Astronomenalltag


Ein Buch samt Waschzettelsammelsurium kam mir aus einem Karton entgegen, das ich schleunigst in den alten Giftschrank retten mußte. Aber zuvor nahm es mich seiner an.

Der Astronom Nicolaus Copernicus war zu Lebzeiten weniger bekannt als Astronom denn als Arzt und Administrator. Die vorliegende Ausgabe enhält zwanzig Briefe, die von ihm stammen oder ihm mit hoher Wahrscheinlichkeit zugeschrieben werden können. Deren häufigster Adressat ist der ermländische Bischof Johannes Dantiscus (1485–1548). Der einzige erhaltene wissenschaftliche Brief, eine ins Persönliche gekleidete astronomische Abhandlung aus dem Jahr 1524, die an den Krakauer Domherrn Bernhard Wapowski gerichtet ist, wurde in dieser Edition nicht berücksichtigt; sie wird — so die Begründung der Herausgeber (1994) — einem künftig erscheinenden Band von Kleinen Schriften vorbehalten bleiben. Der übrige Briefwechsel zur Astronomie, der sehr umfangreich gewesen sein muß, gilt als unwiederbringlich verloren.

Ein interessantes Detail ist das Schreiben Copernicus' an seinen langjährigen Freund, den ermländischen Domherrn Felix Reich. Hier kommt der preußische Finanzexperte wieder ins Bild. Darin erläutert er Einzelheiten aus den zähen und langwierigen Münzverhandlungen zwischen dem polnischen König, den preußischen Städten und den Vertretern des Deutschen Ordens. Weniger zahlreich sind die die von Copernicus empfangenen und erhalten gebliebenen Briefe. Ihr häufigster Absender ist der Hochmeister des Deutschen Ordens und spätere preußische Herzog Albrecht von Brandenburg, der Copernicus häufig in medizinischen Fragen und Notsituationen konsultierte. Ein dritter Teil der Edition versammelt Auszüge aller Briefe von Zeitgenossen des Copernicus, in denen sein Leben oder seine wissenschaftliche, ärztliche und administrative Tätigkeit erwähnt werden.

Neben den großen, die Geschichte der Reformation begleitenden historischen Ereignissen, dem letzten Krieg zwischen Polen und dem Deutschen Orden, dem Machtkampf zwischen Bischof und Domkapitel und der mühseligen Arbeit an der Drucklegung seines Werkes kommen viele kleinere Begebenheiten im Leben von Copernicus zur Schilderung, etwa die Auseinandersetzungen um den Elbinger Karneval von 1531, auf dem der katholische Klerus karikiert wird, oder Copernicus' Haushälterinnenaffäre, die zu einem scharfen Verweis des Bischofs führt, sind von einer Anmutung, als hätten sie sich justamente abgespielt; nun ja, jedenfalls zu einer Zeit, als katholische Kirchenobere noch ordentlich Haushalte und evangelische noch keine Fahrzeuge führten.

Anhand der Briefausgabe läßt sich die Frage nach Copernicus' geschriebenen Sprache, die nichts mit der immer wieder unternommenen und ebenso müßigen Suche nach seiner Nationalität zu tun hat, schnell beantworten: in der Regel in einem korrekten, aber nicht sonderlich eleganten Gelehrten-Latein. Einige seiner Briefe, besonders diejenigen, die an Hochmeister Albrecht gerichtet sind, wurden deutsch verfaßt; in einem stark mundartlich eingefärbten Frühneuhochdeutsch, dessen Orthographie und Grammatik auch in ein und demselben Brief variieren. Genau das Richtige für mich, der ich mich vom altmodernen Sprachpuristen zum Gegner jedweder Gängelei wandle — Nieder mit der Ottografie, freier Blick auf Oxitanien. Auch Radikalreformer sähen hier kein Wörtchen Land mehr. Höchste Erheiterung.

Trotzdem sind die deutschen Briefe — von speziellen Begriffen abgesehen, die in den Anmerkungen erläutert werden — auch ohne einschlägige Vorbildung recht gut zu verstehen. Die lateinischen Briefe wurden allesamt ins Deutsche übersetzt — größtenteils zum ersten Mal. Gerade das macht dieses zwar schlanke, aber durchaus hochstehende Buch auch für den kulturhistorisch interessierten Laien zu einer interessanten Lektüre. Den umfangreichen editorischen Apparat darf er, muß aber nicht, dabei getrost beiseite lassen.

Aus den kleinen Mitteilungen am Rand des historischen Geschehens, den Schilderungen von Lebensumständen und alltäglichen Sorgen, entsteht in Umrissen ein lebendiges, gar lebhaftes Portrait des großen Gelehrten. Diese insgesamt an wissenschaftlicher Akribie nichts zu wünschen übrig lassende Edition läßt sich auch als Biographie in Briefen lesen. Die teilweise umfangreichen Erläuterungen in den Kopfregesten (res gestae = getane Dinge) stellen den Kontext her und liefern dort Verständnishilfen, wo der reine Text viele Fragen offen läßt. Anders als frühere, ideologisch gefärbte Lebensbeschreibungen erlaubt dieser vor Mäusen und Mardern gerettete Schatz einem Altgierigen wie mir, sich einmal mehr ein Bild von Copernicus und seiner Zeit vorzustellen. Quasi Kopfkino. Eben auch ohne bunte Bildchen.

Die vielzitierte Mahnung von Johann Gustav Droysens an die Historiker (auch an die dilettierend delierenden?) — «Das Factum steht nicht in den Quellen» — hat nach wie vor ihre Gültigkeit. Aber der Trüffel läßt sich auch vom gemeinen Schwein erschnüffeln.

Komplette Übersetzung des oben abgebildeten Briefauszugs:
Ehrwürdigster Vater und Herr in Christus, gnädiger Herr. Mit dem gebührenden Erweis von Gehorsam und Verehrung. Ich habe von Euch, Ehrwürdigste Herrschaft, einen Brief erhalten, den eigenhändig an mich zu schreiben Ihr erneut geruht habt, und der zuvorderst eine Mahnung enthielt. Diesbezüglich bitte ich demütigst, es möge Euch, Ehrwürdigste Herrschaft, nicht entgehen, daß die Frau, derentwegen Eure Ehrwürdigste Herrschaft mir geschrieben haben, sich nicht auf meine Veranlassung oder mein Zutun hin verheiratet hat, sondern, als sich dies so ereignete, bemühte ich mich mit höchstem Eifer, da sie früher bei mir eine treue Dienerin gewesen war, jene zu veranlassen, ehrsame Eheleute zu bleiben. Darüber wage ich es, Gott zum Zeugen anzurufen, aber auch die Eheleute würden das beide auf Befragen hin bestätigen. Aber als sie sich über die Impotenz ihres Mannes beklagte, was dieser bei der Verhandlung und außerhalb zugab, waren meine Bemühungen umsonst, denn der Prozeß fand statt vor dem Herrn Dekan, Euer Ehrwürdigsten Herrschaft Neffen guten Angedenkens, dann vor dem verehrten Herrn Kustos; ob er oder sie, oder ob beide in gegenseitigem Einvernehmen auseinandergegangen sind, kann ich nicht sagen. Ich gestehe aber Euer Herrschaft, um zur Sache zu kommen, daß diese Person, als sie kürzlich mit ihrer Freundin aus Elbing vom Markt in Königsberg hierherkam, bei mir bis zum nächsten Tag geblieben ist. Da ich einsehe, daß mein schlechter Ruf davon herrührt, werde ich mich so verhalten, daß keiner gerechte Veranlassung hat, von mir erneut Schlechtes zu denken, besonders auf die Ermahnung Euer Ehrwürdigsten Herrschaft hin, der ich gern in allem gehorchen möchte und der ich auch Gehorsam schulde, mit dem Wunsch, daß meine Dienste immer genehm seien.

Frauenburg, den 27. Juli 1531.
Eurer Ehrwürdigsten Herrschaft
im Buch Seite 162f.


Nicolaus Copernicus
Briefe, Texte und Übersetzungen
Akademie Verlag, Berlin 1994. XXIX, 413 Seiten, sechs Faksimiles
Documenta Copernicana, Bd. VI,1

 
Mo, 19.07.2010 |  link | (1754) | 2 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Kopfkino


nnier   (20.07.10, 13:34)   (link)  
Ich schwöre, da war nichts! Gut - im nachhinein sehe ich ein, wie das aussieht, wenn zwei fremde Frauen über Nacht bei mir bleiben ... kommt nicht wieder vor!


jean stubenzweig   (20.07.10, 17:21)   (link)  
Brisantes Fernsehen
ist nichts dagegen, Sie sehrfrühaufgeklärter Geist! Hier nämlich wurzeln die Mixages des Lebens. Kopfkino eben.















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