Räuber! Diebe!

Meine höfische Unterhalterin Madame Comtesse Mimi de Schwerin, von sehr, sehr altem mecklenburgischen Geschlecht, ist das, was gerne emanzipiert genannt wird. Seit sie ihre Kleinen großgekriegt hat, hält sie nichts mehr, und ich muß seitdem wieder selber lesen, wenn ich mich in meiner Revolutionskate aufhalte. Es gibt weit und breit keinen Kater, der an ihre Umtriebigkeit hinreichte. Je nach Lust und Laune sucht sie sich ein Plätzchen. Das kann, wie mir der Concierge kürzlich berichtete, inmitten der Pellets sein, die wir seit letztem Sommer für die Befeuerung benötigen, wenn die Sonne sich mal wieder über der offenen Ostsee herumtreibt und unser Dach ignoriert. Auch im ehemaligen Schweinestall hat sie sich eine Hütte im Holz gebaut. Gerne besucht sie auch den Schwarzen von nebenan, der sie offensichtlich, wenn auch äußerst widerwillig, in Ruhe läßt, da sie ihren Graugetigerten und Erzeuger ihrer Vier nach wie vor zu lieben scheint, vielleicht auch deshalb, weil er sich ab und zu mal blicken läßt. Nichts zu befürchten hat sie auch von dem der unteren Nachbarn, weil der froh ist, daß er überhaupt noch liegen kann. Deshalb wohl liegt sie dort bevorzugt daneben, sicherlich auch, weil es so praktisch, nämlich ebenerdig ist, Bäume hat sie Tag und Nacht, da muß sie nicht auch noch Treppen steigen. Angenehm ist's obendrein, einfach auf die Bettdecke der Nachbarin zu hüpfen, die immer so kalte Füße hat. In ihrem ureigenen Zuhause ist das nämlich verbotene Zone. Ließe bei diesen Tierliebhabern die Küche nicht zu wünschen übrig. Überhaupt kriegt sie überall was, offenbar sogar von Madame Lucette, die es mit diesen Tieren eigentlich nicht so hat, weil die nächtens gerne die Lichtkontakte auslösen. Manchmal gehe es zu wie bei den andauernden Illuminationen am Hof von Versailles, meinte die höfisch Erfahrene einmal in den Anfängen meines Daseins in unser aller Diaspora. Mimi scheint das allerdings rasch herausgefunden zu haben und unterläuft deshalb wie im französischen Film sämtliche Laserstrahlen. Und verzückend mit den Wimpern spielen kann sie ebenfalls.

Hin und wieder erinnert sie sich ihrer eigentlichen Behausung oder ihres ursprünglichen Untergebenen oder sucht schlicht Abwechslung vom Vielerlei ihrer Herumtreiberei. Dann setzt sie sich unabhängig irgendwelcher Temperaturen oder Bodenzustände unten hin und schaut, bei geradezu aufreizendem Augenaufschlag, hinauf zu den Fenstern meiner Türmerei, von denen sie weiß, daß meine Vorstellung, es könnte doch irgendwann irgendetwas geschehen, mich immer wieder dorthin treibt. Wenn es ihr zu lange dauert, was geschehen kann, wenn ich mich mal wieder im Tiefschlaf meiner Welt der Dichtung befinde, dann ruft sie kurz. Das geht durch jedes noch so alte Gemäuer. Ein kurzer Schrei, beweg dich, du dröges Stück Verantwortungslosigkeit, und es reißt mich aus meinem romantischen l'art pour l'art. Sie weiß genau, daß ich mich dann flugs zum Fenster hin aufmache, es, die Spinnweben meiner Eremitage vorsichtig, um sie nicht zu zerstören, beiseite schiebe, öffne, ihr in die Augen schaue, kurz nicke, das Fenster wieder schließe, sofort hinuntereile, um sie einzulassen. Oben angekommen, putzt sie sich zunächst die Natur einer oder zweier Nächte an meinen Beinen ab, legt sich auf den Rücken, um sich den Bauch kraulen zu lassen, erhebt sich anschließend und gibt in der Folge einen Laut von sich, der befiehlt: Ab in die Kammer, ich bin des Zeugs überdrüssig, das die anderen mir fortwährend vorsetzen, von dem sie unüberprüft immerfort glauben, was ihnen die geschäftstüchtige Werbewirtschaft ohn' Onterlaß via allabendlicher Fernsehunterhaltung einflößt, es täte uns edlen Geschöpfen gut, uns von den alten Ägyptern vergötterten, das jedoch nichts ist als der Abfall der Menschheit mit zwei Prozent Fleischanteil, angereichert mit Geschmacksstoffen. Nach vierzig, fünfzig Prozent mindestens ist mir, du weißt es alleine durch meine Anwesenheit, heute nach Kaninchen, die Feiglinge haben sich alle in ihren Löchern verkrochen, nicht einmal ein paar Mäuse und Ratten sind unterwegs bei diesem lauen Lüftchen, was sind schon zehn Grad minus. Also mache ich mich auf und hole ihr von nebenan das Gewünschte. Nach der Hälfte des Mahls putzt sie sich den Dreck ab, den ich beim Bauchkraulen hinterlassen habe, räkelt sich ein wenig neugierig auf ihrem Ausguckkissen, um anschließend in ihr altangestammtes Lager über den Büchern zu entschwinden, was sich im Gegensatz zu früher nicht mehr ganz so einfach gestaltet, da sie schließlich vierfach gebärt und auch noch ein wenig Winter-, na, nennen wir's Fell zugelegt hat. Dort schläft sie ihren Kaninchenrausch aus, kommt eine Weile später gemächlich herunter und bedeutet mir, gefälligst die Türen zu öffnen, um sie in die ihr gebührende Freiheit hinauszulassen, schließlich sei sie keine Stadtkatze. Die Resthappen nähme sie später unten. Allez, vite ! An die mecklenburgischen Höfe ist die Revolution irgendwie nicht so recht angelangt, weshalb weiterhin bedenkenlos französisch befohlen wird.

Zwar fläzt sie sich ganz gerne inmitten der Literatur herum, aber Staubmäuse werden ihr auf Dauer zu langweilig. Dann bekomme ich sie tage-, nächtelang nicht zu sehen, sie benötigt eben ihre natürlichen Räume. Deshalb stelle ich ihr immer ein Schälchen mit mindestens Vierzigprozentigem unten hin, machmal auch was zum Knabbern, das mag sie zwischendurch ganz gerne; sie schaut ja ebenfalls ständig in die Ferne. Heute nun ein Anruf von Madame Lucette, von unten hinauf zu mir, auch auf dem Dorf geht man nicht mehr so die weiten Wege, vor allem, wenn sich einem Treppen als Hindernisse auftun. Ganz aufgeregt und entgegen ihrer sonstigen Zurückhaltung auch noch so laut, daß gar ich Hörrohrbenutzer Distanz herstellen mußte, rief sie den Hörer: Brigands ! Voleurs ! Aber bei uns doch nicht, entgegnete ich. Uns finden doch keine Räuber und Diebe. Die verlaufen sich doch auf dem Gelände während der Suche nach lohnendem Gut und fallen in den Hausteich; na gut, das ginge gerade nicht wegen der Beschaffenheit des Wassers ... Nein, solche meine sie ja auch nicht, ihr Gatte beherrsche schließlich nicht nur den Golfschläger, sondern auch sein Gewehr; dieses französische Ritual, das sie ihm mühsam beigebracht habe, sei hinreichend bekannt. Die Vögel machten sich über Mimis Menue her! Raben, Krähen, sogar Amseln hätten keinerlei Ehrfurcht mehr vor dem Eigentum anderer Geschöpfe.

Ich versuchte, sie zu beruhigen, indem ich ihr die natürlichen «Vereinbarungen» zwischen Mimi und dem Federvieh erläuterte, die sie mir mal verraten hatte. Für jeden Napf ihres Vierzig- oder lieber noch Fünfzigprozentigen oder mehr, den diese Räuber und Diebe, allen voran diese schwarz-weiß bemalten Masken, die ja bekannt seien für ihre hemmungslosen Klauereien, ihr wegfräßen, hole sie sich im Frühjahr eines ihrer Jungen. Und wenn das Schälchen mal wieder leergepickt sei, dann habe sie ja immer noch deren Leckereien. Die letzte Wild-Paté sei übrigens ausgezeichnet gewesen. Der darin enthaltene Cognac sei vielleicht ein bißchen alt gewesen, das erinnere sie zu sehr an die Familiengeschichte, sie bevorzuge zudem eher das Frische. Aber so langsam gewöhne sie sich an ihre Küche.
 
Do, 21.01.2010 |  link | (3492) | 6 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Katzenleben


frau braggelmann   (21.01.10, 21:58)   (link)  
apropos lieblose versorgung der familienangehörigen...

ich sage nur : fleischauflauf! Allez, vite !

nachtrag...die brut verlangt nach schnitzel...


jean stubenzweig   (22.01.10, 12:16)   (link)  
Fleischauflauf und Schnitzel
heißt hier, um die Restleserschaft (wenn davon überhaupt noch die Rede sein kann, nachdem Net News Global und ostate.org sich bei diesem Plädoyer für die Freiheit nicht nur gesunden und deshalb schmackhaften Essens eingeklinkt haben) ein wenig in Kenntnis zu setzen, daß es jedesmal einen Auflauf gibt, weil das so lange dauert mit dem Fleisch (und den absolut erforderlichen Ingredienzien). Es handelt sich hierbei um eine Spezialanfertigung für Töchterleins aus altem, sechshundertjährigem holsteinischen Schmiedegeschlecht in Küstennähe. Nur daß dort, wo über die Jahrhunderte immer ein Topf über der Esse hing und folglich immer irgendwie etwas zu essen vorhanden war für die hart arbeitende Belegschaft, hier nach geradezu ewig währender Prozedur des Zubereitens, etwa wie bei der Anfertigung eines Messers, das den Koch ein Leben lang begleitet, alles in Sekundenschnelle im Orkus (oder wie man das in diesem Fall sonstwie nennen mag) der Geschichte entschwindet (ansonsten hat man's nicht so mit der Historie). Bei den erwähnten Schnitzeln sieht es noch ärger aus. Während der Schnitzelschmied nach zweitägig andauernder Fertigung Dutzender Damaszenerschwerter erschöpft neben die Esse sinkt, verschwinden die allesamt in einer kaum wahrnehmbaren Geschwindigkeit in den Schlündern dieser zauberhaften Schlucker, die dann auch noch den begleitenden Gurkensalat vertilgen, den sie andersgeartet nie auch nur anrühren würden.

Sogar Mimi macht da mit. Auch wenn sie sich mal wieder die Rosinen (ohne Gurkensalat) herauspickt. Sie kann den alten Adel dann halt doch nicht verbergen. Wahrscheinlich, weil die Revolution da oben nie angekommen ist.

Ich sehe es nahen: Hart arbeiten werde ich wieder mal müssen.


pastiz   (22.01.10, 18:39)   (link)  
Ich wähnte...
...Sie bereits unter einem lawinengleichen Berg Arbeit verschüttet und niemals mehr etwas von Ihnen zu hören/lesen. Umso mehr freut es mich, Sie wieder als Privatier zu sehen. Auch ich hatte dereinst samtige Vierbeiner, allerdings eher von Seeräubern abstammend, so ich mindestens den Kater Hägor nennen musste, der sich leider infolge ausufernden Übermuts in den Abgrund stürzte und verschied. Seine Gespielin, eher das aristokratische Geschöpchen, verliess mich schnöde um eines andern willen und deren Nachfolgerin, eine kleine Punkpfote musste ich schniefend vor Trauer einschläfern lassen aufgrund der Fahrlässigkeit eines Verkehrrowdies. Das war ein wahrlich schwerer Schlag.


jean stubenzweig   (23.01.10, 14:12)   (link)  
Die Zeiten sind vorbei,
in denen ich mich unter Lawinen verstecke und so zu tun, als würde ich arbeiten. Nein, immer nur mal ein bißchen Rentnerdichtung. Länger verschwunden zu sein, bedeutet bei mir allenfalls, in einer kleinen Calanque zu liegen. Dort gibt es keinen Computer, kein Telephon, ja nicht einmal ein sogenanntes gutes Buch, nur wirklich gutes Essen und ebenso Gutes zum Nachspülen.

Aber ja, Katzen. Immer schon wollte ich welche, was aber nie ging, weil ich ständig unterwegs war. Zudem behagte mir der Gedanke nie, so ein armes Vieh in einer Stadtwohnung eingesperrt zu halten. Die aus meinem Bekanntenkreis waren alle irgendwie – verständlicherweise – neurotisch. Aber vielleicht lag's ja an den Tierliebenden. Als mich dann eines meiner vielen Schicksale auf dem Land ablud, kam sofort Mimi ins Haus – und, als sie soweit war, sie in ihre Freiheit. Trotzdem ruft sie gerne nach mir. Aber klar, sie muß ja hin und wieder nachschauen, was ihre nahe Verwandtschaft so treibt. Und was tut sie dann? Mich unterhalten? Von wegen. Rumliegen tut sie. Und fressen.

Dennoch – ich hatte ja gerade Günter Behnisch erwähnt, mit ihm halte ich's: «Wenn jemand Gemütlichkeit braucht, soll er sich eine Katze anschaffen.» Aber sie machen's eben, wie's ihnen gerade so paßt. Ich muß von Katzen abstammen.


charon   (23.01.10, 02:17)   (link)  
schlaeft die marquise denn auch im federbett? ich hoerte, darin schlaeft man so weich. besitzer eines strassenkaters, habe ich mich eher darum zu sorgen, die butter rechtzeitig vom tisch zu raeumen. im uebrigen habe ich meinen namen geaendert, nichtwissend, ob dies ueberhaupt opportun ist.


jean stubenzweig   (23.01.10, 13:09)   (link)  
Federbett, vielleicht Daunen
aus eigens lustvoll gerupften Vögelein? Ach, das hätte sie wohl gern. Das ist, wie oben erwähnt, absolute Tabuzone. Ich habe ihr beizeiten beigebracht, daß in der hiesigen Behausung die Grenze für sie sich an der Galerie befindet. Mein da oben stehendes Bürobett gehört allein mir. Auch Tische et cetera sind verboten. Gefressen wird auf ihrem Niveau. Dafür darf sie draußen alle Bäume ihrer (ja nun wirklich nicht so kleinen) Welt erklimmen. Madame Mimi ist schließlich eine Landadlige. – Aber nennen Sie mir eines dieser anschmiegsamen Tierchen, selbst kanadische Straßenkater, die das nicht gerne täten: weichgebettet von ihren antiken Vorfahren, von einem Dasein als Gott träumen?

À propos Antike und Götter: Haben Sie eine neue Position als Fährmann der Unterweltwissenschaften bezogen? Oder zahlt Kanada so schlecht, daß Sie einen Zweitjob annehmen mußten? Pro Leichenfuhre in den Untergrund einen Dollar.
Nennen dürfen Sie sich, wie Sie wollen. Aber ob man Sie noch erkennt, erkennen will mit diesem dunklen Namen? Mir gefällt er. Aber ich war ohnehin immer jemand, der's mit der Dunkelheit hat.

Aber jetzt schlafe ich erstmal weiter in meinem weichen Bettchen.















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