Des öfteren mit Geräusch verbunden Die Musik. Auch ich bin, wie so viele, mit ihr aufgewachsen. Bei mir war es allerdings Parallele, nicht Alternative zum Buch. Gehört wurde viel, aber in einer leicht einseitigen Weise, zu der dann jedoch Aufführungspraxen sowie Disziplinierungsmaßnahmen kamen, die sie mir in der angebotenen Form vergällten. Mit dem Ergebnis, daß ich mich der aktiven Erweiterung verweigerte. Zum Beispiel beim Unterricht am Klavier, auf dem ich demonstrativ lustlos herumklimperte. Die zur Zeit meiner Kindheit übliche Strafe des Hausarrests zog bei mir nicht sonderlich und war überdies leicht absurd, da ich ohnehin bereits zum Stubenhocker erzogen worden war, denn meine Erzieherin war der Meinung, allzu viel Kontakt zu Außenwelt verderbe den Charakter. Eine wirkungsvollere Maßnahme wäre das Verbot des Lesens gewesen. Die aber wäre dem pädagogischen Gebot vom Buch als bildendem Element zuwidergelaufen. Also unternahm meine Gebieterin keine weiteren Versuche, aus mir einen Konzertpianisten zu machen. Was ich später meiner Mutter vorwerfen sollte. Einmal, sagte ich irgendwann später zu ihr, als wir uns noch einigermaßen vertrugen, während uns im besten Wortsinn Negermusik eindudelte, eine ihrer ganz seltenen Anwandlungen, die sie in ihre Jugend träumten, hättest du wirklich streng gewesen sein müssen, denn dann würde ich jetzt virtuos auf einem Bechstein gegen diesen musikalischen Terror anspielen, auch gegen die tagelangen, oftmals nie endenwollenden Callas-Abende, deren einzige Abwechslung in Beniamino Gigli oder dessen Vorsänger Enrico Caruso bestand. Und zwar mit der von mir bevorzugten Negermusik, auch wenn sie sich anders anhörte als die der meisten anderen. Ich war auch als Mittzwanziger noch immer völlig besessen von den neuen, mir zuvor völlig unbekannten radikalen Tönen des Alexander von Schlippenbach und hätte nur zu gerne so derart genialisch einen edlen Konzertflügel maltraitiert, wie er das in Konzerten tat, denen ich in den Sechzigern fasziniert so etwas wie lauschte. Eine Variante wäre dann das noch hinzugekommene, geradezu orchestrale Chaos gewesen, der mein gesamtes musikalisches Kindheitsleid gerächt und mir auch noch Genuß gebracht hätte. Einige Jahre später, ich bewegte mich auf die Mitte der Vierzig zu, spürte ein lieber Freund, Musikwissenschaftler, vor allem aber leidenschaftlicher Komponist, bei mir ein gewisses Interesse an neuen Tönen auf. Bis dahin hatte es nicht nur Adorno geschafft, mich von Zwölftönern abzuhalten, gleichwohl ich immer wieder mal interessiert hinlauschte. Mit der Geduld eines musikalischen Engels machte der um einiges jüngere und wohl deshalb vom Wortführer der Frankfurter Ästhetischen Erziehung (den ich teilweise noch genossen, vielleicht [?], weil ich ihn über weite Strecken nicht verstanden habe) nicht sonderlich beeindruckte Freund mir begreiflich, daß auch Kompositionen von Neutönern genossen werden dürfen; Adorno habe das übrigens auch nicht anders gesehen. Man müsse sie allerdings zunächst einmal kennenlernen. Aber die Konserve sei dafür eher ungeeignet, der Besuch eines Konzertes trüge zumindest teilweise die Bereitschaft an der aktiven Teilnahme mit. Also ging ich in die kleineren Konzertsäle und hörte mir neuere Töne an. Zur Erholung gab's dann Bebop, jazzige Blasorchester, französischen Kitsch und viel, sehr viel (mich später, aber doch noch erobert habende) Oper (wenn auch weniger die von Wagner) Aber etwas hängengeblieben ist durchaus, zumindest meine Sinne hat es ein wenig geschärft. Zwar bin ich mittlerweile auf dem linken Ohr halb taub und auf dem rechten höre ich auch nicht sonderlich gut; Überbleibsel in der Kindheit fehlbehandelter Trommelfellschäden, weshalb der vielen ununterscheidbaren Nebengeräusche wegen (Kino ist für mich krachendes Höchstleid, dem ich mich deshalb seit langem nicht mehr aussetze) der Konzertsaal nicht mehr infrage kommt. Nun ja, Beethoven hörte sich ja auch eher im Kopf zu. Und da ich keinerlei Genius in mir trage, nehme ich eben die Konserve, wenn ich Bedürfnisse habe, die über die regelmäßige Konsumtion meiner musikalischen Grundnahrung hinausgehen. Musiktheorie war mir immer fremd. Es war immer das fühlige Bedürfnis, dem ich mich hingegeben habe, der Lust auf Töne, die meine Stimmung ausdrücken oder wiedergeben, wobei das Gängige in der Regel an mir vorbeigegangen ist; was am manchmal etwas genaueren Hinhören gelegen haben mag. Aber in die Theorie zur Musik habe ich immer hineingelauscht, besser -gelesen. Was sie, wie all die anderen Künste und deren Begleiterscheinungen, innerhalb einer Gesellschaft zu bewirken vermag, das hat mich immer interessiert. Um so gespannter lese ich zur Zeit dort mit, wo ich ohnehin immer wieder einiges über mich und meine kleine Welt erfahre (was im sich selbst preisenden Qualitätsjournalismus immer öfter ausbleibt). Vor etwa zwei Wochen war «verabredet, ein paar Adorno-Aufsätze zur Ästhetik und zum Jazz zu lesen und darüber zu reden». Dem folge ich jetzt aufmerksam und möchte es jedem empfehlen, dem nach einem ordentlichen Musikrausch hin und wieder ein gewaltiger Kater durch den Kopf marschierte. Ungemein spannend, das Ganze! Denn schließlich geht es nicht nur um Musik, sondern auch um den Nachweis, daß alles zusammenhängt. Nicht nur in der den Künsten. Und daß es Adorno auch (oder alleine?) darum ging.
mifasola (28.10.09, 10:15) (link) Geht mir auch so, schon seit Kindertagen - sehr zur Verzweiflung meiner damaligen Klavier-, Querflöten-, Saxophonlehrer, die mir neben der notwendigen Technik vor allem Werktreue einbimsen wollten, anstatt mir so etwas zuzugestehen wie eine eigene akustische Meinung und so etwas zu erlauben wie Spielfreude. Ach du meine Güte
Das ist ja eine hübsche Spielfreude. Das liest sich ja, als ob Sie's machen wollten wie Alexander von Schlippenbach früher mal, als ich gar nichts verstanden habe, es aber toll war. Nur eben mit anderen Intentionen. Mehr so fröhliche Intension.Ich wäre da gerne dabei gewesen. Nachtrag: Ich hatte mal ein ähnliches Erlebnis. Aufgeschrieben habe ich's auch. Aber finden tu' ich's nicht. Gefunden dank Suchscheinwerfer
(Selbstzitat – das bißchen, das ich lese, kann ich mir auch selber schreiben.):Da erdreistete sich gegenüber, dort oben in der letzten Etage, jemand, Stars and Stripes ins Küchenfenster zu hängen. Nicht so extrem, sie wollten ja noch durchschauen können, vielleicht so groß wie ein DIN-A-4-Blatt. Aber es hat mich geärgert. Ziemlich. Und da bin ich am nächsten Tag losgezogen und habe einen schön großen drapeau national gekauft. Bei dem ebenfalls heimatlosen André, der den Deutschen recht erfolglos Kultur in Form von Baguette beizubringen versuchte und sich deshalb mit dem Verkauf von weiteren französischen Devotionalien über Wasser hielt. Das Mehl fürs Baguette bezog er aus dem Ursprungsland für gutes Weißbrot, aber die Tricolore lieferte eine Fahnenfabrik in Thüringen. Und da es frühsommerlich warm war, habe ich einen der beiden dreißig Jahre alten, aber immer noch fein tösenden Lautsprecher zur Tür der Loggia hingeschoben und dann die Marseillaise donnern lassen. Ich hätte ja La fanfare en pétard abspielen können, diese köstlich-wilde Schrägheit. Aber das wäre möglicherweise am Ende für einige gar dauerhaft genußverheißend geraten. Der persönliche Mitschnitt war da doch geeigneter: eine phantastisch eiernde Aufnahme des Blasorchesters der Feuerwehr von Grandrieu, die es zwar hervorragend verstand, Durst zu löschen, es aber mit dem Blasen ansonsten nicht so hatte. Wenn ich mich recht erinnere, ungefähr eine halbe Stunde lang oder auch länger. Bei dieser Gelegenheit habe ich mich gleich für alles mögliche an Lärm gerächt, was als Musik aus allen Richtungen auf mich losgelassen wurde. Am nächsten Tag war die Amiflagge weg. Akustische Feldzüge dieser Art
machen ja auch nur dann richtig Spaß, wenn die Gegenseite kapituliert. (Leider fehlt es dortselbst ja oft an der dafür notwendigen Intelligenz.) Und dann auch noch mit Unterstützung der Feuerwehr. En avant!
aah, die Pompiers... ja, die können auf ihren Bällen hervorragend...feiern ;o)
(Das mit der Musik scheint tatsächlich nicht so deren Kernkompetenz zu sein - ganz anders da die deutschen Schützenzüge, morgens um 6.30h, wenn der König abgeholt wird...) >> kommentieren Ich liebe Musiktheorie. Nicht so sehr, daß ich es hätte studieren wollen, aber gerade bei moderner Musik öffnet mir die Partitur das Gehör, habe ich festgestellt - dann kann ich sogar Schönberg und Webern etwas abgewinnen. A propos Zwölftonmusik: einer Professor in Musiktheorie berichtete aus einer Zwischenprüfung folgenden Wortwechsel: Professor: Definieren Sie Zwölftonmusik. Prüfling: Ja, also, da sind zwölf Töne. Professor: Und weiter? Prüfling: .... die zwölf Töne, die müssen in einer Reihe sein. Professor: Ah ja. Richtig. Können Sie vielleicht etwas weiter ins Detail gehen [man möchte die junge Person ja nicht durchfallen lassen] Prüfling: Ich glaube, die Töne dürfen sich nicht wiederholen. Professor [verzweifelter Versuch, eine Vorlage zu geben]: Können Sie sich vorstellen, daß es auch Dreizehnton Musik gibt? Prüfling: Also, wenn Sie so fragen.... ja, warum nicht? Über den langfristigen Segen elterlichen Zwangs haben wir ja schon mal gesprochen... ich bin meinen Eltern heute mehr denn je dankbar, daß sie mich über Jahre hinweg ans Klavier genötigt haben, auch wenn ich das als Teenager anders gesehen habe. Heute werde ich beglückt!
Der Prüfling, werte Damenwahl, hätte auch ich sein können – sehe ich mal davon ab, daß es meinerseits wohl kaum zu einer Bewerbung an einer Musikhochschule gekommen wäre –, aber der Höheren Mathematik wegen, die zweifelsohne in dieser quasi letztendlichen Frage steckt. Ebendrum: Dreizehnton-Musik. Warum nicht? Ich verstehe sie ohnehin nicht. Die Mathematik.Ja, hin und wieder, wenn ein Übermaß an Konzentration sich bei mir niederläßt, dann höre ich auch schon mal bei Schönberg oder Webern genauer hin. Aber es geht ja auch nicht anders. Ich meine, mit ohne Konzentration will sich da nicht merken. Überhaupt Neue Musik. Die kann hochinteressant sein. Aber ohne den erwähnten Künstler-Freund hätte ich das sicherlich nie erfahren.
Nun ja, angesichts der Tatsache, daß die Tonleiter nur zwölf Töne hat... (die in der Zwölftonmusik alle einmal vorgekommen sein müssen, bevor einer wiederverwendet werden darf), macht 13Tonmusik wenig Sinn. Und nach 4 Semestern Studium sollte einem das klarsein, eigentlich. Andererseits...
Sehr schwierig, das alles.
Eine in einer Kneipe jobbende Studentin der Germanistik und Philosophie, ebenfalls im vierten, ich meine, es wäre bereits das sechste Semester gewesen, aber viertes paßt hier nunmal besser, auf jeden Fall einige Zeit vor dem massiven Einsetzen internetverursachter Defizitwellen, hat mal geäußert, der ihr zur Lektüre vorgelegte Text sei ihr entschieden zu kompliziert, und mit seinen zwei Seiten vor allem zu lang – wenn ich mich recht erinnere, war es Platonische Musik.Vielleicht hätte sie besser erstmal Musik studieren sollen. Oder irgendwas mit Medien. >> kommentieren Spamming the backlinks is useless. They are embedded JavaScript and they are not indexed by Google. |
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