Krimileser bin ich eigentlich nicht. So hatte ich den überall rumliegenden Volltreffer auch geflissentlich ignoriert, da ich irgendwie gegen Geheimtips und deren in der Regel nachfolgendem und dauerhaftem Rummel angeboren resistent bin. 1995 sollte es allerdings noch friedlich zugehen in den Buchhandlungen, als Total Khéops von Jean-Claude Izzo in der 1945 von Marcel Duhamel gegründeten Série Noire, der Schwarzen Reihe von Gallimard mit ursprünglich ausnahmslos harten US-Thrillern, erschienen war. Erst um einiges später sollte der französische regionale Kriminalroman aus dem Boden schießen wie ein Pilz, der tief unten darauf gewartet hatte, zur Delikatesse ausgerufen zu werden. Dann bekam das Ganze Warenhauscharakter, stapelten sich etwa um die Jahrtausendwende bei der FNAC, dem größten Handelsunternehmen des Landes von allem möglichen Irgendwas mit Medien, allüberall die Bücher auf den eigens bereitgestellten Tischen im Centre Bourse, quasi mein Durchang zum Alten Hafen. Das war noch ein Grund mehr, die Policiers des Ex-Journalisten großräumig zu umschiffen. Dann aber: Als ich Anfang des Jahrtausends meine Kartons gepackt hatte, da Joseph Roth in mir seit langem heftig virulierte («Jeder trägt seine Heimat an der Sohle und führt an seinem Fuß die Heimat nach Marseille») und Ariane Ascaride und Robert Guédiguian mich nach l'Éstaque abgeordnet hatten, wurde ich interessanterweise von einem deutschen Kollegen selig auf Izzos Polars aufmerksam gemacht; der Kollege war zugleich Freund, der meinen Heimatfindungsentschluß sehr gut verstand, sicherlich nicht zuletzt deshalb, da er ein mit einem rabenschwarzen Franzosen verheiratetes blondäugiges Töchterlein samt einem milchschokoladenbraunen Enkelkind hatte, die er allesamt gerne besuchte da unten in Montpellier. Zumal überall in der Gegend immer feine Reben rankten. Seiner Leseempfehlung konnte ich blind Folge leisten, da er als jahrzehntelanger (früher heimlicher, denn unter Intellektuellen war das ebenso verboten wie das Reisen auf den Grünen Hügel oder Ausflüge ins Fußballstadion) Krimileser mich bereits einmal erfolgreich losgeschickt hatte, hier ins von mir ohnehin sehr gemochte Amsterdam von Janwillem van de Wetering. Mit dessen Commisaris bin ich dann auch intelligent-komisch und auch literarisch anspruchsvoll (unvergessen die Dauerschmunzelei beim Rattenfang) in den Sträßchen um die Grachten unterwegs gewesen; später oder vielleicht auch früher, genau weiß ich's nicht mehr, kam von ihm noch der Hinweis aufs schwedische Grau von Sjöwall-Wahlöö, das allerdings als Stadtplan für Stockholm nicht so geeignet ist. So kam es dann, daß ich tatsächlich zunächst Total Cheops, na ja, nicht unbedingt als Reiseführer, aber als die Unterhaltung begleitende Sekundärliteratur zur Stadt und deren Umgebung genutzt habe. Das meiste hatte ich mir selbst ergangen und erfahren, gerne habe ich Joseph Roth und Kurt Tucholsky zu Rate gezogen, aber das meiste hat mir der dann doch etwas jüngere Jean-Claude Izzo erklärt, vor allem die Mentalität der Marseillais. Selten, daß es keine Übereinstimmung zwischen seiner Meinung und meinen Erfahrungen gegeben hätte. Und da ich als leidenschaftlicher Liebhaber dieser Stadt und deren Umgebung, überhaupt des Landes (meiner Mutter) aber auch jeden Fitzel Information ergriff und kritisch gegenlas oder -schaute, kam ich bald zu dem überzeugenden Schluß, daß nahezu alles an Reiseführern und -filmen unbrauchbar ist, weil in der Regel an der Oberfläche, mit den gängigen, weil besser verkaufbaren, aber deshalb nicht wirklicher werdenden Klischees herumgekritzelt wird, allzuoft auch noch Fehler falsch abgeschrieben werden (beispielsweise die unausrottbare Mär vom riesigen Fischmarkt am Alten Hafen, aus dem dann auch schon mal Frankreichs größter wird). Mich interessieren aber keine Platituden, Preise für Hotels oder Softdrinks oder Cocktails oder all das, das die ein kleines bißchen besser verdienenden Fritzchens und Lieschens für ihren Wochenendtrip mit dem Billigheimer-Lufttransporter ab Hamburg-Blankensee, Frankfurt-Hunsrück oder Rom-Ciampino benötigen. Das eine bekomme ich mit, indem ich selber, wohin auch immer, hinfahre, an der Réception danach frage oder mir am Ort die Getränkekarte anschaue. Mit einer Wein- oder Menueempfehlung wie die von Izzo gelange ich allerdings bereits sehr viel tiefer in die Innereien von Einheimischen. Das kann ohnehin nur Literatur leisten. Das wird bei Camilleri und Sizilien nicht anders sein (ich habe noch viel Zeit, werde ich so alt, wie mein Vater geworden ist). Und der Krimi, das wissen wir, hat sich längst emanzipiert vom literarischen Quartett ff. und solchen fernsehbepreisten Wertungen wie: Das ist für mich keine Literatur! Aber das werte ich jetzt nicht. Jedenfalls nicht hier. Auf den Urheber solcher und anderer Sätze geht gerade ein Füllhorn an Meinungen runter, in deren überwiegend positiven ich mich nicht unbedingt einreihen muß. Allenfalls auf diese Weise.
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