Im Namen der Liebe

Mein Name ist Patois. Der Name rührt daher, daß man mich nicht versteht. Man(n) ist derjenige, der sich seit nunmehr vier Jahren einbildet, er sei mein Herr, weil er mir zu fressen gibt. Dabei bin ich es, an der er sich festbeißen darf, allerdings ohne daß er damit einen auch nur nahrungsähnlichen Gewinn erzielt. Noch bevor ich aus den ägyptischen Tempeln des Göttlichen in die Welt geworfen wurde, ist er aus dem nördlichsten Frankreich fast in den Süden umgesiedelt, in den Margeride, der im oberen Bereich des Massif Central liegt, also am Anfang südlicher Geographie, in der bezweifelt wird, es könnten oberhalb des Breitengrades von Lyon, des französischen «Weißwurstäquators», überhaupt Menschen leben, die sich auch noch verständlich artikulieren können, also nicht Barbaren, was soviel heißt wie Stotterer oder Stammler, barbarische Preußen und ferne Blutsanverwandte eben (ein wenig streift das ein Thema, von dem oben erwähnter Herr mir einmal vorlas, weil er keine sich nur für die Vögelei da draußen interessierende, also ungebildete Katze im Haus haben wollte und das er einmal irgendwo aufgeschnappt hatte bei anderen, die sich für mehr interessieren als das Aussteigen aus einem zivilisierten Leben). Als er dort ankam und die Bar des kleinen Städtchens betrat, an dessen äußerstem Rand beziehungsweise hoch oben auf einer Zweisiedelei er sich ein, wie er es gerne nannte, «Refugium» erstanden hatte, einen seit zwei Jahrzehnten verlassenen Bauernhof fernab jeder Zivilisation, also für menschliches Leben denkbar ungeeignet, was er als studierter Psychologe verständlicherweise nicht wissen konnte, und einen kleinen Roten bestellte, schaute man ihn unverständlich an. Darauf besann er sich seiner Pariser Zeit, die vermutlich jeder Franzose einmal gehabt zu haben glaubt, und redete in der Sprache, von der er meinte, daß sie Hoch- oder zumindest richtiges Französisch sei. Daraufhin rissen die Einheimischen die Augen auf und befleißigten sich fortan einer Sprache, die nur sie verstehen und die in anderen Ländern sich auch gut machte als Name für gehobene Katzennahrung: Patois. Dieser französische Begriff für Dialekt könnte nämlich, vor allem für die zwischen Rhein und Oder-Neiße Angesiedelten, ein wenig nach jener ehrfurcht- und auch abstandgebietenden Exotik klingen wie etwa Bries oder Froschschenkel oder Schnecken, eben nach all dem, das sie sich schaudernd besonders gerne im Fernsehen anschauen, aber nicht essen, weil es ihnen so fremd ist: feine Küche. Die kennt Frankreich zwar auch erst, seit Caterina de' Medici angeschmacks des dortigen Essens laut klagend ausgerufen hatte, so etwas würde bei ihr zuhause in Florenz nicht einmal Tieren zum Fraß vorgeworfen. Aber das ist etwas, das man im Land der Nouvel Cuisine nicht hören will und das deshalb auch nicht in rechtsrheinisches Gebiet vordringt.


Auf Deutschland komme ich, weil ich im Namen der Liebe emigriert wurde durch meinen Herrn — der Einfachheit halber und sicherlich ein wenig despektierlich, aber dennoch berechtigt nenne ich ihn fortan —, den Futterherrn. Angeblich meiner Gesundheit wegen begab er sich Anfang dieses Jahres in eine deutsche Stadt, deren einzig Positives darin liegen dürfte, daß sie zumindest randhistorisch etwas mit meinem Heimatland gemein hat: sie liegt in Franken. Nürnberg heißt sie. Dort fand zu der Jahreszeit, die man im Nordosten Europas Frühling nennt, eine der seltsamsten Blüten statt, die die Genveränderung des menschlichen Gehirns bislang bewirkt hat: eine Messe für Tierzubehör. Wie Autozubehör. Das ist das, das die Deutschen noch ein bißchen mehr mögen als ihre Tiere. Auf dieser Verkaufsschau, die noch bedeutender sein soll als die Frankfurter Buchmesse, bei der die Bücher über Hamster-, Hunde- und Katzenpsychologie mittlerweile überwiegen sollen, wandelte eine Dame beruflich. Als von ihrem heimatlichen Institut für Nutztierbiologie an die hamburgischen Ermittlungsbehörden ausgeliehene, selbstverständlich im Land humanen Geistes promovierte Trophologin sollte sie dort synthetische Drogen aufspüren, die Hersteller in Nahrungsmittel für Tiere hineingaben, die von weitesten Teilen jener Bevölkerung, die bekanntermaßen höchst ungern Geld fürs Essen ausgibt, bevorzugt bei sogenannten Discountern gekauft wird und im allgemeinen als Ragout auch in menschliche Mägen, also in Kreisläufe gelangt und somit die Wirtschaft, die eine Gesellschaft nun einmal ausmacht, weitaus mehr schädigt als jede andere Spekulation, die nach dem Genuß natürlicher Beruhigungsmittel ingang kommen könnte.

Diese deutsche Forscherin kam an einem Stand mit sogenannten Feng-Shui-Delikatessen für frühgebärende Katzen mit meinem immer ratsuchenden Futterherrn ins Gespräch. Er fühlte sich von ihr derart angezogen, daß er sogar mit ihr in eines der sogenannten Wirtshäuser einkehrte und solches aß und trank, das er zuhause nicht einmal vor dem Bann der Caterina de' Medici zu sich genommen und auch mir nie serviert hätte. Die deutsche Formel von der Liebe, die durch den Magen hindurch gehe, schien bestätigt, denn sein Körper hatte sich in der darauffolgenden, glücklicherweise allein in einem dieser sogenannten Einzelzimmer mit viel zu engem Bett verbrachten Nacht gewohnten Abläufen verweigert. Dabei dürfte nicht nur sein katzengleich kurzes Gedärm sich aufgelehnt haben, das immer nach kleinen Portionen leichter Kost über einen längeren Zeitraum hinweg, also von etwa vierzehn bis vierundzwanzig, am besten aber, wie bei uns üblich, rund um die Uhr mit zwischenzeitlichen Verdauungsschläfchen verlangt, auch die ungewohnte Menge dunklen fränkischen Bieres forderte ihren Durchflußzoll. Tapfer traf er, entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten, pünktlich mit seiner hellhäutig, nachgerade alabastrig schimmernden Schönheit zusammen, die ihm rotglühend, vermutlich auch das ein Überbleibsel des vergangenen Abends, und leidenschaftlich die pharmazeutischen, also petrochemischen Anteile im Tierfutter aufzählte und analysierte, die drogensüchtig machten. Ihm klang das alles derart fanalistisch, daß er mich beinahe zwei Wochen länger als geplant Mäuse für die milchflußgestörte Mutterkatze jagen ließ, obwohl meine von mir in die Welt hinausgelassenen vier Entzückenden längst in städtischen Wohnungen stehende Kratzbäume zerlegten.

Als er endlich wieder aus dem rechtsrheinischen Paradies für uns göttliche Geschöpfe zurückgekehrt war, packte er einen Koffer und mich in einen gefängnisartigen Korb, den er auf dieser Messe für die Menschwerdung des Tiers noch rasch erstanden hatte. Schier endlos dauerte die Fahrt in meines Futterherrn winzigem Automobil, während der ich wie in einem Heim für ausgesetzte Tiere durch Gitterstäbe mit scheußlichen, Trockenfutter genannten Keksen verpflegt wurde, die nur ein dummer Hund freiwillig fraß, und auch die trotz allem durch mich nicht zu unterdrückenden «notdürftliche Rückstände» sehr grob «zur Entsorgung kamen»; er, als mehrsemestriger Student einer deutschen Universität der Sprache durchaus mächtig, hatte sich nach drei Vorträgen über Wellness im Tierreich eine CD mit einem Schnellkurs in neudeutscher Sprache zugelegt, der ich ebenfalls unentwegt ausgesetzt war. Nach geschätzten vierundzwanzig Stunden, in denen mir mindestens fünf Mäuse ohne Verfalldatum, Nachbars Kater, zweihundert Gramm Jungstiertartars vom dörflichen Charcutier sowie zwei Ecken feinsten Saint-Nectaire und einige Zünglein klaren Brunnens aus dem Massif Central entgangen waren, erreichten wir einen Hof, meinem alten Zuhause nicht unähnlich. Dort hatte mein Futterherr uns eingemietet. Die drogen- und tierfutterforschende Dame war ihm dabei behilflich gewesen. Sie wollte auch im Namen der Liebe nicht allzuweite Wege fahren müssen zu ihrem städtischen Arbeitsplatz, an dem sie die Verbrechen an den Nahrungsmitteln untersuchte, und auch die zweimal monatliche Fahrt in ihre Heimat an der fast nordöstlichen Grenze zu Polen entlang der Oder sollte nicht über zeitliche Ufer treten.


Wird fortgesetzt.
 
Mo, 30.08.2010 |  link | (4991) | 14 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Katzenleben


nnier   (31.08.10, 00:38)   (link)  
Was wird das denn!? Aber ja, hoffentlich wird das fortgesetzt! Und wenn Herr Stubenzweig dann mal wieder selber an die Tastatur darf, bin ich gespannt, was der Schnellkurs in Neudeutsch angerichtet hat.


frau braggelmann   (31.08.10, 07:52)   (link)  
mieeetszz, mieeetszz, mieeeeeetszzzzz


noiretblanc   (31.08.10, 12:04)   (link)  
Werter Monsieur Nnier !
Welches Tier kann solch einen Namen schreiben, geschweige denn sprechen. Das klingt ausnehmend nach der Eider-Grenze des Adam von Bremen, nach jütländischem, also anglischem Barbarentum. Wir südländischen, etwas dunkler pigmentierten Wesen sind davon weit entfernt.

Monsieur Stubenzwerg wurde ins Asyl geschickt, für einige Versuchsanordnungen. Er stammelte und radebrechte zuviel über Barbaren, obwohl er selber einer ist, zumindest einmal einer war – was im allgemeinen allzu rasch in Vergessenheit zu geraten scheint. Aber ob ausgerechnet er in der Lage sein wird, Ihnen das Neudeutsche munden zu lassen, muß präjudikativ infrage gestellt werden – bekanntermaßen hat er noch nicht einmal das Deutsche im Griff. Deshalb habe ich als Zwangsimmigrantin hier vorübergehend die Reaktion übernommen.


noiretblanc   (31.08.10, 12:33)   (link)  
Gnädige Frau Braggelmann !
Hat man auch Ihnen zuviel dieser Trockenfutter genannten Glückkekse in den Napf getan ? Denn um Neudeutsch scheint es sich bei Ihrer Schreibe nicht zu handeln. Allerdings scheint Ihre Sprachverirrung nur zu verständlich. Denn wie mir zugetragen wurde, ernähren auch Sie sich, wie wir katzenartigen Wesen, bevorzugt zu hundert Prozent von Fleisch. Wobei vielleicht einzuwenden wäre, daß sich davon in den meisten Bratwürsten vermutlich ebensowenig befindet wie in via Werbung hochgepriesener und damit -gepreister Dosennahrung.


ilnonno   (31.08.10, 12:42)   (link)  
Das stimmt so nicht ganz. Seit die Semmeln (Brötchen) so teuer sind, tun sie in Fleischküchle (Frikadelen, Buletten,...) wieder Fleisch.


noiretblanc   (31.08.10, 18:05)   (link)  
Und welche Stoffe
befinden sich dann in dem, das man Brot (Brötchen) genannt wird ? Kuchen ?


frau braggelmann   (31.08.10, 21:13)   (link)  
sehr verehrter (herr?) noiretblanc,
ich esse nicht nur wie eine katze, ich jage auch wie sie !
und auch der rest der brut bevorzugt " rattenfilet in dosen" in exquisiter zuckerhaltiger qualität aus schaum und träumen.
wie wärs ? ein essen bei kerzenschein im schuppen hinterm haus? miau


noiretblanc   (31.08.10, 21:42)   (link)  
Zwangsimmigrantin bin ich,
das ließ ich da oben verlauten bei meinem Hinweis, hier vorübergehend die Reaktion übernommen zu haben. Ich bin diejenige, die man vielleicht zu verschleppen vermag, aber deren Herr man nie werden wird.

Rattenfilet in Dosen. Ich bevorzuge zwar Jungbullenhodentartar, doch zur Not nähme ich auch ein Mäulchen mit Rattenembryoleber. Die Einddosung dürfte den Vorteil erbringen, daß durch die damit verbundene Erhitzung den Pestläusen der Garaus gemacht sein dürfte. Denn ich möchte keineswegs ein ganzes Land verseuchen. Das tun bereits andere mit Büchern oder dem Internet.

Ja, ich besuche Sie gerne. Kerzenlicht benötige allerdings nicht. Denn ich bin ein nachtaktives Tier.


frau braggelmann   (31.08.10, 23:02)   (link)  
madame ...
das mit dem NACHTAKTIV werde ich überprüfen , ja


terra40   (31.08.10, 13:38)   (link)  
holländisches Patois
Wir sprechen schon von unserer frühen Kindheit an ein ost-niederländisches patois, einigermaßen mit dem unverständlichen, weil binnensmunds ausgesprochen, westfälischen dialekt verwandt.
Dialekte werden immer seltener. Die jungen Leute bei uns sprechen eine eigene mobile sms internetsprache. Dagegen ist nichts einzuwenden: es ist der Lauf der Zeit. In zehn Jahren spricht keiner mehr den ursprunglichen Zungenlaut. Außer uns selbstverständlich.
Gruß, T.


patois   (31.08.10, 15:17)   (link)  
Mein Name ist Patois.

Pah.


noiretblanc   (01.09.10, 11:48)   (link)  
Fühlen Sie sich
auch so unverstanden ? Haben Sie deshalb Ihre Hütte verriegelt ?


jean stubenzweig   (01.09.10, 21:31)   (link)  
Gegen «Internetsprache»,
bester Herr der Bagatellen, ist durchaus etwas einzuwenden. Nicht nur, weil ich diese kakophone Krakeelerei kaum verstehe. Sondern weil es mit Sprache nichts zu tun hat. Denn die meisten haben ja nicht einmal eine im Griffel, geschweige denn, daß sie sie sprächen. Ich halte das durchaus für einen großen Verlust – eben auch von Identität. Jedenfalls für diejenigen, die heimatlos geworden sind, weil sie keine Sprache mehr haben. Diese EuroGlobalisierei erbringt doch nichts anderes als Flickwerk; Flickerlteppich nennen die Bayern das, zusammengestoppelt aus Überbleibseln. Oder müßte ich Patchwork sagen, damit ich besser verstanden werde?


terra40   (02.09.10, 23:04)   (link)  
Patchwork & Quilts
Lieber Herr Stubenzweig. Meine Frau macht - in feiner, sprachloser Handarbeit - die herrlichsten Quilts und Patchworks. Nicht selten sogar benutzt sie Überbleibsel früherer Arbeiten.
Im ernst: ich teile ihre Sorgen um den Sprachverlust. Aber man sollte, so denke ich wenigstens, deshalb nicht unbedingt vorwurfsvoll urteilen. Vielleicht entsteht eine neue Sprache und damit eine neue Identität. Die braucht nicht per se minderwertig zu sein.
Gruß, T.















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