Schweizerdeutsches

Die Dame Damenwahl verkündet, sich in der Schweiz niedergelassen zu haben. Nun gut, dort wird es sich etwas anders leben als in den USA, in Tunesien oder auch im Kongo. Und schon setzt sie Hilferufe in die Welt ab, um der Vereinsamung zu entgehen. Aus ist's mit den gemütlichen Buschfeuern in Wien oder Washington. Schleichend wandelt sie sich um, die Sehnsucht nach menschlicher Wärme in glanzlose Kaufräusche in gigantomanischen Supermärkten, den Wahrzeichen einer Nation des Geldes. Und dann diese Blicke an den Kassen. Schon wieder so eine, die so seltsam spricht.

Photographie: pizzodisevo CC

Vert riet ihr vor zwei Tagen, sich nicht «unterkriegen» zu lassen, und verwies dabei auf einen Pressetext des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), dessen Schlagzeile lautet: «Germanophobie in der Schweiz». Die Deutschen, so eine Studie des WZB, «belegen [...] den vierten Platz nach den Migranten aus Ex-Jugoslawien sowie arabischen und türkischen Einwanderern». Gleich gar von «Anfeindungen» Deutschen gegenüber ist die Rede, auch unter gut ausgebildeten Schweizern. Dazu heißt es unter anderem: «Das widerlegt die in der Migrationsforschung bislang im Vordergrund stehende These: Je gebildeter Menschen sind, desto weniger fremdenfeindlich sind sie.»

Mir stellt sich jedoch zunächst einmal die Frage: Wer ist ein «gebildeter» Mensch? Das hat spätestens seit der Ausrufung Bolognas zur neuen europäische Bastion gegen eine Art neuirdischer Intelligenz eine enorme Perspektivenverschiebung erfahren; man erlebt es über studierende Kinder oder in der direkten Konfrontation an den Hochschulen. Nun ist Bildung nicht mit Intelligenz gleichzusetzen. Aber Klaus Jarchow hat vor ein paar Tagen im Stilstand eine bemerkenswerte und einiges klarstellende Verbindung hergestellt, der ich mich gerne anschließe: «Das Bild, das sich inzwischen zeigt, bietet eine Erklärung dafür, weshalb so viele junge Menschen bei formal hoher Qualifikation trotzdem dumm und unflexibel bleiben.» Eine besondere, «private» Bezeichnung hat er für sie und führt aus:

«Nun stelle man sich einen jener Ölprinzen vor, der von seinen ‹Eislaufeltern› schon im Kindergarten auf Erfolg und Anpassung an das Bestehende gedrillt wurde. Er ist von Anfang an unter Ähnlichen, er lernt, dass es nicht Anbetungswürdigeres gibt als den Erfolg, der sich wiederum in Schulnoten ausdrückt, er besucht eine Eliteschule, wo er von allem Divergierenden ferngehalten wird, er studiert mit dem Ziel eines möglich raschen Einserexamens, was er auf leichtem Wege erlangt, indem er die bestehenden Welterklärungsmodelle seines Jura- oder BWL-Professors möglichst Eins-zu-Eins rezipiert und in dessen ‹Frames› zu denken lernt. Sein Gehirn wird dadurch auf eine bestimmte Art ‹verdrahtet›, das Alte reproduziert sich, nur das ist richtig, was seine Synapsen künftig feuern lässt, alles ist andere falsch. Die Folge: Alternative Denkmöglichkeiten sterben ab, zumindest sind sie nicht ohne weiteres mehr im Denkraum aktivierbar.»

Zu einem Teil dürften sich darunter diejenigen «gut ausgebildeten Deutschen» befinden, die, wie es zur Studie heißt, «seit Ende der 1990er Jahre in großer Zahl in die Schweiz eingewandert sind». Ich begründe meine Vermutung auf persönliche Erfahrungen. Einige Jahre war ich sowohl privat als auch beruflich mit der Schweiz verbandelt. Auch wenn die Bandeleien etwas ausgeleiert sind, so ist der positive Bezug zum Land nach wie vor vorhanden, auch wenn ich mittlerweile in bestimmten Ländern von ganz bestimmten Leuten als grundsätzlich verdächtig ausgemacht werde, wenn ich meine schweizerische Kreditkarte vorlege. Aber vom Monetären völlig unabhängige Freundschaften sind mir geblieben, vielleicht nicht nur, weil nicht alle Eidgenossen dort einen Geldsack haben, wo bei anderen das Gehirn sitzt, eher wohl deshalb, da ich nicht wenige Schweizerinnen und Schweizer als hellwache, kritische und ausgesprochen humorvolle Geister kennengelernt habe. So manches Mal habe ich gedacht, die Ursache für beispielsweise soviel gescheite Kunst könnte darin liegen, weil es ein wenig eng ist im Land und damit in den Köpfen der meisten. Ob es stimmt, habe ich bis heute nicht herausgefunden. Aber eines weiß ich mit Sicherheit: Es ist es so einfach wie überall. Ein wenig Bereitschaft, sich einzufügen, hier eben an die schweizerischen Eigenarten, und es fließt einem die versammelte klassische Intelligenz entgegen. Frau Damenwahl wird bald in diesem angenehmen Plätschern stehen.

Als ich zum ersten Mal via Äther normal theatralisch über die Schweizer kam, sprach die Schulfreundin der Gefährtin in etwa so (ich bin leider des Bärndeutschen nicht mächtig, aber dazu muß man ohnehin in einem Graben geboren sein): Das mag ja alles sehr klug klingen und auch alles richtig sein — aber der spricht ja Bühnendeutsch. Genau, ich bin schließlich schluß- — nein, das haben die Deutschen, völlig vorurteilsfrei, ebenso von dort geklaut wie weitere leichte, nicht nur sprachliche Verunfallungen, etwa das anderswo mittlerweile strafbewehrte Wegschmeißen von Zigarettenkippen oder Papiertüchlein —, letztendlich deutsch kultiviert worden. Da bleibt ein gewisses Knarzen oder Schnarren nicht aus. Und wenn sie etwas nicht ausstehen können, darin sind sich die im europäischen Meer quasi verwarften Insulaner einig, dann das. Wenn sie dann kommen, und es knarzt und schnarrt wie bei den alle Weisheit in sich vereinenden Ölprinzen, dann werden sie leicht sperrig. Daß sich die Franzosen und Italiener leichter tun im Land als die Deutschen, dürfte nicht alleine daran liegen, daß auch diese Sprachen zur Eidgenossenschaft unterschiedlichster Berg- und Talvölker gehören. Wenn es auch komisch auf mich wirkt, wenn die Bernerin über den Röstigraben hüpft und als dorthin Umgezogene dann auch den zuhause Gebliebenen lieber Briefe in einem zum Worterweichen schlimmen Französisch schreibt. Das erinnert mich dann ein wenig an die deutsche Bahn, die ihren Germslang talgenden Usern ihre Internationality demonstraten will, was sicherlich viele ziemlich cool finden. Aber welche Sprache spricht denn der in die Schweiz Rübergemachte außer seinem Bühnendeutsch und eventuell seinem Terminienglisch? Schwäbisch vielleicht, aber mit Sicherheit nicht Rätoromanisch. Überhaupt ist dieses Land ein köstlicher Sprachen- und damit Mentalitätentopf. Gut, überkochen tut er eher selten, allenfalls wenn man ihm an die Würze der Eigenheiten will. Und wie fleißig und vernünftig geht, das wissen die Schweizer selber. Aber diese vermehrt übers Ländchen kommenden Nachbarn meinen nur zu gerne, die Regeln dafür erfunden zu haben — und die dann anderen, vor allem auf die Schnelle, erklären zu müssen. Ich kenne diese Krankheitssymptome — an mir.

Allerdings habe ich mich durchaus gerade dort immer wieder mal belehren lassen: Es gibt viel zu tun — warten wir's ab. Beispielsweise wie Madame Damenwahl das angeht.
 
Sa, 20.02.2010 |  link | (2743) | 5 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Unterwegs


gminggmangg   (20.02.10, 11:41)   (link)  
Wenn man hie desume in "gebildeteren Kreisen" gegen eine in der Schweiz lebende Minderheit darf syrachne, dann am gefahrlosesten gegen die Dütsche. In Bezug auf sie sind Aussagen und Verallgemeinerungen erlaubt, dass eim d Haar im Äke obsi stöh. (Beinah noch) aktuell war hier der Begriff "deutscher Filz" i jedere Schnure und das Phänomen der zahlreichen qualifizierten deutschen Arbeitnehmer wurde in den Medien (wie beispielsweise hier ) z'grächtem düredischpidiert. Aber also ich kenne auch e gäbige Dütsche, ehrlech!


jean stubenzweig   (20.02.10, 12:08)   (link)  
Ach ja, die SVP ...
Ich bin da nicht ganz so tief drinnen im Thema, aber ist es nicht so, daß Blocher und Gefolge nicht ohnehin alles Welsche am liebsten an die jeweiligen «Herkunftsländer» und nichtpietistischen Kirchen verschenken würden?


gminggmangg   (20.02.10, 12:41)   (link)  
Ja... Allerdings ist mir schleierhaft, wie der Tattergreis überhaupt noch ernst genommen werden kann. Er hatte ja mal ein gewisses rhetorisches Geschick, kann aber heute in Diskussionen kaum einen Satz vernünftig zu Ende bringen und aus seiner einst irgendwie pubertär anmutenden Kontroversität wurde infantiler Trotz. Hach.


jean stubenzweig   (20.02.10, 13:26)   (link)  
Die andere Schweiz
ist das eben, wie das Italien Berlusconis und so weiter und so fort. Ein Jean Ziegler dürfte hingegen überwiegend als Spinner abgetan werden. Oder als Vaterlandsveräter, wie auch immer.

Ich habe obendrein den Eindruck, die Germanophobie-Schlagzeile des WZB-Pressetextes orientiere sich ein wenig an diesen wackeren Recken, die die Schweiz ausfegen wollen. Und das, obwohl beispielsweise die NZZ-Graphik und auch der Bericht doch eine eindeutig gegenteilige Sprache zu sprechen scheinen. Dabei mag wohl angemerkt sein, daß der NZZ kaum Linkslastigkeit unterstellt werden kann.

Am Rande: Daß bei Radio DRS auch ein Teilstückchen deutsch-germanistische Kultur eingezogen ist, wird die Qualität wohl eher nicht mindern. Aber in solch (vagen) Andeutungen bin ich jetzt vielleicht von einer leicht schnarrenden Ungerechtigkeit, da meine (gleichwohl ausnahmslosen besten!) Erfahrungen doch in eine Zeit zurückreichen, in der Sie beispielsweise Reflexe (der Link für diejenigen, die die Sendung nicht kennen) noch nicht gehört haben dürften (meine Mitarbeit endete, als ich 1986 nicht ganz so schweren Herzens dem Journalismus entsagte).


damenwahl   (20.02.10, 17:25)   (link)  
Lieber Herr Stubenzweig, den Beitrag über die Ölprinzen habe ich auch mit Interesse gelesen und vermeinte, die Denkstrukturen des ein oder anderen Bekannten aus BWL-Zeiten wiederzuerkennen. Davon abgesehen kenne ich ja noch kaum Schweizer, aber nett sind sie auf jeden Fall. Im Zug, auf der Straße, im Laden - immer freundlich. Vielleicht nehme ich das aber auch nur so wahr, weil ich das Deutsch so putzig finde. Der generelle Sprachmix hingegen, das Französisch in der Bahn, eben Französisch sogar auf der Straße - finde ich großartig. Sowas freut mich immer, egal wo.















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Jean Stubenzweig motzt hier seit 6023 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 07.09.2024, 02:00



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