Spuren der Schwarzmalerei

© Jochen Gerz, o. T., 1989, Photographie © Jean Stubenzweig

Das Letzte zuerst, lieber Einemaria von der schwarzen Harten Linie, in meinem Wort zum Mittwoch zur Einführung in den Wonnemonat August, ins endgültige Sommerloch, durch das die Menschheit nur noch Göttin Olympia rettet, wenn gerade keine Fußballweltspiele herrschen. Flaute herrscht nicht nur in Wirtschaft und Sozialem, et vice versa oder letzteres voran, die Bevölkerungen erholen sich auch davon. Bei mir ist zur Zeit ebenfalls Ebbe, die Einschaltquten haben sich auf die andere Seite der Erde oder auch auf die dunkle des Mondes zurückgezogen. Das dürfte der Hauptgrund sein. Es mag jedoch auch durchaus an Ihren etwas düsterer eingefärbten Malereien der Landschaften dieser Welt liegen — bei mir gerät ja hin und wieder auch ins Private entschwindender Tratsch in die Kladde, was auch nichts nutzt, weil sich dabei immer wieder Untertöne einschleichen —, daß man nicht Schlange steht. Das Volk will beplaudert werden. Einmal mehr muß ich dabei auf den einstigen Volksschriftsteller Johannes Mario Simmel zurückkommen, zu dessen enormen Hoch-Zeiten seiner Buchauflagen die Welt morgens um sieben die Welt noch in Dortmund war, dem ich einmal in seiner Hotelsuite gegenübersaß und der sich im Brustton der Überzeugung auf seinen Kollegen Friedrich von Schiller berief, der da mal notiert hatte: Die Wahrheit sei nur mit List zu verbreiten. Interessanterweise hatte sich Tage zuvor, es mögen auch Wochen gewesen sein, in derselben nach Maximilian II, dem bayerischen König benannten und seit langem nur noch dem Kaufrausch für Besserverdienende dienenden Straße, der damalige Intendant der Kammerspiele, Hans-Reinhard Müller, auf eben dieses historisch gewordene Diktum berufen. Wenn ich mich recht erinnere, Müller war unlängst verabschiedet worden, führte sein ehemaliges Haus gerade Becketts Warten auf Godot auf. Helmut Schödel — Wo ist der bloß abgebleben? Wo bin ich bloß abgeblieben, der ich mal die Welt retten wollte? — schrieb darüber in der Zeit unter dem Titel Das Glück am Ende des Tunnels in einer ausholenden Anmoderation seiner Kritik unter anderem über Erich Wonders Düsseldorfer Performance Scratch:
Das ist nicht nur die englische Vokabel für «kratzen», sondern auch eine neue Art, Musik zu machen. Man mischt Platten ineinander, läßt Musikstücke sich überlagern und spielt sie mit falscher Geschwindigkeit oder rückwärts ab. So wie Heiner Goebbels die Musik, hat Erich Wonder den Räum erfunden: lauter konkurrierende Einfalle, die einander nicht zu einem kompletten Bild ergänzen, sondern sich gegenseitig überlagern, übertreffen, unterbieten, zerkratzen. Eine sehr deutsche und gründliche Performance, die von ihren attraktiv arrangierten, eindrucksvoll choreographierten amerikanischen Vorbildern nur noch einen Kratzer übrigläßt. Zerstörung einer theatralischen Form.

Es ist kein schöner, kein kunstvoller Untergang. Der Auftritt des Schauspielers ist tatsächlich eine Pleite. Ein Bühnenbildner hat einen Raum erfunden, ein Musiker (der schon für Peymann und Neuenfels komponiert hat) die Musik, ein Schauspieler eine Solonummer. Dann hat man alles zusammenmontiert. Das Thema war dieser Zusammenprall, der Crash, die Katastrophe. Jeder hätte verlieren können. Es verlor der Schauspieler. Wenn ich das schreibe, ist das kein Verriß für Wolfram Berger, sondern nur ein Teil der wirklichen Geschichte dieses Abends, die alles, nur kein perfektes Kunststück sein wollte, sondern eher: ein Pilot-Projekt zur Ästhetik des Untergangs, dem Thema dieser Jahre.
Wir hatten über Kunst und Geld gesprochen. Sowohl Simmel als auch Müller und ich. Es war die Zeit, in der man begonnen hatte, unweigerlich aufs Geld zu kommen, sprach man über Kunst. Heutzutage ist die Rede nur noch vom Erstgenannten. In den meisten Zeitungen, da stehen die Öffentlich-Rechtlichen kaum hintenan, die Privaten halten sich dem ohnehin fern, es sei denn, man kann damit Geld machen, was so abseitig nicht mehr ist, oder so: findet gleich gar keine Kunst mehr statt. Alle Kultur ist unter Unterhaltung summiert. List ist gar nicht mehr erforderlich, man würde in einer Zeit, in der Menschen einander grundsätzlich mißverstehen, wenn hinter jedem zweiten Wörtchen nicht eines dieser, wie Erik Prieditis sie nennt, Kniepenmänneken zur Unterstreichung eines Scherzchens oder Ironie steht. Letztere wird gar überhaupt nicht mehr verstanden, es sei denn, einer hält ein Schild hoch, auf dem geschrieben steht, nun habe man gefälligst zu lachen, wenn man schon ins Fernsehen eingeladen worden sei.

Ich bin vor kurzem von der Idee überfallen worden, mich bei einem, wie auch anders, professionell betriebenen Chat anzumelden, weil mir nach Plaudern zumute war und mittlerweile sämtliche Dorfkrüge geschlossen sind (hier ebenfalls erwähnt), in Frankreichs kleineren Ortschaften haben die Bistrots wenigstens noch bis etwa zwanzig Uhr geöffnet, weil alles nur noch im Fernsehen sitzen und sich auf Befehl auf die Schenkel klatschen will. Ich habe es relativ rasch wieder aufgegeben nach meinen paar Versuchen, leicht scherzhaft mit solchen Sachen wie Godot oder Wahrheit oder List von Themen wie Haus und Garten und Unfrieden in zwischenmenschlichen Beziehungen abzulenken. Als ein vermutlicher Klugscheißer war ich nicht gelitten von der immerselben Gemeinde, die ihr Kathedrälchen sauberhalten wollte. Hinzu kam, daß ich konsequent auf diese Befindlichkeitshiero- oder, wie der Düsseldorfer schwarze Mark sie genannt hat, Gefühlsglyphen, Nnier beschrieb diese Hintergrundgeräusche so, «da kommen die Smileys mir vor wie der Tusch und das eingespielte Gelächter bei der sog. "Comedy", wenn der Gag (nach Reichswitzordnung ohnehin durch dumme Grimassen und hysterisches Gefuchtel vorschriftsmäßig markiert) noch mal als solcher gekennzeichnet wird», ich also auf all das verzichtete, als Quasselpartner nicht gleichberechtigt anerkannt wurde. Nein, nicht von jugendlichen Sabblern, sondern von Menschen, die überwiegend zumindest das vierzigste Lebensjahr überschritten hatten und die sich, nach den sogenannten Profilen zu urteilen, täglich auf die (von mir demnächst zum Unwort des Jahres gewählte) Herausforderung durch das Leben vorbereiten.

Man will von niemandem (Mehr? Oder war's schon immer so? Habe ich lediglich im falschen Leben gelebt, im falschen Film mitgewirkt?) etwas wissen, der nicht in heiteren Farben aquarelliert. Der Alltag ist schwer genug zu ertragen, er kommt ausreichend schwarzgewandet daher. Diese Bilderberger in ihrem unerreichbaren Ambiente machen doch ohnehin, was sie wollen, da kann man doch nichts machen. Da muß man nicht auch noch ständig darauf hingewiesen werden. Wissen Sie, lieber jungfräulicher Einemaria, eigentlich, was diese Leutchens lesen, die da so immerfröhlich vor sich hinquasseln und über das sie durchaus bereit sind, sich auszutauschen? Ich lese dort, wo ich geschattelt habe: «am Liebsten Psychothriller», mit Bücher sind meistens diejenigen gemeint, die in Stapeln in den, ich war kürzlich in einer, sogenannten Bahnhofsbuchhandlung vorzufinden sind, die, wie in der vor Hamburg gelegenen Schlafstatt Ahrensburg, nicht einmal mehr eine ausländische Tageszeitung führen, Übersetzungen durchweg aus dem USAmerikanischen, als ob's diesen Niedrigmüll nicht auch im Deutschen gäbe, aber den dann wiederum lieber «mit historischem Hintergrund», was in der Regel meint: irgendwelche Schmachtfetzenschinken, die können gar nicht dick genug sein, dafür findet sich immer irgendwie Zeit, die in einem minnesängerischen Mittelalter angesiedelt sind, dem Hochadel, mit feinen Roben, wie im Fernsehen eben, bei Guido Knopp und seinen der USBBC nachempfundenen Seifendokumentationen, das wie dargestellt nie existierte. Eine «Dozentin im Bildungswesen», ich nehme mal eine beispielhaft heraus aus dem Chatangebot, die Griechisch, Französisch, Englisch, Deutsch drauf hat: «Ich zappe, Serien, Krimi». Sie alle lesen nicht einmal mehr Johannes Mario Simmel, der wie sein Kollege Schiller immerhin versucht hat, die Wahrheit mit List, also unterhaltend zu verbreiten. Ich versuche, Unterhaltung zu suchen für Le Monde diplomatique und Lettre International, aber die Leutchen, die Sie und manchmal auch ich zu gewinnen suchen, dürften die größtenteils allenfalls vom Hörensagen kennen. Und da kommen wir mit unseren Aufforderungen zur Revolution. Wissen Sie Sonderling, für die Masse sprechender Minderheitling überhaupt, was das bedeutet? EiPhone, EiPäd, das ist revolutionär. Sogar die von mir mehr als geschätzte Frau Braggelmann ist seit kurzem von dieser Revolution ergriffen. Aber immerhin besucht sie mich hin und wieder, um die Schwarzmalereien meines Fundusses auszu-graben und zu begutachten, ohne dabei gleich über den Unterhaltungswert an der Börse zu spekulieren.
 
Mi, 01.08.2012 |  link | (1820) | 2 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Marktgeschrei


einemaria   (03.08.12, 14:26)   (link)  
Es ist wie es ist
Die Landschaften, die man sieht, dieses naturgegebene Kino im Kopf, das Sie am Ende Ihres Eintrags zitieren, ist heute eben auf weniger als Kurzfilme reduziert. Schneller Cut, Bildwechsel, eine verwackelte Kamera vielleicht, die Realitätsnähe simuliert und Authentizität vorgaukelt. Sich darüber zu beklagen, bringt keine wirkliche Befriedigung.

Viele sind nicht mehr in der Lage, sich länger auf einen Text zu konzentrieren, der mehr fordert, als daß man nur jedes dritte Wort wirklich wahrnimmt. Insbesondere unsere heutige Medienlandschaft bietet nicht die Möglichkeiten, dies zu üben, oder neue Begriffe und Worte zu erlernen. Auch meine Texte kranken an dieser Vergiftung. El Fefe und Frank haben mit dem alternativlosem Podcast Nr.9 einen höchstinteressanten Beitrag hierzu ins Netz gestellt.

Die Nachrichten erreichen uns als Melodie ohne Gesang, ohne Inhalt. Eine sehr reduzierte Wahrnehmung ist gefordert, ein ständiges Filtern, um nicht überfordert zu werden. Es reicht, daß man sich über die miesen Arbeitsbedingungen am eigenen Arbeitsplatz bei einem Bierchen austauscht. Den Rest läßt man sich lieber mit einfachen Konstrukten erklären, um nicht wahnsinnig zu werden, oder ... noch schlechter zu schlafen. Ich will das nicht verurteilen, möchte allerdings dazu anmerken, daß ich sehr gut schlafe, daß ich mit dem Leben sehr zufrieden bin. Zuhören und Verstehen birgt die Gefahr, sein Weltbild umstellen zu müssen, handeln zu müssen.
Wenn man sein Leben nicht ändern möchte oder kann, so ist es aber vermutlich besser, sich mit dem "Schwarzem" nicht zu beschäftigen, um nicht in jenem Zwiespalt leben zu müssen. Aufmerksamkeit und Interesse an Anderem muß man sich leisten können. Sei es, weil die Lebensumwelt es nicht zuläßt, wie bei Menocchio, sei es, weil man, aus welchen Gründen auch immer, dieses neue Wissen in sein eigenes Leben nicht einbauen kann oder will, ohne handeln zu müssen, um an diesem Spagat nicht zu zerreißen. Die Fußballsaison, zumindest in der 2.Liga, fängt übrigens schon dieses Wochenende wieder an.

Es ist nicht meine Absicht, die Aufklärung zu erzwingen. Es ist noch nicht einmal meine Überzeugung, daß ich richtig liege. Ich finde einzig Gefallen daran, meine Welt in Worten auszudrücken. Für die Möglichkeit, dies in diesem Rahmen zu tun, möchte ich hiermit Herrn Dirk Olbertz virtuelle Küsse und Grüße senden. Meine Liebe geht auch an Sie, Herr Stubenzweig, für die Teilnahme und die Entgegnungen, die aus meinem Vakuum erst einen Raum machen, in dem es sich bewegen läßt. Ich freue mich sehr, daß mein Beitrag nicht noch mehr schwarze Gedanken zu Tage brachte, sondern sehr herzliche Worte.

Eines sei jedoch gewiß. Vieles läßt sich wirklich nur mit List sagen. Nicht Überzeugungsarbeit, sondern das einfache Sagen von "meinen Tatsachen", ist gefährlich. Auch das muß man sich leisten können, oder es eben etwas anders ausdrücken. Und es gibt noch einiges mehr, das nur darauf wartet, gesagt zu werden. Vergessen wir aber nicht, daß das Beschreiben von Dingen auch in der Lage ist, diese hervorzubringen, diese erst herbeizurufen und zu schaffen. In diesem Sinne sind die Gesänge des Malodor nicht nur ein Wagnis, sondern die Ausläufer einer moralischen Grenze, bei man nur Hoffen kann, daß es nicht die falschen Geister herbeiruft. Doch mit Recken wie Ihnen, der Kopfgeschüttelten und den Dhonau-Werkstätten an meiner Seite, will ich diese Wagnis gerne eingehen. Der mögliche Gewinn überwiegt meines Erachens diese Gefahren.


jean stubenzweig   (03.08.12, 16:51)   (link)  
Beste hartlinige Einemaria
darauf komme ich übermorgen oder so zurück. Ab gleich bin ich erstmal unterwegs, das heißt ohne onleinigen Draht zu dem Himmel, der uns auf den Kopf zu fallen droht.















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Jean Stubenzweig motzt hier seit 5806 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 22.04.2022, 10:42



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