Ruinen-Kult nach der Moderne

Die schöne Welt vor fünfundzwanzig Jahren

50 Jahre nach dem Bildersturm
[...] Tatsächlich scheint die Kunst des Dritten Reichs, scheint die dort verwendete Ästhetik in unserer Zeit, die allgemein als postmodern apostrophiert wird, eine gewisse Renaissance zu erleben. Jedenfalls halten allerlei Symbole, die untrennbar mit Nationalsozialismus und Faschismus verbunden sind, Einzug in die zeitgenössische Kunst. Allenthalben finden sich Hakenkreuze, auf Bildern, bei Aktionen, auch Rutenbündel und Opferschalen. Letzteres verwendete der Münchner Künstler Gerhard Merz etwa bei seinen Rauminszenierungen im Münchner Kunstverein und in der Kunsthalle Baden-Baden. Er und andere, so erklärte vor kurzem Manfred Schneckenburger, künstlerischer Leiter der documenta 8, «riskierten Pathos-Formeln, Strahlkräfte», die für uns »lange hohl und tabu gewesen« seien, es seien «Archteypen von Suggestivität, Monumentalität, Festlichkeit». Leni Riefenstahl Propagandafilm vom Parteitag 1934, Titel Triumph des Willens, gilt als Kultfilm, Albert Speers Architektur als genial, was bloß in Deutschland keiner wahrhaben wolle. Die Raumentwürfe des hitlerschen Leibarchitekten und Rüstungsministers sind wieder zu finden in Bildern und Inszenierungen renommierter zeitgenössischer Künstler heutzutage. Die Postmoderne — bringt sie, zumindest ästhetisch, den Faschismus zurück? Gewissermaßen im zweiten Aufguß? Jean Stubenzweig hat augenfällige Zusammenhänge entdeckt:
Nachdem Adolf Hitler das Tausendjährige Reich ausgerufen hatte, bediente er sich, um die Bevölkerung darauf einzustimmen, in hohem Maße der Architektur und der Kunst. Mit entscheidend war dabei, daß er seine Lieblingsdisziplin Architektur wieder heimholte ins Reich der Künste — ein Akt gegen die von ihm so gehaßte, vom Sozialen und Aufklärerischen bestimmte Architektur-Avantgarde. Die hatte 1933, dem Jahr, als der Möchtegern-Kunstmaler aus Braunau am Inn Reichskanzler wurde, die Charta von Athen veröffentlicht. Mit ihr forderten die Vorreiter einer neuen Architektur nicht nur Licht, Luft, Sonne und Grün auch für die weniger Betuchten, sie wies den Architekten auch eine neue Aufgabe im sozialen Bereich zu: Nicht mehr als Künstler sollten sie sich verstehen, sondern als Ingenieure, die kostengünstig möglichst viel Wohnraum schaffen. Dieser Modernen Architektur, auch Neues Bauen genannt, machten Hitler und seine Vasallen im Reichsbauministerium mit einer Baukunst den Garaus, deren Palette von der biederen Verzerrung des wieder aufgenommenen Heimatschutzstils hinreichte bis zum gigantomanischen Staatsstil im Sinne eines Hauses der Deutschen Kunst in München oder eines Zeppelinfeldes, dem von Hitlers Leibarchitekten Albert Speer geplanten Nürnberger Reichsparteitagsgeländes. Dieses auf Ewigkeit getrimmte Bauen nannte der Frankfurter Architekturhistoriker Dieter Bartetzko in seinem Buch Illusionen in Stein «Stimmungsarchitektur».

Nachdem während der ersten zwei, drei Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkrieges ein Teilaspekt der Modernen Architektur, nämlich das kostengünstige Bauen durch rationelle Planung und Teilevorfertigung, zugunsten eines Bauwirtschaftsfunktionalismus schamlos ausgeschlachtet wurde, verkündeten Stimmungsarchitekten den Tod der Moderne, einer Moderne, die in der Bundesrepublik Deutschland architektonisch wenn überhaupt, dann unter erschwerten Bedingungen stattgefunden hat. Trotzdem nannten sie und ihre Apologeten diese dann folgende, als neu propagierte Ansammlung von Versatzstücken aus den verschiedensten vergangenen Architekturepochen Postmoderne, also quasi Nach-der-Moderne — im übrigen ein Begriff, der bereits seit dem zweiten Dezennium unseres Jahrhunderts durch die Weltkulturrezeption geistert und den der US-amerikanische Architekturpublizist Charles Jencks von seinem literaturwissenschaftlich tätigen Bruder für seine Theorien übernommen haben soll.

Will man diese Postmoderne unbedingt verharmlosen, muß man sich denen anschließen, die der Meinung sind, es handele sich bei ihr um eine neue Romantik. Das kann sie jedoch nicht sein, denn in und mit der Romantik hat man zwar versucht, den negativen Teil der Aufklärung aufzuhalten, den ideologischen Auswüchsen entgegenzusteuern, nicht jedoch, die Aufklärung an sich zu liquidieren; dazu waren in ihrem Namen zu viele kritische Geister unterwegs. Allesfalls ist die Postmoderne ein neuer Post-Historismus, der, um Jürgen Habermas zu paraphrasieren, die Welt als Ausstellung inszeniert und die genießenden Zeitgenossen geschichtslos gewordene Zuschauer verwandelt. (Schnitt)

«Stimmungsarchitektur», nennt Dieter Bartetzko das auf die Ewigkeit eines Tausendjährigen Reiches gerichtete Bauen der Nationalsozialisten. Als «Werk des schönen Scheins» bezeichnet Bartetzkos Kollege Heinrich Klotz die von ihm so heftig propagierte und verteidigte Architektur der Postmoderne. Hinter diesem schönen Schein Postmoderne, einer inszenierten Aneinanderreihung verschiedenster Baustile zurückliegender Epochen versteckt sich, so der Architekturhistoriker an der Bremer Universität Michael Müller, eine «Entpolitisierung kultureller Modernisierungsprozesse». Der Angriff der Postmoderne gegen die Moderne richte sich nicht gegen ihre Kunstrichtung, sondern gegen die Avantgarde-Architektur, die aus den ersten zwei, drei Jahrzehnten unseres Jahrhunderts hervorging und in ihrer kompromißlosen Trennung von Kunst und Architektur letzterer einen sozial- und kulturpolitischen Anspruch gab. «Solange wir nicht mit der Vorurteilslosigkeit des Betriebsingenieurs an die Stadtprobleme herantreten», so der Bauhaus-Lehrer Hannes Meyer, «erdrosseln wir durch Ruinen-Kult und überkommene Vorstellung das Leben der Stadt.» So rigide rational dies gerade heute auch klingen mag, wie klar steht es doch gegen die Stimmungsarchitektur, den Tempelkult, das Pathos beispielsweise des postmodernen Architekten Alexander Freiherr von Branca, dem Erbauer der Münchner Neuen Pinakothek. Von Branca ist der Meinung, «daß der Erwartungshorizont des Menschen von einer ungeheuren Vielschichtigkeit und Tiefe ist und daß von daher das architektonische Kunstwerk so angelegt sein soll, daß es diese Dimensionen erkennt, sie darstellt und ihnen antwortet». Seine Neue Pinakothek war einer der ersten der in den letzten Jahren eröffneten Museumsneubauten, denen eines gemein ist, wie Dieter Bartetzko feststellt:
«Pfeilerreihen, strenge Symmetrie, große Feierlichkeit, also Parallelen in der Postmoderne zur Staatsbaukunst.»
Und er gibt zu bedenken:
«Vielleicht ist diese Architektur sozusagen eine gebaute Gnade der späten Geburt. Will heißen: die Architekten gehen zu unbefangen und zu leichtfertig mit Motiven um und schaffen plötzlich Parallelen zur Nazi-Baukunst. Man kann sagen, daß bei der Kulturschirn man das zwar bemerkt hat, diese Parallele, aber nicht weiter darüber nachdenkt, sondern umgekehrt die Bevölkerung in der Zwischenzeit beginnt, dieses Bauwerk als feierliches Bauwerk zu schätzen und damit eben genau auch diese Unbedachtheit den Formen gegenüber jetzt auch in der Bevölkerung um sich greift.»
Eine detailliertere Antwort auf die Frage nach Parallelen zwischen postmoderner Architektur und nationalsozialistischer Baukunst gibt Dieter Bartetzko im Zusammenhang mit einem anderen Museumsbau, dem nach der Planung von James Stirling 1984 eröffneten Annex der Stuttgarter Staatsgalerie:
«Die Gesamtform des Gebäudes bezieht sich zum einen auf den Klassizismus, also auf den historischen Nachbarbau, sie bezieht sich aber sozusagen über alle Stationen der Geschichte hinweg auf das Urmuster eines Würdebaus, nämlich den Totentempel des Hatschepsut. Dazu hat sie ihre Pfeilerreihen, ihre Materialien, die Kalksteinverkleidung, und hat sie von der Stimmung, nicht vom Motiv her, das Wichtigste: die Rotunde. Die Großform der Rotunde hat neben dem Schinkel-Zitat als wichtigstes Motiv das der künstlichen Ruine. Das Absurde und Aufschlußreiche an dieser Architektur ist, daß die künstliche Ruine ihres eigentlichen Sinnes beraubt wird in diesem Motiv. Sie signalisiert nämlich Dauerhaftigkeit, Unveränderlichkeit, und damit würde ich die erste Parallele zu der Stimmungskunst der Nazis sehen. Alles, was von den Nazis gebaut wurde, vor allen Dingen in bezug auf die Staatsarchitektur, war eine inszenierte Architektur, so wie heute die Postmoderne inszeniert.»
Doch da ist auch noch die sogenannte Kleinform. Mit bunt gestrichenen Geländern, grünen Noppenböden, einer geschwungenen Glasfront, popfarbigen Türen wollte Stirling die Feierlichkeit konterkarieren. Doch nun verändern sich bereits die Farben, man paßt sie dem Stein an, sie erhalten einen pastellenen, würde-, stimmungsvolleren Ton.

Mit Tempelarchitektur hat auch die Raumkunst des in letzter Zeit so gefeierten Münchners Gerhard Merz zu tun. Seine postmodernen Räume, ob 1986 im Münchner Kunstverein, Anfang dieses Jahres in der Kunsthalle in Baden-Baden oder jetzt bei der documenta, seine kultischen Stätten voller kalter Pracht, der Weihe, Beklemmung und Einschüchterung erinnern nachhaltig an die Innenarchitektur etwa der hitlerschen Reichskanzlei.

Ein weiterer hochgelobter Künstler ist der nach Joseph Beuys international zur Zeit wohl renommierteste Repräsentant bundesdeutscher Kunst: Anselm Kiefer. Seine materialschweren, großformatigen und dräuenden Gemälde sind sowohl nach seiner eigenen wie auch der Meinung vieler Kommentatoren kritisch gemeint, was die Aufarbeitung nationalsozialistischer Vergangenheit betrifft. Doch selbst wenn dies zuträfe, so bliebe ein Aspekt nicht berücksichtigt. Dieter Bartetzko spricht ihn aus:
«Seine Zeichnung zum Beispiel, ich denke jetzt an das Gemälde Grabmal für den unbekannten Künstler, transportiert vollkommen ungebrochen und zelebriert diesen Totenkult, die Weihestimmung oder seine Zeichnung des Hauses der Deutschen Kunst. Also da macht er den Fehler: Er reproduziert nur die Feierlichkeit, aber er bricht sie nicht durch seine malerischen Mittel.»
Hier liegt das Problem, ein Problem, mit dem die Deutschen schon einmal nicht fertiggeworden sind: Die Ästhetisierung der Mythologie. (Wobei in unserer Zeit als typisches Symptom der Postmoderne noch die Überhöhung alles Mystischen hinzukommt, quasi als Gegenposition zur Vernunft, zur Aufklärung.) Unsere bauenden und malenden Künstler, die über ihre eklektizistische Vorgehensweise ein neues Geschichtsbewußtsein suggerieren, unterliegen einer fatalen Unbefangenheit. So beispielsweise der Schweizer Helmut Federle als Maler der sogenannten Neuen Geometrie, auch Neo-Geo genannt, einem durchweg diffus gehaltenen Ausweg (?) aus der konstruktivistischen Kunst etwa eines Max Bill, Piet Mondrian oder Richard Paul Lohse. Federle stellte, seitenverkehrt, ein Hakenkreuz dar und nannte sein Bild Asian Design — asiatisches Zeichen. Bei aller historischen Richtigkeit — wer so unbedacht mit diesen nunmal negativ besetzten Symbolen umgeht, muß sich fragen lassen, ob ihn am Ende gar nicht doch latent seltsame Sehnsüchte beherrschen — und seien es seitenverkehrte.

Ein weiteres Beispiel, das mögliche Folgen aufzeigt: In Frankfurt am Main, dem sogenannten Mekka der Postmoderne, steht zwischen Römer und Dom und neben der sogenannten historischen Häuserzeile aus den achtziger Jahren unseres Jahrhunderts eine neue Kulturhalle, die Kulturschirn. Ihr hat Volkes Stimme die — zunächst — ironisch gemeinte Bezeichnung Reichsparteitag angedichtet (wobei diese Architektur sich im Vergleich mit der geplanten Münchner Staatskanzlei nachgerade zurückhaltend gibt).

Diese Postmoderne von Architektur und Kunst ist also nicht harmlos. Schon alleine deshalb nicht, da sie verharmlost, Begriffe zu verwischen droht. Zudem zeigt sie in ihren Äußerungen bedenkliche Parallelen zum Kunstverständnis der Nazi-Ideologen auf: indem ihre Realisatoren hineingreifen in einen Farben- und Formensteinbruch des einfach nur Gestrigen und so mit Hilfe von aus dem historischen Kontext entrissenen Stilelementen eine zeitgeistige Formel des Vagen bilden: Das Ziehen der Wurzel aus einer Unbekannten.


Auszüge aus der der Sendung Verfemt, verfolgt, vernichtet. 50 Jahre nach dem Bildersturm, ein Magazin zur Kunstpolitik des Nationalsozialismus und deren Folgen. Mit Augzeugenberichten, historischen Tondokumenten und kritischen Reflexionen, Moderation: Wilhelm Warning.

Bayerischer Rundfunk (B 2), 15. Juli 1987, 20.05 – 21.45 Uhr.

 
Mi, 13.04.2011 |  link | (3181) | 8 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Form und Sinn


mark793   (14.04.11, 20:21)   (link)  
Ach,
ist diese Debatte auch schon wieder sooo lange her? Ich muss gestehen, dass ich die Diskussionen über die politisch ach so gefährliche Postmoderne seinerzeit teilweise recht hysterisch fand.

Echos solcher politisch korrekten Selbstvergewisserungsreflexe erreichten mich fast zeitgleich in anderen popkulturellen Zusammenhängen, etwa bei der (letztlich überwiegend haltlosen) Verdächtigung der Electronic Body Music, der "Neuen Slowenischen Kunst" und ihren musikalischen Botschaftern der Band Laibach, die zu den Inspirationsquellen von Rammstein gehörte, und da wiederholte sich diese Verdächtigungsgeschichte schon wieder.

Neulich hatten wir das Thema auch auf der dunklen Seite nochmal gestreift, wobei Herr Kreuzbube dankenswerterweie auch das Beispiel David Bowie ins Spiel brachte. Ich denke, man bleibt auf der oberflächlichsten Erkenntnisstufe stehen, wenn man bei so einem Thema nur die politisch erwünschten Reflexe spielen lässt und den Bedenkenträger gibt wie dieser von Ihnen seinerzeit zitierte Dieter Bartetzko. Man wird die Verwendung bestimmter NS-Elemente in der Kunst nicht erfassen, wenn man nicht auch den kalkulierten Kitzel der Grenzüberschreitung mit in Rechnung stellt und auch als solchen benennt - statt nur kopfwiegend-sorgenvoll herumzuraunen. (Was sich nicht auf Ihren Beitrag bezieht, sondern ein paar der Leute und Denkmuster, die da zu Wort kommen).


jean stubenzweig   (14.04.11, 21:52)   (link)  
Eine Frage ist das
sicherlich auch, wie tief und aus welchen Gründen man in der Debatte steckte. Ich gehörte sicher zu denjenigen, die das seinerzeit etwas verkniffener sahen. Vom damaligen Purismus habe ich mich, wohl auch wegen fortdauernder beruflicher Auseinandersetzung besonders mit dieser Thematik, dann doch einige Schritte entfernt, wobei das eine oder andere Gespräch auch mit jüngeren Zeitgenossen meinen Horizont um einiges hinaus gegen das Ende der Hochsee hin verschoben hat. Aber auch der «kalkulierte Kitzel der Grenzüberschreitung» bei manchen Architekten und Künstlern verdeutlichte sich dabei. Denn manch einer hat aus dem Antiideologischen eine neuerliche Ideologie gemacht, und sei es die, daß grundsätzlich nichts mehr in sich geschlossen sein dürfe und deshalb alles über den Haufen geworfen gehöre. Das halte ich bis heute für genauso verwerflich wie das Sprengen von Kulturdenkmalen. Es hat eben alles seine Zeit, und ich war (und bin) nunmal, ob ich will oder nicht bzw. eben auch durch meine Eltern aus kultureller Steinzeit, geprägt von einer Epoche, an deren Ende einer schlimmen Zäsur es unter anderem hieß, es sei unmöglich, noch Gedichte zu schreiben.

Die Situation dieser Zeit ist mit der heutigen ohnehin nicht vergleichbar. Hinzu kam schließlich auch die eklatante Entwicklung der Kunst und deren Markt, der obendrein auf geradezu abenteuerliche Weise Museumsbauten nach sich zog. Von Postmoderne wurde in den Neunzigern bald überhaupt kaum noch gesprochen, es wurde einfach nur noch querbeet «gemacht», der historische Blick auf die Ereignisse geriet zusehends ins Hintertreffen. Die ganz Jungen verstehen heute ja meistens nicht einmal mehr das Witzchen von der Post, die modern baut.


charon   (15.04.11, 12:14)   (link)  
Aus der Tiefe des stillen Raumes. Natürlich ist die Ideologie des postmodernen Bauens (und Denkens) hochpolitisch. Damals wie heute. Wie Sie erwähnen, dienen gerade die zahllosen Museumsbauten und die damit verbundenen zahllosen Museumskonzeptionen der 1980er Jahre als sehr eindrucksvolles Beispiel für die Durchsetzung ganz handfester (geschichts-) politischer Interessen. Erinnern Sie sich noch an die Debatten über die "Preußen-Ausstellung"? Klar verliert so etwas nach dreißig Jahren an Brisanz, zumal die Schlachten geschlagen sind und Preußen eh kaum einer mehr auf der Landkarte findet.


jean stubenzweig   (15.04.11, 19:26)   (link)  
Jenes militaristische Preußen,
das Wegbereiter war für ein tausendjähriges Reich, der nach Winston Churchill «Wurzel allen Übels»? Ja, wo isses denn? Es wird an mir gelegen haben, denn mir waren sogenannte preußische Tugenden schon immer unangenehm, mindestens suspekt. Und ich verbinde Preußen vor allem damit, daß Alsace et Lorraine wieder heim ins andere Reich kamen und es laut Hartmut Dorgerloh damit bzw. bereits 1871 unterging und nicht erst siebzig Jahre später. So, jetzt isses raus.

Aber wahrscheinlich lag meine Aversion daran, daß ich nicht einmal mit meiner eigenen Disziplin und dem dazugehörenden Gleichschritt zurechtkam. Denn selbst zehn Jahre auf der preußischen Hauptinsel vermochten mir solche Selbstgeißelungen nicht aufzuerlegen. Ich habe auch die Ausstellung nie gesehen, was jedoch in erster Linie daran gelegen haben dürfte, daß ich solche Massenereignisse, ob die nun Preußen, Stauffer, Wittelsbacher oder Fabergè (denken Sie an Frau und Kinder, nächstes Wochenende!), Tut-ench-Amun et cetera hießen, nie mochte. An die Debatte erinnere ich mich kaum, auch wenn ich sicherlich viel darüber gelesen haben durfte, was jedoch nahezu alles wieder weg ist. Wie Preußen aus der Erinnerungslandkarte radiert. Aber ich habe schließlich nicht das Gedächtnis eines Historikers.

Sicher ist das ideologische Vermischmaschen hochpolitisch. Die «damit verbundenen zahllosen Museumskonzeptionen» dürften aber auch noch einen weiteren, gleichwohl banaleren Hintergrund gehabt haben: Jeder sozialdemokratische, aber durchaus auch christlich volksnahe Oberbürgermeister meinte seinerzeit, sein tristes Kaff damit aufwerten zu können, und dabei kam die fröhliche Postmodernerei gerade recht, denn dann durften auch Architekten durch die Stile toben, die keine Honorar- bzw. Bausummenvorstellungen wie der Freiherr von Branca, Hans Hollein, James Stirling, Oswald Mathias Ungers oder andere hatten. Ein namentlich nicht genannter FAZ-Meister nannte das die «Tiefen einer urbanistischen und architektonischen Rumpelkammer». Dem Entwurf aus der Schublade, ursprünglich vorgesehen für einen stadtsparkassischen Geldspeicher wurden einfach ein paar Erkerchen, Gesimse, Giebelchen und Kapitelle angeklebt. Genau so, wie's auch die Häuslebauer bewerkstelligten. Was Antikes und so eben, auch fürs Innenleben, wie der in der Strandbar genossene geharzte (das mit dem Hartz kam erst später) Wein, mitgebracht aus dem Urlaub und nun gleich neben dem Außenkamin. Und schon war ein Geschichtsbewußtsein da. – Na ja, das war jetzt vielleicht ein bißchen polemisch. Aber ich habe damit immerhin die Kurve wenigstens zu den (wirtschafts-)politischen Interessen gekriegt.


einemaria   (17.04.11, 13:30)   (link)  
Freut mich,
daß das Thema der gefährlichen Postmoderne immer wieder mal beleuchtet wird. Diesmal von der mir unbekannten architektonischen. Ich dachte, die faschistische Architektur wäre eigentich nur ein nach oben erweiterter Schützengraben (Säulengänge), in dem man sich nicht verstecken können soll (Kalksteinverkleidung).
Ähnlich geht es mir mit der hartenlinie. Auf des Messers Schneide eben ... und nur nicht runterfallen ;) Die Definitionsgewalt übernehmen, den Futurismus neu entfachen und sozusagen eine späte Machtübernahme durch den Anarchismus einleiten - seitenverkehrt.
Sobald Dinge im Museum landen, sind sie kulturklinisch so mausetot, daß wir sie auch ohne Angst betrachten können. Außer der Mumie kam filmhistorisch noch kein Zombie aus dem Museum ... hoffe ich.

PS: Wer selbst in einem Natursteinhaus lebt, von knarzendem Holz umgeben, der möchte fast meinen, daß auch die Architekten von Hartz betroffen sind. Billige Rohstoffe und keine Mühe. Trockenmauern und mondgeschlagenen Balken ist mit CAD-Programmen nur schwer beizukommen. Was nicht in die vier Backformen passt, heißt Gaudi oder wird einfach ignoriert.


jean stubenzweig   (18.04.11, 07:41)   (link)  
Viele Architekten trinken
gehartzten Wein vom Billigheimer und werden davon besoffen. Aber trunken macht sie allein die Vorstellung von der eigenen Genialität, der Traum, ein Künstler im antiken, im klassischen Sinn sein zu dürfen, zu den Starlets der Baumeistershow zu gehören. Die meisten nimmt allerdings die Wirklichkeit so mit. Was glauben Sie wohl, weshalb soviele von ihnen zum Ausgleich vom wirtschaftlich erforderlichen CAD aquarellieren?

Ihre Ironie schätze ich ja ungemein. Aber bei der «gefährlichen Postmoderne» muß ich der ein wenig in die Parade fahren. Man kann mit Architektur durchaus gewalttätig gewaltiges Unheil anrichten. Und damit meine ich nicht alleine die Vergangenheit via Zille und dessen Metapher von der Axt und der Wohnung. Nicht nur Feng Shui ist eine Riesengaudí. Aber das habe ich hier zu großen Teilen unter Form und Sinn abgehandelt, wenn auch bei weitem nicht erschöpfend.


einemaria   (18.04.11, 22:37)   (link)  
OH, verstehen Sie mich nicht falsch, ob meiner unbedachten Ironie
Die Architektur, wie ich sie erlebe - und das ist vorwiegend auf der Stammstecke Münchens - ist bereits das maximal mir vorstellbare Horrorszenario. Fehlt eigentlich nur noch, daß die Glasfassaden nicht mehr aus Glas sind. Und ich kenne auch noch einen davon, der das verbricht.

Gewaltätig? Dazu bedarf es keiner Stadtsoziologie, um zu begreifen, daß sich nur noch fette kleine Nerds entwickeln, wenn man alles zersiedelt und dort, wo ich noch spielen durfte, jetzt nur noch Dehnungsfugen Platz finden.

Und dahinter steckt nicht Versoffenheit, blanker Stumpfsinn oder die reine Geldgier. Dahinter steckt Absicht - oder wie nennt sich das, was man für Geld tut, obwohl es gegen die guten Sitten verstößt?.


jean stubenzweig   (19.04.11, 08:42)   (link)  
Recht eigenwillig postmodern
wurde in München vor noch gar nicht allzu langer Zeit – ois is relladif –, quasi im Heimatschutzstil ein Schwabinger Kaufrauschhaus in die Einfallslosigkeit rückgebaut, als ob man einem Dorferl ein Mäanderl angepappt hätte. Erinnern Sie sich an den Süddeutschen, der seit einigen Jahren berlinisch im Frankfurter Sonntag ruht, von Hamburg aus «unsere kleine Stadt» beschrieben hat? Ich weiß gar nicht, ich war eine Weile nicht dort, ob inzwischen die Zwiebelürmchenbannmeile mittlerer Ring – im Hinblick auf olympische Finanzhöhen? – mittlerweile aufgehoben ist. Außerhalb des Frankfurter Rings strebt man ja schon länger ziemlich weltherrisch dem güldenen Himmel entgegen.

Ein Münchner Artistikdirektor hat mir gegenüber einmal den Verlust seiner verlorenen Kindheitserlebnisse auf den Äckern am Rand des Olympiageländes (wo ich ein halbes Jahr vor Tschernobyl die strahlende Mietpreisentwicklung kennenlernen sollte) beklagt. Aber er selbst eifert seit einigen Jahren seinem Vorgänger als Baumeister nahe des antiken Teils von Isar-Athen nach. Auch die Kunst will, ganz im kommunalen Sinn, ihren Marktwert immobil gesteigert wissen. Schön ist das alles nicht, nicht einmal im formalästhetisch im Sinn der Winckelmänner. Und die verstoßen bereits gegen die guten Sitten, obwohl es ihnen vermutlich gar nicht mal ums Geld geht.















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