Altes Haus in Traumstadt

«Ehe er ganz vergessen wird», schrieb mir einst Hans Pfitzinger ins laubumkränzte Poesiealbum, «— ich weiß ja auch nur, daß er hochbetagt im Jahr 1965 gestorben ist, und weil ich just erst in selbigem nach München gekommen bin, hab ich ihn nicht mehr kennenlernen können gekonnt.

Das Gedicht ist einfach zu schön, und recht gut gegen einsetzende Herbstmelancholie geeignet ...»
In der Traumstadt ist ein Lächeln stehngeblieben;
Niemand weiß, wem es gehört.
Und ein Polizist hat es schon dreimal aufgeschrieben,
weil es den Verkehr, dort wo es stehngeblieben, stört.
Und das Lächeln weiß auch nicht, wem es gegolten;
Immer müder lächelnd steht es da,
kaum beachtet, und gescholten und geschubst und weggedrängt, wenn ja.
Langsam schleicht es sich von hinnen;
Doch auf einmal wird es licht verklärt
Und dann geht es ganz nach innen —
Und du weißt, wem es gegolten und gehört.
Was war Traumstadt? Und wer war Peter Paul Althaus? «Wer guckt den Bayern unter den Rock? Schamlos und frech?» fragt Tilman Urbach in BR-online (leider nicht mehr im Netz) und klärt auf: «Peter Paul Althaus, Schwabinger Dichterfürst, Bohemien, hellsichtiger Kauz — in der Dichterklause verschanzt hinter Schifferklavier, Zigaretten und Cognac, ans Bett gefesselt von einer eigenartigen Krankheit, der Melancholie, dem Weltekel: Das bunte Nachkriegsschwabing des Wirtschaftswunders ist Peter Paul Althaus verdächtig. Was bleibt, sind die Verse. 1951 erscheinen seine Traumstadtgedichte.»

Einige Information mehr gibt Karl Ude, Vater des Daueroberbürgermeisters von München, preis: Er schrieb 1975 zum zehnjährigen Todestag von PPA, wie er einprägsam genannt wurde, im Münchner Stadtanzeiger: «Mit dem Tod war er jahrelang auf vertrautem Fuß gestanden. Er hatte sich von den Münchner Stadtvätern auf dem Nordfriedhof ein ‹kommodes› Ehrengrab schenken lassen und die Inschrift für seinen Grabstein entworfen, aber der Tod vergönnte dem ergreifend schwach und gebrechlich gewordenen Poeten immer wieder eine Gnadenfrist. In der Nacht zum 16. September 1965 war es dann doch soweit — Peter Paul Althaus zog sich für immer von Schwabing zurück, für das er so etwas wie Mythos und Gewissen geworden war.» Zu lesen ist die gesamte Ehrung PPA — mythos UND gewissen schwabings, versehen mit biographischen Angaben sowie einigen Photographien auf der Seite der Oswald Malura-Stiftung. Einige Gedichte sowie einen biographischen Text bietet die Seite Ein Dichter im Netz des Großneffen des Dichters. Die Kölner Nyland-Stiftung bietet ein Peter Paul Althaus-Lesebuch an. In dieser Anthologie wird deutlich, daß PPA eben nicht nur ein völlig in die Bohème Entrückter, sondern den aufgeklärten Romantikern zuzuordnen war.

«Das ist ein Unfug jetzt mit diesen sogenannten ‹zeitsparenden› Erfindungen, mit diesen Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens — ein Handgriff und schon — diesen Stockgriffen, die auch als Zigarettenetui zu verwenden sind, diesen Tabakspfeifen, mit denen man zugleich Fieber messen kann, diesen Briefmarkenanfeuchtern, die man, wenn man gerade keine Briefmarken anzufeuchten hat, als Sockenhalter tragen kann!

Das ist schon ein ganz verdammter Unfug mit diesen zentaurenartigen, janusköpfigen, hermaphroditischen Nichtfischnichtfleischerfindungen, diesen zeitsparenden Gebrauchsgegenständen.»

Nicht nur diese seinerzeit für den Simplicissimus verfaßte Geschichte sollte man zuende lesen, eben diese vom Flügel, in den eine Addiermaschine eingebaut ist, «so daß man am Schluß einer Piece von Chopin oder Beethoven genau feststellen kann, wieviel Töne das betreffende Stück hat, ohne erst mit einem Bleistift alle Noten nachzählen zu müssen». Alles von Peter Paul Althaus ruft nach dem Platz neben den vielen anderen zu lesenden oder wiederzulesenden Büchern (nicht nur) aufm Nachtkasterl, in einer anderen Welt als der der Traumstadt auch Nachtkästchen genannt.
... Wir sanften Irren, wenn wir zeitunglesen -
wir wissen, daß man in der Zeitung morgen alles andersrum erfährt;
drum halten wir, wir sanften Irren, wenn wir zeitungslesen,
die Zeitung vorsorglich schon heute umgekehrt. ...
Und sogar rezitiert gibt es ihn: von Rosemarie Fendel, Peter Lieck und Christian Quadflieg. Alle drei Bücher für Menschen mit Leseschwäche sind erschienen im Bielefelder Pendragon-Verlag (der aber auch solche zum Lesen anbietet).
 
Di, 28.10.2008 |  link | (1680) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Kopfkino















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Jean Stubenzweig motzt hier seit 5814 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 22.04.2022, 10:42



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