Wiedersehen

© Regine von Chossy

Bei Frau Braggelmann war ich zu Besuch. Das ist diejenige, die meine kleine Kunstsammlung wiederbelebt hat, indem sie sie nach und nach entführt und auf ihre Weise öffentlich gemacht hat. Bei sich zuhause, in einer wahrlich wilden Petersburger Hängung. Jeder verfügbare Winkel ist zugehängt, bis in den Hausflur hinunter. Sogar ihren Vermietern, ein seit Jahrzehnten im Ruhestand befindliches Ehepaar, von dem nicht unbedingt auf Anhieb anzunehmen wäre, es würde das goutieren, gefällt das. Und ihren sonstigen Besuchern auch. Eine wegen Frau Braggelmanns neuem Spielzeug, dem EiPäd, angereiste Bekannte zeigte sogar Kaufabsichten, ein kleiner Uecker hatte es ihr angetan. Unverdrossen stöbert meine Kunstverwalterin bei mir herum, um jedesmal doch noch fündig zu werden in meinem Fundus, von dem ich jedesmal aufs neue annehme, er sei erschöpft. So habe ich, wonach mancher Großsammler sich sehnt, ein Museum. Kein Sponsoring via PPP oder ähnlichem. Vollmäzenatentum.

Und nun beginne ich zu entdecken, was seit ungefähr vierzig Jahren sich bei mir angesammelt hat. Die kleine, etwa postkartengroße Zeichnung von Regine von Chossy, passabel photographiert von einem Apfel, dürfte mich vor circa fünfundzwanzig Jahren, es mögen dreißig sein, erreicht haben. Mit einem Mal rückt sie in mein Blickfeld, geht mir nicht mehr aus dem Kopf, beschäftigt mich. Sie gefällt mir wie damals, ich sehe zudem eine fast verblüffende Kontinuität. Angenehme Erinnerungen gesellen sich hinzu. Und nach so langer Zeit der Vernachlässigung mache ich mir erst jetzt Gedanken darüber.

Die werde ich in den nächsten Tagen aufschreiben. Und vielleicht auch weitere Gemälde und Zeichnungen aus meinem Museum vorstellen, das mittlerweile auch die Aufmerksamkeit anderer erregt. Und ich hatte sie lange Zeit in meinem Fundus begraben.
 
Di, 18.09.2012 |  link | (2521) | 7 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Form und Sinn


jagothello   (19.09.12, 10:19)   (link)  
Farbenspiele
Es ist gut bekannt, dass das Schwarze nach rechts gehört und rot eher links beheimatet ist, doch warum ist es in der Mitte so leer? Ich verstehe schon, dass Sie sich (aufs Neue) inspirieren lassen!


jean stubenzweig   (19.09.12, 11:02)   (link)  
Da stelle ich fest,
was ich eigentlich bereits länger weiß, aber trotzdem zu ignorieren gedenke: In der hiesigen Gemeinde herzt man die zeitgenössische bildende Kunst nicht sonderlich. Das mag daran liegen, da allgemein die die gnadenlose Meinung vorherrscht, die den meisten in Elternhaus, Kindergarten und Schule eingebimst wurde: Kunst kommt von Können beziehungsweise von Gott, manchmal auch Schöpfer genannt. Das schlägt sich in den Einklickquoten nieder. Ich hingegen bin der in diesem Bloggerdorf nicht sonderlich geschätzten Meinung: Kunst komme von Kucken, von der Idee, verändert seit der Ausstellung des Urinals durch Marcel Duchamp, der Gedanke des christlichen Kunsthandwerks erweitert durch Paul Klee, nach dem Kunst nicht die Wirklichkeit abbilde, sondern sichtbar mache. Ich will's nicht überdehnen mit dem heutigen Kunstwort zum Mittwoch. Tausende und abertausende Bücher haben's nicht gebracht, da werden weitere kunst-pädagogische Maßnahmen meinerseits nichts weiter ausrichten.

Kurz nach Öffnung meines Tagebuchs und der resignativen Feststellung, ach, wieder keine Reaktion, wieder kein Anlaß zum Vortrag, kommen kommen Sie und entlocken mir, nach dem zweiten Mal des Lesens, ich war noch nicht so recht bei mir und gedachte über Ihre leicht verschrobene Kunsttheorie, möglicherweise eine systemische Debatte über den roten und den schwarzen Schnitt, zu grübeln, einen kleinen Lachschrei. Das bringt die Kunst zum Jauchzen. Enzoo, Sie haben mir den Tag gerettet. Da sage noch jemand, das wirbelt einem die Romantik völlig durcheinander, Kunst sei unpolitisch!


enzoo   (19.09.12, 11:10)   (link)  
diese ehre
der tagrettung gehört wohl eher jagothello, und sie sei ihm ungeteilt beschieden!

tagrettung - interessante geschäftsidee eigentlich. explizit als solche angeboten ist auch wenig verwerfliches dabei. und wenns obendrein ein blaulicht fürs dienstauto gibt und man im einsatzfall gegen die einbahn fahren darf - hurra!


jean stubenzweig   (19.09.12, 11:13)   (link)  
Vergessen
hätte ich beinahe: Sie sind allerdings jemand, der nicht nur Bücher liest und ins Theater und in den Konzertsaal geht, sondern auch Kunst kucken gar im Atelier. Sie laufen damit gewissermaßen außer Konkurrenz im Wettbewerb des Ignorierens selbst nicht mehr so ganz neuen kunstgesellschafts-wissenschaftlichen Erkenntnissen.


jean stubenzweig   (19.09.12, 11:22)   (link)  
Ach du meine Güte!!!
Jagothello. Sie sind ja mein Retter. Ich bitte untertänigst um Vergebung. Der Tag hatte so trist angefangen, daß alles in mir vernebelt gewesen sein muß, daß ich noch nicht richtig kucken konnte, was bei der Kunst eigentlich der Fall sein sollte. Ich muß bei diesem Gedanken zu fest mit Enzoo verbunden gewesen sein, und sei es, daß er derjenige ist, der sich um diese Uhrzeit zu Wort meldet und ich Sie Pädagogik verrichtend in der Schule vermutete.

Und Enzoo: Dank. Wer weiß, ob ich das ohne Sie überhaupt bemerkt hätte. Oder ob ich überhaupt noch was merke, ob mir nicht längst ganz fürchterliche viele Geisterfahrer auf der Einbahnstraße entgegenkommen.


jagothello   (20.09.12, 21:09)   (link)  
Krefelder Affen
ach, das ist doch egal. Auf den Austausch kommt es an! Mir geht es tatsächlich so, dass abstrakte Kunst mich zu allerhand Assoziationen drängt, zu Aktualisierungen treibt, wie man so schön sagt. Das ist im Einzelfall sicherlich abwegig genug und ich verstehe Menschen, die meinen, solches bliebe lieber privat.
In Krefeld gibt es eine höchst bemerkenswerte Schimpansenkolonie, deren Angehörige sich seit Jahrzehnten tagein tagaus gegenseitig entlausen, es sei denn, sie verfertigen gerade irgendwas mit Farbe und Leinwand. Das hat oft genug, man hört davon ja immer wieder, eine durchaus ästhetische Qualität. Es bleibt aber ohne jede Form, ohne Plan und Bezugspunkt, weshalb solches bestenfalls von dekorativem Wert sein kann. Ich stelle mir aber gerade den nicht gegenständlich arbeitenden Maler als gewissenhaften Planer vor, als Kenner der Seele, als Meister der Suggestion. Manchmal find ich`s sogar schön. Spannend allemal.


jean stubenzweig   (20.09.12, 23:24)   (link)  
Bei weitem nicht alle
planen gewissenhaft, wie Sie das nennen. Es gibt viele, die es von innen nach außen fließen lassen. Action painting wäre dafür als Terminus technicus zu nennen, den Begriff Intuition zu verwenden ist dabei sicherlich zulässig. K.R.H. Sonderborg, der jetzt beispielhaft, da ich von ihm auch etwas in meiner kleinen Sammlung habe, hat sich lange vom Jazz inspirieren lassen. Der kam aus den Lautsprechern, und das bis zu einem Meter hohe Blatt lag auf dem Fußboden. Man sollte auch unterscheiden zwischen der abstrakten Malerei, die sich aus der Figuration entwickelt und der sich aus der Konstruktion formierenden. Ich habe diese Unterscheidung mal im Zusammenhang mit dem gegenständlich malenden Neo Rauch skizziert:

Zunächst einmal ist jedes gemalte Bild abstrakt. Auch das von Neo Rauch gemalte. Oder die auf dem Flohmarkt erstandene Leipziger Zigeunerin oder der im Kaufhaus erworbene röhrende DDR-Hirsch. Abstrahieren heißt nichts anderes, als das Unwesentliche vom Wesentlichen (oder umgekehrt) trennen. Abstraktion bezieht sich folglich nicht alleine auf Geometrie oder Konstruktion — folglich durchaus auch auf Figuration.

Ich bin mir bei Regine von Chossy nicht sicher, muß jedoch davon ausgehen, daß ihre Zeichnung wie auch ihre Malerei ihren Bezug zur Figuration nimmt. Das ist das Interessante bei ihr ist, wie sich die Figur grenzenlos aufzulösen, nicht mehr zu bestimmen scheint. Ein weiteres Beispiel dafür wäre Romain Finke (Bild oben), von dem sich einiges in meinem kleinen Fundus befindet, der als Graphiker zur gegenständlichen Kunst kam und der irgendwann in der scheinbar reinen Farbfeldmalerei «endete». Er dürfte seit vielen Jahren systematisch, nennen wir's gewissenhaft, an seine Gemälde herangehen. Dabei mangelt es in ihm mit Sicherheit nicht an Furor, der mal aus Federico García Lorca kam (ich meine, wie hätten's darüber mal gehabt). Splish/Splash möge als Beispiel dafür gelten, wie sich jemand aus dem Zug zur abstrakten Konstruktion offen- oder scheinbar wieder löst. «Dabei gehen Zufall und Gestaltungswille Hand in Hand. Das Ausgießen ist ein mechanischer, ein automatischer Vorgang, der Farbeimer ist Mittler, ein Medium, das zwischen Hand und Papierbahn tritt», schreibt Ralph Köhnen. Da könnte harter, richtiger Rock'n'Roll den Takt geben. Die Zeichnung von Regine von Chossy dürfte meines Erachtens eindeutig vom Tanz der Figuration bestimmt sein.

Ja, das ist ungeheuer spannend.















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