Zaubergeflötete Zuckerwatte

Zwar höre ich auch ganz gerne (gesungenen) Mozart, aber das gefällt mir gut, Mark. Übrigens dürfen auch andere hier Längen haben, Genelon. Kürze bedeutet mir nicht unbedingt Würze. Also ab in die Länge.

Dem einen klingt süß, was dem anderen gleich beim ersten Ton als Übel nicht in die Ohren hineinwill. Aber beim Geschmack darf man ja demselben seinen Lauf lassen. Zumal dessen elternhäusliche Bildung nicht unbedingt auf ewig gültig sein muß. Gleichwohl oftmals deren Einflüsse zum tragen kommen, bei mir etwa, der ich nach selbstverordneter, ungefähr zwanzigjähriger Opern-Abstinenz auch zu diesem Gesang zurückgekehrt bin. Dabei haben sich — meine leicht kindheitsverstörende Callas hin oder her — sogar weibliche Stimmen in den Vordergrund gesungen, wenn auch so gut wie keine wagnerianisch gefärbten (von der Regel die berühmte Ausnahme, die ich einfach mal Nietzsche heiße). Geblieben ist mir die Ablehnung jeden Gesangs, der mir als Gekreisch oder Schreierei ins Gehör fährt.

So ertrage ich beispielsweise, wen oder was auch immer sie singen mag, diesen Pasta-Sopran Cecilia Bartoli nicht. Die erkenne ich spätestens nach dem dritten (Sirenen-)Ton, und es ergeht mir fast genauso wie bei der Oberstimme der deutschen Politik: Wenn die auf der Bühne erscheint, muß ich sofort abschalten. Denn dieses Gekiekse, das von diesem römischen Roller, empfinde ich nicht, wie vielfach behauptet, als Stimmakrobatik; davon abgesehen, daß ich in den Zirkus gehe, will ich Artistik. Aber die will ich nicht, mit Budenzauber kann ich nichts anfangen, weder in der kleinen Stube noch im großen Saal. Ich bevorzuge bei Interpreten die Zurückhaltung, die Konzentration aufs wesentliche. Und die spüre ich nur, wenn sich jemand in ein Werk vertieft hat, ohne dabei ständig epileptisch anmutend die Augen zu verdrehen und den Kehlkopf hüpfen zu lassen, was vermutlich Ardore und Fervore signalisieren soll.

Bei der Aufführung des erwähnten Grieg zum Beispiel meine ich die hierbei erforderliche Ruhe zu hören (nebenbei: in den ersten Takten hat das etwas von Tschaikowskis Nr. 1, b-moll opus 23; aber das ist wohl überhaupt ein Volksmusikthema). Da scheint mir nichts Spektakulöses oder auch grob Vereinfachendes, wie das mit dem Norweger häufig geschieht, weil man meint, die Romantik expressiver hervorspielen zu müssen, als der Komponist es gemeint hat. Romantizismus wäre der richtige Ausdruck dafür. Aber ich bin kein Fachmann, möglicherweise liege ich hier daneben — was mir allerdings dann auch egal wäre, da ich die Theorien anderer zwar zur Kenntnis nehme und auch darüber nachdenke, ich mir aber im Zweifelsfall eine eigene entwickle, und mag sie noch so wirr klingen; die Zeiten, in denen ich die Ausstellung eigener Gedanken fürchtete, sind seit längerem Vergangenheit.

Edvard Grieg ist ein recht gutes Beispiel für mich und die etwas intensivere Beschäftigung mit einem Opus. Seit ich mich einige Male komplett durch seine Musik gehört habe (in der, wie ich meine, großartigen Interpretation von 1986 des Göteburger Symphonie-Orchesters unter Neeme Järvi*), meine ich, seinem Werk insgesamt etwas näher gekommen zu sein — und dem populistischen sowie dem oftmals von keiner Kenntnis getrübten beliebigen Einsatz als Geräuschkulisserie immer wieder mal wutschnaubend gegenüberzustehen. Zwar hat mich das nicht unbedingt zum bedingungslosen Verehrer Griegs gemacht — mit dem Verehren tue ich mich ohnehin schwer —, aber das eine oder andere Mal meine ich, ihn gegen seine Freunde verteidigen zu müssen; vielleicht gar gegen ihn selbst, denn ich empfinde seine Ibsen-Vertonung von Peer Gynt keineswegs als, wie er ihn persönlich mal bezeichnet hatte, «Kuhfladenmusik».

Aber das mag an meiner von anderen gern belächelten oder auch verlachten hingebungsvollen Liebe zur «Lautmalerei» liegen, die mit Jean Sibelius ihren Lauf nahm. Womit wir bei Bedrich Smetanas Moldau wären. Da geht es mir ähnlich wie Genelon, wenn auch mit Sibelius. Ich kam als kleiner Junge erstmals in dessen Land, und noch bevor ich je ein Fitzelchen davon gesehen hatte, wußte ich bereits, daß er es ist, der mir davon musikalisch Bilder malt. Bis heute ist mir das ein Stück Heimat, in das ich mich zurückzuziehen vermag, auch wenn es ewig her ist, daß ich das letzte Mal dort war. Es zieht mich mehr an als alles Russische, das in meiner Erbmasse väterlicherseits steckt; aber das wurzelt ohnehin weniger in dessen künstlerischer Zivilisation (der «Verwestlichung»? was auch immer das sein mag), sondern eher dort, wo hinter dem großen Gebirge die Wildnis beheimatet ist. Aber ich weiß insgesamt zuwenig über russische Musik, als daß ich eine Meinung dazu haben könnte; sie hat mich schlicht nie sonderlich interessiert, auch nicht die Literatur et cetera. Da bin ich eher «verwestlicht», wenn man diesen Hang zum Roman(t)ischen so nennen kann. Musikalisch geschilderte Gefühle nehmen viel Raum in mir ein.

Doch glücklicherweise nimmt dieser Nordmann mich nicht gefangen — wenn ich auch dahinschmelzen kann, wenn seine symphonischen Dichtungen erschallen. Es gibt zudem noch die Symphonien — durchaus gerne unter Esa-Pekka Salonen, aber am liebsten dirigiert von John Barbirolli als herausragendem Kenner dieses Musikgewebes (vor allem aber Gustav Mahler) oder das Violinkonzert, hier mit Miriam Fried an der Geige, geleitet vom geschätzten Okko Kamu (auch wenn er ein Karajanski-Protegé war, der allerdings, entgegen damaliger Erwartungen, nie abgehoben, sondern immer auf seinem finnischen Teppich geblieben ist).

Geschmackliche Vielfalt oder auch unterschiedlicher Geschmack kann verwirrend sein. Das erinnert mich an jemanden, der mich wegen meiner Ausritte in die finnische Natur oder wegen meines verzückten Lauschens beispielsweise der Lieder der Auvergne von Joseph Marie Canteloube (ich könnte niederknien vor Dawn Upshaw, die mir Anfang der Neunziger über den sehr katholischen Henryk Górecki erstmals vorgestellt wurde und über Kaija Saariaho wiederbegegnete) oder meines köstlichen Franzosenschmalzes gerne ein bißchen verachtete und der mir, ohne daß ich murrte, stundenlang Robert Schumanns Kunstlied vorspielen durfte, dabei selber ein Verehrer des glühenden Federico García Lorca war, aber ausgerechnet einem Paco de Lucia nichts abgewinnen konnte, vor allem dann, wenn der gemeinsam mit John McLaughlin und Al di Meola (legendär) leicht angejazzt zupfte. Ebenso kam ich immer wieder ins Staunen darüber, daß er, der auch in seinen Texten immer wieder südlich glühte, beim portugiesischen Fado wegzuschlummern begann.

Geschmäcker zupfen eben gerne am Geist.


Ständig fällt mir neues zum Thema ein; ganz schlimm, seit ich mich in die Tube eingelassen habe mit ihrem ganzen alten Kram. Ein riesiger Fischeintopf ist das hier.

* gibt's offensichtlich nur über Amazonien, was ich nicht verlinke — wenn auch (neu) ab 120,00 Euro

 
Mo, 23.11.2009 |  link | (3322) | 4 K | Ihr Kommentar | abgelegt: La Musica


aubertin   (23.11.09, 14:44)   (link)  
musique musique musique
de plus en plus. Rien d'autre? Sybaritisme. Papa gâteau.

Je 'tembrasse très fort
Anne


jean stubenzweig   (24.11.09, 01:14)   (link)  
Nichts als der
Versuch, die von Deutschen gern getätigte These zu widerlegen, Essen sei der Sex des Alters.

Ich umamme zurück, mein Mädchen


g.   (24.11.09, 06:27)   (link)  
Danke für die Lieder der Auvergne.


jean stubenzweig   (24.11.09, 13:19)   (link)  
Freude macht Freude.
Allerdings muß ich diesen Dank zumindest teilweise weiterleiten an Herrn Nnier, der mich schließlich mit diesem Baumstamm beworfen hat und dem ich anfänglich fast gram war deshalb. Aber er hat damit letzten Endes eine Revitalisierung meines sich bereits in der Verabschiedung befindlichen Gehirns bewirkt. Seither durchkreuze ich mit meinem Musikböötchen Gegenden der Gewässer, in denen ich mich früher so wohl gefühlt habe und die irgendwie verschwunden schienen. Eigentlich kannte ich das ja nur von den Bücherregalen, aber nun ist mir dasselbe mit den Platten- und CD-Ständern passiert: etwas ganz bestimmtes suchen – und vor lauter Wiederhören am Ende nicht mehr wissen, was man gesucht hat. Und ein weiterer Effekt ist der, daß ich mit Genuß vieles von dem immer wieder neu auflege, was lange Zeit in der Vergessenheit herumdümpelte. Dawn Upshaw gehört dazu. – Bei den Chants d'Auvergne bitte nur die, keine andere (ich habe viele gehört) malt mit dieser Inniglichkeit und Wärme diese wunderschöne Landschaft am Rand des Massif Central. Und ihre Stimme ist einfach – ja, das mußte ich schon vor langer Zeit eingestehen: Glaube musiziert am schönsten –, nenne ich's mal auf der höchsten Stufe der Vergeistigung. Vermutlich hat sie als einzige deshalb diesen Górecki hingekriegt. Und auch ihr Olivier Messiaen ist wohl deshalb so großartig geraten. Überhaupt liegt ihr offensichtlich das «Natürliche», wie ich bei Kaija Saariaho miterleben durfte; leider scheint es die DVD des Filmes von Anne Grange nicht mehr zu geben, und finden tue ich sie auch nicht – also wieder abtauchen zum suchen.















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