt hier, wie überall im Zentrum, sozusagen multikulturell). Dort sind einige der «kleinen, unauffälligen Lokale» zu finden.

Vorteilhafter ist es ohnehin, vom Quai de Rive Neuve aus mit dem bereits von Kurt Tucholsky genutzten Ferry Boat (das allerdings am Abend nicht mehr fährt) zur anderen Seite des Alten Hafens, zum Quai du Port zu fahren — oder eben über den Quai des Belges herum dorthin zu schlendern (wenn man sommerabends überhaupt durchkommt). Hier wird das Restaurant-Leben deutlich angenehmer, was auch daran liegen dürfte, daß diese Gegend von Touristen deutlich weniger besucht wird. Hinzu kommt, daß man nur ein paar Treppen hinaufgehen muß, um ins Panier zu gelangen. Und dort, etwa an der Place du Lenche (mit dem ältesten italienischen Restaurant von Marseille) oder in den Gassen dahinter ist das Angebot weitaus vielfältiger, ist der Wein besser, weil süffiger, steigt insgesamt die (Lebens-)Qualität — nicht zuletzt wegen sinkender Preise.

Das größte Angebot an Meeresfrüchten findet man von morgens sieben bis abends sieben bei Toinou am Cours Saint-Louis, etwa 500 Meter vom Alten Hafen aus direkt an der Canebière beziehungsweise dem Übergang des (mittlerweile zum Gähnen verkehrsberuhigten und — wieder — mit Tram versehenen) Cours Belsunce in die Rue de Rome gelegen. Dort kann man sehr preiswert von der kleinen bis zur großen Platte das haben, was eine Büddenwarderin nie und nimmer runterbringen, ja nicht einmal anfassen, in das die Jungverlegerin sich allerdings am liebsten (nicht nur aus wellness-Gründen) hineinlegen würde: fruits de mer.

In der traditionellen Marseiller Küche wird (wie überall in Frankreich) frisch und mit Zutaten aus der Region gekocht. Fisch und Meeresfrüchte werden bevorzugt, allerdings auch Fleisch und Geflügel sehr gerne gegessen. Frische Gemüse und Kräuter sind dabei unabänderliche Grundsätze. Allein Knoblauch wird beispielsweise dort, wo der Cours Belsunce noch so heißt, in Marktständen, aber auch in containerartigen Büdchen in riesigen Mengen angeboten, doch auch am rechts von der Canebière gelegenen Markt in der rue Longue des Capucins, ein paar Schritte nur vom Cours Saint-Louis entfernt. Dort decken sich überwiegend die arabischstämmigen, aber auch die anderen (aufgeklärteren) Marsaillais mit Grundnahrungsmitteln und durchaus auch mit Delikatessen — etwa den für Europäer gewöhnungsbedürftigen Süßigkeiten — ein.

Gerne sei auf den Bericht von Matthias Brunner verwiesen, auch wenn in ihm einiges leicht aus dem Ruder läuft, da er Eindrücke vom Markt an der rue Longue des Capucins im Quartier de Noailles und dem tatsächlich fischwilden oben hinter der Porte d'Aix miteinander vermischt. Es gibt auch an ersterem zwar wunderliche Gerüche, aber Altöl dürfte dort eher weniger fließen. So in etwa. Aber die Schilderungen an sich sind schlüssig und durchaus charakteristisch.

Bei dem obigen Text handelt es sich nicht um einen aus Wikipedia abgeschriebenen, sondern um den ersten Teil dessen, der am 24. Mai 2007 um 11 Uhr 06 im gesamten von mir dort hineingestellt wurde (ich will gar nicht wissen, wie er jetzt aussieht), allerdings für die andere, demnächst zu schließende Seite (weshalb der Beitrag jetzt hier ‹gesichert› wird), mit Änderungen und Ergänzungen versehen, auch jetzt hier wieder. Deshalb gilt für die vorliegende Version selbstverständlich nicht das Wikipedia-, sondern das Urheberrecht.

Der zweite Teil: Geistiges und Restliches

 
Do, 09.10.2008 |  link | (3319) | 3 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Geschmackssache


nnier   (09.10.08, 10:38)   (link)  
Mit Meeresfrüchten können Sie mich jagen, und auch beim Fisch bin ich eher heikel, wenn ich mal so was wie die edle und nur in Küstennähe überhaupt noch bezahlbare Seezunge rausnehme, oder, um's mal weniger elitär zu machen: auch den Seelachs, den's Freitags in der Mensa paniert und mit Kartoffelsalat und Remoulade gab (da bin ich fast wie meine Kinder, die keinen Fisch mögen, nur Fischstäbchen, aber nicht das Innere.) Und umso höher schätze ich Texte wie den ihren hier oder die von Herrn Izzo oder die von Herrn Camilleri, denn, was soll ich sagen, da bekomme sogar ich Lust auf eine Fischsuppe (und auch noch morgens um halb neun).
Ich bin nicht so ein weitgereister Mensch, aber ich kann definitiv sagen, dass ich in Marokko, in Ampurien oder auf Gomera immer wieder Freudentränen über die köstlichen, vor Knoblauch und Kräutern und frischem Gemüse strotzenden Gerichte vergossen habe.

(Ich kann hier nicht mehr Schritt halten, über Architektur und Bremen und verlinkte Strunk-Interviews und so weiter gäbe es ja auch noch manches zu sagen).


jean stubenzweig   (09.10.08, 11:43)   (link)  
Das Schneckengetier
ist meine Sache auch nicht unbedingt. Da ist mir oft zuviel (Fremd-)Leben drinnen. Aber Muscheln oder so eine nach Angelland winkende Pferdefußauster, die hab ich durchaus gerne. Und unbedingt Fisch, jeden, bis hin zu Sardinen und Sardellen. Zur Not auch Fischstäbchen, davon allerdings nur das Innere, und aufgetaut. Nur den Kugelfisch, den überlasse ich den Japanern, die ohnehin viel zu beengt leben auf ihrer Insel. Den Oktopus nicht zu vergessen, den ich seiner Konsistenz wegen auch nicht sonderlich mag.

Aber Fischsuppe – es muß nicht unbedingt Bouillabaisse sein –, zu Tage und zur Nacht, immer, auch zum Frühstück, sogar vorm Sylter Ellenbogen in List (oder selbstgekocht).

Fleisch eher weniger. Allenfalls durchgedreht, wie die Frikadellen der Büddenwarderin (die, als Fast-Kielerin, bereits beim Aussprechen des Wortes Fisch zusammenzuckt). Ansonsten nur in Frankreich und in dem Zustand, den man hierzulande als verdorben bezeichnen würde, ich hingegen reifes Fleisch nenne.

Camillieri: Sizilianische Küche und Wein, ja, dieses ganze Inselzeugs. Sehr eigen, im besten Sinne.

Sie haben zuwenig Zeit! Zwei Stunden Mittagessen unter Freunden und mit der Familie tragen wesentlich zur Lebensqualität bei. Abends dann drei bis vier Stunden. Anschließend ein Glas Champagner. Und dann ins Bett.

Dahin gehe ich jetzt. Nickerchen machen. Aber vorher esse ich was (geräucherte Leberwurst, mit Brot).


vert   (09.10.08, 11:54)   (link)  
da schließe ich mich herrn nnier unprosaisch, aber uneingeschränkt an:
fisch gern, meeresfrüchte: jamais!

und ja, herr stubenzweig schreibt schon wieder schneller als man lesen kann!















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