Eisenbahnromantik


Besonders in deutschen Landen frisch auf den Tisch des allzeit bereiten Konsumenten servieren die Medien gerne die Inflation. Doch so sehr diese offensichtlichen Urängste des zur Sparsamkeit erzogenen Menschleins immerfort aus ihm herausdrängen, ihn sozusagen über die rechtzeitige Erziehung «authentisch» machen, nicht zuletzt, da ebendiese Unterhaltungssendungen inflationär zunehmen, in denen vermutlich in Kürze viertelstündlich die Gold- und Silberkurse durch den Äther beinahe dauerfunken, es existiert dabei ein Widerspruch, den ich mangels psychologischem Einfühlungsvermögen nicht nachvollziehen kann — die inflationär produzierte Eigeninflation. Möglicherweise gibt es Verbindungen zwischen dem, das der Mensch nicht hat, und weshalb er sich ständig getrieben sieht, es zumindest virtuell in derartigen Massen zu fordern, daß sich bei der dann tatsächlich erfolgenden Forderungserfüllung selbst der Magen des allerärgsten Vielfraßes wegen Überfüllung in die Rotation begibt. Als Beispiele ließen sich Fernsehsendungen nennen, in denen es ums Kochen oder um die Liebe geht oder um nutzlose Gegenstände, die man zu verkaufen trachtet, um im Anschluß daran Gegenstände erwerben zu können, die garantiert nicht benötigt werden.

Zu diesen scheint sich eine weitere hinzuzugesellen: die Eisenbahn, gerne verpackt in dieses blümchenartige Geschenkpapier mit in der fernöstlichen Fabrik vorgefertigten Schleifchen namens Romantik, die sich dann in einer ähnlichen Logik präsentiert wie die Aufklärung im aktuellen chinesischen Kommunismus. Des Eindrucks kann ich mich nicht erwehren, je weniger Menschen mit der Bahn fahren, vielleicht weil es immer weniger nutzbare Strecken gibt oder dort, wo sie noch existieren, gar keine mehr hineinpassen in die Waggons, um so mehr sehnen sie sich nach diesem scheinbar nicht mehr existenten Verkehr auf den Schienen. Reichte es vor noch nicht allzu langer Zeit aus, dem nächtlich Einsamen die Position eines Lokführers anzubieten, von der aus er virtuell irgendwo von A nach B durch irgendeine Landschaft fuhr, so tuckern mittlerweile soviele Bähnleins durch die Fernsehlande, daß selbst wiederbelebte Geleise nicht ausreichen würden, diese Langsamreisen realiter durchzuführen. Mir wurde zugetragen, daß es sich bei den potentiellen Interessenten dieser meist technikspielerischen Bahnfahrten überwiegend um Menschen handeln soll, die sich im Ruhezustand des Lebens befinden.

Vor etwa fünfzehn Jahren bin ich nach einem langen Reifeprozeß zu jemandem geworden, der dieses Reisen mit Muße schätzen gelernt hat, nicht zuletzt auch deshalb, weil ich, im Gegensatz zum ständig irgendwo tunnelnden ICE oder dem in drei Stunden die Strecke Paris-Marseille durchzischenden TGV dabei etwas von Ländern und Menschen sehe und dabei hin und wieder gar von der Muse oder einer Mitreisenden geküßt werde. Das ist mit ein Grund, weshalb ich von der anfänglich genutzten ersten Klasse in die zweite umgestiegen bin. So ziehe ich es beispielsweise vor, für die Bahnreise vom Holsteinischen nach Berlin durch Branden- und Mecklenburgs Weiten zu rollen. Davon einmal abgesehen, daß trotz zweimaligen Umsteigens ich auch nicht später ankomme, als führe ich mit dem Expreß von Hamburg aus zur hauptstädtischen Zentralstation — ich sehe eigentlich nie Menschen meines Alters in diesen Zügen. Aber die reisen vermutlich nicht wie ich zu Zeiten, in denen sie Zeit hätten, allen anderen die Plätze zu überlassen, die diejenigen benötigen, die sich auf dem Nachhauseweg von des Tages Last ein wenig ausruhen möchten. Oder sie sitzen auf den vor drei Monaten und deshalb äußerst preiswerten bequemen Sesseln der Großraumwagen, bevorzugt karten- oder sonstwas spielend bei mitgebrachten Analogkäsebroten, und auch hier am liebsten während der Stunden des Berufs- oder Wochenendverkehrs. À propos: Auch hier scheint es Analogien zu geben — wer am meisten Zeit hat, geht dann zum Einkaufen seiner analogen Grundnahrungsmittel, wenn am meisten los ist in den Läden. Man möchte schließlich auch mal unter Menschen.

So sehe ich nächtlich einsamer, weil von unendlicher Müdigkeit und dennoch Schlaflosigkeit Malträtierter in zunehmendem Maße, wie immer mehr Menschen in hundert Jahre alten Bähnchen auf stillgelegten Strecken drängen. Offensichtlich kann es gar nicht eng genug zugehen, so gemütlich oder auch romantisch muß das sein. Oder sollte es dabei, um in die philosophische Dimension meiner Ansprüche zurückzukehren, andere Seinsursachen geben? Wer war zuerst da — die Bahn oder das Ei, das die Unterhaltungsindustrie gelegt hat? Was treibt die Herde Mensch derart gar in eigens dafür gebildete Schaukästen wie etwa dem hamburgischen Wunderland zusammen, daß sogar öffentlich-rechtlich pausenlos neue Strecken eröffnet werden müssen, derweil in der Wirklichkeit kaum noch ein Vorankommen ist (wobei nicht die berechtigten Streiks auf den privatisierten und deshalb lohndezimierten Bahnstrecken gemeint sind)? Hatten die Älteren während ihrer Kindheit mangels Masse keine ausreichende Gelegenheit, damit zu spielen? Müssen wegen dieser Verklärung einer nicht vorhandenen Erinnerung die Kleinen einen ganzen Nachmittag auf ihre Spiele am Computer verzichten?

Ich habe einen Traum — der Wutbürger demonstriert sich seine Welt zurück, in der er seine Eisenbahn wiedererhält, die in Staats-, also Steuerzahlerbesitz sich weniger um Gewinne und mehr um diejenigen bemüht, die sie als bequemes und, ja, auch das noch, umweltfreundliches Transportmittel benötigen. Dann kämen einige weniger tiefergelegte Bahnhöfe mehr zusammen, und die in kleineren Städten würden samt Toiletten und Fahrkartenschalter wieder in Betrieb genommen. Das wäre mal eine andere Maßnahme, für Arbeitsplätze zu protestieren.

Aber das ginge dann auch schon wieder in Richtung einer Inflation. Die der Nostalgie ist schließlich billiger.
 
Mo, 25.04.2011 |  link | (2072) | 18 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Seltsamkeiten


jean stubenzweig   (25.04.11, 19:43)   (link)  
Günstige Verkehrsanbindung





edition csc   (25.04.11, 23:50)   (link)  
Schöner Wohnen mit Bahn


Mehr?

–cabü


jean stubenzweig   (26.04.11, 01:45)   (link)  
Wer's edler im Gemüt ...
Einen Schwundertwasser hielt' ich dagegen. Im rechten Blickwinkel:





jean stubenzweig   (26.04.11, 09:20)   (link)  
Abgefahrene Epoche








schmollsenior   (27.04.11, 11:40)   (link)  
Viele bunte Wege führen
sogar nach Blankenese. Mindestens so lebendig wie die hundertsamen Wasser.




jean stubenzweig   (27.04.11, 17:13)   (link)  
Von West-Ost-West samt noch 'nem Bahnhof .


nnier   (25.04.11, 20:47)   (link)  
Ach, ja. Daran ist schon zu viel Trauriges und Wahres. Ich empfinde auch gewisse Formen von Eisenbahnnostalgie, und die haben eher weniger mit den Fallerhäuschen und Miniaturwelten zu tun, aber viel mit einer funktionierenden Infrastruktur und dann wieder nichts mit der hässlichen Gigantomanie bestimmter neuer Bahnhöfe und Rekordjagd der hochgezüchteten Tiefflieger, die bei unerwarteten Bedingungen, z.B. Frost im Winter oder Hitze im Sommer, dann auch gleich den Betrieb einstellen. Wenn ich aber an die kleinen Nebenstrecken denke, auf denen damals der Triebwagenzug tuckerte, an die Stellwerke, in denen Menschen saßen, an schlicht und einfach im Stundentakt fahrende ICs, und wenn ich dann z.B. an einem Bahnhof in Deutschlands nördlichster Großstadt den nackten Niedergang zu sehen bekomme - verfallende Betriebshäuschen, stillgelegte Gleise, durch den Asphalt brechende Pflanzen - dann kommt mir ernsthaft das Heulen. All das war mal für die Menschen da, die es nebenbei auch bezahlt haben, und nicht bloß totes Kapital eines Konzerns, der halt da in der Welt investiert, wo es gerade lohnenswert scheint.


jean stubenzweig   (25.04.11, 21:37)   (link)  
Nördlichste Großstadt.
Was ist mit dem Bahnhof von Kiel? Haben sie den in der Förde versenkt? Ich war eine Weile nicht mehr dort. Meine persönliche Stadtführerin, die von dort stammt, will da nicht mehr hin. Sie behauptet, dort würde es immer so schrecklich ziehen. Sie zieht das liebliche Lübeck vor, also muß ich dort feine Torten eines assimilierten Ungarns essen und guten Kaffee trinken. Aber den Bahnhof, um gegen eventuell anlandende Fragen einen Deich zu bilden, den kenne ich auch nur vom Hinbringen und Abholen junger Forscherinnen. Und eine Förde befindet sich dort auch nicht in der Nähe.


nnier   (25.04.11, 21:46)   (link)  
Oh, äh.
Ich kenne mich da doch nicht so aus, ähm, das stimmt zwar mit dem Nördlichen, aber es ist eben nur eine Stadt, keine Großstadt. Flensburg meinte ich. Und dort hatte der Bahnhof, positiv ausgedrückt, wirklich nur noch einen morbiden Charme, mag man sich noch so über die Rosen im Asphalt freuen. Einfach preisgegeben.


jean stubenzweig   (25.04.11, 22:08)   (link)  
Ah! Großstadt Flensburg.
Und Kiel einfach Stadt. Das klingt wie klein. Fahren Sie mal, beispielsweise mit der Bahn, von Kiel aus nach Flensburg (ob es eine direkte Verbindung gibt, entzieht sich allerdings meiner Kenntnis), sitzen inmitten von THW-Fans auf dem Weg in die nördlichste Großstadt Deutschlands und erzählen denen das. Sie werden sich fühlen wie ein französischer Nationaltorwart, der nach einer fünfachen Verlängerung des Spiels gegen Handewitt alles gehalten hat, was zu halten war, und sich anschließend in der nördlichsten Großstadt Deutschlands versehentlich in eine örtliche Fankneipe verirrt hat.

Sie merken – ich bin schon ein bißchen integriert.


sethos   (26.04.11, 11:55)   (link)  
Es gibt so einiges, was ich mal gerne wiederhätte. Etwa das gute alte Post- und Telegrafenamt. Solange die Pöschtler, auch die einfachen, noch Beamte waren, haben die nicht geklaut. Jetzt subunternehmern da irgendwelche Billigheimer, die nichts zu verlieren haben, und man kann immer raten, ob das Päckchen jetzt ankommt ode rnicht.

Was dagegen für immer abgeschafft gehört, sind Callcenter. Vor allen Dingen und ganz besonders auch die von der Bahn. Statt dessen setze man den Callcenter-'Agenten' nette Uniformmützen auf und setze sie in Fahrkarten- udn Auskunftsschalter in den wiedereröffneten Bahnhöfen auf dem platten Land, und dann wird plötzlich alles wieder laufen...


jean stubenzweig   (26.04.11, 20:01)   (link)  
Während des Dichtens
über die Romantik der eisern guten alten Bahn habe ich noch darüber sinniert, all die anderen Fälle zu erwähnen, die unsereins da weggeschwommen wurden qua Verhökerung staatlichen Silbers. Aber dann wurde mir klar, daß ich damit in das Format einer abendfüllenden Tragödie geriete. Hinzu kam die Überlegung, der logikbegabte Leser würde sich folgende Strophen meines Gedichtes schon weiterreimen. Sie haben es beispielhaft getan.

Ich will es auch weiterhin gerne dem geneigten Leser überlassen, mitzuwirken an einer Ode des Rückschritts in bessere Zeiten, als für manchen Menschen der noch so «kleinste» Arbeitsplatz durchaus Würde und passables Einkommen bedeutete und alle anderen auch noch etwas davon hatten. Hin und wieder erlebe ich es noch in Frankreich, das zwar von diesem vollassimilierten Ungarn nicht minder gnadenlos ins Paradies für wenige getrieben wird, aber wenigstens im Dienstleistungsbereich mit einigem aufzuwarten und obendrein einen Mindestlohn hat. Gut, was das Leisten von Diensten betrifft, tut man sich linksrheinisch ohnehin leichter, und die Standesdünkel sind nicht so verbreitet bzw, werden nicht so offen gezeigt wie bei den ehemaligen (und wegen der rigiden Niedriglohnpolitik innerhalb Europas irgendwie immer noch) Wirtschaftswunderlandlern rechts des Rheins. Aber insgesamt kriegt er auch die Grande Nation kleiner.

Es gehört so einiges wieder verstaatlicht. Eben nicht nur kaputte Banken, die andere schnell noch kaputtgemacht haben, bevor sie sich haben retten lassen. Oder in weiten Teilen besser kommunalisiert. Wenigstens dort tun sich ja einige Lichtblicke auf (wenn solche ihrer Gesellschaftsformen wegen auch kritisch beäugt werden müssen). Die einen oder anderen kaufen beispielsweise im Energiesektor wieder das zurück, was vor nicht allzu langer Zeit von deren Vorgänger versilbert wurde. Aber ob deshalb wieder goldene Zeiten anbrechen, daran habe ich meine Zweifel. Schließlich wurde die Europäische Union aus keinem anderen Grund als einem wirtschaftlichen gegründet. Von wegen deutsch-französische Freundschaft mit späterer Anhebung der Schlagbäume und gemeinsamer Währung, die die Europäer so grenzenlos frei machen. Ich habe diese Mär tatsächlich selber mal geglaubt. Um den zu machenden Reibach ging's. Euroglobal ist der moderne jungdynamische Mensch und dabei noch «stolz» auf sein Aufgeklärtsein, auf sein Offensein für alles, vor allem dem großen Bruder gegenüber. Deshalb werden wohl auch weiterhin beispielsweise französische Wasser-, Energie- oder Transport- oder US-amerikanische Gesundheits- und Schönerwohnenkonzerne hier den Billigheimer geben und zu Lasten der Allgemeinheit in die eigene Tasche wirtschaften dürfen.

Normalerweise sag ich's nicht oder nicht so laut oder wenn doch, dann nur innerhalb solcher Kreise, in die politische Wirtschaftskreateure immer wieder gerne mal gesetzesspielerisch dreinfahren – ich bin froh darüber, nicht mehr jung sein zu müssen. Ich bin ein alter und damit mittlerweile ziemlich lahmer attaquant und Ohrensesselsitzer geworden. Mich als Freund von José Bovè zu bezeichnen, hilft anderen auch nicht weiter. Man darf das verantwortungslos heißen, weil alle anderen wie etwa mein Nachwuchs aus dem gröbsten raus zu sein scheinen. Aber auch der kann bereits morgen knietief in dem Morast stecken – den ich mit zugelassen habe, weil ich letzten Endes wohl doch allzu romantisch-verklärte Vorstellungen von einer besseren Welt hatte und deshalb nicht auf den Kampfeszinnen geblieben bin oder wenigstens rechtzeitig als Wutbürger mit dem Finger auf die Ganoven gezeigt habe. Ich war ohnehin nie ein großartiger Ostermarschierer, für mich waren das immer irgendwie Spaziergänge, wenn auch keine verlorenen, wie Kurt Tucholsky das Golfspiel mal bezeichnet hat. Nun bin ich einfach altersmüde, das Gestell tut auch nicht mehr so mit, wie es erforderlich wäre. Und ein paar meiner Vorstellungen von Gemeinsamkeit scheinen zumindest im Ansatz Alltag geworden zu sein. Außerdem gibt es schließlich noch die Grüne Hoffnung.


sethos   (28.04.11, 10:42)   (link)  
Es gab eine Zeit, da rief man bei den Leuten an, die fürs Telefon zuständig waren, und bekam tatsächlich Hilfe. Als ich einer mir bekannten Sphinx den ersten Internet-Zugang montierte, hatte ich einen Menschen in der Leitung, der mir erklärte, wie ich in ihrer Telefonbuchse die Drähte umschrauben mußte, damit es ging. Ich machte das, während ich ihn am Telefon hatte, und es ging. Fertig.

Heute hinge man erstmal eine halbe Stunde in der Warteschleife, und zwei Wochen später käme einer vorbei, der mit Anleitung in der Hand genau das selbe machen würde. Das nennt man 'Effizienz'. Effizient ist das nur für die Leute, die den Konzern leiten und meinen, sie hätten alles unter Kontrolle. Für alle anderen ist das höchst ineffektiv.


jean stubenzweig   (28.04.11, 13:46)   (link)  
Zumindest erwähnt haben
sollte ich meine guten Erfahrungen mit einem deutschen Telekommunikationskonzern, einem, der ganz früher auch noch die Briefe ausgetragen hat. Ich bin auf geradezu unglaubliche Hilfsbereitschaft gestoßen, etwa in der von Ihnen beschriebenen Weise. Allerdings kam das auch erst dann zustande, nachdem ich mit rigiden Maßnahmen drohte, weil Fachkräfte des Bonner Hauses im Rahmen eines außergewöhnlichen Verwaltungsaktes, also ohne jeden Anlaß bzw. Auftrag eine seit ewigen Zeiten bestehende Flatrate in einen quasi analogen Anschluß umgewandelt hatten. Ich hänge in meinem norddeutschen Büro ohnehin an einer Leitung der Geschwindigkeit von Rauchzeichen (maximal 2000), aber verkauft worden war mir eine mit 3000. Ich hänge die kleine Geschichte aus der alten (gelöschten) Seite mal unten an.*

Aber das ist auch schon wieder drei Jahre her. Mittlerweile hat auch dieser Konzern seinen Schalter geschlossen, bei dem der Verzweifelte zu nächtlicher Stunde seine Störungen einreichen durfte. Ich zehre noch von meinen Glück, daß man 2008 tatsächlich ein Einsehen und all das korrigiert hatte, was ein — nicht firmenangehöriger — Experte innerbetrieblich falsch angeordnet hatte (insgesamt drei Monate dauerte die Fehlersuche). Ich hoffe inständig, nicht mehr in derartige Nöte zu geraten. Denn der Konzern dürfte inzwischen definitiv höchst effizient arbeiten, vermutlich nicht zuletzt deshalb, da es mittlerweile überhaupt keine Angestellten über vierzig mehr gibt — Vorstandsmitglieder selbstverständlich ausgenommen.

* Auf nach Tunesien?
Gestern rief in unserem elektronischen Tagebuchbüro eine Dame aus einem Callcenter an. Nein, eben nicht so eine, so mit roter Laterne im Signet ihrer weltweit zugänglichen Seite. Also keine, die lediglich virtuelle Ersatzbefriedigung anbietet. Sondern es war eine, die aufgeschlossen, gutgelaunt und ohne magentafarbenes Gesäusel auf praktische Wesentlichkeiten des Lebens abhob: Kostenreduktion.

Normalerweise hat in unserem Logbuchbüro so jemand eigentlich kaum Stimme, da solche Töne durchweg innerhalb der Sekunden abgewürgt werden, die es benötigt, rechtliche Schritte anzukündigen; das spricht sich rasch herum. Doch diese Stimme war so ohne jeden geschäftsmäßigen Tonfall nach US-amerikanischem Höflichkeitshäkelmuster (sieht man mal von dieser seltsamen, irgendwie englisch klingenden Zwangsterminologie ab), überzeugend in ihrer Argumentation, daß zwischen den geschäftsmäßigen Tönen sogar noch Zeit war für ein paar wohltuende und unkomplizierte Worte, eben nicht nur über die Vorteile von «Call & Surf Comfort». Vielleicht lag es ja daran, daß sie, wie sich herausstellte, ursprünglich aus Tunesien stammt, einem Land, in dem man es sich noch leistet, Worte zu verlieren und nicht einen Sachverhalt kommuniziert. Geradezu angenehm war's, mit einem Gesprächsende, in dem Norddeutschland Nordafrika freundlich grüßte. Und: Es war, wider Erwarten, dazu gekommen, daß meine Tunesierin ihrem Herrn Obermann Vollzug melden konnte.

Über den haben wir natürlich auch gesprochen. Sie wissen schon: das ist der sympathische, sportliche junge Mann, der großmütig auf 200.000 Euro Gehaltserhöhung verzichtet und dabei trotzdem ein paar Stunden monatlich mehr arbeiten will. Und dabei sogar auf einen Tarifvertrag verzichtet!

Hoffentlich kriegt die junge Dame mit der magentafarbenen Stimme aus dem Callcenter jetzt keinen Ärger mit Herrn Obermann, weil sie so viel Zeit gebraucht hat, mit solch überflüssigem Geplappere einen Kunden in der Leitung zu halten. Und hoffentlich steckt Herr Obermann sie nicht mit den anderen 49.999 Kolleginnen und Kollegen in eine Auslagerung in ein garantiert tariffreies Gebiet (Tunesien?), weil sie ungefragt darauf hingewiesen hat, daß sie mit «Call & Surf Comfort» etwas anbietet, das es noch gar nicht gibt, nämlich das DSL 6000 (ihr Chef, großmütig, wie er nunmal ist, verzichtet im Internet auf diesen Hinweis); dafür gäbe sie uns das DSL 3000 (na gut, immer noch schnell genug, um so ein bißchen unmaßgebliche Meinung ins Netz zu stellen).

Fazit: Zur Konkurrenz können wir immer noch abwandern. Ob wir das wollen, sei dahingestellt, haben wir doch mit Herrn Obermann bislang keine Probleme gehabt. Aber Herr Obermann kriegt welche mit uns, wenn er unsere reizende Call-Dame samt Kolleginnen und Kollegen rausschmeißt. Dann gehen wir eben gemeinsam mit ihr nach Hause, nach الجمهورية التونسية (al-Dschumhūriyya at-tūnisiyya). Dann senden wir eben von diesem Teil Nordafrikas aus (wenn's auch presserechtlich recht düster aussieht). Das ist ohnehin näher dran an Marseille, wir verbrauchen also weniger Kerosin, und verstanden werden wir auch besser als in Kurz-vor-hinter-Sibirien.

Das gibt's hiermit schriftlich von Jean Stubenzweig!



daniel buchta   (28.04.11, 18:02)   (link)  
Als nicht unproblematisch
dürfte sich auch die Verbindung öffentlicher Institutionen und privatem Kapital erwiesen haben, da sie häufig höhere Kosten verursacht, als würde allein zinsgünstiger zu erhaltener Kredit eingesetzt. Auch bedeutet das in der Regel lediglich eine Verschiebung der Verschuldungen öffentlicher Haushalte in nachfolgende Generationen. Das ist seit etwa zwanzig Jahren gängige Praxis, mit der angeblich kommunale Etats entlastet würden. Inzwischen scheint es kritischere Blicke darauf zu geben. Dazu beigetragen haben dürften auch die besonders haarsträubenden Unternehmungen großer, international tätiger Gesellschaften wie Bertelsmann, behördliche Verwaltungsabläufe privatwirtschaftlich beteiligt und damit kostengünstiger abzuwickeln (Personalreduktion), da der Konzern unter anderem in hohem Maß im Handel mit persönlichen Daten aktiv ist.


jean stubenzweig   (28.04.11, 20:14)   (link)  
In Ansätzen ging das
früher los. Aber dabei handelte es sich fast ausnahmlos um Kunstsponsoring; der Hamburger Kid hat in diesem Zusammenhang das magische Kürzel PPP mal erwähnt. Was da allerdings mittlerweile auch in anderen Sektoren abgeht, kann einen durchaus das Fürchten lehren.

Andererseits hörte und las ich, daß es mittlerweile erhebliche Widerstände geben soll, ein führender Verwaltungsmensch soll sogar auf Vortragsreise gegen diese Behübschungen des Daseins fetter Gänse zu Felde gezogen sein, denen immer weiter die Ärsche geschmiert werden sollen, ohne daß Otto Normalsteuerzahler auch nur im Ansatz merkt, wohin die öffentlichen Gelder fließen (wenn der überhaupt was merkt). Auch hatte ich oben die Bemühungen vereinzelter Kommunalpolitiker erwähnt, das Tafelsilber wieder zurückzukaufen, die Maschinerie wieder selber zu betreiben. Aber inwieweit die EU das in größerem Ausmaß zulassen wird, das ist dann doch fraglich, denn – Europäische Wirtschaftsgemeinschaft.

Ich hebe hier PPP nochmals hervor, denn da oben drüber verschwindet das ziemlich.


diplomuschi   (04.05.11, 23:57)   (link)  
Auch blinde Wissenschaftler
finden mal ein Ei: gelegt zu Public Private Partnership.


jean stubenzweig   (05.05.11, 00:51)   (link)  
Mit privat gesteuertem Staat
hat Nobelitiertes in spe mittlerweile ja auch bereits Erfahrung. Möge es nicht unkontrolliert aus der Petrischale hüpfen.















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