Kunstsuppe Kreativität geht durch den Magen. Das war eine der erkenntnistheoretischen Prinzipien des dänischen Bildhauers, genauer: Plastikers (nach der Definition von Eduard Trier*). Die Zeit der fünfziger Jahre in der französischen Metropole hatte seine Sinne wohl zusätzlich geschärft. Doch nur mit den entsprechenden Ingredienzien war es möglich, den wöchentlichen Suppentopf mit Wohlgeschmack zu füllen. Deshalb ging er als Münchner Akademielehrer in den Siebzigern bis Anfang der Achtziger mit seinen Studenten auf den Schwabinger Elisabethmarkt mit seinem für deutsche Verhältnisse ansehnlichen und auch preislich azeptablen Angebot, um frischen Fisch und die dazugehörenden Gemüse und Kräuter zu kaufen. Für die meisten war diese Uhrzeit nicht die ihre. Aber trotz müder Glieder und hängenden Augenlidern hielten sie sich daran. Es war ein wöchentliches Ritual, das die Gemeinschaft stärkte. Wie die jeweils um die Mittagszeit genossene Fissuppe; er sprach es eben so aus, daß sich problemlos eine Karikatur des Dänischen daraus formen ließ. Zwar gab es hin und wieder Gäste, aber im wesentlichen war man unter sich, um über das Geleistete und zu Leistendes zu sprechen. Und beileibe nicht immer nur über Kunst. Oder anders: Kunst ist Leben. Nicht als romantisierendes, historisierendes Gesellschaftsmodell, das aus guter alter Zeit in die neue gerettet werden sollte. Sondern als eine Gegebenheit, die sich aus gemeinsam Gerührtem nährt. Zum Ende seiner Tätigkeit erhielt der «Geburtshelfer der Kreativität» (Die Zeit) eine Ausstellung in der Stadt, die ihn eigentlich immer vernachlässigt hat; die in der Münchner Residenz wurde von seinen Studenten organisiert. Seiner Zurückhaltung entsprechend stellten seine Arbeiten auch lediglich den Fond dar. Die Zutaten kamen von seinen ehemaligen Schülern. Und alle kamen. Es war ein großer Erfolg. Dessen Abschluß wollte und sollte gefeiert werden. Mit Folgen. Robert Jacobsen ist 1993 gestorben. Heute schlich er sich in meine Erinnerung ein. Ich erinnere mich sehr gerne an ihn. * der Bildhauer «nimmt weg», der Plastiker «baut auf»
Robert Jacobsen,
dem großen dänischen Bildhauer, der zwanzig Jahre an der Münchener Akademie der Bildenden Künste gelehrt hat und in dessen «Dunstkreis», wie Müller es selbst nennt, er sich ständig bewegte. Robert Jacobsen war und ist einer der großen Apologeten und Praktiker der Moderne, ein Konstruktivist, der jedoch nie vergaß, auf den organoiden Dialekt der konstruktivistisch-geometrischen Formensprache zu verweisen. Ich erwähne Robert Jacobsen nicht, weil ich eine Verwandtschaft zwischen dessen Formenkanon und dem von Müller herbeireden will. Ich verweise deshalb auf ihn, weil es eine Verwandtschaft der künstlerischen Intention zwischen diesen beiden Bildhauern, hier dem 76jährigen und dort dem 36jährigen, gibt: die der künstlerischen Umsetzung humanitärer — und nichts anderes war und ist meines Erachtens der Gedanke der Moderne, in Kunst und Architektur — Ziele und dem damit verbundenen immer neuen Be- und Hinterfragen von unterschiedlichsten Möglichkeiten sinnlicher Wahrnehmung. Dabei spielen mathematische und geometrische Überlegungen eine entscheidende Rolle — nicht erst, wie viele Zeitgenossen fälschlicherweise, ich sag's mal so, daherreden, seit den ersten Dezennien unseres Jahrhunderts, sondern bereits seit Mitte des 17. Jahrhunderts, seit Blaise Pascal und seinem Geist der Geometrie, einer Abhandlung, die Cantor als ersten modernen Versuch einer Philosophie der Mathematik bezeichnet, verpflichtet einer Denktradition, die allein in der Mathematik die wahre Schule des Geistes sieht, in der Pascal das Einssein von beweisendem Geist und dem Geist der Geometrie philosophisch zu verifizieren versucht. Spinoza, der auf den deutschen Idealismus und die Romantik entscheidenden Einfluß ausübte, schreibt, in etwa zur gleichen Zeit wie Pascal in seiner Ethik: «Die Wahrheit wäre dem menschlichen Geschlecht in Ewigkeit verborgen geblieben, wenn nicht die Mathematik, in der es sich nicht um Zwecke, sondern um die Wesenheit und die Eigenschaft von Figuren handelt, den Menschen eine andere Wahrheitsnorm gezeigt hätte.» Einen weiteren Ansatzpunkt bietet Augustinus, der in seinen sechs Büchern de musica die Lehre vom Rhythmus ins Zentrum seiner Überlegungen stellt: «Alles hat Formen, weil es Zahlen in sich hat; nimm ihnen diese, und sie sind nichts mehr!» Und, um diesen kleinen Exkurs in die philosophische Wertung von Mathematik und Geometrie zu beenden, es sei daran erinnert, daß die lateinische Sprache für das griechische Wort rhythmos den Begriff numerus benutzt.Ausführlicher: Rationalisierung des Bewußtseins Robert Jacobsen in dessen Atelier in der Münchner Akademie der Bildenden Künste, um 1980; hier der Ausschnitt einer Photographie von © Michael Ziegel. >> kommentieren Spamming the backlinks is useless. They are embedded JavaScript and they are not indexed by Google. |
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