Von scharfem Blick

Als der Student der Volkswirtschaft Rudolf Kicken gemeinsam mit Wilhelm Schürmann 1974 in Aachen seine Photogalerie Lichttropfen eröffnete, produzierte er ein regionales Sensatiönchen — da war einer, der sich traute, einfach nur Photographien auszustellen. Während sein Freundeskreis ihn unisono noch für verrrückt erklärte, bewegte sich der Vor(aus)reiter strategisch zielstrebig nach vorne. Noch längst nicht einmal zehn Jahre später bestimmt er den europäischen Markt der photographischen Kunst maßgeblich mit — die Betonung liegt gleichwohl auf Handel, weniger auf Kunst. Denn jemand, der sich zum Beispiel für osteuropäische Photographie oder der aus dem Bauhaus interessiert, landet zwangsläufig in der Kölner Albertusstraße 47 — dort residiert der Photogalerist inzwischen.*

An den Wänden hängen aber nicht nur die klaren Lichtspielereien des Bauhaus-Künstlers Werner Mantz oder die zeitweise surrealistischen Photographien des Ungarn André Kertesz. Hier gibt es auch die von dem US-Amerikaner Edward Weston im Dünensand recht kulinarisch angerichtete junge Dame zu sehen, für die Kicken in jedem Fall 50.000 Mark haben will — und «wenn das Bild zehn Jahre» bei ihm hängen sollte. Das naheliegend im Galerietrakt befindliche Schlafzimmer ziert sogar eine Photographie im Marktwert von 150.000 Mark. Ansel Adams Moonrise ist sein «röhrender Hirsch», der ihn «in gewissen Stunden vergessen läßt, in Deutschlands häßlichster Stadt wohnen zu müssen».

Im lauschigeren Aachener Wald hatte alles angefangen — wie bei Edward Weston mit einer abzulichtenden jungen Frau. Mit einer geliehenen Instamatic wollte er eine Freundin ins Bild setzen. Daraus entwickelte sich eine harmonische Ehe mit der Photographie, wie seine derzeitige Gespielin feststellt. Sie attestiert ihm tatsächlich Besessenheit — zu diesem visuellen Medium, zu ihm allein habe er offenbar «ein erotisches Verhältnis».

Diese Beziehung treibt den Kunstmakler, der «aus der kommerziellen Perspektive gesehen auch ganz gut ohne Galerie auskommen könnte», in die verborgensten Winkel der Alten und der Neuen Welt. Auf einer kleinen hawaiischen Insel zum Beispiel kam er vor Jahren einem ehemaligen Assistenten von Edward Steichen auf die Spur. Als das etwas länger andauernde Gespräch vorüber war, hatte Kicken einen Großteil der Arbeiten des 1973 gestorbenen US-amerikanischen Meisters der Lichtbildnerei in der Mappe. Im Austausch gegen gutes Geld selbstverständlich, zu dem der mittlerweile ausgelernte und mit einem Diplom ausgestattete Volkswirt ein mindestens ebenso erotisches Verhältnis hat wie zur Photographie. Allein dafür braucht er zunehmend Geduld — rund die Hälfte des Jahres ist er unterwegs —, um Raritäten in den Sucher zu bekommen, seitdem immer mehr Sammler ihre Optik auf Lichtbildnerei richten.

Die Symbiose Kunst und Kommerz geht in dem Kaufmannssproß ideal auf. Die Lehrzeit des Marktbeherrschens begann nämlich bereits in der Kindheit, in der Vater Kicken Sohn Rudolf klarmachte, was eine Mark wert sein kann. Allerdings wich der Junior dem familiaren Baustoffgroßhandel aus, weil er lieber ein großer Künstler werden wollte. Das brachte das Familienoberhaupt zunächst einmal um die Contenenance. Es sah den Sprößling «enden wie einer, der am Strand Touristen photographiert», und drohte deshalb zunächst einmal mit unmittelbarem Zwang, nämlich dem Entzug der Studentenapanage.

Scheinbar geläutert siedelte Sohn Rudolf nach Wien um. Doch die längst durchkalkulierte nouvelle vague kam flotter als berechnet über ihn. Als er in einem Café sitzend still über Abwasserröhren sinnierte, verkündete nämlich geradezu schicksalhaft eine Tageszeitung die Eröffnung der Photogalerie Die Brücke. Kicken handelte rasch und, vermutlich in der Erbmasse gut abgelagert, kaufmännisch. Er verhökerte sein Tonbandgerät, kaufte einige Bilder und arbeitete schießlich mit einem Galeristen zusammen. Daß Kicken damals nicht auch noch sein Automibil verhandelte, war intuitiv klug und vorausschauend weise. Denn derart ausgestattet war der Photographie-Eleve geradezu prädestiniert, die illustren Galeriegäste vom Flughafen anzuholen.

Eine der Lichtgestalten, die damals Wien ihre Aufwartung machte, die hieß Allan Porter, seinerzeit Chefredakteur von Camera, Anfang der siebziger Jahre die biblia pauperum aller sich nach Gnade sehnenden Photo-Amateure. Und so pilgerte Kicken mit Papas zwar zögerlichem Ja-Wort, aber eben auch mit dessen (Geld-)Segen versehen zum New Yorker Eastman-House, in dem seinerzeit Nathan Leonce residierte, der sich durch die Ausbildung vieler junger Photographen einem Namen gemacht hatte. In dessen Photoklasse kam Kicken jedoch nach zwei Semestern zu der Erkenntnis, daß es «zum berühmten Künstler wohl nie reichen» würde.

Also konzentrierte er sich lieber auf die marktwirtschaftliche Komponente seines Daseins, tauschte sein VW-Cabriolet gegen einen schlichteren, dafür rundum schützenden Käfer, der dann zwar das Wasser durchs Bodenblech einströmen ließ, seinen Besitzer aber nicht daran hinderte, anschließend den Blick scharfzustellen während einer halbjährigen Reise durch amerikanische Galerien, Museen und Ateliers.

Mehr als hundertausendmal hat er genau hingeschaut. Nie aus dem Blick verloren hat er dabei die günstige Verquickung von Kunst und Markt. Je nach Perspektive: Der Erfolg gibt ihm recht. Der Vater inzwischen auch.


Flohmarkt: Savoir-vivre, 1981

* Kicken in Berlin gibt es seit 2000

 
Sa, 01.01.2011 |  link | (3271) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Marktgeschrei















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