«Otto und Else werfen den Ball.»

Trotz der zweifelsfrei piratischen Kompetenz von Frau Braggelmann, sind wir uneins in Sachen Transparenz. Sie ist der Meinung. daß es niemanden etwas angehe, was wir untereinander Intimes beplaudern. Aber ich habe den anders gearteten piratischen Drang, der Öffentlichkeit mitzuteilen, was ihre Witzeleien bei mir an schrecklicher Ernsthaftigkeit auszulösen vermögen.

Um die Anmerkungen lesen zu können, berühre man mit dem Cursor die jeweiligen Ziffer.1


Kontrahent? Zum einen befinde ich mich schon lange nicht mehr in einem öffentlichen Ring, in den ich einen Fehdehandschuh werfen könnte oder ihm ihn gar an die Kinnseite klatschen, und zum anderen habe ich nichts gegen den Herrn, der ja wohl ein netter ist. (Ein österreichischer Freund, ein Wiener, den es sehr viel früher als den Herrn nach München verschlagen hatte, wie Doktor Sommer ein Psychologe, nur noch älter, näher noch an Hern Freud, der allerdings nicht beabsichtigte, mich zu therapieren, was vermutlich der Grund für seine Entmündigung gewesen sein könnte, sagte mir mal: S' ist ned? Ned liab, ned reich, ned schee. Ned hoid.) Der nette Bunte ist mir nach unseren Gesprächen zur Symbolfigur geraten, zum Beispiel für eine sich zusehends verbreitende Art von Journalisten, jenem Journalismus, der von und mit der Oberflächlichkeit seiner Klientel lebt. Und die wird unaufhörlich internett. Ned?2

Sicher, mangels Unwissen Gestammeltes hat es schon immer gegeben, auch noch in den Siebzigern ff., in denen das Studienfach Journalistik an den Hochschulen seine zarten Triebe aus dem Boden ans Licht der Öffentlichkeit treiben ließ, das die «normalen» Universitätsabsolventen zu verdrängen begann, die Germanisten, Romanisten, Juristen et cetera pepe, die Naturwissenschaftler und so weiter, die in der Regel während ihres Studiums oder nach ihm zunächst hospitierten und dann volontierten. In der Regel war also ein Grundwissen vorhanden, das erweitert wurde. Hierbei denke ich, bedingt durch meine Erfahrung und keineswegs lehrmeinend (die viel und gern gerade im und mit dem Journalismus be- und gesprochene Objektivität, die ich zwar durchaus für [be-]schreibar halte, aber unter äußerst mühsamen Umständen3), zunächst an die Rundfunk- und Fernsehanstalten, in denen ich tätig war. Bei den Zeitungen und Zeitschriften, die mir nach meiner Zeit als Spieljunge dann eher Nebenspielplatz waren, war die Lehrzeit von der Hospitanz bis zum Volontariat meist offener und fand am (nicht vor) Ort statt. Es war das «Allgemeine», dem man sich meines Erachtens mit dem Studienfach Journalistik zu nähern gedachte. Meines Wissens waren es die großen Zeitungsverlage, die Journalistenschulen teilweise in Eigenregie betrieben und diese nun in den Universitätsbetrieb integriert haben wollten, sicherlich auch, um den Jorurnalismus zu nobilitieren, wie es die allgemeine Tendenz war, zum Beispiel die, Berufe durch Umbenennung zu adeln; vergleichbar sein dürfte es mit den zunehmenden formalen Nivellierungen nach oben von all dem, das mit Kultur zusammenhängt, etwa Kultur- oder gar Kunstwissenschaft.4

Das Ziel war wohl eine breitere Bildung, die den Einzelnen befähigte, in allen erdenklichen Bereichen einen jeweiligen Fall zu übernehmen. So verbreitete sich zunehmend der praktische5, der praktizierte Journalismus, wie wir ihn heute kennen. Das für mich fast Kuriose ist, daß mittlerweile wieder die Spezialisierung angefordert wird. Es ist allerdings verständlich, denn die Fehler häufen sich; nach meinem Empfinden ist nicht alleine die oftmals angeführte fehlende Zeit der Grund dafür. Faktische sowie sprachliche Fehler wurden auch zuvor gemacht. Doch da gab es noch kein Internet, mit dessen Hilfe man heutzutage leicht jedes Nichtwissen oder einen Bluff innerhalb kurzer Zeit herausfinden kann; wenn man denn will. Damit meine ich nicht unbedingt die Leistungen irgendwelcher Freiherren oder -demokratinnen, sondern durchaus mehr oder minder renommierte Autorinnen und Autoren, bisweilen gar solche, denen aufgrund wissenschaftlicher oder sonstiger, meist publizistischer Leistungen der Ruf von Experten6 vorauseilte. Gegen Fehler ist niemand gefeit, mir selbst sind sicher unzählige unterlaufen; ein nicht wiedergefundenes und deshalb «betrügerisch» falsch in ein Buch gesetztes Zitat dürfte sich als das harmloseste erweisen. Doch ich bezweifle, daß einer, wie er Fritz J. Raddatz7 seinerzeit passiert ist, ihm heute noch den Posten des Feuilletonchefs kosten könnte. Sicher bin ich nicht, denn in dieser Zeitungsklasse wird doch oder noch anders gewertet. Dagegen steht allerdings die Tatsache, daß einer wie der schöne hamburgische, nach meiner Sicht wundersam aus den Lichterketten emporgestiegen wordende, mittlerweile auch schon langjährige Chefredakteur solch ein Ding wie das mit dem vorerst gescheiterten Freiherrn in Buchform bringen darf.

Der Bluff hat dennoch vermehrtes Aufkommen und auch Zulauf. Dazu kann es meines Erachtens nur kommen, weil immer weniger genau, also konzentriert gelesen wird. Ich bin mir nicht im klaren darüber, ob das Ei vor dem Huhn da war, aber darin sicher, daß es das eine ohne das andere nicht gäbe. Ob es das Fernsehen oder das Internet ist, beide sind mittlerweile derart gefüllt von offenbar süßer, süßstofflicher, hin- und herhüpfender, ja -zuckender Geschwindigkeit, die Ruhe an sich schon nicht mehr zuläßt. Der bunte Herr aus München müßte von alterswegen eigentlich noch wissen, wo ein korrekter Satz beginnt und wo er endet. Mich erinnert das an Lethes Freibrief, vor zwölf (sic) Jahren von Herbert Köhler geschrieben.
«An der Eingangstür der Buchhandlung im Universitätsviertel hing ein weißer Zettel: «Suche Student, der lesen und schreiben kann, für einfache Arbeiten und für länger.» War das ein Witz? Weshalb dieser Einschub? Weshalb diese fast uneinlösbaren Voraussetzungen für einen Hilfsjob? Student, Lesen, Schreiben; das sind doch Synonyme. Sogar ich selber kann mich noch gut an meinen ersten selbstgeschriebenen und vorgelesenen Satz erinnern: ‹Otto und Else werfen den Ball.› Dieser Satz könnte als Präambel für die gesamte Philosophie des dialogischen Diskurses stehen. Man muß ihn nur deuten. Was aber hatte den Chef der Buchhandlung zu dieser mit Verzweiflung und stiller Resignation unterfütterten Tautologie verleitet? War es die Legende um Diogenes, der am helligten Tag mit einer Laterne über die Athener Agora spazierte und gefragt wurde: ‹Was tust du mit dem Licht?› und dann erwidert haben soll: ‹Ich suche Menschen!›»?
Menschen, «eine Wertegemeinschaft, die alles vergessen hat, was nicht vermünzbar ist». Selbst unser bunter Herr aus München weiß nicht mehr, wie's geht. Er steht derartig unter der Elektrizität, ist fortgerissen vom Strom seiner Klatsch- und Tratschpostille, die ihn pausenlos losschickt in die weite Welt, ihn ohne Ende irgendwelche Leutchens interviewen läßt, die insofern vermünzt werden, weil die leuchtenden Vorbilder des Anzeigengeschäfts illuminiert werden sollen und häufig genug auch wollen, daß er einen kurzgemitteilten Scherz nicht sofort versteht, er sich nach einer hinterhergeblinkerten Zwinker-Zwinker-Gefühlsglyphe (™ Der dunkle Mark) zehn Minuten später neuerlich meldet, um mitzuteilen: Jetzt hab ich's begriffen, sag's doch gleich. Er hat das Lesen verlernt, und damit die Minimalanforderungen eines praktischen Journalismus'. Er ist, trotz Studiums, in einem geradezu archaischen Stadium angelangt. Er gibt nur noch elektroschriftliche Grunzlaute von sich. Und er zwingt Frau Braggelmann und andere dazu, ebenfalls zu grunzen. Es ist ihm dringend angeraten, die Branche zu wechseln. Vielleicht Fußball oder so. Da wird auch so schön wie gedippelt gestammelt. Da kommt das Barbarentum her. Wenn sich jemand barbarisch verhält, heißt das heutzutage im Süden Frankreichs, südlich von Lyon, wo die Provence beginnt, wo die Medici in prächtige Gewänder gehüllt worden sein und sich geweigert haben soll, den Einheitsbauernfraß der indigenen Bevölkerung zu sich zu nehmen: stottern und stammeln, das heiße, einer Sprache nicht mächtig zu sein. Nicht, daß ihm seine Frau noch wegläuft, gar hin zu Frau Braggelmann, deren Witzchen sie nämlich auch beim ersten Mal des Lesens verstanden hat. Wogegen ich etwas hätte. Denn ich möchte Frau Braggelmann der Männerwelt erhalten. Die hat ohnehin kaum noch etwas zu sagen.
 
Di, 31.01.2012 |  link | (3156) | 4 K | Ihr Kommentar | abgelegt: lingua franca


edition csc   (31.01.12, 20:36)   (link)  
Entdeckt
Praktischer Journalismus, um 2002ff.

–cabü


famille   (01.02.12, 11:12)   (link)  
„Es ist unbestritten,
dass man auf dem Bildschirm flüchtiger liest. (...)

Wir müssen uns Sorgen um den Journalismus überhaupt machen, weil die Tendenz junger Leute, sich zu informieren, gesunken ist. Es gibt Umfragen, dass 40 bis 50 Prozent der 17-Jährigen gar nicht mehr wissen wollen, was auf der Welt los ist. Die halten ihren Umgang mit Facebook offenbar für Information. Das ist für alle Journalisten, egal in welchem Genre, eine erschreckende Auskunft.˝

Wolf Schneider


terra40   (01.02.12, 11:52)   (link)  
Transparenzlüge
Ich neige dazu, lieber Herr Stubenzweig, der Frau Braggelmann recht zu geben. Geheimnisse sind in der Tat dazu da um sie zu hüten. Und die Frage nach und Bitte um Transparenz ist - bitte enschuldigen Sie mich - ziemlich albern. Modisch ist sie auch. Was, bitte, ist denn schöner und befriedigender als die Gewißheit zwischen zwei (Menschen, Herzen, Seelen) zusammen ein Geheimniss zu teilen?
Was das alles piratisch sein soll, entgeht mir völlig. Wahrscheinlich betrifft es die Piratenpartei aber dazu fehlt mir die notwendige Transparenz.
Gruß, T.


jean stubenzweig   (01.02.12, 15:10)   (link)  
Gerade erfahre ich,
den definitiv negativen Beleg für mein Beharren auf Ablehnung gewisser Praktiken, nämlich die Folgen von Ironie, daß sie eigenartige Schwierigkeiten mit sich bringen kann. Also ganz schnell eine vom Erfinder Mark selbst ins Deutsche erweiterte Gefühlsglyphe hinterher: *zwinker-zwinker*. Frei verwendbar. Für jeden. Für alles.















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Jean Stubenzweig motzt hier seit 5814 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 22.04.2022, 10:42



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