Die arme Kichererbse und der Lifestyle

Ich bin einer, der recht gerne in die Ferne sieht, aber nicht im Sinne etwa eines Gernsehabend, wie der RBB vor einigen Jahren sein tatsächlich auf die Verblödsinnigung hin zielendes Schlachtwort proklamierte. Unterhaltung ist nicht unbedingt mein Begehr, Filme schaue ich selten, allenfalls solche, in denen weniger Aktion betrieben als überwiegend, wie das heute heißt, dialogisiert wird. Serien oder so etwas wie Harald Schmitt oder die schwach köchelnden Auftritte von in der Küche mit Gummihandschuhen agierenden sogenannten Prominenten interessieren mich nicht, nein, sie langweilen mich bis zum Abschalten. Ich bin jemand, der möglichst umfang- und inhaltsreiche Informationssendungen wie Reportagen und Dokumentationen et cetera bevorzugt. arte, trotz aller Kritik an der verzweifelten, popularisierenden Suche nach der Einschaltquote im Haufen der Massenfernseher und sonstigen Danebengriffen, ist nach wie vor mein Erstes. Von dort gingen die Themenabende aus, die mittlerweile viele nachmachen, wogegen meinerseits nichts einzuwenden ist, weil sie oftmals in eine Tiefe gelangen, die ein Morgenmagazin, eine Tagesschau oder andere Regularien der Informationsvermittlung nicht leisten können oder wollen. Ich halte also das Gerede vom verblödenden Fernsehen für dümmliches Geschwafel vor allem derjenigen, die den ganzen Tag vor ihren EiPads hängen und Infos oder Apps saugen und damit meinen, Avantgarde zu sein. Auch hierbei hat, logischerweise, meine Verteidigung des Erkennens und Unterscheidens Gültigkeit.

Beim genauen Hinschauen habe ich das früher als langweilig verschrieene Zweite entdeckt. Möglicherweise habe ich schlicht das dafür erforderliche Alter erreicht. Dabei mag ich das Frische, häufig von jungen Menschen gemachte Fernsehen. Und richtig, wiederholt stellte ich fest, wie abwechslungsreich und informativ von Mainz aus gesendet wird, unter anderem via zdf-info. Sie nennen sich, wohl auf der Suche nach der im Internet verborgenen Klientel, leicht überkandidelt «interaktives Fernsehen», weil die Zuschauer mit daran beteiligt sein sollen, welche Beiträge wiederholt werden. Und die sind anscheinand doch nicht so verblödet, wie es mir aus dem Zwischennetz ständig entgegenhallt. Denn die Qualität der neuerlich angeforderten Sendungen ist beachtlich. Und ganz nebenbei werde ich eines besseren belehrt. Sicherlich zwei Jahrzehnte lang bin ich mit dem ahnenden Halbwissen hausieren gegangen, Bill Gates habe zu nahezu jugendlichen Zeiten Steve Jobs in der Garage beklaut, seit gestern weiß ich es dank zdf-info besser. Es geschah erst zu Zeiten, als der Entwickler der harten Ware an seinem Mac II gearbeitet hat und der Programmierer der weichen Ware ersterem die seine anbot. Während dieser Zusammenarbeit hat er das Betriebssystem abgekupfert und mit seinem Fenster in alle Welt die Apfelfirma so gut wie pleite gemacht.

Der obere Teil meines in den Neunzigern erstandenen, in Ruhe vergilbten EiMäckAntiGatesPads.

Nun will ich hier keineswegs die Schlacht um das Für und Wider erneut ingang bringen. Mir ist das ohnehin wurscht, zumal ich alles andere als einer dieser Verwirrten bin, die auf eine bestimmte Marke schwören und sich dafür an Ladentüren ketten. Ein Werkzeug ist es für mich wie früher meine gute kugelköpfige Schreibmaschine, nichts anderes, allenfalls etwas, das mehr kann, gleichwohl eines, mit dem ich trotz mittlerweile teilweise durchaus auch unangenehmen Erfahrungen weiterarbeiten würde, da die guten überwiegen. Es ist lediglich ein Beispiel dafür, was das Fernsehen, hier zdf-info, über Seifenopern und unterschlagene Fakten hinaus an Informationen bietet, also ein Nebenprodukt meiner Mitteilungssucht. Frau Braggelmann hat mir nämlich vorhin neben einigen Schokoladeneiern ein Apfel-feuerzeug mitgebracht und mich nahezu immer über den Dingen Stehenden dabei ertappt, daß ich mich wie ein kleiner Junge darüber gefreut habe. Denn eigentlich wollte ich eine völlig andere Kulturkritik um den weltweiten Webeglobus senden. Aber der Anlaß stammt auch aus diesem Mitmach-Zweiten.

Denn eigentlich geht's um Falafel unter Lifestyle. Da gab's nämlich einen halbstündigen Beitrag. Anregend war er gestaltet, angefangen von der schlichten Bude, in der man gewohnheitsgemäß Döner vermuten würde. Zugange waren jedoch zwei von der Fleischlosigkeit angehauchte Jungdesignerinnen (gibt es eigentlich noch einen anderen Studiengang, so irgendwas mit Medien?), wogegen nichts einzuwenden wäre, stünde da mittlerweile nicht immer so ein Hauch Doktrinäres davor oder dazwischen, so etwas ersatzreligionsgleiches wie Vegan und Ismus. Da mag ja zu recht darüber debattiert werden, ich stelle mich dem nicht entgegen, wenn ich auch ohnehin das Milchkalb verzehre, das von der Bäurin persönlich zur Brust und mit in die Heia genommen wird. Vor allem aber stößt mir dabei eines auf: Drei junge Menschen überkommt die Idee, die von mir als Dönerbude empfundene Falafelbutze nicht nur umzugestalten, sondern prospektiv gleich eine Ladenkette daraus zu erfinden. Geschickt oder auch gekonnt wird ein Intermezzo hineingehäkelt, das die Geschichte der Kichererbse als «Nahrungsmittel der Armen» skizziert und nebenbei darauf hinweist, daß sie schon aus Gründen ihrer protein- und hormonhaltigen Inhaltsstoffe geeignet wäre, den irrsinnigen Fleischkonsum der und in Massen zu reduzieren oder gar zu ersetzen. Aber alles lief letzten Endes darauf hinaus, die existierende soziale Marktwirtschaft etwa nach Verständnis der FDP oder deren grüne Nachfolger als solche nicht zu erschüttern.

Recht unterhaltsam war das inszeniert. Viele Informationen waren beinahe schillernd hineingepackt: Die Wahrheit ist nur mit List zu verbreiten, hier eben die, daß es ein Ende haben muß mit dem täglichen Kilo Gammelfleisch oder Siech- statt Suppenhuhn auf dem Teller. Nun ist es zweifelsohne erforderlich, eine Idee zu propagieren. Aber warum muß dann in dieses Schau-Spiel gleich eine Werbeagentur eingebaut werden, das Ganze unter «und sei es als Lifestyle» angepriesen werden? Kann das nur unter der Prämisse des Vermarktens von Markenzeichen gedeihen? Reicht es nicht aus, es hier im besten Sinn des Wortes als Mundpropaganda in Umlauf zu bringen, meinetwegen über sogenannte soziale Netzwerke. Ich empfinde es als erschreckend, daß die Jungvölker der industrialisierten Länder es nur noch über die Wege der Konsummechanismen gebacken bekommen, Ideen unter die Leute zu bringen. Geht es denn nur noch via Espresso mit aufgeschäumter Milch an EiPad in Kreuzberg? In den Zwischenspielchen wurde wie nebenbei und in einem Satz erwähnt: Die Kichererbse dann wird teurer werden. Weshalb wird in der Dramaturgie eine solche Konsequenz nicht mehr herausgearbeitet? Denn bei einer solchen anvisierten Strategie werden sich die Monsantos oder wie auch immer sie heißen mögen schneller als die Politik erlaubt oder den Vorgang heimlich befördert eine neue Züchtung patentieren lassen und die Broker neue Aktien befeuern, auf daß die weit hinauf zu den Gipfeln ihrer Wolkenkratzer steigen. Aber wahrscheinlich sind das alles Kunden des Zweiten. Ich weiß es nicht, denn ich fernsehe nicht in Programme, die Werbung zeigen.
 
So, 01.04.2012 |  link | (3565) | 9 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ich schau TeVau


einemaria   (02.04.12, 01:16)   (link)  
... in aller Eile ...
... weil es über Monsanto und Konsorten eben so viel zu recherchieren gibt, ehe man sich darüber erbricht:

Der ich lange keinen Zutritt zur Küche hatte, sondern gereicht bekam, bin erstaunt was man als Küchenlaie so alles zaubern kann aus purem Suppengemüse, selbstgemachten Nudeln und etwas Phantasie. Denn - so darf ich aus Guatemala berichten (beliebte Frage: was ißt denn der Guatemalteke so?) - was essen jene, die sich Fleisch nicht leisten dürfen, heute Bohnen und Reis und morgen Reis und Bohnen ... und sie ackern und rackern wie die Tiere für Monsanto, ohne an Mangelernährung zu sterben. Zugegebenermaßen: abends ein Fläschen Maisschnaps. Irgendwo muß ja auch die Energie herkommen und der Gram verschwinden.
Was unseren feinen Mägen und Augen kredenzt wird, ist inhaltlich Zucker und Geschmacksverstärker, im besten Falle die schlechten Fettsäuren, in bunten Hüllen, aber im Grunde purer Mist.

Und daß wir das nicht merken, wird uns - ob Sie es glauben wollen oder nicht - immer noch Alles in Schwarz/Weiß serviert, inzwischen auch schon in Flachbild. Ob Apple oder Gates, ob Macchiato oder fettarmer Stinkkäse, und entschuldigen Sie wenn ich das so sage - ganz selten rutscht mir dann doch auch mal ein Schoko-arte-chen runter - ob Erstes, Zweites, Drittes oder eben auch Viertes. Arte bringt wunderschöne Reportagen ... in bunten Hüllen verpacktes, teils scheinbar höchst sozialkritisches. Das Piratenprogramm eben. Nicht daß ich den Spaß verderben möchte. Aber der Fischer wirft sein Netz möglichst so weit aus, daß er den ganzen Schwarm erwischt - keinen Millimeter weiter. Und dann zieht er das Netz zusammen, so behutsam und ruhig, daß ihm möglichst kein Fisch entkommt.

Das, was ich teils lese und außerhalb unseres Medienplaneten erlebe, wird nicht präsentiert. Burma und Laos sind Reiseziele, in denen wir kurz mal in die wundersame Welt des Mittelalters eintauchen, reportiert oder live, und dann wieder auftauchen, während das Nicht-Gezeigte weiter für uns im Schlamm nach seltenen Erden wühlt. Und selbst den Reis und die nicht mal die Bohne, die sie selbst nie patentieren ließen, dürfen sie in jenem Schlamm wieder einbuddeln.

Sie sagen es: die Kichererbse. Und nicht mehr die diversen Kichererbsen. Wir bekommen - so gehört - noch drei verschiedene Sorten Kartoffeln serviert. Der Rest liegt patentiert und eingefroren in den privaten Kühlregalen von ...
Googlen Sie mal "AGRA und Bill Gates". Nein, ich meinte ausdrücklich nicht "AGRAR und Bill Gates", mein lieber Sortierer und Bessergoogler, um witzigerweise aus dem Apothekenmagazin zu erfahren, warum wir die "green revolution" kaufen sollten, sondern AGRA, Bill Gates, Monsanto und all jene, neben denen die Gedanken eines Thomas Malthus geradezu philantrop wirken.

Soft Commodeties klingt doch viel besser als "an möglichst hohen Preisen für Lebensmitteln", an Agrarrohstoffen, und anderen lebenswichtigen Dingen wie Wasser und Luft (siehe Emissionshandel, einem ausgesprochen lukrativem, neuem Handelsgut) kommod und fett zu verdienen.

Wenn Sie nicht wissen, wohin mit Ihrem Geld, dann kaufen Sie doch mal Glencore-Aktien, dem nach der Fusion mit xstrata größtem Rohstoffhändler (und Beschaffer). Das gibts schön aufbereitet auch im im Fernsehen.

Vor lauter Links und Rechtswegen, im Gewirr zwischen Gates oder Jobs (welch Ironie der Namen), im Gewirr zwischen Schwarz oder Weiß, finden wir nicht hinaus. Man muß nicht blind, sondern bereits körperlos sein, um nicht den Weg zwischen zwei Mauern zu finden - und es ist egal, ob links oder rechts (dafür werde ich noch Kritik ernten).

Und diese Körperlosgkeit erzeugen unsere Medien, von denen ich bisher einzige die le monde diplomatique ausnehme. Dafür dürften Sie mir wenigstens mal die Abokosten erlassen ;)


einemaria   (02.04.12, 01:19)   (link)  
... ich sollte meinen Blog aus Zeitgründen im Grunde auf Ihre Kommentarseiten verlegen. Sie sind mir eben immer diesen einen Schritt voraus.
Den Ärger könnten wir uns dann ... teilen?


jean stubenzweig   (02.04.12, 12:19)   (link)  
Es mag ja sein,
daß ich Ihnen manchmal, wahrlich nicht immer, ein Schritt voraus bin. In einem Wettbewerb geht jedoch nicht unbedingt mein heftigstes Sehnen auf. Und häufig genug wissen Sie viel mehr als ich, mal davon abgesehen, daß sie Themen wie Monsanto oder wie diese Menschenausschlachter oder Ausbeiner alle heißen immer wieder mal auf Ihrer Seite verarbeiten. Sicher liegt es auch daran, wie ausgeprägt wir unsere Informationen aus Quellen wie etwa Le monde diplomatique beziehen, weil wir denen eher vertrauen als anderen, die, wie ich geschrieben habe, gerne Fakten unterschlagen. Das Blatt habe ich beispielsweise angeführt, als ich auf die Herkunft der Supermärkte in Europa hinweisen wollte. Es ließe sich durchaus auch annehmen, daß ich solche Themata nur aufgreife, auf daß Einemaria rasch nachzieht und ergänzt — das ist ja geradezu eine Flutwelle, die Sie da hinterherschicken. Ich will also alles andere als widersprechen, was die Medien und die Tatsachen betrifft, sondern zustimmen oder auch: mich eher bedanken für Ihre herausragende er- und auffüllende «Mitarbeit». Ich teile gerne, mit einem wie Ihnen allemale.

Mir ging es jedoch weniger um die Erbse, die darüber eben weniger kichern kann. Mir war eher daran gelegen, auf diese systemimmanente Art (etwa im Sinne von Kunstfertigkeit) hinzuweisen, mit der auf einen Notstand verwiesen wird und der dabei um so verstärkter produziert wird, nämlich mittels der Funktionen, die sich zunehmend frühkapitalischer, nur eben feinjustierterer Mechanismen bedient und sie letztendlich propagiert. Vermutlich habe ich das nicht präzise genug herausgearbeitet und vielleicht auch mit allem möglichen davon abgelenkt. Ich spiele wohl zu gerne. Kurzum: Mir geht dieses mir manchmal als ungeheuerlich naive, arg hart am Rand der Unkenntnis im Sinn von Dümmlichkeit schrammende Anpreisen dieser «sozialen» Markwirtschaften auf die Nerven. Merken die denn überhaupt nicht, daß sie den Teufel mit dem Beelzebub austreiben wollen?! Nein, sie merken es nicht. Schließlich sind sie überwiegend bachelorgebildet, da reicht es aus, die Oberfläche des Prinzips zu kennen. So schneidet man sich, um Ihren preisgekrönten Satz aufzugreifen, wie eben die nicht akademisierten, genauer: intellegere nicht kennenden Lieschens und Fritzchens Müller auch, auf des Messers Schneide.

Eben höre ich in den Nachrichten eines öffentlich-rechtlichen, von Berufsjugendlichen für Spätadoleszente gemachten Senders, daß immer mehr Menschen für ein neuestes EiPad bereit sind, kriminell zu werden.


sturmfrau   (02.04.12, 12:19)   (link)  
Nein, an Mangelernährung sterben die Bauern nicht. Die sterben an dem Roundup, dass Monsanto versprüht - wie sonst auch alle Pflanzen im Umkreis, außer den gentechnisch zusammengeschusterten. Taten-, wort- und siegelreich unterstützt übrigens vom WWF.

Dass wir alle nicht in der Lage wären, unseren Lebensstandard zu halten - sei es im Bereich der Ernährung oder in Sachen Unterhaltungselektronik, Kleidung oder Mobilität - wenn niemand anderes dafür leiden würde, das wissen die wenigsten und wollen auch die wenigsten wissen. Uns ist allen nicht damit gedient, dass wir jetzt auf Kichererbsen ("Kichererbsen sind das neue Soja!") umsteigen, und das zu glauben wäre naiv. Aber es sind eben die scheinbar einfachen (und entsprechend "gestylten") Lösungen, die sich am besten verkaufen(!), weil der Mensch in der Masse nur noch geistiges Fast Food verträgt. Wenn's hochkommt, frisst man noch das, was durch Greenwashing geschönt mundgerecht serviert wird, wäscht damit das eigene Gewissen und fühlt sich fortan als Bessermensch.

Das Blöde ist, dass ich selbst auch keine Lösung weiß. Sogenannte Alternativen sind uns hinreichend bekannt: FairTrade, Bio, regionale und saisonale Nahrungsmittel, Hofladen, Organic Cotton, bleifreie Farbe... Man kann sich dran versuchen, bis man irgendwann feststellt, dass auch das wieder irgendeinen Haken hat, genau wie die Kichererbse. Bisweilen kommt mir der Gedanke, wir sind auf dieser Welt schlicht und ergreifend zu viele.

Danke, einemaria, für die interessanten Links. Zu wissen (auch, wenn man dieses Wissen am besten durch mehrere unterschiedliche Quellen sichern sollte), ist zumindest ein Anfang. Um die Ecke denken muss man noch selbst.


jean stubenzweig   (02.04.12, 15:48)   (link)  
Noch mehr Ergänzung.
Danke. Wir sind uns wie so oft einig und haben auch noch zur selben Zeit auf den gleichen Kopf gedrückt.

An einem Punkt möchte ich Ihnen widersprechen, wenn auch lediglich ahnend und vermutend, da ich keine Zahlen kenne. Ich bezweifle, daß es die wenigsten sind, die es wissen; nicht «wissen wollen» schon eher. Das wird möglicherweise an den Sendezeiten liegen, zu denen die von mir angesprochenen Dokumentationen und Reportagen meist ausgestrahlt werden. Zu späterer Stunde wird wohl eher die fünfzehnte Wiederholung eines ARD-Tatorts oder artiges Track back oder ohnehin das private Serienkaminfeuer konsumiert als ein Beitrag, auch hier nicht mehr als beispielhafte Ergänzung Ihrer Ergänzung, der sich mit Jeans befaßt, für die ein chinesischer Manufacturant von seiner Auftraggebern vier Dollar oder drei Euro erhält oder indische Mädchen für drei Jahre in Webereien versklavt und gehalten werden wie in Paris oder Berlin kein Hündchen oder Kätzchen, auf daß bei nahezu allen international agierenden Modehändlern Klamotten für den Preis eines nicht von Steve Jobs selig geschaffenen Appels angeboten werden können. Das ist wohl der entscheidende Punkt: «weil der Mensch in der Masse nur noch geistiges Fast Food verträgt».


sturmfrau   (02.04.12, 17:14)   (link)  
Wir haben selbstverständlich das Problem, nicht auf den ersten Blick unterscheiden zu können, ob die Leute nicht wissen oder nicht wissen wollen. Dennoch stimme ich mit Ihnen in der Vermutung überein, dass das Wollen hier ganz sicher eine große Rolle spielt. Anhand eines schlichten Beispiels: Meine Schwester, ihres Zeichens eine gebildete Frau (und natürlich aus derselben privilegierten Schicht stammend wie ich), entwickelt freiwillig auch nicht das geringste Interesse am Weltgeschehen. Es interessiert sie einfach nicht. Sie schaut keine Nachrichten, liest keine Zeitung, diskutiert nicht und mag Musik nur, wenn sie mitsingen kann. So wundert es mich nicht (wenngleich ich mich mehrfach wunderte), dass in ihrer Wohnung stets in allen Räumen das Licht brannte, die Türen offenstanden und sich zugleich über hohe Strom- und Gasrechnungen beklagt wurde. Vielleicht ist es der Unwille, Kausalzusammenhänge zu erkennen, weil dies die Konsequenz nach sich zöge, den bequemen Sessel zu verlassen und am eigenen Verhalten etwas zu ändern. Ob aber jetzt meine Schwester exemplarisch für Viele steht, die trotz Zugang zu Bildung und Geld eine so ausgeprägte Ignoranz an den Tag legen, nehme ich zwar an, kann es aber wie Sie nicht belegen. Ähnlich geht es mir beispielsweise, wenn ich die Tipps diverser FamilienmanagerInnen zum günstigen Einkaufen und Kochen lese, bei denen es um den Cent geht, frei nach dem Motto "Schaut, man kann auch günstig gut kochen!" Der vielgepredigte Sinn für Nachhaltigkeit zugunsten der von unseren Kindern geliehenen Erde ist im Nu dahin, wenn es um Schnäppchenfuchsereien geht. Die eigene Haut ist einem halt doch am nächsten.

Es stellt sich in Sachen Sendezeiten und Programmgestaltung natürlich die Henne-Ei-Frage. Landen die beliebten, leichtverdaulichen Unterhaltungssendungen in der Prime Time, weil die Masse sonst wegschalten würde, oder ist die Masse so konditioniert, weil ihr zur Zeit größter Erreichtbarkeit der immer gleiche anspruchslose Pamp serviert wird? Eigentlich müsste das Pendant zur "Abstimmung mit den Füßen", die Abstimmung mit der Fernbedienung, ja auch funktionieren. Kriegen wir also wieder mal die Medien, die wir verdienen?


einemaria   (03.04.12, 01:41)   (link)  
Das "Sie" ist vielleicht garnienicht so sehr an Sie gerichtet, als Aufhänger wollte ich Sie auch nicht mißbrauchen. Es war das Erste arte, auf dem man besser sieht, das in mir die Attacke geritten haben mag und ein wenig die Ausführung über das ehemalige Halbwissen bezüglich Apple, das "so gut wie pleite" dem Herrn Jobs mehr als nur einen Job, sondern ein gewaltiges Vermögen eingebracht hat. Ich weiß garnicht, ob ich Ihnen dafür danken kann, daß Sie mich dazu hingerissen haben, das Halbrecherchierte so formlos rauszuschleudern.

Die von Ihnen erwähnten Situationisten und viele andere hatten uns bereits einen Ausweg innerhalb unsererselbst bereitet, den ich im Moment - hoffentlich nur aus Verblendung - nicht mehr so recht sehen kann.

Wie die beste sturmfrau sagen, gibt uns dieses Podium ein Mittel an die Hand, das Wissen aus unterschiedlichen Quellen zu beziehen, uns gegenseitg um die Ecke denken zu helfen, und nicht zu bringen.

Ich war geneigt zu glauben, daß es mehr um das Nicht-wissen-Wollen geht, mehr als um die naturelle Dumpfheit. Oder ist es doch die Unverträglichkeit geistiger Vollkost? Fast möchte man meinen, daß sich - zumindest in den dichtgedrängten Innenstädten - viele und immer mehr ängstlich an Ihre Handys klammern - als Halt und als Schutzwall.

Ich kenne das bisher vorwiegend aus dem Vorreiter-Moloch New York, daß man Angst haben muß, in Nowehr erschossen zu werden, wenn man jemanden nach der Uhrzeit frägt. Angst in der Masse vor der Masse.

Das läßt sich ertragen, wenn man die fragmentierte Stadt mit dem eigenen Auto durchquert, um aus den Einkaufszentren den green-revolution-Müll in die ruhige Wohnsiedlung zu schippern. Wer diesen Vorteil nicht genießt oder doch mal oder dauernd rein muß, mitten unter die "Irren", der fährt die Scheuklappen mal besser hoch, um nachts noch ruhig schlafen zu können. Da kann ich Ihre Schwester schon verstehen.

Ob man die mangelnde Verantwortungsübernahme nun angehen sollte oder nicht ... da bin ich als hartelinie konzeptionell festgelegt, als Privatperson bin ich weniger vorwurfsvoll. Ob man sich allerdings als Prinzessin auf der Kichererbse mit dem Wegsehen selbst einen Gefallen tut, ist fraglich. Für jemanden der Kinder hat, die er auch liebt, ist das fraglos, glaube ich.

Ich werde - wenn sich das Vermeiden läßt - Ihren Fernseher nie wieder ins Spiel bringen ... und sollten wir jemals den Bordeaux köpfen und mit 51ern beschütten, sollten wir das als Fernsehabend gestalten. Arte ist dennoch die bunteste aller Hüllen, denn es mag durchaus bezirzen und verzaubern ... und plötzlich glaubt man, daß es Vollkost ist.


jean stubenzweig   (03.04.12, 15:26)   (link)  
Nicht wesentlich
ist es, aber doch auch wichtig zur Wiederherstellung meines etwas besseren Gewissens, darob, Herrn Jobs hier vermeintlich verteidigt zu haben. Nein, das wollte ich nicht, Er war genauso ein, genial hin oder her, gerissener oder vielleicht einfach: maßgeschneiderter Unternehmer, wie dieses System ihn sich wünscht oder einfach nur hervorbringen kann. Und dem huldigt man nunmal gottgleich, und sei es durch Massenkäufe von Produkten, ohne die auch oder möglicherweise besser zu leben wäre. Mark Zuckerberg wäre der nächste Fall, der steht längt genauso auf der Bühne wie der große Steve. Und die Gemeinde applaudiert bis zu ihrem Niedergang. 1984 ist ein harmloses Groschenheft. Darauf gekommen bin ich auch nur, weil ich darauf hinweisen wollte, aus meinem Nichtwissen herausgeholt beziehungsweise korrigiert worden zu sein. Stinkereich wurde er auch erst, als er mit Gates gemeinsame Sache gemacht hat. Geld verdrängt offensichtlich der meisten Wut und deren Bürger sowie viele Skrupel.

Mein Fernseher. Auch ich lasse mich gerne unterhalten. Und es ist mir nunmal angenehmer, das auf arte-Niveau zu tun als auf dem Ersten, dem Zweiten oder gar einem dieser teilweise abscheulichen, durch die Werbung gesponsorten Nebenerwerbs-ausstrahler dieser Way-of-Life-Produkte. Sicher ist mein Blütensternengärtchen eine bunte, wenn auch eine bei weitem nicht so eine grelle Hülle, die, manchmal auch mich mehr als penetrierend, grün Gewaschenes, green revolution, «Kichererbsen sind das neue Soja!», alte Apfelrechner zu neuen Aquarien (eben auf Deutschlandradio Wissen gehört) und sonstige politisch korrekte Moden plakatiert. Aber ich und andere Gernseher gelangen über diesen Sender nicht nur zur Nachtschlafzeit eher an Informationen, die uns anderswo erst gar nicht geliefert, sprich uns gezielt vorenthalten werden. Selbstverständlich geht das nicht anders, als daß man «dieses Wissen am besten durch mehrere unterschiedliche Quellen sichern sollte». Denn letztendlich darf nicht vergessen werden, daß die Linksrheinischen eher weniger selbst produzieren, sondern überwiegend auf das zurückgreifen, was von den angeschlossenen Anstalten offeriert wird. arte ist das Feigenblatt von ARD, ZDF und France Télévisions sowie ORF, SRG et cetera, also auch hierbei Systemimmanenz.

Ich tendiere dazu, die «Masse so konditioniert» zu sehen, und zwar durch ein sogenanntes Infotainment, über eine Art von Unterhaltung, die alles immer weiter absenkt. Man schaue sich nur die Gesichter von Menschen an, die das Publikum dieser Sendungen bilden. Man schaue sich nur diese Sendungen an, über die das Volk sich amüsiert, möglicherweise gar identifiziert. Immer mehr wird zur Comedy. Ich empfinde das nicht unbedingt als komisch. Hin und wieder gibt es für rudimentäre Apo-Opas wie mich Lichtblicke, etwa den aus meinem Blickwinkel immer noch jüngeren Max Uthoff, bei dem, und das sehe ich als vorteilhaft an, manchmal dessen Vater Reiner durchschimmert. Vielen dürfte dem Sohn qua Gen der klassische, also altbackene oder, zum besseren Allgemeinverständnis, oldschoole Kabarettist anhaften, der nicht nur schwachatmige Witzchen reißt, sondern intelligente, die auch noch auf Informationen aufbauen, die an sich bereits ausreichen, aktuelle Ereignisse und politische Entscheidungen ins Fadenkreuz der Kritik zu nehmen. Aber Politik. Von der wenden sich so viele ab. Urban Priol machte den schönen Witz: Ob das Duisburger Modell der Abwahl eines Politikers nicht landes- sowie bundesweit Schule machen sollte? Politik war für mich immer etwas, an dem man sich zu beteiligen hat, weil man in jedem Fall beteiligt ist. Wer sich davon abwendet oder es erst gar nicht auf sich zukommen läßt, der darf sich über einen Mangel an Demokratie nicht beklagen, vor allem aber nicht genießen dürfen, was eine Politik eben auch geschaffen hat.

Mit der Erwähnung der Situationisten, beste Einemaria, hier an dieser Stelle komme ich jetzt eben nicht so klar. Die habe ich in letzter Zeit einige Male untergebracht, aber die waren dann meist lediglich Bestandteil meines Beitrages, den ich verlinkt hatte und in dem aber das Nichtwissen, die Halbwertzeit des Wissens Schwerpunkt sein sollte, der Hinweis auf die historischen Fakten, die zwar allesamt festgeschrieben sind, aber kaum noch nachgelesen werden. Vielleicht hätte ich das heraustrennen sollen und es mir nicht so bequem machen dürfen. So entstehen nämlich Mißverständnisse.

Aber da wir gerade bei der Kunst sind, Einemaria, noch eine Marginalie. An eine erinnere ich mich, sie sich bei Ihnen um die Ecke in der Diözese Passau befindet, nämlich in Altötting, einer besonders frühen Stätte der Marienverehrung in Bayern. Ich habe den Eindruck, daß man im deutschen Fernsehen einen enormen Nachholbedarf zu haben scheint, den man beispielsweise in Frankreich, um im alten Europa zu bleiben, nicht kennt, weil das Dunkle seit sehr viel längerer Zeit zum Gesellschaftsbild gehört. Das nahm seine Anfänge mit den westdeutschen schwatten und sonstwie gefärbten Perlen, steigerte sich langsam durch die Hinzunahme der östlichen. Mir gefällt das, sehr, nicht zuletzt, weil ich ohnehin immer für Multikulti, für die Bastardisierung war. Aber hat sich dadurch gesellschaftlich spürbar etwas geändert? Oder darf ich das erst von unten betrachten, wenn's mich nicht mehr gibt?
Solche topographisch punktuell konzentrierten Kultstätten oder auch Wallfahrtsorte wie Lourdes oder Fatima verlieren im Zeitalter einer postulierten und auch realisierten grenzenlosen Mobilität und der unbegrenzten Verfügbarkeit von Information ihren Sinn. Paradox wird damit ebenfalls das Verhältnis zwischen dieser Mobilität, die ja einen relevanten Wirtschaftsfaktor darstellt, und einer gleichzeitigen Abschottung gegen das sogenannte Fremde, einem erneuten Insistieren auf einer nationalen Identität. Das Konzept einer solchen Mobilität ist als einseitiges gedacht. Selbst am Ende des 20. Jahrhunderts ist der Kolonialismus noch lange nicht überwunden. Es gilt immer noch, was Carl Einstein 1921 einleitend in seinem Buch über afrikanische Plastik schrieb: «Exotismus ist oft unproduktive Romantik, geographischer Alexandrinism. Hilflos negert der Unoriginelle.» Diese Feststellung ist keineswegs auf den ästhetischen Bereich beschränkt, sondern nimmt die Maxime ‹schneller, höher, weiter› aufs Korn.
Ich bin schwarz, aber schön.
Und bei der sich bietenden Gelegenheit, da war mal was bei Ihnen: Es gibt viele Formen von Fluxus, das ist auch eine, quasi eine des Verschwindens, ohne daß dabei das Wesentliche vergessen würde.


einemaria   (05.04.12, 01:40)   (link)  
Herr Stubenzweig,
die Verwirrnisse sind sicherlich meinerseits. No worries - so groß können sie garnicht sein ... zu gern lese ich Ihre Texte.















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