Grüne Irrtümer

Der Kalender schrieb das Jahr 2000. Zu Gast war ich beim Freund in Bourguignon, in dessen filmkulissenartigen Vierkanthof, als ob gleich Eric Rohmer samt seinen bürgerlich plaudernden Damen Einzug halten wollten. Auf dem Rennrasenmähertrekker durfte ich herumtoben (damals kannte ich solche Männerlust noch nicht, heutzutage bekomme ich diesen Geschwindigkeitsrausch fast täglich vorgeführt) und bei dieser Gelegenheit Töchterleins eigens gesetzte und sorgsam gehütete Lieblingseselsdisteln plattmachen (so ein nichtsnutziger Städter hält das für Unkraut). Überhaupt die Campagne genießen, als wär' ich ein rechter Pariser.

Nach einer Woche erhielt ich zum Abschied fünf zwar kümmerliche, aber auch wundervolle Winzlinge, die ich in meiner acht Meter langen Südloggia an der Münchner Wohnung großziehen wollte. Die Lage war ideal, da gab's alles mögliche, bis hin zu Tomaten und gar Kartoffeln. Die Sonne hielt sich wahrlich nicht zurück da oben. Auch im Oktober, manchmal noch im November, wenn sie aus ihrer föhnigen Schräglage direkt daraufschien, waren fünfzig, sechzig Grad keine Seltenheit. Aber zunächst durften die Hibiskus-Pflänzchen im gewächshausartigen Doppelfenster Wurzeln ziehen. Später dann, als sie genug davon hatten, kamen sie in allerbeste Erde; vorsichtshalber hatte ich welche aus ihrer Heimat mitgebracht. Und sie wuchsen, wenn auch noch hinter Glas. Dann durften sie ins Freie. Das nahm mir das offensichtlich an die gute Stube gewöhnte eigentliche Freilandgemüse übel. Es erschlaffte. Wahrscheinlich war's ihm zu nördlich. Alles Hinterglasstellen nutzte nichts. Vier der Zöglinge schieden dahin im frühen Kindstod. Nur einer hielt sich gerade so. Ich redete ihm gut zu, gab ihm nur allerbeste Nahrung samt Beratung aus dem im Haus unten befindlichen Blumenladen, nahm in mit ins Bett, umturtelte und liebkoste ihn. Er dankte, indem er wenigstens am Leben blieb und winzig weiterwuchs. Als ich ans Mediteranée zog, blieb er am gewohnten Ort, da die Kleinen das nunmal lieber mögen als ständig herumziehen und da's dort unten zwar auch viel Höhe, aber keine südliche und zudem hinterglasgeschützte Loggia gab.

Geschützten Topf in frischer Luft bot dann jedoch kurz darauf der wohnortlich noch hinzugekommene Norden, dem ohnehin die Auflösung des deutschen Südens folgen sollte. Doch was auch immer ich ihm an Pflege angedeihen ließ, er blieb mickrig und ließ sich zwischendurch auch noch von Läusen überfallen. 2003 zog's mich dann in das Büro mit ganz viel Land drumherum. Daraufhin sagte ich zu ihm: Wenn du weiter so herumzickst, kommst du dort hinein, wo ich dich herausgegraben habe: in die tiefe Erde, du bist schließlich ein Freiland-Hibiskus. Gesagt, getan. Und er fing mit einem Mal tatsächlich wie wild an zu wachsen. Als ob es seine Bestimmung wäre. Irgendwann fragte der Nachbar, ob er denn nicht irgendwann auch mal zu blühen anfangen wolle, der Hibiskus? Man müsse ihm wohl noch ein wenig Zeit geben, entgegnete ich, schließlich habe er viel durchgemacht. Und er wuchs. Nur blühen wollte er nicht. Eines Tages kam der Gutsverwalter und meinte, einen hübschen Ahorn hätte ich da eingepflanzt. Wutentbrannt brüllte ich ihm die mühevolle, fast tragische Lebensgeschichte des Hibiskusses und seiner Geschwister aus der Bourgogne entgegen. Schulterzuckend zog er ab, der Herrscher über Baum, Bäumchen und Rasenracing. Ein wenig Gegrinse meinte ich in seinem Gesicht gesehen zu haben. Zweieinhalb Meter hoch ist er mittlerweile, mein Hibiskus burgundischer Provenienz. Aber blühen mag er noch immer nicht.

Am vergangenen Dienstag half mir die urlaubende Büddenwarderin beim Gärtchenaufräumen; ja, es war mal wieder nötig, bei diesem ständigen Müßiggang macht die Natur zügellos, was sie will. Und dann sprach sie aus, was ich dem Hausherrn so übelgenommen hatte: Das sei aber kein Hibiskus, sondern ein Ahorn. — Nun ja, ein Ahorn blüht nicht so prächtig wie ein Hibiskus. Aber er ist aus der Bourgogne. Und er fühlt sich vermutlich deshalb so wohl in diesem französischen Exterritorium hoch oben im eigentlich ja etwas kühleren Norden der (deutschen) Republik.
 
Fr, 31.07.2009 |  link | (568) | 3 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Seltsamkeiten


nnier   (31.07.09, 11:22)   (link)  
Aber die Katze, die ist schon eine?


jean stubenzweig   (31.07.09, 13:34)   (link)  
Und jetzt Sie!
Hätten Sie mich da nicht mal früher draufbringen können?

Wissen Sie, wo man da nachschaut?


famille   (31.07.09, 15:58)   (link)  
Onopordum acanthium
Elektropost vom Bourguignonesen

Die Eselsdistel. Unbestreitbar ist die stattliche Schönheit der Eselsdistel. Sie zählt zu den imposantesten Pflanzen in unseren Gärten, wo sie ohne weiteres zwei bis drei Meter hoch wachsen kann. Die Eselsdistel ist eine zweijährige Pflanze und kommt natürlich im ganzen Mittelmeerraum, in Kleinasien und in den wärmeren Teilen Europas vor. Aber auch in Schottland weiß man sie zu schätzen: Sie ist die Wappenblume der Stuarts und damit die Staatsblume von Schottland.
Silbrig-weiß schimmert die ganze Pflanze, überall mit einem weißen, weichen Flaum bedeckt. Ihre steifen Blätter sind breit, bis zu 60 Zentimeter lang und mit gelben Dornen bewehrt. Besonders im zweiten Jahr, wenn die Pflanze im Hochsommer zur Blüte ansetzt und in die Höhe schießt, ist sie eine wehrhafte, monumentale, ja fast gotische Erscheinung. Die kugeligen Blütenköpfe sind bis sechs cm breit und bestehen aus purpurnen Röhrenblüten und dornigen Hüllblättern.
Der Gattungsname Onopordum ist aus dem griechischen ónos – Esel – und porde – Blähung oder Wind – gebildet, da laut dem römischen Schriftsteller Plinius die Pflanze bei Eseln Blähungen bewirken soll. Der Artname acanthium wird vom griechischen ákantha – Stachel – abgeleitet.














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Jean Stubenzweig motzt hier seit 5813 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 22.04.2022, 10:42



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