Grenzgedanken Vom südpfälzischen Wörth weg führt eine kleine Straße, ein Schleichweg, wenn auch ein recht flott befahrener, nahezu ausnahmlos von Einheimischen auf dem Weg zur oder von der Arbeit und auch zum Einkauf. Er endet in Lauterburg. Ein paar Meter weiter heißt es Lauterbourg, das Kaff, weil es mit einem Mal französisch ist. Getrennt von der Grenze. An dieser stehen wir. Frankreich hat mal wieder zuviel Personal. Sie kontrollieren. Oft kommt es nicht vor hier. Meist sind es deutsche Uniformierte, die lächelnd-gelassen und extrem unauffällig in ihren Fahrzeugen an dem ehemaligen Grenz- und heutigen Blumenhäuschen sitzen und dann hinausspringen, wenn sie meinen, im Rückspiegel einen Illegalen aus Afrika erkannt zu haben. Anderswo kommen Kontrollen öfter vor, etwa an der spanischen Grenze, von Perpignan aus an der Küste entlang, wenn ich mal wieder Walter Benjamin in Port Bou oder auch Portbou meine Aufwartung machen möchte, wohl, weil Afrika nur noch tausend Kilometer entfernt und damit bedrohlich nahe liegt und man den verbrüderten und längst auch verschwesterten deutschen Kollegen da oben im Norden die Arbeit erleichtern möchte. Oder sie mit Langeweile martern will (weiß man's)? Hier hat man mich das letzte Mal vor etwa achtzehn, neunzehn Jahren angehalten. Das war allerdings noch mit der höheren Klasse der Automobilisierung, als die Voiture wegen der extrem hohen französischen Luxussteuer noch etwa eine gute Million Francs kostete. Ein Bekannter hatte mir das später mal vorgerechnet, weil ich doch sehr erstaunt war darüber, ständig angehalten und kontrolliert zu werden. Er meinte, solche Autos führen eben außerhalb von Paris nur Waffenschieber oder Drogendealer. Man konnte damals noch durch das kleine stadttorähnliche Haus in den Ort hineinfahren. Oder kam zwangsläufig durch, wie man eben irgendwo herauskommt auf der immerwährenden Suche nach Pfaden abseits des Breitgetretenen. Heute ist es abgeschirmt. Seit wann, weiß ich nicht. Ich bin dann immer über den regulären Übergang gefahren, neben dem das Zollhäuschen stand, in dem sich heute ein Blumenladen befindet. Blumiges Schengen-Europa. Ich erinnere mich gut und angenehm daran — der ältere Uniformierte machte damals diese lässige, sehr knapp gehaltene typische Handbewegung französischer Zöllner oder auch Polizisten, die in der Regel einen sofortigen Halt zur Folge hat. Wenn man Franzose ist. Deutsche mögen so etwas überhaupt nicht. Sie müssen immer ganz locker zeigen, wie wenig Obrigkeit ihnen bedeutet. Ich weiß nicht, weshalb mir ausgerechnet jetzt Alain Finkielkraut dazu einfällt, der meinte, die Deutschen seien höchst problematisch, nicht weil sie Auschwitz verdrängten, sondern weil sie permanent daran dächten. Hannah Arendt hat er dann noch zitiert, die gesagt habe: Auschwitz sei nicht der Gipfel, sondern die Zerstörung der deutschen Tradition.* Wegen dieses in mittlerweile nicht mehr ganz so jungen Historie wurzelnden Selbstwertgefühls achteten west- und dann auch gesamtdeutsche Regierungen lange Zeit peinlichst genau darauf, daß bundesrepublikanische Uniformträger aussehen wie etwas salopp gekleidete Nachwächter. Das hat sich geändert. Seit deutsche Soldaten friedensmissionarisch wieder marschieren, sehen sie, vor allem aber Polizisten anders aus. Nicht schmissig deutsch wie einst, als sie die Heimatfront in Ordnung hielten, aber doch recht schneidig. Man hat sich angepaßt an die deutsch-amerikanische Freundschaft, ist quasi in der Freunde Haut geschlüpft. In den Anfängen der neueren Maskerade war ich einst am Jungfernstieg nicht sicher, doch in New York oder in einem dieser vielen schlechten US-amerikanischen Filme gelandet zu sein. Jetzt schauen sie endlich wieder wie Gesetzeshüter aus, die Freunde und Helfer. Nun weiß man wieder, woran man ist. Aber irgendwie waren mir die Nachtwächter angenehmer. Nun denn, der immer geschniegelten französischen Uniform hatte die jüngere Geschichte ja auch nicht eine solche Fehlfalte ins Hemd gebügelt. Allerdings führt die zivil gekleidete deutsche Bevölkerung, gerne die in ihrer gen Spanien bewegten mobilen Ferienwohnung, sich immer wieder mal so auf, als ob sie die Schnauze eines Kriegsfeldwebels auf Heimaturlaub aus Polen sei. Häufig werde ich dabei an Tucholsky erinnert, der wie immer treffsicher notierte: «Der französische Soldat ist ein verkleideter Zivilist, der deutsche Zivilist ein verkleideter Soldat.»** Zu Zeiten des real existierenden Sozialismus hat das viele Westdeutsche viel Zeit gekostet. Manchmal auch viel Geld. Strafzeiten und -gebühren für zu weit aufgerissene Klappen in der DDR. Die Berliner kannten das. Deshalb hielten sie sich an die Zeichensprache der Grenzer. Wie der Franzose. Der hält an, er kann's ohnehin nicht ändern, also hebt er sich seine Energie für den nächsten Streik auf. Er wird — in der Regel — freundlich begutachtet. Mit einem kurzen Blick ins Gesicht und in den Fond wird festgestellt, daß es sich um keinen Wirtschaftsimmigranten oder Fluchthelfer handelt. Und dann macht diese Hand die nicht minder typische leichte Vorwärtsbewegung. Und man reist unbehelligt mit sanfter Anfahrt ein. Der zivile Feldwebel wartet eben noch ein Weilchen. Es kommt die knappe Handbewegung. Man hält an. Mein Anhalter wendet sich ab. Der Kollege auf der anderen Seite übernimmt. Aha. Es sitzt eine für das deutsche Kennzeichen doch wohl etwas zu fremdartig aussehende Person auf der Beifahrerseite. Diese Person klappt mit einem freundlichen, aber deutlichen Attention-Pardon das Entenfenster nach oben. Sie wird um die Pässe gebeten. Sie zeigt den ihren. Der Douanier blättert in ihm herum. Er schaut die Ausweisinhaberin an, spricht sie an, dabei auf mich deutend. Et Monsieur? Passeport? Pardon. Coffre. Entschuldigung, Kofferraum. Soll ich? Ob ich der Halter des Vehikels sei. Oui. Auf der anderen Seite schauen die Deutschunifomierten grimmig aus ihrem Wachgefährt. Der Ente wegen, die nach wie vor mit Drogen zu assoziieren ist? Auch wenn sie, zumindest in Deutschland, längst als zweitwagiges Wochendmobil für individualistische Sparkassenfilialleiter dient? Tarnfahrzeug eines Steuer-flüchtigen? Nach Frankreich? Weshalb sie also so greinend dreinschauen, ist mir nicht klar. Ich antworte mit einem Lächeln und fahre französisch gelassen an. Aber erst, nachdem die sanfte Handbewegung und das merci, bonne route dazu aufgefordert hat. *Alain Finkielkraut: Nachhilfeunterricht in Post-Romantik, Interview von Werner Bloch, Süddeutsche Zeitung Nr. 37 v. 14. Februar 2001, Feuilleton, p 19 ** Kurt Tucholsky: Schnipsel, zitiert nach: Reclams Zitatenlexikon, Stuttgart 2002 (5. Aufl.), p 127 Die Photographie des niedlichen Grenzübergangs von Cerbère nach Portbou oder andersrum, wo man selten spanische, dafür des öfteren französische Kontrolleure antrifft, stammt von basheem.
Ich sehe es mit einigem Argwohn,
dass unsere grünen Jungs und Mädels von der Exekutivgewalt nun allesamt in Cops umgemodelt werden. Ich musste mir vor einiger Zeit in Hamburg sehr auf die Zunge beißen beim Anblick eines solchen neuen an der Alster herumgestikulierenden Cops, im ersten Moment wollte ich schon sagen, "Fasching is vorbei, Du Kasper." Gerade noch rechtzeitig identifizierte ich offiziell aussehende Hoheitszeichen und hielt meinen Mund.Französische Flics fand ich früher übrigens an Kasperhaftigkeit kaum zu überbieten, kleinwüchsige Knilche mit komischen Käppis auf dem Kopf. Diesen Look hatten die Louis-de-Funès-Filme wirklich gründlich lächerlich gemacht. Ganz anders die Typen mit blauem Barett und Kampfstiefeln, die ich in Paris patrouillieren sah. Mit denen war (und ist) wohl nicht besonders gut Kirschen essen. An den cholerischen Komiker
denke ich auch immer und daran, wie albern diese Kappen aussahen. Bevor ich selbst mit denen zu tun hatte, habe ich die französischen Polizisten auch eher für so lustige Zeitgenossen gehalten, die auf irgendeiner Kreuzung herumhampeln oder mit kleinen Autos herumfahren. Beim Schüleraustausch, so mit 15, fanden wir's auch unheimlich lustig, in einer französischen S-Bahn auf Deutsch was von "Bullenschweinen" zu erzählen und die Uniformierten dabei freundlich anzusehen. Nicht auszudenken, wenn einer von denen das verstanden hätte.Nicht anders
sehe ich das. Auch wenn meine Erfahrungen bislang keine negativen sind, teilweise sogar gute. Mir wurde das eine ums andere Mal Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft entgegengebracht, meist durch die ländlich agierende (allerdings nicht kasernierte) Gendarmerie, die mir immer noch am lockersten vorkam, obwohl sie eigentlich zum Militär gehört, dem Verteidigungsministerium unterstellt.Und so manches Mal bin ich ins Lachen geraten ob der Polizisten Gehabe, im besonderen bei den Paraden zum Nationalfeiertag. Doch das läßt man besser sein, denn dann kann man sich schon auch mal den Zorn des Volkes auf sich ziehen, auch wenn das häufig genug nicht einmal (mehr) weiß, was da eigentlich gefeiert wird (das hat Tucholsky bereits in den zwanziger Jahren notiert). Immer wieder beschleicht mich der Verdacht, die Bewunderung der Légion étrangère könnte grenzenlos sein, nicht nur bei der Polizei. Man schätzt das Stramme und Disziplinierte im Land durchaus. Daraus ist eine Souveränität gewachsen, die insgesamt einen weniger martialischen Auftritt ermöglicht (ausgenommen zur fête nationale). Dennoch ist die Macht immer spürbar. Den früheren salopp gekleideten Nachtwächter der Deutschen gab es nie (aber der ist ja nun auch passé). Allerdings gilt es, den historischen Bruch zu berücksichtigen, wie ich es oben kurz angerissen hatte. Wobei ich noch anfügen möchte: «die Typen mit blauem Barett und Kampfstiefeln», das ist die Police nationale. Da ist das Bravsein empfohlen, was sicher damit einhergeht, daß sie offenbar über besondere Rechte verfügt, etwa einen länger zu Besuch in ihren Räumen verweilen lassen zu dürfen. Sie durchstreift die Städte, meist zu zweit, begleitet von einem der jeweiligen Police Municipale. Das sind am ehesten diejenigen, die mal auf einen Café neben einem im Café stehen. Aber die müssen wohl auch am wenigstens Drecksarbeit verrichten. Vergangenes Jahr saß in der Rue de la République vor einem Corsencafé mal einer neben mir, in Zivil. Gemeinsam beobachteten wir eine unmittelbar vor unseren Augen ablaufende Verkehrskontrolle und hörten den Kampfbestiefelten zu. Unabhängig voneinander schüttelten wir die Köpfe ob der Methoden und gefallenen Wörter. Ziel waren vor allem jüngere nordafrikanisch Aussehende. Sie hatten leichtes Spiel. Die Bevölkerung von Marseille besteht zu großen Teilen aus Arabischstämmigen. Was da abgeht, habe ich ansatzweise geschildert in Belsunce tristesse. Bei Ihren Erlebnissen, lieber nnier, dürfte es sich um die Police nationale gehandelt haben. Es kann aber auch die Gendarmerie als (kasernierte Bereitschaftspolizei) gewesen sein (auf dem Land), von der mir auch schon die eine oder andere Untat berichtet wurde. Aber die Bereitschaftspolizei, die ist in deutschen Landen mindestens genauso schlimm – wenn die ausschwärmt, um die Gesetze zu hüten, kann's übel werden. Hierbei verfüge ich über eigene Erfahrungen. >> kommentieren OT: Ach, damals die Reise via Port Bou (zurück über Irun)... alles fremd, die gelben Lichter, der Geruch dieser Städte, das Sprachengemisch. Ein schöner Erinnerungsrücksturz gerade noch zur Nacht. Weshalb «OT»?
Das gehört doch dazu, die Route ist doch nicht zwingend festgelegt, die Gedanken dürfen ohnehin frei ausschwirren. Mir gibt das mehr, als dieses immer hart am Thema bleiben (wie klänge das, hielte sich der Übersetzer immer genau ans Wort?). Ich danke Ihnen dafür.>> kommentieren Spamming the backlinks is useless. They are embedded JavaScript and they are not indexed by Google. |
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