Unter Schmerzen

verfasse ich dies hier, quasi als Vorletzte Worte, mit dem Zeigefinger der rechten Hand, die restlichen sowie das Innere schmerzhaft blau, die linke vernachlässigbar wegen ohnehin schwächelnder Leistung nicht nur beim Schreiben, diesmal das andere Auge nahezu funktionslos, da farblich unterschiedlich schillernd und verquollen wie bei Bolle jüngst zu Pfingsten in Richtung Pankow, so daß ich (wie immer?) einäugig (nein! nicht unter Blinden) dichte beziehungsweise berichte, die Nase von einem brettharten Haken verbogen, aufgequollen und -geplatzt, die Nackenwirbel verrenkt, nun in einer gegenüber dem Normalzustand noch gesteigerten Halsstarrigkeit — meiner einzigen Werkzeuge beraubt: ein Häufchen, Schreiberleins Elend.

Die Büddenwarderin wird bei diesem Aussehen mit mir nicht auf den Wochenendmarkt, überhaupt nicht zum Einkaufen gehen. Sie würde sich schämen. Weniger wegen meines Aussehens, sondern weil es zu offensichtlich wäre: Aha, der ist von seiner Alten verdroschen worden. So denkt man auf dem Land, wo die Welt eben noch in Ordnung ist.

Nein, ich habe nicht die Legende zu überprüfen versucht, ein Döschewoh könne auch beim Ententest nicht umkippen. Auch wollte ich mit ihm nicht wildern auf Holsteins Straßen. Und der Koppelkaten hat nur am Wochenende geöffnet, so daß eine Beteiligung an einer zünftigen Wirtshausschlägerei ebenso ausscheidet. Ich wollte einfach nur telephonieren. Nein, auch keine Prügelei mit einem unwilligen Techniker war's. Frau Magenta erledigt solche Auseinandersetzungen mit drastischeren Mitteln wie im Anschluß an eine Fehlersuchaktion versandten exorbitanten Rechnungen.

Mein Kommunikationsgerät läutete mich aus meiner Lieblingsbeschäftigung: dem Nickerchen. In rudimentärer Erinnerung an einstige Zeiten, als das Telephon nach viermaligem Klingeln die Leitung auf die vorsintflutliche Telefaxmaschine umschaltete, wollte ich dem Anrufer den sich dann einstellenden unangenehmen Pfeifton ersparen und sprang hoch vom Canapé, um im letzten Moment den Anruf entgegenzunehmen. Dabei verhedderte ich mich in der meinen Schlaf behütenden leichten Decke, stolperte, begab mich in eine raketenartige Flughorizontale und knallte schließlich zwischen zwei Macintoshs auf die Kante der eigens dafür angefertigten Schreibtischplatte, prallte zurück, ging rücklings auf den Teppich und dachte, wieder zu mir kommend, blutend und einen schmerzerfüllten Augenblick lang, das müsse es jetzt wohl gewesen sein (mein einstmaliger Sturz von der etwa drei Meter hohen Galerie meines Bürokathedrälchens nahm sich dagegen aus wie der Flug von Yves Klein) und gab mich ihm hin, meinem zwar ersehnten, allerdings unter anderen Konditionen zu vollziehenden Schicksal, eines Tages von Hypnos exekutiert zu werden.

Ein Leben lang war ich der Meinung, das Telephonieren bringe nur Unheil. Ich sollte recht behalten. Also gehe ich jetzt wieder ins Bett und kuschle mich an Hypnos' Sohn. Und nie mehr fasse ich dieses Gerät an.
 
Do, 16.10.2008 |  link | (2513) | 6 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Seltsamkeiten


hap   (16.10.08, 12:21)   (link)  
Döskopp nennt man das ...
... im Norden, oder? Wenn einer döst, dann aufspringt und sich den Kopp ramponiert? Wie immer bei deinen körperlichen Malaisen überkommt mich tief empfundenes Mitleiden: Gute Erholung! Und das mit den "Vorletzten Worten" wird ja so ernst nicht gemeint sein. Da haben schon ganz andere Leute Sachen schriftlich von sich gegeben, die dann doch nicht gestimmt haben.
Beispiel? Hier: "1. Befürchtungen bezüglich einer Bankenkrise entbehren jeder Grundlage. 2. Das Engagement deutscher Kreditinstitute am amerikanischen Immobilienmarkt ist überschaubar und begrenzt. Es konzentriert sich auf Anlagen mit hoher Bonität." Das stammt von einem echten Döskopp namens Axel Weber. Der ist Kabarettist, ach Quatsch, er ist Präsident der Deutschen Bundesbank, und schriftlich von sich gegeben hat er das am 2. August 2007. Und er sitzt immer noch auf seinem Posten.
P. S. Kompliment zu deiner "eigens angefertigten Schreibtischplatte" - sieht gut aus!


nnier   (16.10.08, 12:52)   (link)  
Oh, das tut ja weh bis hierher. Lassen Sie sich pflegen, nicht verdreschen, und verringern Sie die Schlagzahl! (Es ist sicher kein Trost, aber das mit dem rechten Zeigefinger kann ich derzeit sogar nachvollziehen).


monnemer   (16.10.08, 13:35)   (link)  
Oje, da möchte ich mich auch in das Kondolenzbuch eintragen.
Derartige Stunts ziehen sich wie ein roter Faden durch mein Leben, ein Vortrag über alle Knochenbrüche, Blessuren etc. wäre abendfüllend, von daher haben Sie mein tiefstes Mitgefühl.
Gute Besserung!


jean stubenzweig   (16.10.08, 15:51)   (link)  
Seltsam ist's
sich selber umzupolen, im wesentlichen, von rechts nach links (das war jetzt irgendwie nicht politisch gemeint, Herr Hap), auch diese Versuche, nirgendwo anzuecken, jedenfalls nicht rechts (dito).

@ hap: das meint selbstverständlich für solche Flüge eine «eigens angefertigte Schreibtischplatte». «Vorletzte Worte»: das ist zwar bald vierzig Jahre her, aber ich erinnere mich zumindest teilweise noch recht gut an die Texte. Sowas regt eben an.

@nnier: Über Banalitäten setze ich mich schwunghaft – nein, lieber ohne Schwung – hinweg. Hatte ich alles schon. Aber dafür gibt es hervorragende Ärzte! Sie wollten ohnehin nach Hamburg: Dr. Backhaus. Ein Einrenker und Spritzensetzer vor dem Herrn. Und auch noch sympathisch. Obwohl er Bruder von Till ist. Ich begleite Sie und halte Händchen.

Außerdem für das Sitzen auf der falschen Seite: Gummieier! Die regelmäßigen Arbeitsunterbrechungen nicht zu vergessen.

@ Monnemer: So gerne brechen Sie sich die Knochen, daß das abendfüllend wäre? Warum Vortrag? Ein Buch. Wir lesen gerne über die Katastrophen anderer.

Dank allen für die warmen Wünsche. Ich geh' jetzt wieder zum Augenschließen aufs Sofa, da ich ohnehin kaum noch was sehe. Aber, wie gesagt, nie mehr ans Telephon.


chat atkins   (17.10.08, 12:44)   (link)  
Aber es ist ja auch - wie man so sagt - schön, wenn der Schmerz wieder nachlässt: Dir jedenfalls gute Besserung und ein rapides Abschwellen ...


vert   (17.10.08, 15:14)   (link)  
dann schließe ich mich allen vorrednern an und sende auch ihnen beste genesungswünsche - sie benötigen sie nach kurzer empirischer erhebung in der mir bekannte blogosphäre derzeit wahrhaftig am nötigsten!
schon max goldt hat uns vor der unkultur der telefonie beredt gewarnt - dass es allerdings so hart zuschlagen würde, entzog sich selbst seiner phantasie...















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