Binsenwahrheiten?

«Es ist damit nicht anders als mit der Demokratie oder der großen Liebe oder der heilen Familie oder dem Weltfrieden. Früher gehörte der liebe Gott noch dazu, und es ist immer dasselbe Prinzip: Entweder man glaubt es, oder man glaubt es nicht. Wenn alle daran glauben, heißt es, es funktioniert.

Natürlich funktioniert es dann längst noch nicht unbedingt, aber das ist nicht so furchtbar wichtig. Wenn nur alle dran glauben, wird es schon funktionieren, und die, bei denen es nicht funktioniert, haben eben nicht stark genug dran geglaubt.»


Ich lese, nach langer Zeit mal wieder, Birgit Vanderbeke, hier: Geld oder Leben. «Den Titel des [...] Buches von Birgit Vanderbeke», steht im Perlentaucher geschrieben, «bezeichnet Rezensent Martin Krumbholz rundheraus als Schlamperei. Hier werde, wie er findet, die Einsicht, dass Leben Geld kostet, was der Rezensent als ein Grundthema des Buches identifiziert, ‹frohgemut ins Gegenteil verkehrt›.» Tobias Döring wirft ihr in der FAZ gar vor, sie habe eine «triviale Bordüre aus Binsenwahrheiten» genäht, mit der sie sich über «Konsumterror und Markenwahn» der Neunziger entrüste. Kurzum, ein alter Hut sei das.

Als solcher ließe sich allerdings auch die kommentierende Schilderung von Zuständen bezeichnen, wie sie in den fünziger Jahren ff. geherrscht haben und die manch einer sich wieder zurückersehnt beziehungsweise wie wir sie ja teilweise bald alle wiederhaben. Deshalb ignoriere ich die Vorwürfe, Vanderbeke komme mit diesem Buch schlicht und «gutgemeint» daher, und lese einfach mal weiter. Es könnte ja sein, daß sie schlicht recht hat mit ihrem «Genörgle», weil es weiterhin abwärts geht.

Bis vor sechs Jahren hat mich ihr lakonischer Stil durchaus beeindruckt, ebenso ihre unprätentiösen Inhalte. Geld oder Leben ist von 2005. Daß ich (mal wieder) ein bißchen spät dran bin, tut überhaupt nichts zur Sache. Ich mag ältere Bücher nunmal, durchaus wie die Zeitung von (vor-)gestern. Dabei wird so manches Mal interessanter Kahlschlag neu belichtet, aufgeforstet im Wald eigener Erkenntnisse. – Schau'n mer mal, wie der große bayerische Philosph aus Giesing zu sagen pflegt.
 
So, 04.01.2009 |  link | (1955) | 6 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Kopfkino


hap   (04.01.09, 13:12)   (link)  
Entweder man glaubt es, oder man glaubt es nicht.
Wenn alle daran glauben, heißt es, es funktioniert." Das finde ich schon deshalb bemerkenswert, weil ich in der taz vom Freitag diesen Satz fast wörtlich in einem Interview gelesen habe. Robert Misik unterhält sich mit Willi Hemetsberger, dem "Star unter Österreichs Investmentbankern" über - na was wohl? - die Finanzkrise. Misik findet: "Das Verhältnis des 'realen' Geldes, das man anfassen kann, zum Geldvermögen ist fantastisch." Aber Hemetsberger korrigiert ihn: "Das ist nicht fantastisch, das ist eine Formel. Sicherlich, in der Formel ist viel drinnen. Etwa: wie sicher wird die Welt sehen. Und funktionieren tut das alles nur, solange wir daran glauben. Es gibt keine Wirtschaft ohne Psychologie."
So kommt zu Demokratie, großer Liebe, heiler Familie und Weltfrieden eben auch noch die Wirtschaft dazu. Und ein paar Menschen begreifen langsam, dass deren Wissenschaft sich nur als solche bezeichnet, in Wahrheit aber ein Glaubensgebäude darstellt. Vielleicht sollte man Institute wie ifo (dem der berüchtigte Herr Sinn vorsteht) deshalb nicht länger mit staatlichen Aufträgen die Existenz sichern, sondern sie gleich aus der Kirchensteuer finanzieren.
Hehehe.
P. S. "Star unter Österreichs Investmentbankern" - das klingt wie Satire, ich weiß, aber das steht da tatsächlich.


mifasola   (04.01.09, 14:38)   (link)  
So lange die alten Hüte weiter getragen werden, kann man sich ruhig entrüsten. Finde ich. Bis dann alles (hoffentlich) irgendwann im Altkleidersack endet, Hüte wie Entrüstung.
Und große Gläubige sind wir doch alle schon seit Jahrhunderten - sonst wären die bunten Zettel in unser aller Geldbörsen ja eben nur das.


jean stubenzweig   (04.01.09, 16:45)   (link)  
Altkleidersack?
Meinen Sie, für Entrüstung (meine ich's jetzt ruhig mal doppeldeutig) und auch den alten Hut Moral und wie man das auch sonst noch nennen mag, fände sich jemand, der dafür einen solchen zur Verfügung stellte? Nachdem alles Geld kostet oder damit gemacht wird, auch mit der kläglichen Notdurft, und sei es der, das alles loszuwerden. Ein alter Sack vielleicht, auch eine alte Säckin, mit etwas Glück auch jüngere desgleichen, dann aber sicherlich nicht, um das alles wegzuschmeißen oder darin die Kohle aufzubewahren, die am Ende gar auch damit doch noch zu machen wäre. – Na ja, ein paar Unentwegte soll's ja noch geben.

Und die bunten Zettel, da werden wir uns wohl einigen müssen: ohne sie, also Handel und Wandel, hätte es so manche große Kultur nicht gegeben. Andererseits ist es meines Erachtens erwiesen, daß es in der Regel die sich daraus ergebende Macht- und Raffgier war, die ihr jeweils den Garaus machte.

So greife ich den Vorschlag Hap Pfitzingers auf, das alles von den Instituten und Institutionen finanzieren zu lassen, die Mit- oder gar Hauptverursacher der ganzen heißen Tänze um diese versammelten Glaubereien waren und sind. Wenn ich mitarbeiten muß, dann ehrenamtlich, denn ich zahle nimmer keine Kirchensteuern und auch nie. Was allerdings so auch schon wieder nicht stimmt, denn man bezahlt das Theater zumindest indirekt mit, wenn man andere Menschen beschäftigt. Und auch, so las ich kürzlich irgendwo, manch ein Kirchen- oder Geldfürst oder dessen Aktivitäten werden aus dem normalen Steueraufkommen getränkt.

Ach, ich geh jetzt in einer Lobby meinen Ärger, den ich nie mehr aufkommen lassen wollte, darüber ertränken und begebe mich in himmlische Gefilde.


hanno erdwein   (04.01.09, 17:07)   (link)  
Nun ja, dann gehn wir halt mal in die "Binsen"!
Ich denke, mit binsenweisheiten läßt es sich wahrlich gut leben. Man kann nicht immer nur Hochprozentiges konsumieren. Das trifft sowohl für den magen als auch in Bezug auf geistige Nahrung zu. Auch ich les gern mal Altbackenes und erfreu mich daran. Hanno


daniel buchta   (04.01.09, 18:05)   (link)  
Hinter Binsenwahrheiten
steht doch ein Fragezeichen. Und ob's Altbackenes ist kann ich auch nicht erkennen. Selbst wenn man die Vanderbeke nicht mag. Aber wenn wir's lang genug liegenlassen, wird's das ja vielleicht noch.


gorillaschnitzel   (06.01.09, 00:33)   (link)  
Rückwärtsgewandtheit mag zu allen Zeiten einigermaßen "hip" gewesen sein und ist es scheint´s auch heute. Anders ließen sich all diese "Backtothepast"-Werke in der Sachliteratur wohl kaum erklären (quer von der Soziologie über die Pädagogik (grade die Pädagogik!) bis zur Wirtschaft....















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