Am Rand des fünfzehnminütigen Berühmtseins

Notizen zum Thema hatte ich mir vorgestern bereits gemacht, da geriet ich gestern hier hinein. Just zu dieser Zeit hatte es einen anderen beschäftigt. Aber das wäre schließlich nicht neu. Und obendrein schildert es einen, wenn auch wesentlichen, Teilbereich der Gedanken, die mir seit einiger Zeit durch den Kopf flirren wie die lauen Sommerabende, die es nahe der Ostseeküste laut Frau Braggelmann im April manchmal geben soll.

Ein Herr durchkreuzt in letzter Zeit immer wieder sekundär mein Leben. Ein, auch zweimal habe ich bereits über ihn erzählt. Er ist Tag und Nacht unterwegs, um diejenigen aufzuspüren, die die Events erst zu Events machen, denn ohne sie wären das vermutlich eher schlichte Veranstaltungen, denen nichts weiter abzugewinnen wäre. Eigentlich ist er Sportberichterstatter. Aber da die Ertüchtigungen ohnehin etwas mit den Leibern zu tun haben, wird er losgeschickt, um sich dazwischen zu zwängen, um für sein buntes Blatt zu berichten. Vielen dieser Leser und, vielleicht besser, Betrachter dürfte es am liebsten sein, wenn, wie seinerzeit bei Zadek im Hamburger Schauspiel, da war das allerdings noch eine Sensation, die Matthes die Brüste über die Balustrade hängt. Doch seit einiger Zeit existieren nicht einmal mehr Vorhänge. Meistens ist er gehalten, ein Gespräch mit den Beteiligten zu führen, das häufig in der Frage gipfelt, ob sie romantisch seien. Ich bin nicht sicher, ob er sich über die Tragweite solcher Fragen inhaltlich gewiß ist. Studiert hat er einmal, sogar ein populäres Sachbuch verfaßt. Aber was heißt das schon, heutzutage schreibt doch jeder, und sei es ein elektrisches Tagebuch. Dabei spielt es bei dieser elemantaren Frage weiter keine Rolle, ob es sich dabei um einen Boxweltmeister oder um einen der bildenden Künste handelt, deren Meinung zur Romantik er jeweils einholt. Die Romantik ist längst darin aufgegangen, indem eine italienische Chansonette einen Monsieur le Président, eine Laufstegartistin einen Hollywoodavantgardisten ehelicht und am Ende gar Adoptivkinderchen dabei zur Welt kommen. Das macht sie so schön bunt, die Welt. Und alle Welt will daran teilhaben. Andy Warholas fünfzehnminütiges Berühmtsein ist zwar längst Alltag geworden. Aber schließlich kann nicht jeder zumindest Deutschlands Superstar werden. Zuschauer braucht es schließlich auch. Und dafür gibt es diese gelben Blätter, auch wenn sie sich bunt nennen.

Wie groß dieser Markt ist, trotz einschlägigen Fernsehens, nicht nur der Privaten, auch das zwangsfinanzierte, für Bildung zuständige öffentlich-rechtliche ist massiv daran beteiligt, vermag ich nicht beurteilen. Doch ich fühle angesichts der öffentlich-rechtlichen Bemühungen sowie der Einschaltquoten seine Überdimensionalität. Das Über tilge ich wieder, es dürfte sich eher um die Dimension an sich handeln, und sei sie noch so eindimensional, wie dieser eine Marcuse das einmal angemerkt hat. Aber aus heutiger Sicht könnte es durchaus sein, daß auch der andere sich hinzugesellte bei diesen Veranstaltungen. Es ist schließlich nicht so, daß nur die eher etwas Einfältigen ihre Festivitäten hätten, zu denen die Berichterstatter anzureisen haben. Auch das Feuilleton hat seine Versammlungen, und nicht nur zur, zu den muß es mittlerweile heißen, denn in Deutschland finden seit des endgültigen Siegs des Schmieröls über den Sozialismus schließlich zwei Buchmessen statt.

Auch ich wollte einmal berühmt werden. Dazu, das war mir rasch klar, war ein bestimmtes Äußeres erforderlich, an dem meine Apartheit sich erkenntlich zeigen sollte. Das hier Gemeinte hat nicht so sehr mit historischer, aber immer noch nicht bewältigter südafrikanischer Abgrenzung zu tun, zumal die sich mit weichem d schreibt, als mehr mit dem gesonderten Einzelnen, wie man es beispielsweise aus dem Buchhandel kennt, wenn ein einzelnes Exemplar bestellt wird, aber durchaus ist bisweilen eine Dame gemeint, die durch ihre Erscheinung auf sich aufmerksam macht. Mit Kleidung also meinte ich es bewerkstelligen zu können. Da mein Vater mir noch zu Lebzeiten einen Teil meiner anstehenden Erbschaft zukommen ließ, investierte ich als junger Mensch in feines Tuch. Darunter befand sich ein Jäckchen, das mir etwas Tänzerisches gab. Und tatsächlich, kaum war ich hineingeschlüpft, bewegte ich mich anders als sonst. So kam es dazu, daß mich eines Tages, endlich, jemand nach meiner beruflichen Tätigkeit fragte und hinzufügte, sie müsse etwas mit Musik zu tun haben. Ich hatte, wenn ich mich recht erinnere, gerade mein neunzehntes Lebensjahr abgeschlossen, und die Frage heftete sich an mich wie edelstes Balsam an meine Haut. Tänzer sei ich, gab ich ihm zur Antwort, bevor ich von dannen schwebte. Kleider machen Leute. Und mache man sich dabei noch so nackicht wie einst der Märchenkaiser oder auch der Münchner Couturier sich lächerlich, der gleichwohl genauso immer sein Publikum um sich zu scharen wußte, auch wenn sein Abgang nicht so glanzvoll war wie seine sonstige bayerisch-königlich anmutende Erscheinung. Sehr viel später erst sollte ich solchen Vorstellungen wieder begegnen, als unser Jüngster fünfzehnjährig vor seiner Karriere als Rockmusiker beschlossen hatte, als schwedisches Unterwäschemodell zu reüssieren. Auch er ist längst von dieser Rolle gefallen und wirkt als Tischler, aber immerhin kreativer als irgendwas mit Medien. Und Musik macht er obendrein noch. Ich mag es gerne, wenn er seine Balladen singt. Sie sind so wohlklingend in ihrer angenehmen Leisheit.

Das Laute. Ich frage mich immer wieder, weshalb diese Leutchens es fortwährend so schrill brauchen, weshalb sie keines dieser Events auzulassen gedenken, wann auch immer ein paar dieser Berühmtheiten angehäuft werden. Weil sie wenigstens ein bißchen Teilhabe haben wollen am Prominentendasein? Sind es, was ich seit langem vermute, weder bin ich Historiker noch Psychologe, die Sehnsüchte nach höfischem Leben? Denn was sich auf diesen Bühnen samt Film- und Fernsehkanälen oder anderen Tuben abspielt, ist doch nichts anderes als eine Nachstellung der Versammlung sogenannter oberen Zehntausend, die sich früher an Fürsten- bis Königshäusern zuknicksten. Immerzu ist die Rede vom abgeschafften Adel und daß das gut so sein, und dann rennen sie alle los, wenn wieder solch ein Auftritt stattfindet und sogar bunte Berichterstatter losgeschickt werden, die eigentlich auf die Paralympics der Unterbelichteten gehören. Ist die Welt ohne diese seltsam anmutenden Hierarchien denn tatsächlich so trist?

Von den aufgeblasenen Hochzeiten will ich erst gar nicht schreiben, zumal die, vor allem in den Kommentaren, durchaus zu meinem Vergnügen abgehandelt sind. Auch ich habe einmal geheiratet, es ging nicht anders, allerdings seinerzeit bereits etwas schlichter. Ich mußte gewußt haben, daß eine Scheidung nicht lange auf sich warten ließ. Allerdings zeichnete sich bereits zu dieser Zeit, es ging auf das Ende der Sechziger zu, eine Entwicklung ab, die das Sterben aller Eheschließungen andeutete. Und tatsächlich scheint es heutzutage mehr Trennungen als Trauungen zu geben, sicher doch, bei dieser Überalterung. Demnach wäre das alles Trompe-l'œil der Gesellschaft, meinetwegen selbstbetrügerische Augentäuscherei: innendrin im Bau, in Herz und Seele tiefste, drögste Kleinbürgerei, auf die Fassade gemalt höfischer Glitter.

Obwohl es längst nicht mehr notwendig wäre, gehen viele nach wie vor den Bund fürs Leben ein, auch dann, wenn sich das verflixte siebte Jahr bereits abzeichnet. Das schwedische Unter-wäschemodell hat's letztes Jahr getan, völlig ohne Zwang. Aber es war immerhin was los, beinahe so schön, wie ich in den Sechzigern als Folge einer Begegnung eine Hochzeit unter Gitanes erleben durfte. Sein Bruder hat immerhin einen Stall voll Kindern mit geehelicht, da bringe ich noch Verständnis dafür auf. Aber es steht vermutlich noch die Schwester an. Nicht, daß ich den beiden ein rauschendes Fest nicht gönne, ich würde sogar die alten Teufelsgeiger hinzubitten. Aber muß deshalb gleich geheiratet werden, und das auch noch wie bei Fürstens zuhause? Um einmal für ein Weilchen auszusehen und berauscht zu sein wie eine Berühmtheit.
 
Do, 30.08.2012 |  link | (1809) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Geschmackssache















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