Die andere Liebe

Fortsetzung Flaches Land | Liebe wie gemacht

Die Sonne ging dort auf, wohin Elias nicht mehr zurückwollte, jedenfalls nicht in nächster Zeit. Seine zuletzt gegenüber dem Studieren bevorzugten häufigen Dienstbarkeiten als sich tänzerisch bewegender Kellner zur Aushilfe in einem überwiegend von gut und manchmal auch seltsam bis komisch betuchten Männern frequentierten Lokal am Wittenbergplatz hatten ihm mehr als höfliche Trinkgelder eingebracht und ihn die Miete für drei Monate in der nun verwaisten Wohnung hinterlegen lassen. Denn hinzugekommen war auch der mehrfache Verdienst, entstanden aus dem von nichts als Heiterkeit bestimmten, ungezwungenen Einschenken meist hochprozentiger und mit exquisiten Limonaden gemischten polnischen, in Automobilen mit Kennzeichen des diplomatischen Corps nach Westberlin eingeschmuggelten Vodkas aus Flaschen mit darin enthaltenen Grashalmen auf Gesellschaften solcher Auftraggeber, die sich durchweg aus den Gästen der sonntäglichen Frühschoppenkneipe quasi rekrutierten, die in ihn ihre körperlichen Sehnsüchte projizierten. Zwar erfuhren sie bald Ernüchterung oder gar Entttäuschung, verstand Elias es doch immer wieder geschickt, ihre Annäherungen bei gleichbleibendem Lächeln abzuwehren. Doch sie zeigten den sichtbar wohlgestalteten jungen Mann offenbar gerne auf ihren zunehmenden Festivitäten her, die meist in ehemaligen Werkstätten von Handwerkern stattfanden, die ihre Betriebe in Hinterhöfen aufgegeben hatten, hatten aufgeben müssen, da die sich selbst zumindest ökonomisch in zunehmendem Maß aufklärende Gesellschaft immer weniger Interesse an schlichteren Tätigkeiten zeigte.

Dieser zunehmende Teil der Gesellschaft, der die von Studenten sowie deren Mitläufer erzeugten Unruhen allenfalls am Rande wahrnahm, auch Tote wie die eines jungen Mannes namens Benno Ohnesorg waren allenfalls von Kommentaren wie verdient oder selber schuld begleitet, begann, sich dem Fertigen zuzuwenden, das beispielsweise im Mobilaren immer häufiger aus Skandinavien kam und keine Reparateure des Alten mehr benötigte, da bei Defekten oder Nichtmehrgefallen immerfort gleich zu Neuem gegriffen wurde. Man war auf bundesrepublikanischen Steuermitteln sanft gebettet nahezu durchweg aus den westdeutschen Provinzen in die Stadt gekommen, um fiskalbegünstigt sowie überhaupt höher honoriert abseits kleinstädtischer oder gar dörflicher Langeweile Spaß zu haben in den Lofts, die als Mitbringsel von wenigen tatsächlich Weitgereisten die Freude am Leben immer weiter hinaufsteigen ließen. Diese paar Botschaftsüberbringer brachten auch Zeichen der Veränderungen mit wie etwa Neudeutungen der Liebe, anfänglich am Rande wahrgenommene, aber bald um so intensiver übernommene Errungenschaften aus ferner, sich bisweilen als kurios darstellenden Lebensauffassungen einer anderen Welt. Love and Peace ward diese magische Erkenntnis genannt, uneingeschränkte freie Liebe, hier geschlechtsspezifisch umgesetzt in den oberen Etagen der Hinterhöfe, wohin Hüter einer gesetzlich sanktionierten christlichen, oftmals besonders verkniffenen, sich reformatorisch gerierenden Moral höchst selten, in jedem Fall unwirksamen Zutritt hatten. Schwul nannten sich in der protestantischen Stadt nur ein paar wenige Forsche, die sich gleichwohl auf ihren geradezu esoterischen Maskenbällen produzierten. Homosexualität, soweit reichte der Bildungsstand des größten Teils der Gesellschaft nicht zurück, galt nicht als historisch weit hinter die Antike reichendes gleichwertiges Mitwachsen, sondern als Krankheit, die ausgemerzt gehörte, also beseitigt wie das unnütze, weil wirtschaftlich untaugliche Vieh einst im März.

Ein solches untaugliches Stück Vieh war Elias begegnet, als er während einer weiteren studentischen Nebentätigkeit als Vertreter eines Leasinggebers einem honorigen Herrn aus einem für Bildung zuständigen westdeutschen Ministerium mit berlinischem Zweitwohnsitz eine hochwertige Stereoanlage anzubieten hatte, deren Tonabnehmer des Plattenspielers alleine in etwa den gleichen Betrag kostete wie eine der Waschmaschinen, die er ansonsten im Programm hatte, das vorwiegend denjenigen galt, die auf der ganz weit hinten liegenden und für viele nicht sichtbaren Seite dieser Hinterhofmedaille lebte, von der Zille einst schrieb, dort würde die Miete mit dem Revolver kassiert. Den zu Wochenenden aus Bonn nach Berlin entweichenden Ministerialdirigenten einer höchsten Besoldungsgruppe hatte ihn sein Maurer anempfohlen. Der war zu dem jungen Ehepaar ins Haus gekommen, als er auf Weisung der Vermieter letzte Arbeiten an der in vier Wohnungen aufgeteilten Jugendstilvilla vornahm, deren Eigentümer, zugleich Betreiber einer gehobenen Würstchenbude am Wannsee, es über sogenannte gute Beziehungen gelungen war, sie in einen sogenannten weißen Kreis hineinzukomplimentieren, der die Mieten aus der ansonsten üblichen Preisbindung herausnahm. Mit ihm war Elias ins vertiefte Gespräch gekommen, in erster Linie wohl deshalb, da sich dessen außerordentliches kunsthistorisches Wissen herausstellte, das ihm das eine und andere Mal weiterhalf bei seinem noch hinzugenommenen Nebenfach. Fast so etwas wie eine Freundschaft hatte sich schließlich daraus entwickelt. Dieser Maurer, der sich als schlichter Geselle etwas abgabenfrei hinzuverdiente, war auch tätig geworden bei dem in ein anderes, ebenso den Wurst- und Kaffeefürfamilienbudenbetreibern gehörendes Haus in diesem unverfänglichen, weil gediegen-bürgerlichen Stadtteil am westlichen Rande West-Berlins, in das der hochrangige Beamte zweitwohnsitzend eingezogen war. An einem lauen Junisonnabend war Elias serios, aber dennoch leicht bekleidet vorstellig geworden in der Hoffnung, einmal höherwertig als im Maß von Dreckwäsche in die Kasse anderer greifen zu können. Der Herr griff auch sofort zu, vermutlich, weil er in diesem Finan-zierungsmodell Zukunft sah, vielleicht aber auch in der Hoffnung, Elias zukünftig fest in die Wäsche greifen zu können.

Zuletzt tun dürfen hatte das ein um einige Jahre älterer Cousin, dem er mütterlicherseits vertrauensvoll ans Herz gegeben worden war anläßlich eines Lagers während der Feierlichkeiten zur Mitsommernacht in einer abgelegenen Nähe zum Polarkreis, der letzten Festivität vor seinem Ylioppilastutkinto, wie das Abitur in seinem Land heißt. Das ihm gegebene Vertrauen war sicherlich auch aus der Tatsache entstanden, daß der Verwandte obendrein als erzieherischer Leiter einer streng protestantischen Gemeinde tätig war, deren Leitlinien zwar nicht unbedingt mit denen seiner eher von freiem Geist beseelten Mutter übereinstimmten, die den Sohn jedoch von Fehltritten abhalten sollten. Verfrühte Sexualität beispielsweise gehörte dazu. Daß er längst Erfahrung darin hatte, seit ihn Dreizehnjährigen die wundersam weiche und zärtliche Schwedin polnischer Herkunft zu umsorgen begann, die zu internatsfreien Wochenenden von Kapellskär übersetzend als sich unausgelastet fühlende gereifte Dame eines freudigen schwedischen Hauses auch das der ansonsten zweisam lebenden Rönnrots bediente oder vielleicht einen ihre andere Nothelferinnentätigkeit überdeckenden Nachweis benötigte, sich, wie auch immer, aber eben irgendwann auch seiner angenommen und ihm endlich das und etwas mehr gegeben hatte, wonach er sich seit Kleinkindzeiten sehnte, das entzog sich der Mutter Kenntnis, war sie doch immerfort beruflich mit diesem Herrn Wittgenstein zugange, dessen Nichtwissen um das Nichts sie unbeirrt und beharrlich erforschte und betrieb wie das Auffüllen eines im All endenden Lochs. Diese Zärtlichkeit war für ihn auch das Maß aller Dinge geworden, ihr allein wollte er sich fortan hingeben. Doch im Ferienlager waren die Geschlechter streng getrennt, woran sich zwar nicht alle hielten, allen voran die Schüler und offenbar besonders gerne die Schülerinnen der gymnasialen Oberstufe, aber die üppige Ainniki, die ursprünglich Tuulika, kleiner Wind, heißen sollte, dann aber doch nach Kulervos Schwester den Vorzug bekam, weil die nationaleepische Kraft Einzug halten sollte in die Familie, die ihre rotblonden Zöpfe fortwährend und geradezu frivol zu flechten schien, dieser von ersten Annäherungen Träumenden umschwärmte kleine Wind einer Kollegin seiner Mutter, deren Gatte vor ihrem ständigen Verlangen geflüchtet und in die befreiende Platonik konvertiert war, der er ab nachmittags in den Tanzlokalen des lange vor Mauri Antero Numminen* für seine Züchtigkeit legendären finnischen Tangos huldigte. Doch Ainniki schien ihm gegenüber nicht die gleiche Leidenschaft zu entwickeln, möglicherweise, weil ihm die erforderliche kalevalheroische Kampfesbereitschaft abging, wie sie die anderen Jünglinge an den Tag bis hinein in die Nacht legten. Elias fühlte sich unbeachtet; daß er sich später deshalb einmal als geschlechtlich würde diskriminiert fühlen dürfen, dessen konnte er sich noch nicht gewahr werden, schließlich befand man sich im Finnland der fünziger Jahre. Dem Cousin und Erzieher war sein schmachtendes Begehren gleichwohl nicht verborgen geblieben. Um ihn von entschieden zu frühen Begegnungen mit dem anderen Geschlecht fernzuhalten, nahm er ihn in ein Duschzelt beiseite und bemühte sich, ihm das eigene nicht nur in voller Pracht darzubieten, sondern es darüber hinaus auch bewegend zu ergreifen sowie ihn in weitere Techniken der Liebe einzuführen. Jedoch alles, was an ihm währenddessen festmachte, waren die Gedanken an die zärtliche Fürsorgerin seines Wohlbefindens, die er imanigativ in ein sanftfarbenes Aquarell übertrug, das dabei Ainnikis Formen angenommen hatte.

Ob es in Belgien eine Ainniki geben würde, die ihm dann wohlgesonnen wäre, darüber war er sich im Unklaren. Fest stand jedoch, kein noch so standhafter Mann würde fortan in der Lage sein, sich ihm allzu körperlich zu nähern. Als er kurz hinter Aachens Europaplatz in eine Tankstelle einbog, lächelte ihn beim Aussteigen neben einem bunt bemalten Auto eine heiter wirkende Frau an, stellte sich sich als Hanneke vor und fragte ihn, ob er nicht Lust verspüre. Sie meinte damit ihn als Begleiter zu einem Fest in Heerlen, das das Mittelalter thematisierte. Heerlen, das wußte er von seinem letzten Besuch in der Stadt am Dreiländereck, liegt nicht in Belgien, sondern in den direkt daneben liegenden Niederlanden. Hanneke fuhr voraus.

*«Der Nachmittagstanz im Maestro paßte uns bestens. Die Band war die von Kai Gideon, dem Mann, den ich aus der 1997er Tango-Dynastie am meisten schätze. Er ist, wenn man so sagen kann, geistig den übrigen voraus, und seine innere Ausgeglichenheit kommt auch in seiner nuancenreichen, teils sogar mystischen Stimme zum Ausdruck. Das hat vermutlich damit zu tun, daß er im Kloster Valamo am Ladogasee war und heute als orthodoxer Religionslehrer arbeitet.»
Tango ist meine Leidenschaft


Es besteht die Absicht einer Fortsetzung.

 
So, 25.03.2012 |  link | (2658) | 9 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Flaches Land


einemaria   (26.03.12, 02:09)   (link)  
Ich warte auf den Tag, an dem Sie es schaffen sollten, und das sollten sie, einen Satz zu ge*rieren, der die Ausmasse des neuesten Modells an Superflachbildschirmen, die inzwischen die Ausmasse ganzer Hauswände annehmen, übersteigt und dennoch kein einzig Wörtchen wiederholt, sondern sich sittsam in der Aneinanderreihung aller der deutschen Sprache jemals entsprungenen Phonembomben und Buchstabensuppen fortsetzt, ohne selbst den Überblick zu verlieren. Eventuell mag das auf finnisch noch leichter von der Hand gehen ;)


enzoo   (26.03.12, 09:32)   (link)  
aber
solche sätze sind doch wöchentlich hier zu lesen! 120 zoll diagonale und irgendwaskommairgendwas bildpunkte pro zoll - wie lächerlich sich das ausnimmt gegen einen stubenzweigschen karzinomsatz, egal ob gut- oder bösartig.


jean stubenzweig   (26.03.12, 16:52)   (link)  
Kleinbildschirmhafte Sätze
schreibt doch bereits die gesamte jungdynamische Gesellschaft, das mag wohl an den winzigen Geräten liegen, von denen aus sie ihre hundertvierzig Zeichen zwitschern, aus denen hervorgeht, daß sie mal wieder nicht wüßten, was sie schreiben sollten. Ich aber gehöre einer Generation und darin dieser seltsamen Species an, die sich Gesetzen, gleich gar nicht ungeschriebenen, nicht unterzuordnen bereit ist, die kurze Sentenzen vorschreiben. Dem habe ich mich bereits zu verweigern begonnen, als ich noch journalistisch tätig war. Sogar für den Hörfunk war es mir im Lauf der Zeit gelungen, Sätze so fein kompliziert zu dengeln, daß selbst die erfahrendsten Redakteure beziehungsweise deren Schnitterinnen sich als unfähig erachteteten, mitten drin aus einem Beitrag etwas herauszukürzen. Wobei hinzuzufügen ist, daß ich meine Sendungen allesamt selbst ins Mikrophon sprach, ich mir die langen Worte also auf den Mund schreiben konnte (wie anderen Sprechern auch), die ich derart modulierend intoniert aufs Band schickte, daß Schnitte äußerst schwierig wurden. Dennoch wurde alles gut verstanden. Voraussetzung war jedoch konzentriertes Zuhören. Und ich war immer bemüht, das inhaltlich zu fördern.

Heute als Privatier erlaube ich mir eine Protestschreibung, die den einen oder die andere zurückschickt in seine Welt, nachdem sie, sag ich's moderat, festgestellt haben, daß die meine nicht die ihre ist. Es liegt auch daran, daß meisten immerzu geforderten kurzen Sätze mich langweilen, ich überdies nicht mehr bereit bin, mich diesem volksgeforderten Diktat nach angeblicher Einfachheit zu unterwerfen, die sich mir immer häufiger als kaschiertes Unvermögen darstellt. Ihren Anfang nahm diese Entwicklung, als etwa um 1993 eine Studentin der deutschen Sprachwissenschaft im sechsten Semester mir schulterzuckend einen Werbetext für eine Zeitung zurückgab mit der Begründung, der sei ihr kompliziert zu lesen. Zwei Jahre später meinte ein Student gegenüber einem Freund, der dessen Germanistik-Dissertation zu bewerten hatte, er solle sich nicht so haben wegen der fünfzehn Fehler pro Manuskriptseite, mit der Argumentation, er solle doch mal ins Internet schauen, was da abginge. Jetzt lasse ich als elektrischer Kladdenvollkritzler mein Geplappere so aufs Papier fallen, wie mir die Wörter aus meinem schon immer leicht ungeordneten, aber früher disziplinierteren Kopf parenthetisch auf die Tastatur fallen. Ich könnte auch hier sozusagen rudimentär durchaus anders, aber ich mag nicht.

Das Finnische beherrschte ich bereits früher nicht wirklich, selbst als ich dort noch ansässig war. Ähnlich vielleicht wie jene Schweden, die dort überwiegend im Westen als Finnen wie deren Eltern auch geboren und für die's dort dennoch allüberall weiterhin zweisprachig notiert wird. Wie sich das heutzutage entwickelt hat, vermag ich nicht zu beurteilen, da ich lange nicht mehr dort war. Bis in die achtziger Jahre habe ich Finnland noch bereist, da ich es lange als Heimat empfand, kam ich doch als kleiner Junge aus dem Osten dorthin. Dann ließ meine Sehnsucht nach. Es mag damit zusammenhängen, als Nichteinheimischer nie wirklich in den Bann des Sisu gezogen worden zu sein. Mir fehlte wohl die Kampfbereitschaft, die erforderlich war, um den Kalevala richtig zu verstehen, allemale war ich zu undiszipliniert. Nie konnte ich werden wie Der Töter von Veijo Meri, der über hunderte von Metern einer spätsommerlichen Stechmücke im von Russen verseuchten Karelien ein Auge auszuschießen vermochte. Auch meine früheren intensiven Kontakte zu in Deutschland lebenden Finnen, darunter einige nicht finnisch sprechende, kamen in die Endzeit. Meine älteren, väterlich-östlichen Wurzeln hatten mich zunächst gefangen, vollends obsiegten allerdings die mütterlichen im westlichen Europa. Daß da nun wie ein später Frühling altes Kraut — es gibt kein Unkraut, sagte mir einst ein Steuerberater, und meinte damit Unkosten — nördlicher Herkunft aus dem Boden sprießt, ist diesem Elias geschuldet, der sich vereinzelt erklärend zu erinnern hat.

Ich besuchte mit der durch die Reisefreudigkeit meiner Eltern bedingten Unterbrechungen in den Fünfzigern bis in die Sechziger hinein eine deutschsprachige Schule, in der man seinerzeit die sprachliche Biege jedenfalls noch zuließ. Finnland unterhielt zu beiden deutschen Staaten gute, nicht zuletzt wirtschaftliche Beziehungen, man war jedoch bereits vor dem zweiten Weltkrieg dem Deutschen recht zugetan. Ich habe zum Beispiel den von Mobiltelephonen her bekannten, heute als global tätigen Communications-Konzern noch als Hersteller von Gummistiefeln kennengelernt. Die nordolympische Disziplin dieses Geräteweitwurfs dürfte darin seinen Ursprung haben. Überhaupt war man dort sehr offen, woraus sich ergab, daß auch Kinder aus anderen Staaten an der Schule schlechtes Finnisch lernen durften. Was als Rudiment geblieben ist, ist neben einigem Vokabular das Restwissen darüber, daß das Finnische nicht unbedingt leicht zu erlernen ist, bespielsweise dadurch, daß Wortbeziehungen alleine durch Suffixe hergestellt werden, von denen es circa hundertfünfzig gibt. Als Beispiel: Laiva = Schiff. Das unter Billigflagge fahrende Schiff in suomeksi, also finnisch = mukavuuslippulaiva. Ich verfüge aus alten Zeiten noch über ein paar Wörterbücher, aus denen ich von Fall zu Fall schlingernd von suomalainen = finnisch nach saksalainen = deutsch und manchmal nach ruotsalainen = schwedisch charonisch über den sprachlichen Hades setze. À propos Totenreich und dessen Fälle: davon gibt es fünfzehn. Da kommt man nie wieder raus. Sie kommen in der Umgangssprache zwar kaum zur Anwendung, aber selbst der Rest ist für den immer weniger wissenden Anwender alles andere als ein kläglicher. Es dürfte also nicht unbedingt leichter vom Kopf in die Tastaturhand fallen.


jean stubenzweig   (26.03.12, 20:19)   (link)  
Karzinomsätze.
Stimmt genau. Aber bösartig sind sie allesamt. Mit Bandwurmsätzen fresse ich mich durch den Komposthaufen der kürzelhaft zwitschernden Sprache. Ich errichte ein Krematorium der abgehackten Sätze, aus einem einzigen Satz.


kopfschuetteln   (26.03.12, 22:11)   (link)  
ich mag kurze sätze und sätze, die schier nicht enden wollen.
wenn es nottut, auch bösartige.
wußten sie eigentlich, daß ich Sie ausdrucke? das wird ein buch.

ich werde nie ein e-book haben (vermutlich) würde ich das doch nur auszudrucken versuchen.

ich mag sätze, die nicht enden wollen, sie verschachteln im schönsten sinne, sind geschenke, die ausgepackt werden wollen, sprachgewordene matroschkas - wollen hierhin oder dahin, scheinen ziellos oder führen einen manchmal in die irre, weil man denkt, man denkt schneller, aber falsch gedacht, denn das ist das schöne an diesen schier endlosen sätzen, daß sie, wenn sie der in berlin berühmte, und in kurz-vor-moskau gerühmte, herr stubenweig schreibt, uns sagen oder erzählend wissen lassen, daß es ihm gut geht und gut möge es ihm gehen.

kürzer gesagt: beste grüße!


enzoo   (28.03.12, 10:46)   (link)  
ich hatte schon
einen ebook-reader, habe ihn aber wegen technischer unzulänglichkeit wieder zurückgegeben.

die vorteile so eines gerätes sind schon evident, ebenso wie die nachteile, darüber muss man nicht diskutieren, aber man kann natürlich. einer der grössten nachteile ist es, dass man das ding im flugzeug während des startes und der landung abschalten muss, just in der zeit also, in der man es am dringendsten benötigte, um das dumme gerede des kevin oder marvin oder deren schwester chantal am nebensitz auszublenden, weil fliegen in so einer familienkonservendose sowieso langweilig ist und weil während start und landung die stewardessen nicht durch die gänge tänzeln, so dass man ihnen nicht mehr oder weniger wohlwollend auf die beine schauen kann, sofern sie nicht ohnehin durch stewards ersetzt bzw. selbst im weiblichen falle behosenbeint wurden. das klingt ein bisschen matschös, aber was soll man tun statt dessen, wenn man kein gutes altes analog-buch zur verfügung hat? kontrollieren, ob das speibsackerl (erbrochenesauffangbehälter) noch unbenutzt ist? den sicherheitshinweisen auf den bildschirmen folgen? über das leben nachdenken, während zwei reihen weiter vorne kevin lautstark über druck in den ohren jammert?

ein guter grund also, kein ebook beim fliegen mitzuhaben und statt dessen auf gutenbergs entwicklung zu vertrauen. kevin verschwindet dadurch nicht, wird aber irgendwie doch leiser.

der ebook-reader, den ich hatte, wurde allerdings aus anderen gründen entfernt. es dauerte ewig ein buch zu öffnen, es dauerte ewig und mit jedem buch, das ich darauf las noch ewiger, jede einzelne seite umzublättern, und selbst für mich, der ich nun in der tat kein stressle(se)r bin, war das allzu bremsend. als grund wurde mir genannt, dass ich zu viele bemerkungen abgespeichert hatte. ich kritzle zwar wenig in büchern herum, hin und wieder aber doch, so auch elektronisch, und das, so sagte man mir auf meine beschwerde, ruinierte die "performance" des gerätes. da hab ich es auf den ladentisch zurückgelegt und das geld des gutscheins sofort in papierbücher mit gleichbleibender performance eingetauscht. seither wird wieder gekritzelt und nicht mehr getippt. aber wenns mal einen ebook-reader gibt, der diese schwierigkeiten überwunden hat, dann kauf ich wieder einen, kevin hin, chantal her.


kopfschuetteln   (28.03.12, 14:31)   (link)  
matschös da kann ich aus meiner erfahrungswelt nichts beitragen. im flugzeug, zum glück fliege ich beruflich nur noch selten, säße dann also mein eigener nachwuchs, der nicht kevin-justin-jason und auch nicht chantal heißt, um den ich mich also lieber kümmere…
es ist vielleicht-nein-ganz-bestimmt auch eher so, daß ich keine lust habe, wenn ich ein buch lesen will, mich mit technischem kram zu beschäftigen (obwohl ich bestimmt technikaffin bin). ich will doch nur lesen. und wenn dann alles ewig dauerte, um gottes willen, das würde mich wahnsinnig machen, geht gar nicht.
(vielleicht ist ein e-book dann sinnvoll, wenn man immer die neueste fachliteratur braucht, zum beispiel den schönfelder samt der wer weiß wievielten ergänzungslieferung, die sich sozusagen updaten würde.)
wer es mag, gerne. ich möchte es nicht.


jagothello   (27.03.12, 15:54)   (link)  
Löchrig
Das Merkwürdigste an einem Loch ist sein Rand. Dies hätte wohl auch Elias denken können? Eine herrliche Beobachtung!


jean stubenzweig   (28.03.12, 12:57)   (link)  
Das Merkwürdigste
an diesem schier endlosen, mich immer wieder tief hineinziehenden tucholskyschen Loch ist, daß ich nun wirklich eher dem gedruckten Buch Zugeneigter, der von Panter, Tiger und Co. nahezu alles gebunden parat stehen hat und seit fünf Jahrzehnten immer wieder darin liest, mittlerweile so bequem geworden bin und im Netz nach ihm blättere. Das liegt allerdings ohne Zweifel am Betreiber von http://www.textlog.de, der neben vielen anderen wissenswerten und lustlesemachenden Raritäten auch die Glossen und Essays von Kurt Tucholsky ins Netz gestellt hat und dem ich hier an dieser Stelle nochmals herzlichen Dank sage.

Elias hat, so richtig vorgedrungen ist sein Autor noch nicht in dessen Person beziehungsweise in dessen werdende Persönlichkeit, vermutlich über den Rand des Lochs noch nicht weiter nachgedacht, in das er gerade zu fallen droht. Er ist ja noch jung und ohnehin ein Spätzünder. Der Gestalter will jedoch fortan die Ränder der Untiefen seines Lebens genauer in Augenschein nehmen. Doch anzunehmenderweise wird ihm das nichts nützen, es wird ihn trotzdem in diese Strudel hineinziehen. Strudel, Strudelhofstiege, Heimito von Doderer, Tangenten: «Jeder bekommt seine Kindheit über den Kopf gestülpt wie einen Eimer. Später erst zeigt sich, was darin war. Aber ein ganzes Leben lang rinnt das an uns herunter, da mag einer die Kleider oder auch Kostüme wechseln wie er will.» Wie sich das verhält mit den Sensiblen Männern, das wird er wohl im Lauf der Geschichte erfahren.















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