Sich durchs Restleben trödeln?

Ich setze mein Plaidoyer fürs Altbe-währte fort.

All das erfüllt nach wie vor einwandfrei seine Funktionen. In meinen weit verstreuten Fundi befindet sich davon um einiges mehr. Ich gehöre zu denen, die aber auch nichts wegschmeißen wollen, und werde es auch noch so selten benutzt. Vielleicht sollte ich umsatteln vom rentnerischen Privatier zum allzeit bereiten Brocanteur. Aber das wäre dann wieder mit Arbeit verbunden, der ich mich, so lange ist das auch wieder noch nicht her, glückli-cherweise entziehen konnte.

In Marcel Pagnols Buch Le Château de ma Mère (1990 verfilmt zu finden unter der deutschen Übersetzung Das Schloß meiner Mutter), den zauberhaften Erinnerungen dieses Marseillais, in denen die provencalische Sonne wirklich aufgeht, im Kopfkino also, in dem es keine Hollywoodfilme braucht, lese ich auf Seite 162: «Mon père lui apporta un jour un livre qu'il avait trouvé chez le brocanteur.»

Aber man versuche heutzutage mal, ein Buch zu verkaufen. Der Trödler runzelt dabei nicht einmal mehr die Stirn. Tonnenweise hat er sie in seinen Hinterzimmern herumstehen. Ich habe vor einiger Zeit versucht, der höheren Lehranstalt des Töchterleins fast meine komplette Bibliomanie zu schenken, jedenfalls den Teil, der in vielen Kartons auf Dachböden dahindarbt. Nicht einmal doch immer wieder verlangte herausragende Wälzer zur bildenden Kunst konnten die verantwortliche erzieherische Jungakademikerin dazu verlocken, mal einen Blick darauf zu werfen. Frau Braggelmann ist die einzige mir näher Bekannte, die an ihnen noch Freude hat, bei der ich also ablagern darf. Aber selbst die läßt in letzter Zeit immer wieder mal Bemerkungen fallen, nach denen sie Überlegungen anstellt, Regale samt deren Inhalte um die Ecke zu bringen. Nun gut, sie brauche Platz für Kunst. Aber ob das eine Alternative ist? Mancher hat großartig gezeichnet und trotzdem, nein, gleichermaßen Erzählungen gemalt, Henri Michaux zum Beispiel. Und die kann man auch noch nach Lust und Belieben auslegen, mit Ein gewisser Plume ein deutschfranzösisches Wortgewusel treiben, in die Hartelinie übernehmen: Plüm est facé.

Kürzlich haben sie uns wieder neuerlichen Elektroschrott aufgenötigt, da angeblich die alte Technik nicht mehr ausreichend sei. Analog ist tot. Auch in die Ferne sehen läßt sich nur noch digital. Wer aber nimmt mir als Trödler die Gerätschaften zur Erstellung analoger Weltbilder noch ab? Ich bin doch nicht einmal in der Lage, die allerneuesten Daseinsformen zu verkaufen. Ich kann gar nichts verkaufen, geschweige denn handeln, eher erröte ich vor Scham bei dem Versuch, etwas als Schnäppchen zu verhökern. Einer wie ich legt da sozusagen gegenanteilig noch etwas drauf. Ich als Brocanteur non sédentaire müßte jederzeit damit rechnen, daß man mir seinen Abfall vom Glauben an den Fortschritt andreht, anstatt daß ich den meinen endlich loswerde. Vor einiger Zeit stand ich in Perpignan vor einer schlichten Flasche, mit deren Inhalt ich meinen Pastis aufzufüllen gedachte, auf daß er mir nicht gleich so ins Hirn stürme. Außerdem bildete ich mir ein, mit dieser Karaffe mir etwas von dem Gefühl des alten, richtigen, echten Anis, des Absinths also, in den Kopf holen zu können, den wohl dieser Nick Arus intus hatte, als er seines Herrn Raymond Quenau Manuskript entwich. Dabei bin ich, seit ich trinken kann, ein gnadenloser 51er. Gestürmt hat mich bei alledem der Brocanteur, indem er mir hundert Francs dafür abnahm. Als ich weiter so für mich hinflanierte über den Markt mit den vielen Weinproben, da stand noch einmal solch eine Falsche vor mir, für achtzig, die nächste für sechzig. Da habe ich das Trödeln aufgegeben.


Ich werde ab morgen ein Weilchen unterwegs sein, also richtig, so ohne Verbindung zur virtuellen Welt. Noch nicht beantwortete Kommentare und sonstige Anmerkungen mögen sich also bitte ein wenig gedulden. Denn jetzt ist erstmal Zeit fürs rentnerische Nickerchen.
 
Fr, 13.07.2012 |  link | (1611) | 2 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ertuechtigungen


enzoo   (14.07.12, 00:18)   (link)  
telegramm
aus nordstrand: das wetter könnte besser sein, nicht aber der gammel dansk, den ich auf ihr anraten gekauft und der labskaus, den ich auf ihre ermunterung gegessen habe (am heverstrom, ich bin sicher, sie kennen das haus und vermutlich die dortige küche auch). danke für diese geschmackliche entwicklungshilfe!


jean stubenzweig   (17.07.12, 13:14)   (link)  
Ein digital mundgemaltes
Ansichtstelegramm vom nordisch Strand. Wie schön. Ich danke Ihnen.

Das mit dem schlechten Wetter kennen Sie doch: Gibt's nicht. Lediglich die falsche Kleidung. In der überaus witzigen Eigenwerbung oder -darstellung des Norddeutschen Rundfunks, besser: Fernsehens werden die Einheimischen gezeigt, die gelassen, geradezu gemütlich im sturmtosenden strömenden Regen sitzen, dazu die Aussage: Das Schönste am Norden ist unser Reizklima. Reizvoll ist auch die reizende Dame, die in der gleichen Sendefolge in einen Ostfriesennerz gewandet eine Heil'ge Halle betritt und dabei reizend lächelt.

Ich habe mal zum Kaffeetrinken am Heverstrom gesessen, die Küche allerdings nicht gekostet. Labskaus nehme ich grundsätzlich nur beim Captein auf dem Schiff oder nach seiner Pensionierung dort ein, wo man ihm als Ruhesitz eine Hafenkneipe geschenkt hat, auf daß er's dort seinen Gästen aus dem tiefen Randeuropa, auch Balkan genannt, vorsetze und dabei unaufhörlich einen erzähle. Dabei handelt es sich allerdings um Ost-Friesland.
Um 22.00 Uhr machen die Evers ihren ehemaligen Fischladen, dessen Tresen immer länger wurde und dann endlich zur Gaststätte mutierte, dicht. Verständlich, geht es doch früh um fünf, sechs Uhr bereits los mit Fisch-Einkauf und anschließendem -putzen.

So leuchtet uns denn das Nordlicht. Da liegt der Deckel schon bereit, ihn (für heute erst) einmal rundzutrinken. Für jedes Bier und jeden braunen Auerhahn gibt es je einen Strich. Die Scholle (übermorgen gibt's Seezunge; schmeckt kalt auch gut, sagt Werner) bildet eine schwammartige, also adäquate Unterlage für die Umrundung. «Didi! Gibt's morgen Labskaus?» Als das geschrieben ward, kostete die Portion Labskaus im Nordlicht noch ungefähr unter 11,50 ostfriesische Westmark und nicht Euro; von wegen nix Teuro) «Klar?» «Wieviel Personen?» «Drei.» (Mehr darf man nicht sagen, auch wenn der Kohlenpott-Redakteur morgen kommt und wir dann zu sechst sind.) Chefkoch und Jeanette-Gatte Didi, früher auf großer Fahrt und ein begnadeter Motorboot-Kamikaze-Pilot, bereitet dieses wunderbare Gemenge aus Fisch, Fleisch und Kartoffeln mit Gurke und Spiegelei nur auf Bestellung zu. (Es füllt den Magen komplett aus und geht nur über Bord, wenn der Käpt'n sauer ist auf die Touristen und deshalb sein Schiff so steuert, daß es garantiert so läuft, als ob Windstärke neun wäre.)
Eventuell weiterführende Regionalliteratur unterm Regen- nicht Rettungsschirm.

Der Sitzredakteur mit der ihn umarmenden oder -garnenden — wer weiß, wann die nächste Klage kommt — Verlagsleiterin in Stumpis Fährkeller in Norddeich


Meinen ersten Gammel Dansk Nordfrieslands habe ich Anfang der Achtziger in Husum in diesem Gasthof dargereicht bekommen — als Ersatz für den Tee, den ich bestellt hatte und der aus etwa fünfundneunzig Prozent Köm bestand, worauf meine Innereien, nicht nur des Geschmacks wegen, in leichte Irritation gerieten. Man meinte wohl, den Magen des mit den regionalen Bräuchen noch nicht so vertrauten Gastes mit etwas Internationalerem besänftigen zu müssen.















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Jean Stubenzweig motzt hier seit 5813 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 22.04.2022, 10:42



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