Anbetungswürdiges

Geplagt sind diejenigen, die mit mir unterwegs sind, allen voran jene, die alle zwanzig Minuten was Warmes in den Bauch brauchen, und sei es eine verhärmte Bratwurst. Kaum gerät irgendein Kirchlein in irgendeinem trou perdu ins Blickfeld, wird die Voiture auch schon langsamer, um dann möglichst direkt vor dem Gebäude vollends abgebremst zu werden [...]. Seltsam, klagt die Büddenwarderin, kaum ein paar Meterchen Einkaufssträßlein kriegt man ihn entlang, immer aufs fußlahme Gebein verweisend, aber kein noch so riesiger gotischer Auswurf großkirchlichen Machtgehabes, der nicht stundenlang begutachtet sein möchte. Die ganzen romanischen Gebetsstättenvorläufer nicht nur nicht berücksichtigt, sondern bei denen bekommt die Kondition gleich Höhenflüge. Angesichts derer könnte man gar glauben, er würde an irgendwas in dieser Richtung glauben.

Genau. Die zur Touristenperversität verkommene Notre-Dame mit ihren nichts als die Devotionalie anbetenden Schlangenmassen lassen wir links liegen und gehen ein paar Schritte hinüber zum 5., zu Saint Séverin. Das entzückende Architekturgeschöpf mit seinem stillen Garten samt Gebeinhaus ist zwar auch gotisch, aber man spürt, daß hier zuvor in der Romanik gepriesen wurde, daß dort noch weit vor dieser Zeit Séverin le Solitaire eingesiedelt war, dessen Zeitgenossen ein Christentum nach Frankreich brachten, das mit einem Billigheimerjahrmarkt wie dem von gegenüber wahrlich nicht gerechnet haben kann. Stille inmitten des Brodems der Metropole. Still erzählende Geschichte.

Anschließend gehen wir die paar Schritte durchs Juden- und Schwulenguckviertel Marais. Aber hindurch! Außenherum würden die müden Knochen dann doch nicht mehr mitmachen, und außerdem stehen da zu viele Bouquinistes herum.


Müder Griff ins Archiv, so tun, als ob es mich noch gäbe. Um nicht in Vergessenheit zu geraten.
Als die Welt in Paris wieder in Ordnung gebracht war. Von Monsieur Haussmann (ungeprüftes Material!), dem Erfinder sanfter gesamtfranzösischer Sanierungspraxis.

 
Sa, 14.02.2009 |  link | (1717) | 5 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Unterwegs


nnier   (14.02.09, 16:12)   (link)  
"So tun, als ob es mich noch gäbe" - das tun wir doch alle, auf die eine oder andere Weise.


hanno erdwein   (15.02.09, 21:26)   (link)  
Schöner Text ...
... spöttisch und fürs innere Kino vollkommen plastisch. Danke! Hanno


jean stubenzweig   (16.02.09, 07:00)   (link)  
Meinen Sie
die hier festgehaltene Kurzfassung? Oder das längere Teil?


vert   (16.02.09, 18:11)   (link)  
ich erfreue mich jedesmal wieder an der tatsache, dass der umkrempler budapests, des "paris des ostens", quasi ein namensvetter war: alajos hauszmann...


jean stubenzweig   (17.02.09, 07:19)   (link)  
Alajos Hauszmann
Das hat in diesem Zusammenhang schon wieder was Komisches.















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Jean Stubenzweig motzt hier seit 6023 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 07.09.2024, 02:00



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