Eine Liebesheirat ...

Solches lese und höre ich immer wiede (gerne präsentiert vom Qualitätsjournalismus des ersten Jahrtausend-Dezenniums). Gibt es heutzutage denn einen anderen Grund zu heiraten? Gibt es überhaupt (noch) einen Grund, in den «Heiligen Stand» der Ehe einzutreten? Mit Gütertrennung und sonstigen präjudikativen Absicherungen? Ehevertrag! Einbeziehung des möglichen, fast sicheren Zerreißens eines gesegneten Bandes. Jedem Anfang wohnt ein Ende inne? «Die neueren Theorien», schrieb Ortega y Gasset, «haben den kosmologischen Gesichtspunkt verloren und sind fast ausschließlich psychologisch geworden. Die verfeinerte Psychologie der Liebe hat, indem sie eine scharfsinnige Kasuistik ausbildete, unsere Aufmerksamkeit von der kosmischen, der elementaren Seite der Liebe abgelenkt.«* Wie recht er hat! 1933 hat er das veröffentlicht. Meine Güte — wenn der geahnt hätte, was da noch alles den Lauf der Liebe bestimmen würde!

Wenn ich nur daran denke, wie dieser Mann verunglimpft wurde während meiner späten Jugend, also während des Studiums. Es war sozusagen ein Verbrechen, den überhaupt zu lesen. Dabei hat dieser Klarseher davon geschrieben, daß er die Liebe meint und nicht die Verliebtheit, diese «psychische Angina» . Es ist wie heute — man sagt Erotik und meint die Sexualität. In den späten Sechzigern sprach man vom Bumsen und meinte — heimlich — die Verliebtheit. Rausch eben. Aber Liebe? Das war ein absolutes Tabu. Zumindest im Elfenbeinturm der gebildeten Abgeklärtheit. Liebe hatte ein Anachronismus zu sein. Und Stendhal — den Theoretiker des Don-Juanismus, nicht etwa den geradezu glorifizierten Erzähler! — hat Ortega y Gasset ebenso der Unfähigkeit zur wirklichen Liebe geziehen wie auch Platon mit seinem platonisch-naiven, ja theoretischen Geplappere. Doch auch die durfte man ja nur aus der Perspektive der reinen (gesellschaftspolitischen) Vernunft, für die Theoriefestigkeit lesen. Zu Diskussionszwecken eben. Also haben — mal wieder — ein paar Zusammenhänge gefehlt. Und dann wundert man sich, daß unsere Kinder die Blaue Blume mit der Roten Rose im Knopfloch verwechseln. Aus der Möglichkeit, das Leben als Roman, als Liebe zu leben, wird ein Leben, von dem man für die Brunft den Klappentext hernimmt. Da werden dann Anzeigen geschaltet, in denen vom zärtlichen Abendessen vorm kerzenscheinbestandenen Kamin bei einem Glase roten Weines gesäuselt wird. Dabei war's arschkalt an den Kaminen der Romantik. Aber man fühlte eben hoffnungslos glücklich, weil man die Kälte der Beziehungslosigkeit nicht kannte und die innere Zimmertemperatur eher damit aufheizte: «Über den Turbinen und Maschinen mannigfaltiger Art, die wir in den Strom hineinsenken, dürfen wir nicht seine uranfängliche Kraft vergessen, die uns geheimnisvoll umgibt.» Das hat Ortega geschrieben, als das zweite Jahrtausend bereits gute dreißig Lenze zählte. Das also könnte ein Anlaß zur Heirat sein! Heutzutage. Wieder? Das ist durchaus eine Erkenntnis. Und vielleicht war es ja genau das, was geschah und sich lediglich aus dem bedauerlichen biologischen Ereignis der schwachen Erinnerung genauer Kenntnis entzieht. Denn damals, in den Anfängen der wilden Sechziger, die hinaufführten auf die Barrikaden der Siebziger?

Das Damals gehört der Zukunft: irgendwann die nächsten Tage wird's erzählt.


* José Ortega y Gasset: Über die Liebe, Meditationen. Die Liebe bei Stendhal. Übersetzt und herausgegeben von Helene Weyl. DVA Stuttgart 1973 (84. – 86. Tausend), S. 124f., 139

 
Do, 17.09.2009 |  link | (2515) | 10 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ansichten


nnier   (17.09.09, 23:44)   (link)  
Nun sind Sie auf ihn zurückgekommen, und ich lausche hier interessiert. Eines allerdings verwirrt mich: "Das hat Ortega geschrieben, als das zweite Jahrtausend bereits gute dreißig Lenze zählte." - also, 20 * 100 = 2 * 1000, dennoch, das zwanzigste Jahrhundert begann am 1.1.1901, das zweite Jahrtausend hingegen 900 Jahre früher, oder ist das ein Insiderwitz?


jean stubenzweig   (18.09.09, 05:54)   (link)  
Zum Legastheniker,
gibt's dazu eigentlich einen parallelen Begriff für den Umgang mit Zahlen? Mich entsprechend zu bezeichnen, wäre eine berechtigte Feststellung, bei der ich nicht beleidigt sein dürfte. Solche Klöpse im Umgang mit diesen seltsamen Ziffern passieren mir immer wieder. Ich bin für so manches berüchtigt, das aber ist legendär. Nein! Es ist kein Insiderwitz. Es ist – ach, nennen Sie's doch, wie Sie's wollen ...

Ich werde es korrigieren müssen, denn schließlich lebte Ortega y Gasset nicht im Mittelalter, sondern im zwanzigsten Jahrhundert, und er schrieb das Zitierte, als das gute dreißig Lenze zählte.

Interessiert lauschen ... Na ja, ich habe das Buch aus dem Regal genommen, da ich bei dem Thema Liebe eben nicht um den Herrn herumkomme. Ein Versuch über ihn soll es nicht werden. Aber vielleicht wäre es mal einer wert. Irgendwann. Wenn die «psychische Angina» mal wieder irgendwo herumtost und erneut eine Liebesheirat ansteht. Doch in der Regel haben derart Bewegte gerade dann keine Zeit für Lektüre, weil sie ständig den Mond oder jemand anderen anschauen müssen. Im übrigen trifft das auch auf die maladie d'amour zu, die nachfolgende Schmerzverursacherin, auch für die Ohren anderer.


prieditis   (18.09.09, 17:11)   (link)  
*schnips, schnips*
Dyskalkulie, so nennt man das wohl, wenn man mit Zahlen nicht so recht umgehen kann... Ich nenne es einfach nur: "normal"


jean stubenzweig   (18.09.09, 17:50)   (link)  
Erstaunlich
Was Sie so alles wissen. Dank! Aber wenn das normal ist, dann kann ich ja beruhigt mein Nickerchen machen. Aussprechen kann ich das sowieso nicht.


prieditis   (20.09.09, 02:57)   (link)  
Sie wissen aber auch viel!
Ich weiß das obige, weil ich mal eine Zeit lang für äh, pardon, mit, MIT Kindern die Hausaufgaben gemacht habe...


jean stubenzweig   (20.09.09, 08:57)   (link)  
Dem entnehme ich,
daß Sie auch noch ein Rechenkünstler sind. Das hat bestimmt Spaß gemacht. Den Kindern.


prieditis   (20.09.09, 13:25)   (link)  
Ja, sicher, vor allem in mathematischen Collagen bin ich ganz groß...hahaha

Die Arbeit mit den Kindern hat wirklich Spaß gemacht. Aber man hat auch gesehen, welche Steine manchen Kindern bereits in den Weg gelegt werden. Das war und ist heute in der Nachbetrachtung noch deprimierend.


jean stubenzweig   (21.09.09, 09:45)   (link)  
Ob Sie mir das bitte
mal eingehender erläutern: «... welche Steine manchen Kindern bereits in den Weg gelegt werden.» Meinen Sie damit die Anforderungen durch die Eltern bzw. eine etwas fehlgesteuerte («Bildungs»-)Gesellschaft, die das von ihnen fordert?


prieditis   (21.09.09, 15:02)   (link)  
Ich meine vor allem das Desinteresse der Eltern/ Lehrer...

Ich lehne mich aber nicht zu weit aus dem Fenster, ich bin ja keine qualifizierte Fachkraft.
Ich war lediglich Honorarkraft* mit der Aufgabe: Rein in den Raum, sitzen, aufstehen, Feierabend. Dafür war das Honarar auch ausreichend.
Die Aufgabe wird so natürlich nicht eingehalten, ist ja total langweilig und dazu plagt einen das schlechte Gewissen.

Unter den Kindern waren einige, die etwas auffällig waren.
Eines suchte körperliche Nähe, Anlehnung.
Ein anderes, mit großen schulischen Problemen erledigte seine Aufgaben ratzfatz und dazu noch völlig korrekt, solange man ihm Aufmerksamkeit schenkte und neben ihm sitzen blieb.
Ein weiteres Kind konnte nicht lesen, vertuschte dies durch cleveres kombinieren des Aussehens von Wörtern in der Aufgabenstellung mit denen im Text.
Die Schulen der Kinder hatten kein gesteigertes Interesse an einer individuellen Förderung der Kinder und empfahlen jeweils einen Schulwechsel...

In einigen Gesprächen mit befreundeten Lehrern auch der sog. Förderschulen wurde mir dies als gängige Praxis bestätigt.
Kinder, die oft überdurchschnittlich Intelligent sind, landen wegen eines einzelnen Problems mehr oder weniger auf dem Abstellgleis.
Daran sind sicher nicht nur die Lehrer schuld, sondern auch die Eltern, die aus Unwissen, Überforderung und auch Desinteresse am eigenen Kind diese Steine legen.

*freiberuflich, ohne Sozial- bzw. Krankenversicherung


jean stubenzweig   (22.09.09, 07:38)   (link)  
Nicht zum ersten Mal
höre bzw. lese ich von diesen Problemen. So habe ich mir dazu den einen oder anderen Gedanken gemacht. Aber solange ich darüber auch nachdenke, ich komme zu keinem wirklichen Schluß, weshalb eine Gesellschaft es dazu kommen läßt, derart haltlos zu werden. Es steht ja an zu befürchten, daß das System hat.















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