Kleiderordnung

Als Einzelstück — apart , sagt der Buchhändler — trag-, aber auch als Parenthese zu Hoch oben denkbar und damit zu kombinieren, gegebenenfalls einzufügen nach:
«Französische Männer mit Bildung liefen so nicht herum. Man hat immer frisch gebügelt zu sein. Aspect extérieur! sollte sie später einmal meinen.»


Oft genug hatte er im Land der absoluten Gleichheit diese Bewertung des Äußeren erfahren, die er zwar mit den dunkelblauen und wohlfrisierten Zwängen seiner Kindheit abgelegt zu haben glaubte, die ihn jedoch vor allem im Mutterland immer wieder ereilte und transparent machte wie das Fenster oder die anderen Stigmata des Heimito von Doderer*, den er mal bei seinen gerne getätigten Einbrüchen in den verschlossenen Bereich der elterlichen Bibliothek entdeckt, aber damals wohl kaum verstanden haben dürfte. Zumindest ordentliches Tuch hatte ein mittelständischer, auch noch mit gold- oder gar platinfarbenen Kreditkarten zahlender und zudem eine extrem normabweichende Voiture chauffierender Mann in dieser klassenlosen französischen Gesellschaft zu tragen, wollte er nicht sofort leicht herablassend in die Clochard-Vorstufe eingeordnet werden. Oder als Autodieb oder Waffenschieber.

Letzteres geschah ihm ständig während seiner vielen Grenzübertritte, aber auch im Binnenland. Unvergessen bleibt die Grenzkontrolle zu Beginn der sich langsam aufbäumenden europäischen Schranken. Der deutsche Bundesgrenzschutz hatte einen letzten, eher unbeteiligt wirkenden Posten auf der Rheinbrücke hinter oder auch vor Mülhausen stehen, während die Grande Nation ein ganzes Bataillon Gardiens frontière und noch eines mit Douaniers bei Mulhouse aufmarschieren ließ. Diesem einen jungen, vermutlich aus der nordwestlichsten Spitze der Bretagne in den wilden Osten strafversetzten Uniformträger war er verdächtig geworden, langhaarig und sonnengefärbt, so überhaupt nicht einem Geschäftsmann ähnelnd und auch noch alleine am Volant in diesem geradezu unanständig teuren Automobil, das zu dieser Zeit wegen der damals extrem hohen französischen Luxussteuer das Jahressalair eines Vorstandsmitgliedes ausmachen sollte. Von weitem sah er, wie alle Fahrzeuge durchgewunken wurden, was während der sommerlichen Reisezeit bereits vor den sich öffnenden Grenzen durchaus üblich war, aber nach den Lockerungen fast zum Grenzalltag gehörte. Doch er sollte einmal mehr die Ausnahme machen. Der Uniformierte setzte sein grimmigstes Gesicht auf und stellte nach der Prüfung der Papiere Fragen, die weit über den Katalog hinausgingen. Wo er herkomme, sein letzter Standort, überhaupt seine Aufenthaltsorte, und, als erkenne er die Fahrtrichtung nicht, wo er hinwolle, ob er privat oder geschäftlich unterwegs sei, das alles begleitet von fiebrig suchenden stahlblauen Blicken in den Fond des Wagens, unberührt von der mittlerweile kilometerlangen Fahrzeugschlange, aussteigen ließ er ihn den Kofferraum öffnen, stellte leicht verärgert fest, daß zwar vermutlich sein Automobilchen darin Platz gehabt hätte, aber keine Leiche und keine Maschinengewehre und Handgranaten unter Koffern und Taschen und schmutzigen Hemden verborgen zu finden waren, und formulierte dann eine letzte, alles entscheidende Frage: Ob er aus Spanien komme? Spanien-Reisende erfreuen sich als Frankreich-Durchrasende nicht eben sonderlicher Beliebtheit. Nach der Verneinung, nach der mittlerweile ärgerlichen oder gar trotzigen Entgegnung, er gebe sein Geld sehr gerne im Land aus, in das er ohnehin in Kürze wieder zurückzukehren gedenke, sei jedoch wohl kaum in der Lage, das in die Tat umzusetzen, wenn er weiterhin und permanent Polizei und Zoll Interviews geben müsse, löste sich die vaterlandsschützende Starrheit ein wenig aus dem Gesicht des Zollbeamten und grummelte ein beinahe freundlich klingendes Bon route, das Monsieur fast eilfertig nachschiebend. Als er nach ein paar Metern bei dem deutschen Grenzschützer erneut anhalten wollte, schüttelte der leicht den Kopf, lächelnd, fast ein bißchen hämisch, wobei er nicht wußte, ob ihm das galt oder dem fahndungsbewußten, aber erfolglosen Eifer des französischen Kollegen.

Da solcher Heimatschutz nicht selten vorkam, nicht zuletzt wegen des Fahrzeugs, das die Gendarmerie auch schon mal anhielt, um ihm unter die Haube zu schauen, hatte er sich für Verkehrs- oder Zollkontrollen längst angewöhnt, dem Paß den mehrsprachigen Verlagsausweis beizulegen, in dem deutsch-obligatorisch und für Frankreich unüblich dem Namen der akademische Grad vorangestellt war. Und in der Regel änderten sich nach Sichtung der Dokumente Tonfall und Haltung. Vermutlich lag's jedoch hauptsächlich an der Kenntlichmachung beruflicher Tätigkeit. Ein der Zeitung oder gar dem Buch zugeordneten Menschen kommt in der Heimat der Aufklärung durch das gedruckte Wort durchaus etwas mehr Achtung zu als im Land der Dichter und Denker. Aber um so schwerer wiegt der Ärger und die Mühsal, im Land der Erfinder der Égalité zu solchen Maßnahmen greifen zu müssen, um nicht wie ein Araber behandelt zu werden, zumal sich ja unter Berbern allzu gerne Hellhäutige und gar blauäugige Blondgelockte herumtreiben, Überbleibsel der Vandalen wohl. Barbaren eben. Gerade im Hinblick auf die Tatsache, daß die Revolution, auf die man sich so gerne beruft, mit Égalité vor allem die Gleichheit vor dem Gesetz meinte. Aber wie soll die sehnsuchtstief im Volk verankerte (konter-)revolutionäre Idee vom Besseren denn anders Form finden als im Äußeren.

Insgesamt sind auf der anderen Seite des Rheins die Unterscheidungskriterien nach dem Äußeren bei weitem nicht so ausgeprägt wie im Land der von der (Post-)Revolution aufgesogenen Kinder. Doch auch dort kann das falsche Gewand zu Ungereimtheiten führen. So fragte einmal nett, aber dennoch von einem gekräuselten Lächeln begleitet der immer hanseatisch-adrett gewandete Führer aller Verlagsgeschäfte, als der ihn während eines kleinen Empfangs, wohl auch zu Ehren des zu Bilanzprüfungszwecken angereisten Fachvorstandes, die Gelegenheit nutzte, ihn seiner neuen, ebenfalls der Geschäftsleitung angehörenden und entsprechend hochpreisig ausgestatteten Lebensabschnittsgefährtin vorzustellen: Darf ich bekanntmachen — unser Doktor der Imponderabilia, diesen Begriff liebte er, vermutlich, weil er ihm Bildungsanstrich verlieh, unser Fachmann des Ungewissen, Herausgeber aller Unverständlichkeiten des Hauses. Man sollte nicht annehmen, meinte er glühend-intelligent an sie hinredend, daß derart freizeittechnisch ausstaffiert eine Führungskraft auszusehen vermag. Nicht wahr meine Liebe? Klopfte ihm jovial auf die Schulter, wie das Pennäler des aufstrebenden Kleinbürgertums zuweilen gerne tun, grinste dabei mehr als daß er lächelte und hob sein Glas mit dem unvermeidlichen Prosecco. Es fehlte eigentlich nur noch der abgespreizte kleine Finger aus dem Regelwerk des kleinbürgerlichen Hofschranzentums. Aber den hatte man ihm wohl zurückgebogen während seiner langjährigen Führungskräfteausbildung im seinerzeit größten deutschen Verlagskonzern.

Um der für das Wesentliche, für die Zahlen zuständigen Führungskraft solche Auftritte zu ersparen, trug er dann, zumindest bei Anlässen, zu denen endlich auch mal die verwaltenden oder buchhalterischen Damen den mit einem halben Monatsgehalt bezahlten dunkelblauen Hosenanzug herumtragen durften, den altgedienten Flanell. Alle paar Jahre gab's notgedrungen neues Tuch. Aber es auf seinen Aufenthalten im Mutterland zu tragen, weigerte er sich standhaft. Allenfalls den Wechsel vom bequem-knittrigen seidenen zum immer frischgebügelten baumwollenen Hemd, den war er bereit mitzumachen. Was blieb einem übrig, der diesem einen Menschen gegenüber eine gute Figur machen wollte.

«Erst bricht man Fenster. Dann wird man selber eins.»
Heimito von Doderer: Meine neunzehn Lebensläufe und neun andere Geschichten, München 1966

«Jeder bekommt seine Kindheit über den Kopf gestülpt wie einen Eimer. Später erst zeigt sich, was darin war. Aber ein ganzes Leben lang rinnt das an uns herunter, da mag einer die Kleider oder auch Kostüme wechseln wie er will.»
Heimito von Doderer: Tangenten, 1940 – 1950, München 1995

 
Mi, 26.11.2008 |  link | (2967) | 7 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Linksrheinisches


aubertin   (26.11.08, 11:57)   (link)  
Gut getroffen !
Auf sie daraufhauen. Auf alle.

Mais : C’est la triste vérité.

t'embrasse
Yves

Me revoilà en ligne.


nnier   (26.11.08, 12:09)   (link)  
Buchhändler
Da Sie den schon erwähnen - solchen Texten stünde auch die gedruckte Form!


jean stubenzweig   (26.11.08, 15:38)   (link)  
Ich geb's ja zu.
Eigentlich bin ich ja auch ein Holzschreiber. Deshalb bin ich wohl auch übergelaufen vom gesprochenen zum gedruckten Wort. Es ging so weit, daß ich damals sogar meine Funkbeiträge umgeschrieben habe für Zeitung und Magazin. Jeweils gesondert, je nach Charakteristik. Das hat Spaß gemacht.

Blogger bin ich schon gleich gar nicht. Aber das ist ohnehin ein «Problem» für sich, wenn es denn eines ist; zumindest leuchtet es mir nicht so recht ein. Oder so: Blogger bin ich, da dies hier mein eigenes Blatt ist, ich eben die Weichware nutze. Und zuviel Zeit habe. Und es macht Spaß. Beispielsweise sich nicht mit Lektoren auseinandersetzen zu müssen. Die jetzt wieder die Nase rümpfen werden. Aber ich habe nunmal wieder die Seiten gewechselt.

Vielleicht sollte ich irgendwann überhaupt mal anfangen davon zu erzählen, wie alles anfing mit dem Erzählen.


nnier   (26.11.08, 22:25)   (link)  
Schon gleich gar nicht?
Ich weiß nicht so genau, was ein Blogger ist. Und ich bin mir sicher, dass das, was Sie hier treiben, Bloggen ist!

Ja, unbedingt!


aubertin   (26.11.08, 13:47)   (link)  
La voiture
Ich erinnere mich. Du hattest Dich gewundert darüber, ständig abgehalten und kontroliiert worden zu sein. Papa hatte gesagt, du sehest auch aus wie eine Verbrecher. Wir hatten es grob schätzend ausgerechnet damals. Um eine Million Francs hatte sich daraus ergeben (umgerechnet in die damals gültige deutsche Mark ergaben sich daraus circa 333.000). Auch wir empfanden das scheußlich. Aber sehr gerne sind wir darin gefahren.

Bises

Anne

Oups. Narration ? Gommer (no : éradiquer).

Yves devient âgé. Quand viens-tu ? Bigophoner ! Tu n'es pas à la maison.

Merci pour html !



hap   (26.11.08, 21:19)   (link)  
Die Freiheit, das zu veröffentlichen
was man für richtig hält: "Blogger bin ich, da dies hier mein eigenes Blatt ist, ich eben die Weichware nutze. Und zuviel Zeit habe. Und es macht Spaß. Beispielsweise sich nicht mit Lektoren auseinandersetzen zu müssen. Die jetzt wieder die Nase rümpfen werden. Aber ich habe nunmal wieder die Seiten gewechselt."
Tout d'accord - aber was meinst du mit "die Seiten gewechselt"? Nicht mehr auf der Seite der Millionäre, die mit deiner Arbeit ihr Vermögen vergrößern? Auf deiner Seite, wo du diesen Leuten nicht mehr behilflich bist, selbst aber auch kein Geld mehr verdienst? Dafür schreiben kannst, was du willst, und nur noch ein paar Leute erreichst, die aber wirklich?
Hm? Hohe, höchste Zeit mal (wieder) "Hunger" von Knut Hamsun zu lesen. Nur: Wir sind zu alt, um als Ausweg bei der christlichen Seefahrt anzuheuern.


jean stubenzweig   (27.11.08, 15:29)   (link)  
Hunger nach Papier?
Den nach Bildern, den hatten sie mal, unsere jungen Wilden. Bis die Flatschen von den Leinwänden fielen. Jetzt will sie kaum noch jemand. Die jungen Wilden sind alt geworden. Wie wir.

Ach ja, Hans, einen Vorteil haben wir gegenüber dem hamsunschen Hungerleider durchaus: Wir müssen wenigstens kein Geld für Papier und Bleistift nicht haben müssen. Wobei ich jetzt selbstverständlich die Umtriebe gewisser Dam- und Herrschaften denke, die uns demnächst den Schreibstrom blockieren, weil deren Rendite immer noch einem Hungerlohn gleichkommt.

Mit die Seite gewechselt habe ich allerdings im besonderen diejenigen Spezialisten oder Experten oder wie auch immer sich der oder die nennen mag gemeint, die ich nicht mehr drangsaliere mit meinem ständigen Gemaule über deren inhaltliche sowie formale Bedürftigkeit. Aber ich habe auch keine dieser wahrlich nicht immer erfreulichen Arbeit mehr mit ihnen. Das hat schon was. Jetzt verschreib ich eben meiner Omma ihr klein Häuschen. Du weißt doch, Achterbusch, leicht paraphrasiert: Dieses System hat mich kaputtgemacht. Jetzt bleibe ich solange hier, bis man es ihm ansieht. Siebzig Jahre lang hat der's imerhin schon getan.















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