Kino im Kopf. Das Herz am linken Fleck.

Für Einemaria und gerne auch für andere. Für jeden Geschmack in bißchen was. Erstmal ein Häppchen Kant.

«Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit.»

Kopfkino, habe ich Unmündiger gestern erfahren, sei zum Modewörtchen geworden von überwiegend jüngeren Menschen, die damit unter anderem beispielsweise die schnellen Tempiwechsel und Schnitte verbinden, die sie weniger althergebracht auf der Leinwand sehen, sondern in erster Linie auf dem Bildschirm. Das kann jedoch meine altertümliche Auffassung, die von Gianni Celati nicht verwässern oder reduzieren wie ein homöopathisches Mittelchen aus den übermäßigen Gewinnen der zur Industrie mißratenen sogenannten Esoterik. Ich gebe dem Langsamen, auch dessen Genuß, weiterhin Vorzug. Damit verbinde ich auch den Gedanken, den ich lieber in Ruhe wachsen lasse. Kleists Idee vom Verfertigen der Gedanken beim Reden ist mir im Lauf der Zeit zunehmend zum Vorbild geraten.

Aufklärung erzwingen zu wollen, wäre ohnehin zum Scheitern verurteilt. Zwang ist hat immer etwas von Gewalt, zumindest die Idee von Herrschaft steckt dahinter, Roland Barthes' Hinweis auf die herrschende Ideologie rückt dabei näher, die in der Hierarchie den Bartel zeigt, wo der den Most holt. Dabei ist der Bartel nicht, wie allgemein wohl angenommen werden dürfte, etwa ein gestrenger Herr, der seinen Äppelwoi aus dem Keller holt. Bartel ist jiddisch, kommt von Eisen und meint Geld. Nenne ich den Bartel mal einen Lehrer, der dem Stift ohne Umschweife klarmacht, wo's langgeht, wo die Kohle, vielleicht sogar die Shore gelagert ist. Darunter wird heutzutage der Stoff verstanden, der in einem unter Ausschaltung der gehirnischen Vernunftseite mit dem Fuß das Gaspedal durchtreten läßt. Ursprünglich bedeutete dieses ebenfalls aus dem Jiddischen stammenden und auch im Rotwelsch angesiedelten Wort jedoch durchaus Diebesgut, das, bleibe ich dabei, in einem Keller gelagert gewesen sein konnte.

Zur Zeit der Aufklärung sprach man allüberall an den Höfen französisch, auch am deutschen. Das war die Zeit, als das Volk begann, auch etwas vom großen Kuchen abhaben zu wollen, den Marie-Antoinette, unsere Wienerin, am Königshaus ihres göttlichen Gatten Ludwig, dem XVI, offensichtlich ständig aß, weil sie kein Brot hatte. Was abfiel, waren Krümel. Sie waren auch für die Deutschen nicht sonderlich nahrhaft. Ihnen blieben auch während der neueren stürmischen Phase der Aufklärung nur Fragmente Die haben sie sich hinübergerettet, darunter die Theorie des von keiner Religion befreiten Jean-Jacques Rousseau. Einer meiner langjährigen, mittlerweile wie Hans Pfitzinger, der mir zu seinem Ende hin immer gottgefälliger zu werden schien, seligen Freunde hielt diesen letztlich protestantischen Aufklärer hoch wie eine Monstranz, als Ikone zierte er alle Dachstuben seines Denkvermögens. Nach Rousseau wollte er seine Kinder erziehen: frei, ohne jeden Zwang. Sein Sohn geriet ihm arg grün, nicht nur im Gesicht. Ob er so bläßlich geworden ist wie mittlerweile die meisten seiner Zunft, vermag ich nicht zu beurteilen, da ich nachlässig geworden bin in der Pflege von Verbindungen (die zu meinen Kindern lasse ich mal fürnehm außer-acht). Aber der ehemalige Stadtverordnete der deutschen Bankenmotropole mag als von mir ausgemaltem Bildbeispiel für viele seines Alters gelten, die die Lehre des Alten allein deshalb fehlleiten mußte, da der bereits recht orientierungslos war durch ein unzureichendes Studium der Schriften seiner Päpste, er lediglich deren Dogmen kannte.

Es mag am unkonzentrierten Lesen gelegen haben, vielleicht auch an der mangelhaften Übersetzung. Auf jeden Fall kam die mißverständliche Auslegung von laisser-faire zustande, der Prämisse machen-lassen der antiautoritärem Erziehung. Sie endete, wie das eben so stattfindet beim Übermitteln von Parolen des Donnerbalkens, die in der Regel in den Effekt des Buchbinders Wanninger münden, bei dem nichts mehr übrigbleibt vom eigentlichen Inhalt. Es geriet zum laisser-aller, dem Sichgehenlassen, auch zu übersetzen mit Lotterwirtschaft oder Schlendrian. Meine Vermutung geht dahin, daß die Generation der Nach-Achtundsechziger, also die um '68 Geborenen logischerweise nie so richtig darüber nachgedacht haben, wohin es führen könnte, ließe man seine Jungen ohne jeden Hinweis auf Verhaltensweisen einfach so und ohne jede Korrektur lostoben (womit ich wieder gezwungen bin, an die eigene Brut zu denken und mich an die Brust zu fassen). Ich bin alles andere als ein Liebender der Regularien und Rituale der Hab-acht-Stellungen und -Haltungen. Eine Entwicklung dahinfließen zu lassen bedeutet mir heute mehr noch als gestern, als es eben auch mir des öfteren passierte, ganz gerne mal das Gaspedal bis zum Bodenblech durchgetreten und mal so eben irgendwelche Thesen überflogen zu haben. Meine heutige Bedächtigkeit, mein immer reduzierteres Tempo hat aus dem Dschungel meiner Gehirnstömungen das Tunnelende der Erkenntnis herausgeschlagen, wie essentiell die sanfte Anleitung ist. Einfach nur Tunlassen ohne Hinweise, das führt den Nachwuchs über eine enge, Großes versprechende Gasse, die auf eine saure Wiese führen kann.

Ich komme auf dieses Bildbeispiel, da man etwa Mitte der Siebziger in einer oberbayerischem Marktgemeinde auf Druck einiger weniger aufrechter Sozialdemokraten, ich meine, es wären zwei oder drei gewesen unter lauter Christsozialen, einen Straßennamen nach dem einst dort ansässigen Dramatiker Ödön von Horvath benannte, der beispielsweise mit dem Theaterstück Italienische Nacht, also weniger eine nach heutigem spaßigen Zeitbegriff ausgerichtete, sondern das gegen die braunen Machenschaften vieler, wohl der meisten Ortsansässigen sturmwetterte. In allerärgster Not, man wollte diese häßliche Farbe wenigstens ein wenig aus dem Bild wischen, das man von diesem nicht ganz so großen Dorf wie München hatte, schließlich ging es darum, den Fremdenverkehr zu beleben; möglicherweise hatte man die so erfolgreichen, von den National-sozialisten in der Nähe auf den Gipfel gebrachten oympischen Winterspiele noch in guter Erinnerung. Ein Gäßchens ward's schließlich, nicht die von den gräßlichen Sozis gewünschte, den halben Ort parallelisierende Bahnhofstraße, das nach dem Dichter benannt wurde, an einem Ärztehaus vorbeiführend, und es endet, wie angedeutet, in einer sauren Wiese. Seit einigen Jahren hält man dort Fremdenverkehrshof mit dem seinerzeit Zugezogenen. Sein Name kommt einem über dem Ort schwebenden Transparent gleich, als ob er nie etwa anderes gewesen wäre als freigeistig. Dazu beigetragen, wohl ein bißchen gesteuert von Münchens Städtischer Galerie am Lenbachhaus aus, haben die Blauen Reiter um Wassily Kandinsky und dessen Gefährtin Gabriele Münter. Noch lange in den Achtzigern, aus der Zeit dürfte mein mir kürzlich aus meiner Schublade der jüngeren Historie entgegengekommenes Polaroid stammen, rottete das sogenannte Kandinsky-Haus, obwohl es der Münter gehörte, am mittlerweile von in nichts zu überbietender Architektur der Sepplhosen-Ästhetik zur Gänze behübschten feinen Ortsrand, gewidmet den Natur-Folklore suchenden Hinzuziehern, wie ein Baum, der über hundert Jahre hin sterben darf, langsam vor sich hin, weil es niemanden interessierte oder man es sich lieber selbst überließ bis zum endlichen Zusammenbruch, aufgefressen von den vielen Tierchen, die ihn von innen her aushöhlen, die der Geschichte ein Ende bereiten. Heute strahlt es hell und wurde sogar in der Münter Haus richtiggestellt, als ob es diese dunkle Seite der Erde oder des Mondes in diesem vermutlich teuersten Zweitwohnsitzort vor Garmisch nie gegeben hätte. Das wissen jedoch nur die Aufgeklärteren. Für die anderen ist's lediglich mehr oder minder schön bunt. Kopfkino für Mittelalter, in neuerer Sprachregelung.

Das, das ist das eine, verstehe ich unter Aufklärung, ausgehend von Diderot et all diejenigen, die jenen Teil des düsteren Mittelalters ins Siècle des Lumières rücken wollten, der von den Herren der Kirche verdunkelt worden war und der, manchmal hat es den Anschein, wieder zurücksoll in die Finsternis. Dabei liegt es auch mir fern, mich als Muezzin eines anderen Glaubens zu betätigen, der einer solchen Erleuchtung dienen könnte. Auch mir bereitet es eher Freude, es in mein Tagebuch zu setzen. Als ich mich noch als öffentlich-rechtlicher Weltretter betätigte, gar Botschaften via Zeitung in die Umlaufbahn sendete, wollte mir offensichtlich kaum jemand Gehör oder Aug' schenken. Da gab ich's auf und widmete mich allein den schönen Künsten. So gesehen bin ich mißraten wie all die anderen, die ich hier immer wieder gerne mal beschuldige. Ich tue weiterhin schön. Aber es nagt sich doch immerzu der sogenannte Schädling zwischen meine Zeilen der künstlichen Schönheit, der über lange Zeit hin aufklärerisch das Innenleben des Baumes der Geschichte freizulegen versucht. Nenne ich einmal mehr die schillersche List, das zu verbreiten, was ich unter Wahrheit verstehe. So formuliere ich die List um in Lust. Ob es die auf das Wahre ist, das weiß ich bis heute nicht. Ich bin so entscheidungsunfreudig. Möglicherweise ist es mein Glaubens-ersatz. Ich glaube daran, daß die Linke, ich meine nicht die deutsche Partei gleichen Namens, sondern eher den Sitz des Rates zu Zeiten der französischen Revolution, also an eine gesellschaftlich von vielen für nicht mehr gültig erklärte Position oder Haltung. Dies ist meines Erachtens der eigentliche Überbringer der Essenz. Links ist nicht nur einfach dort, wo der Daumen rechts sitzt. Das Herz am rechten Fleck, das ist ein arglos erscheinendes Allerweltskompliment, das ich nie machen würde, da ich das Complément für eine Beigabe halte, ein deutschsprachliches Mißverständnis, für einen verbal affigen, weil höfischen Kratzfuß.

Hier sollte, müßte nun meine Hirnforschung, zwo, drei mit Sergio Benvenuto fortgesetzt werden, diesem intellektuellen Gutmenschen. Das ist, wie bereits im vorausgegangenen und hier verlinkten Abschnitt erwähnt, aus meiner Sicht alles andere als ein Schimpfwort, weder das eine noch das andere. Die Begründung dafür liefere ich aber bei nächsten Mal. Wie vorhin Enzoo gegenüber angedeutet, mangelt es mir an Zeit, denn ich sitze an einer anderen Variation von Aufklärung. Sogar ich habe noch Verpflichtungen, wenn auch kleine und selbstauferlegte.

Das Werkverzeichnis eines Mannes, der sein Leben der Aufklärung gewidmet hat. Künstlerisch in Bild und Wort.

 
Di, 07.08.2012 |  link | (3290) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ansichten















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Jean Stubenzweig motzt hier seit 6023 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 07.09.2024, 02:00



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