Aus dem Osten

und nicht aus dem Fernsehen kämen die Leute, meint hap, «die mit zweimal zwei Fingern» ihre «eigene Tütteligkeit apostrophieren».

Das würde erklären, weshalb es in letzter Zeit verstärkt zu dieser außergewöhnlich temperamentvollen Weise deutschen Körpersprachenausbruchs kommt. Sie sind ja wirklich überall, nicht nur im Fernsehen. (Wohinein sie's, nach der pfitzingerschen Erkenntnis, getragen haben könnten. Vielleicht war's am Ende gar die TV-Abfragerin an der Seite des oberen Mannes von Magenta?) Stieg ich früher irgendwo auf der Welt aus der Bahn, dem Flugzeug, dem Auto — der Igel Schwabe war unüberhörbar schon da. Aber er scheint, zumindest in den deutschsprachigen Gebieten, verdrängt worden zu sein vom Menschen aus dem Osten. Wobei man den in der Regel nur erkennt, wenn ihm jenes Idiom aus dem nicht ganz so flinken Munde quillt, das zu Herrn Geheimraths Zeiten in Weimar deutsche Hochsprache war (weshalb er mit seinem Frankfodderisch anfänglich auch solche Verständigungsschwierigkeiten hatte). Die aus der nordöstlicheren Geographie sind für den dialekttechnisch Ungeübten auch schonmal mit Schleswigholsteinern oder den ganzen Randberlinern zu verwechseln. Und ständig fragen sie, den Schwaben darin nicht unähnlich, einen nach den eigenen Wünschen. Nur daß diese Wessies das aus offensichtlich angeborener Hilfsbereitschaft und freundlichem Mitteilungsbedürfnis tun, weshalb man ihnen gar nicht böse sein kann ob ihrer nicht endenwollenden Geschwätzigkeit. Während die von weiter rechts auf der Landkarte mit ihrem nicht ganz so ausgeprägten Redefluß überwiegend ihren Lebensunterhalt bestreiten. Deren geographische und, vor allem, mentale Herkunft wird in der Regel erkennbar an der Antwort auf die Frage, worin denn der Unterschied zwischen dem angebotenen und sicher in jedem Fall außerordentlich leckeren Zigeuner- und dem Paprikaschnitzel läge: «Des eene is (zweimal zwei Finger nach oben:) teurer.

Mir ist es lieber, vom hinzugekommenen Chef unserer Bedienung aus Apolda ans Händchen genommen und zudem körpersprachenreich in dessen Küche entführt zu werden. Er hat seine vom genuesischen Vater in den sechziger Jahren gegründete pizzerische Trattoria in Trochtelfingen (der Bruder lebt im holsteinischen Preetz gastronomisch noch von Pizze aus dem nahen, überaus preiswerten Supermarkt) zugunsten der Almhütte aufgegeben, da der Mensch seine schmackhaften, in Kirgisien vorgekauten und in Usebekistan konservierten Kartoffelteigtäschchen nicht mehr goutiert, sondern seinen Globalmagen auf japanische Fischröllchen aus der Volksrepublik China umgestellt hat. Nun betreibt er seine Gipfelküche hart an der Grenze nicht nur zu Österreich und bietet unter anderem gemeinverständliche Küche in gesamtdeutscher Tradition an. Anders sei, erläutert er mir in einem von keinem komödiantisch noch so begabten Kabarettisten nachstellbaren italienischen Schwäbisch (das vom türkischen verdrängt zu werden droht), dabei mit den Schultern seine Ohren einklemmend, die Hände auf Brusthöhe anhebend sowie deren Flächen nach oben drehend, anders könne man in dieser hochgebirgigen Geschmackswüste nicht überleben. Für Gäste wie mich hat er immer einige Feld- und Waldfrüchte als Anschauungsobjekte auf der Anrichte liegen, dazu viele Messer und Beile und Scheren und Zangen, überhaupt seine gesamte aus der Alb mit auf die Alm umgezogene batteria da cucina, die den manufactumorischen Charakter seiner mit den Mitteln der arte culinaria hergestellten Zigeuner- und Paprikasaucen belegen. Er bitte um Verständnis, hierbei gehen die Schultern nach oben, wobei die Hände fast bis zur Kopfhöhe aufragen und sich ebenfalls öffnend ein weites Feld symbolisieren, daß man in Ausnahmefällen auf Eingemachtes zurückgreifen müsse, etwa bei den geschälten Tomaten. Aber die kämen selbstverständlich aus bella Italia. Stellt eine dieser Fünfliterbüchsen auf den Tisch, lächelt warmherzig und fuchtelt liebevoll vor dem Aufdruck Made in Nederlands herum, währenddessen mit dem linken Fuß die Tür des Schrankes zuschiebend, in dem all die anderen eingedosten und -geschweißten Köstlichkeiten lagern. Gestenreich begleitet er mich zurück an den Tisch, wo seine Bedienung aus Apolda (immer noch oder schon wieder) mit staunend nichtssagendem Mund verweilt. Kaum am Tisch angelangt, zaubert er mir, die einer Adoption gleichkommenden Umarmung gestenreich ankündigend, erstmal einen Obstler hin. Ausse Südetirole. Auche bella Italia (ohne zweimal zwei Finger oben tüttelnd).

Bei so einem esse ich hoch oben auf der Alm am Ende gar Thüringer (mit zweimal zwei Finger oben tüttelnd) Bratwurst.

•••
Das mit dem Andenken, sach ich mal, muß ich erst andenken. Auch wenn ich das vor langer Zeit bereits mal angedacht habe, ist das etwas zurückgetreten in meinem Gedenken. Das wird daran liegen, daß ich seit längerem nicht mehr soviel mit diesen ganzen Andenkern zu tun habe. Wobei ich vorsichtig sein muß, daß, sollte ich übers neuerliche Andenken hinauskommen, mir nicht Schaum vor den Mund gerät und mir die Erdenker dieses Andenkens aus dem Werbe- und PR-Deutsch samt Kulturfolgern in den Redaktions- und Amtsstuben nicht ein ewiges Andenken auf die Glocke geben. Gut, die Keule kommt jetzt zunächst aus dem Osten geflogen. Bis ich mich davon erholt habe, denke ich erstmal daran: Ich denke, daß ...
 
Do, 04.12.2008 |  link | (1792) | 3 K | Ihr Kommentar | abgelegt: lingua franca


txxx666   (04.12.08, 05:28)   (link)  
Der Andenkenläden seligen Andenkens...


jean stubenzweig   (04.12.08, 07:15)   (link)  
Seligen Gedenkens
vielleicht? Ach was. Da wird eine Andenkmal-Skulpturenstraße daraus, nein, ein Park, ein ganzer angedachter Skulpturenpark. Die armen Künstlers sind ja schon genug gebeutelt durch die Finanzkrise, nach der diese ganzen Andenker überhaupt nicht mehr an sie denken. Angedenk ihrer das Ganze also.


hanno erdwein   (04.12.08, 20:06)   (link)  
Wieder ein Film im Kopf ...
wobei hier die anderen Sinnesorgane gleich mit einbezogen werden. Man sieht, hört, riecht, schmeckt und fühlt alles gleich mit. Man sitzt am Tisch und läßt sich mit verwöhnen, während Stubenzweig diversen Betrachtungen nachgeht. Hanno dankt für das Erlebnis.















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Jean Stubenzweig motzt hier seit 6023 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 07.09.2024, 02:00



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