Mein Tag der (R)Evolution.

Photographie: mafate69
Hier daran gemahnend, daß sogar im durch und durch gehoben mittelständischen, aber eben auch einstmals arbeiter-, weberbewegten Lyon Menschen vor noch gar nicht so langer Zeit protestierend auf die Straße gegangen sind, auch in Erinnerung an ein Telefax aus Paris, letztendlich durchaus an François Mitterand, dem ich gemeinsam mit anderen 1981 um den Hals und dann, wenn auch nur ein wenig, von ihm abgefallen sind.


Einmal will auch ich politisch aktuell sein, da es mich am meisten bewegt. Denn heute ist (m)ein Tag der Entscheidung, dem ich dauerwütend seit längerem entgegenzittere.
Die Anhänger von Marine Le Pen, gegen deren 2002 in die Stichwahl gekommenen Vater, aber auch gegen Sarkozy ich vor der letzten Wahl auf die Straße gegangen bin, gehen davon aus, daß sie spätestens zur übernächsten Madame le Président werde. Nun gut, was die Fangemeinde sich so ausmalt. Aber die Gefahr ist groß, ein bißchen übel wird mir dabei durchaus. Schon zu ihres Vaters Jean-Marie Regentschaft war es zum Beispiel in Marseille schier unmöglich, einen der kleineren Läden zu mieten, etwa Bar-Tabac, Journal et cetera, im 1. Arrondissement, also im Zentrum, im weitläufigen Bereich des alten Hafens bis hinauf in den multikulti-geprägten, ältesten Stadtteil Panier, aber durchaus auch in weiter weg gelegenen Quartiers, war man nicht Mitglied oder zumindest Sympathisant des Front National. Tochter Marine hat ihn nun mit Weichmacherparolen geöffnet. Doch manch einer derjenigen, die gewiß oder eigentlich überhaupt nicht in das Weltbild dieser Hasser all dessen passen, was ihnen fremd erscheint, hat sich ihm bereits zu Papas Zeiten zugewandt. Es gab viele Schwarzfüßler und sogar einige Beur, die für Rechtsaußen gestimmt haben, also für die, die sie dorthin zurückjagen wollen, wo sie nach Meinung der Frontkämpfer hergekommen sind, nach Afrika, unabhängig davon, ob sie fürs Land in den (Algerien-)Krieg gezogen sind, im Heimatland geboren und auch dessen Staatsbürger sind. Die sowie überhaupt viele Kleinstbürgerliche etwa aus dem Lager der Ladenbesitzer, da wären Bar-Tabac, Zeitungen oder Kleinwerkstätten, aber eben auch die Bevölkerung der kleineren Städte und der Provinz, die von der ruhmreichen Kolonialgeschiche des Landes nichts oder nichts mehr wissen wollen, machen einen großen Teil der potentiellen Wählerschaft aus. In diesem Gewässer hat Sarkozy nun um die Gunst des Èlecteur gefischt. Das hat ihm noch einmal ordentlich Gegensturm ins Segel geblasen, so daß gar der durch-und durch-altbürgerliche Bayou (wie Madame le Pen selbst) zur Stichwahl die Empfehlung verweigert hat. Ob's zur Abwahl reicht, bleibt offen, aber ich bin guter Hoffnung für morgen. Die gegen vermutlich erhebliche Stimmengewinne von Marine le Pen in fünf oder zehn Jahren ist allerdings bereits entschwunden. Auch hierbei bin ich froh, nicht mehr zu den Jungen zu gehören, nicht nur zu denen, die der amtierende Monsieur le Président einst wegkärchern wollte.
Da also die bittere Realität aus dem Phantastischen der Reise durch das All herausragt oder auch ein Thema für sich ist, stelle ich ich meine Antwort auf den Kommentar der Kopfschüttlerin aus dem fernen kurz vor Moskau auf Seite eins beziehungsweise reihe die dazugehörenden Passagen noch einmal in einer neuen, meiner Ordnung auf. Ich tue das auch, weil erfahrungsgemäß Kommentare häufig nicht gelesen werden, weil der Mensch an sich dazu neigt, nur das zu lesen, was auf der ersten Seite steht.
ich las heute in der berliner zeitung: Der Wahlsieger in Frankreich wird damit leben müssen, dass sein Erfolg auch vom Votum einer erstarkten national-istischen Rechten abhängt, die die französische Politik künftig stärker als zuvor prägen dürfte.
frankreich, das wahlergebnis wird auch für europa von immenser bedeutung. (ich meine griechenland, auch wenn es traurig ist, ist doch schon den bach runter. davon was die wahl hervorbringen wird, mal ganz abgesehen.)
wenn hoffentlich hollande gewinnt, werden wieder die märkte reagieren: hektisch, aufgeregt, dann kommen die wirtschaftsressorts wieder mit ihren wahnsinnigen metaphern (so wie immer eigentlich). anstatt, daß die märkte regiert werden. ach, es ist ein leid.

auch bitter: dieser kommentar trifft es, finde ich, auf den punkt: Die offensichtliche Anbiederung von Nicolas Sarkozy an den Front National wirkt hemmungslos. Warum eigentlich regt sich bei den EU-Regierungen kein Widerspruch?

populismus aus reinem machterhalt, nur trägt der populismus leider früchte. und weil der artikel oben (ich hoffe, es ist ok, daß ich ihn verlinkt habe) überschrieben ist mit: doppelter tabubruch – das ist (auch) so ein "thema", welches nicht mehr thematisiert wird, wenn oder weil es zweckmäßige tabubrüche gibt, und dann doch wieder absolute tabus? das tabu an sich ist schon problematisch, wenn aber es verordnet wird und nicht mehr inhaltlich diskutiert. gute nacht.
Links zu verlinken, ist kein Tabu im hiesigen kleinen Häuschen, auch die rechte(re) Welt bietet Information, an die ich häufig nicht gelange, da ich sie, wie auch den Freitag, nicht regelmäßig lese, Glücklicherweise habe ich eine Vorleserin. Ein Tabu wäre allenfalls der allzu einschlägig vierbuchstabige große Bruder dieser Springer-Presse, deren Gegner ich war, bin und bleibe, auch wenn ich zugestandenermaßen eine Zeitlang selbst zum Konzern gehörte, wenn auch in einem Verlag weitab politischer Meinungsbildung, der dann an ein anderes Haus verkauft wurde, zu dem ich allerdings mittlerweile auch keine sonderlich positive Meinung mehr habe.

Was Lutz Herden im Freitag nicht berücksichtigt, obwohl er sich doch auf Geert Wilders bezieht: darauf hinzuweisen, daß dessen Umtriebe auch nicht gerade wütende Proteste seitens der EU-Politiker hervorrufen, wie auch in anderen Mitgliedstaaten unserer Union. Aber vielleicht sollte ich hier etwas moderieren. Es sind in erster Linie die immerfort die sogenannte Mitte propagierenden Medien zur Hauptsendezeit, die kaum etwas nach außen dringen lassen von den meist im Hintergrund stattfindenden Debatten um Ereignisse dieser Art. Im Vordergrund läuft eben das ab, was die breite, politisch nicht wirklich interessierte Masse bewegt, zum Beispiel die Versuche der dänischen Rechten, wieder Grenzkontrollen einzuführen. Wenn's um diese andere Art der freien Fahrt für freie Bürger geht, dann geht auch das Interesse des gemeinen Interessenten auf. Als Frau Merkel ihrem Galan ein Geschenk machen wollte und ihren Innenminister vorschickte, der daraufhin wahlk(r)ampftechnisch von temporärer Grenzschließung plapperte, was Merkozy logischerweise die abendlichen Nachrichten bei Bier, Kartoffelplätzchen und/oder auch alkoholgeschwängerten Praliné namens Cherie sicherte, da schauten sogar viele ins meinungsregelnde Staatsfernsehen hinein und ließen auch sonstige trittbrettfahrende oder auf Gleichschaltung bedachte Meinungsmacher nicht aus.

Ich halte es schlicht für Unsinn, wenn in diesen Breitwalzmedien behauptet wird, es würde sich mit Hollande europäisch etwas ändern. Er wird allenfalls — hoffentlich tut er das tatsächlich, wenn er die Präsidentschaft übernehmen sollte — so manchen Fehler oder bewußt vergessene Versprechen von Sarkozy korrigieren und mal zu den Stahlarbeitern in die Lorraine oder zu anderen Hinterbliebenen der von Sarkozy extrem zugunsten des teuflischen Haufens geförderten Globalisierung fahren oder den Spekulanten den Hahn des sprudelnden Geldes ein klein wenig zudrehen, überhaupt die Binnenwirtschaft etwas zu beleben versuchen. Mehr zu tun, das wird auch ihm kaum möglich sein. Ein würdiger Nachfolger Mitterands — man mag über dessen Regentschaft denken, was man will — wird er kaum werden, dazu ist das Schiff Grande Nation bereits zu weit ins Universum entschwunden, um im dortigen Phantasialand nach großen nationalen Wundern eines neuen Lebens im alten zu suchen. Realität ist die in der europäischen Wiege vor sich hinschlummernde Petite Nation. Die große alte ist allenfalls noch in den geradezu wundersam existierenden Kolonien zu besuchen. Wer die bezahlt, das wird nicht weiter erörtert. Es ist aber auch zu großartig, per Inlandsflug nach Guadeloupe, nach Martinique oder nach Réunion zu fliegen, wo man, so es persönliche Kontakte gibt, das Frankreich der fünziger und sechziger Jahre bestaunen kann. Mir hat mal ein Schwarzgekäuselter auf Martinique gesagt, nie würde er nach Europa ziehen, denn dort gäbe es das Mutterland schon lange nicht mehr, das wahre läge fernab davon, also hier. Ein Restaurant am Rand des Unversums.

Viele auf dem alten Festland wollen einfach nicht wahrhaben, daß es nunmal die Grande Nation war, die soviel Buntes in den Kessel brachte. Das ist auch eine Art von Geschichtsbewältigung: die des Ignorierens von Wirklichkeit. Aber DOM-ROM gleich Départements d’outre-mer existiert nunmal, auch wenn die meisten nicht hinfahren, wahrscheinlich, weil es nicht zum Schengen-Raum gehört, man also nicht einfach mal barrierefrei zum Autobahnbrettern rüberfahren kann (wie umgekehrt die zu Feinschmeckern gewordenen Deutschen zum Billigeinkauf von tiefgefrorenen Schnecken, ja sogar, erst kürzlich selbst gesehen, von Froschschenkeln oder Crevetten aus den einstigen Atomversuchsgebieten). Auch an Nordafrika wollen viele nicht denken, obwohl das doch zu großen Teilen waschechte Franzosen waren, die dorthin übergesiedelt sind, weil ihre Trauben das Zeitliche gesegnet hatten und die dann nach dem Algerienkrieg als Pied-noir zurückwollten in die Heimat, dort aber nicht mehr gelitten waren, genauso abfällig behandelt wurden wie diese ganzen faulen Bastarde aus diesen Drecksländern. Gegen diese alle trat und tritt dieser kleinwüchsige Narkozy nun auf beziehungsweise aus, will sie, seit ihm die scheinbar königliche Macht dennoch abhanden zu kommen scheint, mehr noch als früher, also wenigstens geistig, da ihm seine allzu offen geäußerten brutalen Methoden doch einige verübelt haben, wegkärchern, er, dem große Teile der Bevölkerung vor fünf Jahren ihre Stimme gaben, weil sie davon ausgingen, daß ein Restimigrant wie er, ein vom Vater eingeschleppter Ungar, mehr Verständnis aufbringe für die Nöte der historisch Übriggebliebenen, zu denen auch die Beur gehören, die Nachkommen der Einwanderer aus Afrika, das war ja nicht nur Algerien, sondern noch einige Länder mehr, in denen die Tricolore wehte. Er meinte wohl, es würde ihm ausreichen, sich der Stimmen derer zu vergewissern, die immer daran glauben, es könne wirtschaftlich nur mit ihm und überhaupt aufwärts gehen, auch, weil er dieses Pack aus dem Land vertreiben will. Die hat er teilweise nun auch noch von ihrem bürgerlichen Glauben abfallen lassen, weil sie allesamt ihrem Katholizismus anhängen und ihn mittlerweile für einen Scharlatan halten. Es haben sich möglicherweise ein paar moralisch einwandfreie Evangelen daran erinnert, daß man ihre Vorfahren bis nach Preußen vertrieben hat.

Ob François Hollande es besser machen wird, darf infrage gestellt werden. Er kann ähnlich werden wie François Mitterand, zumindest genauso höfisch agieren. Aber selbst unter diesem Aspekt hätte ich mehr Hoffnung als bisher. Lediglich der Gedanke an Marine Le Pen könnte sie ins Sterben schicken.

Dennoch gehe ich jetzt zitternd um meine Stimme auf Sendeempfang. Vielleicht schreie ich heute abend noch einmal kurz auf. Aus Schmerz oder, hoffentlich aus Freude. Der Champagner liegt bereit. Im Keller ist's ja kühl genug. Im anderen Fall gibt's Pastis. Pur. Besser wäre Absinth. Wegen der Bitterkeit der Realität und zur Betäubung. Das käme der Flucht aus diesem schlechten Roman näher.
 
So, 06.05.2012 |  link | (3411) | 7 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftsspiele


enzoo   (07.05.12, 09:38)   (link)  
ohne
mich auch nur annähernd genug auszukennen in der französischen innenpolitik, die ja mittlerweile europäische innenpolitik ist, was die schande meiner unwissenheit ja mindestens verdoppelt, finde ich es zutiefst erfrischend, auch angesichts der tatsache, dass man den tag bekanntlich nicht vor dem abend loben sollte, dass da einer gewählt wurde, der nicht nur die begriffe sparpolitik und euroschutzschild zu kennen scheint.


jean stubenzweig   (07.05.12, 16:14)   (link)  
Champagner ist aus.

Eine Kiste richtig nach Keller duftendem und schmeckendem Duménil, nicht solch eine auf den europäischen Markt zugeschnittene, für die immergleiche außerfranzösische, sozusagen extraterrestrisch möchtfeudale Masse zusammengeschüttete, obendrein viel zu teuer ver- oder gekaufte langweilige Plörre, haben wir geleert. Nachschub ist bereits geordert. Es muß ja irgendwie weitergehen. Zu gut und gerne habe ich in Erinnerung, als ich im Sommer 2000 frühmorgens im noch lauschigen, weil die Touristen noch ihren Betten lagen und mit ihrem Schnarchen die Cigales zu übertönen versuchten, was nicht gelang, weil die auch noch pennten, ich also von der Côte Bleue her kommend mit dem Schiffchen in Cassis angelandet worden war und dort, drei Wochen nach Gewinn der Europameisterschaft ein paar unentwegt positiv Bewegte wankend auf den Bänken saßen, die Pulle kreisen ließen und fortwährend auf die Zukunft anstießen. Gut, der französische Fußball-Stern wurde dann, wie gestern der kleine Nicolas, von einem schwarzen Loch verschluckt, aber die Grande Nation, la Cinquième République française ist noch da. Und nachdem sie auf der Feierbank ein wenig nach links gerückt ist, werden die Rufe nach einer Sechsten Republik etwas leiser, mit der Monsieur le Président nicht mehr so übermächtig sein und alleine den Nachfolgern dienen sollte.

Sparen und schützen, lieber Enzoo. Sicher, weshalb sollte ausgerechnet François Hollande das nicht wissen. Seine berufliche Karriere begann der ENA-Absolvent (stolz berief sich Sarkozy darauf, keiner von denen zu sein, vielleicht brauchte er, wie ein deutscher Bundespräsident, Ersatz in Form von Prominenten aus dem Lager des Tralala und der Neureichs) schließlich am französischen Rechnungshof, und lange genug befindet er sich schließlich inmitten der Politik, bereits Mitterand ging er zur Hand, und die persönliche Nähe zur Verliererin der Wahl von 2007, Ségolène Royal, mit der er nie verheiratet war, und dennoch vier Kinder zeugte, was mich als politisch Unbedarften alleine den beiden geistig ein wenig näher gebracht haben könnte, dürften zudem seine Sinne geschärft haben. Wie auch immer zum Teil abenteuerllich spekuliert wird unter Politikern und in den Medien — nicht nur der Economist versteigt sich gar zu einer «Gefahr für Europa» —, ein von Prämien der Nochbesserverdienenden profitierender Versicherungsverteter wie Sarkozy wird er nicht werden. Da ihm auch, im Gegensatz zu seinem Vorgänger, Glanz und Gloria und die gelbe Gala-Presse nicht liegt, was Klein-Napoleon erheblich, wenn nicht gar entscheidend Stimmen gekostet haben dürfte, wird Hollande sehr wahrscheinlich auch nicht das höfische Gehabe annehmen, das — der Sozialist! — Mitterand zuletzt an den Tag gelegt hat. Reichtum, dazu war petit Nicolas, diese ritalingebremste Bumstablette, letztlich doch nicht ausreichend integriert oder besser nicht assimiliert, zeigt man schließlich in Frankreich nicht; vor sein versailleartiges Gebäude läßt der Bourgois, dieser Mutant aus dem immer noch leicht schillernden Gehöft des Sonnenkönigs, eine riesige Hecke wachsen, und seine feinere Voiture, selbstverständlich aus französischer Fabrikation, steht nicht minder sichtabgeschirmt, während er allenfalls mit einem Twingochen ins klein- oder auch großstädtische Büro fährt. Segel- oder gar Motorjachten in der Badewanne Méditerranée, das hat petit Nicolas nicht begriffen, sind nicht unbedingt der Franzosen Plaisir, auch nicht die schier außerirdischer Prominenter. Sie lassen sich lieber sonntags in der Masse und in der Sonne braten und stecken das auf diese Weise «gesparte» Geld ins Portemonnaie des Restaurantkellners. Davon ausgehend, daß es sich nicht etwa um eine europäische, sondern um eine französische Wahl handelte, scheint mir ein weiterer Faktor ausschlaggebend gewesen zu sein: Anders als sein Vorgänger, dieser blendende Fremde oder Fremdgänger mit seinem mangelnden Selbstwertgefühl, kommt Hollande mit dem Volk sehr viel besser zurecht, vermutlich fühlt er sich ihm tatsächlich näher. Das wird ihm, unter anderem, auch meine Sympathiestimme gesichert haben. Das kann sich ändern, wenn auch er in der Vergessenheit verschwinden läßt, daß es nicht nur strahlend blonde Franzosen gibt.

Entscheidend dürften jedoch ohnehin die Parlamentswahlen in etwa vier Wochen sein; zu denen man, das nebenbei, als im Ausland Lebender per Internet wird wählen können. Zwar hat Monsieur le Président seit de Gaulle mehr Macht als alle anderen Poltiker dieser demokratischen Welten, eine geradezu royale, doch ganz ohne ihm zustimmende Abgeordnete kann auch er nicht regieren. Zumal es dann letztlich doch europäisch werden wird. Womit wir wieder beim Sparen und Schirmen sind. Er will den Fiskalpakt, welch eine schöne, sich daraus ergebende neue Metapher, überdacht haben. Darin enthalten ist die Aufforderung zu mehr Aktivität bei der Beschaffung von Arbeitsplätzen. Mit dieser Ansicht steht er nicht alleine im alten Kontinent, an dessen Unionisierung Frankreich schließlich maßgeblich beteiligt war; man denke beispielsweise an Jean Monnet, an den Schuman-Plan, an das, was der damalige französische Außenminister mit der Montanunion an europäischen Anfängen in Bewegung gesetzt hat. Seit zwei Jahren liegen in Brüssel beziehungsweise Strasbourg rund vierzehn Millarden Euro in einem dafür geschaffenen Topf bereit. Wenn man schon Wohlstand für alle wünscht — was auch immer man sich darunter vorstellen mag, in den Niederlanden oder, Achtung, Luxembourg existiert ein höheres Durchschnittseinkommen bereits —, dann muß sich etwas bewegen auf diesem Gebiet. Nicht nur Oma muß also den Sparstrumpf leeren, um den Geldfluß zu aktivieren. Man möge bitteschön nicht vergessen — «Gefahr für Europa»! —, daß es die Hütchenspieler der Finanzwelt waren, die diesen Zusammenbruch größtenteils verursacht haben. Denen will er auch ans Portemonnaie, und sollte er ein paar Mitstreiter finden, könnte denen tatsächlich der Kampf angesagt werden. Wirtschaftlicher Aufschwung, diesen sogenannten haben beispielsweise die deutschen Regierungen, angefangen bei dem Sozialdemokraten (sic) Schröder, auch nur geschafft, indem sie in der Breite denen das genommen haben, was sie zum Leben brauchen, während, siehe Sarkozy, der Teufel auf seinen zunehmenden Haufen machen durfte. Bei rechtem Licht betrachtet ist die Arbeitslosigkeit im Wirtschaftswunderland nämlich bedeutend höher. Das wollen viele nur nicht wahrhaben und wählen deshalb immer wieder die Schwarzen oder Dunkelroten oder gar die seit vielen Jahren neuen Gelben. Man hat sich so an diesen Kadaver gewohnt, weshalb man gehorsam bleibt.

Tief innen in den Franzosen scheinen nicht nur rudimentäre Sehnsüchte nach höfischem Glanz gelagert zu sein, Überreste stürmerischen Geistes haben sich offenbar der Historie erinnert. Ausgerechnet dort, wo sich heutzutage gerne die vermeintlich etwas bessere Gesellschaft zum Plaudern bei Orangine oder Diabolo, also Eau parfumée, sogenannt stilles Wasser mit einem Schuß Grün- oder Rotsirup (Pastis trinkt der feinere Mensch eher seltener oder allenfalls au soleil couchant) trifft und wo Sarkozy sich sicher glaubte, strömten gestern abend Tausende und Abertausende hin, um die Teilung des Landes mit knappen Vorteilen für die Restrevolution zu feiern: an der Place de la Bastille. Dort, und nicht nur dort, gab's gestern aber Champagner für alle. Deshalb ist er jetzt erstmal aus(getrunken). Mal sehen, ob's nach den Wahlen zum Parlement wieder welchen gibt.


kopfschuetteln   (07.05.12, 21:08)   (link)  
champagner
eine ganze kiste. ach, herr stubenzweig.

ach, das hatte ich ja geschrieben: frankreich, das wahlergebnis wird auch für europa von immenser bedeutung.
weil, so glaube ich, bewegung in die "europäische sache" kommt. es ist eine weiche gestellt. mehr, freilich nicht. der erkenntnisprozeß, daß alles sparen allein zu nichts und wieder nichts führt, ist ja noch nicht zu ende. am ende wird man wissen, wieviel zeit man sich dafür gegeben hat. fakt ist doch, frau merkel einen wichtigen verbündeten verloren hat, mit klein-napoleon.
und griechenland, so traurig das wahlergebnis ist, dürfte zumindest eine deutliche warnung an die bestehenden regierungen aussenden (oder man setzt die wahlen lieber aus).

ob sie es dann besser machen? ich tippe auf 42.
das bild hat was (leicht abgewandelt): ein paar unentwegt positiv Bewegte sitzen wankend auf den Bänken, lassen die Pulle kreisen und stoßen fortwährend auf die Zukunft an.
was sollten wir sonst machen.

und wie immer natürlich: danke für die ausführungen.


einemaria   (09.05.12, 04:01)   (link)  
Der Obama Frankreichs
ist am Start. Mittelalter reloaded empfinde ich als sehr passend. Es wird werden wie Mitterand. Eine Weiche, Frau Kopfgeschüttelt? Der Karren, heute ein Schnellzug, fährt geradewegs, ohne Umschweife, in den Graben. Und wen läßt man auf den letzten Metern ans Ruder (ein Zug mit Lenkrad?): die mehr Schein als bare Hoffnung.

Daß sich rechts sehr wohl mit links einläuten, bzw einpeitschen läßt, zeigt uns die Marschformation "Links, rechts, links, rechts, im Gleichschritt Marsch". Daß uns der Dualismus noch ins Grab bringen wird, darauf wette ich einen Kasten ... fast hätt ich es vergessen, eine Kiste Wein (Bordeaux).

Mit einer Regierungskrise kann es auch schon schneller passieren als eine Legislaturperiode. Die Polarisierung der Massen - kopfgeschüttelt gesagt: Jede Revolution beginnt mit Schulden. Mit links plaziert man den Nagel, wie Rot-Grün die Hartz-IV-Gesetzgebung, und mit rechts haut man vier Jahre später dann drauf. Das hat Geschichte.

In dem von Ihnen beschriebenem Fall wäre durchaus vorausschauend, dem Hype zu glauben. Nach meinem Verständnis des bisher Geschehenem - so zumindest die Vorhersagen - wurde Dominique Strauss-Kahn diskrediert, um Hollande zum Zug kommen zu lassen, mit dem Ziel, den nachfolgenden Rechtsruck zu verstärken. Sarkosy war demzufolge schon vor den Wahlen aus dem Spiel.

Um das in einen größeren Rahmen zu setzen, möchte ich mit einem längerem Zitat aus Sven Lindqvists Buch "Durch das Herz der Finsternis" (S.220/221) von 1992 (vor 20 Jahren) schließen:

"In Paris spricht Le Pen zum 1.Mai."Ich habe ihn gehört", sagt ein französischer Ingenieur, der für Michelin in Nigeria arbeitet. "Eigentlich dachte ich, der Faschismus würde sich, sollte er wiederkehren, möglichst bunt verkleiden, damit wir ihn nicht wiedererkennen würden. Niemals hätte ich gedacht, daß er im braunen Hemd und in schwarzem Leder wiederkäme. Niemals hätte ich ihn mit kahlgeschorenen Schädeln, Hakenkreuzen, Stiefeln und Schulterklappen erwartet. Und niemlas hätte ich gedacht, daß er sich selbst als "national" und "sozialistisch" bezeichnen würde.
Aber er kam, ganz einfach zu erkennen, und prahlt mit seinem nationalsozialistischem Erbe. Dasselbe Geschrei nach jedem Satz des Anführers. Derselbe Haß auf alles Fremde. Diesselbe Gewaltbereitschaft. Dieselbe verletzte Männlichkeit."
"Und derselbe Nährboden", sagt der Deutsche."Nach dem Krieg haben alle die Arbeitslosigkeit gefürchtet. Jeder wußte, wohin Arbeitslosigkeit geführt hatte und wieder führen wird. Fünfundzwanzig Jahre hat diese Erkenntnis vorgehalten. Dann war sie vergessen.
Die Vorteile sind verlockend: Eine Arbeitslosigkeit von fünf, zehn, fünfzehn oder besser zwanzig Prozent verhilft den Unternehmern zu einer mächtigen Position. Die Arbeiterschaft sehnt sich danach, ausgebeutet zu werden.
Und das alles ist erst der Anfang. Die große Masse der Arbeitslosen lebt auf der anderen Seite des europäischen Rio Grande: in Asien und Afrika. Wartet nur, bis die auch noch zu uns strömen", sagt der Deutsche. "Wartet nur, bis die Grenzen fallen, wie die Mauer fiel, und alles zu einem einzigem großen Arbeitsmarkt wird. Wer wird dann die Wahlen gewinnen?"

PS: Hoffentlich liege ich völlig daneben - da lohnt dann schon mal eine Kiste Wein.


jean stubenzweig   (09.05.12, 17:32)   (link)  
Bunter geworden
— die Arbeit hat sich glücklicherweise nochmal davongemacht, hat aber angedroht, wiederzukommen —

sind sie doch bereits, sowohl rechts als auch links des Rheins. Marine Le Pen bringt sogar so etwas wie Fröhlichkeit mit in die Feierei über den Stimmenzuwachs gegenüber ihrem Vater, wenn es auch nicht mehr ist als Hausfrauengefieder, ein bißchen aufmodernisiertes Can-Can-Geflitter, aber eben gemäß der geistigen Beengtheit, die diesem Denken quasi gegeben ist, da mehr nicht hineinpaßt in diese heimeligen Kleinheime. Papa war der alte Haudegen, durch und durch Uniform, Ich habe ihn zu der Zeit, als Lindquists Buch herauskam, erlebt: zum Fürchten, dieses Gebelfe. Töcherlein Marine kann sprachlich zwar auch zupacken, aber ihre Töne sind moderater, geschickter oder auch schicklicher, manchmal gar schalmeienhaft, wie auf dem Lande, wo die patriotischen oder auch volksnationalen Gesänge weitaus stärker ankommen als in den wenigen wirklichen Großstädten, aus denen die Medien nahezu ausnahmslos berichten, die eben in Frankreich sehr viel dünner gesäht sind als beispielsweise in Deutschland. Mich erinnert das immer wieder an die Besprechung des Buches Und Gott schuf Paris von Ulrich Wickert, eben zu den Neunzigern ARD-Fernsehkorrespondent in Frankreich, nein, in Paris, in der sie fragte, ob der je in der Provinz war:
«Er tut geradeso, als hätte er nie an einer französischen Hochzeit teilgenommen, als habe er nie den Alltag irgendeiner Familie geteilt, als habe er Paris und Frankreich immer nur in der Rolle des Auslandskorrespondenten erlebt, dessen Neutralität (gibt es denn eine solche?) und Objektivität darin besteht, die richtigen Leute, den richtigen Zeitungsartikel, die richtigen Schriften und Erhebungsergebnisse zu zitieren.»
An dieser journalistischen Praxis hat sich im Prinzip bis heute nichts geändert. Wer sich tatsächlich für das «befreundete» Land interesssiert, der muß in die Reiseabteilung der Sender schalten, um mit etwas Glück das eine oder andere Informatiönchen zu erhaschen, das in einen Beitrag über «Lebensart» eingestreut wird wie eine Prise Salz. Ein anderes Gewürz scheinen diese Berichterstatter ohnehin nicht zu kennen, denn nicht einmal ein bißchen Pfeffer ist enthalten. Man muß schon arg suchen, um mehr zu erfahren. Ich kann mich nicht erinnern, innerhalb der Medien tiefergehende Auskünfte beispielsweise darüber erhalten zu haben, was es mit dem Front National auf sich hat. Wie mächtig der im Süden ist, das habe ich oben angerissen, aber nicht nur dort wird er heftig gewählt, auch im Nordosten, etwa im Elsaß, oder sonstwo. Allenfalls über die Problematik der Reste der Kolonialpolitik wurde berichtet, wobei Aufhänger das angekündigte «Auskärchern» des Abschaums durch Sarkozy war. Damit war aber auch Schluß. Dieser Bequemlich-keitsjournalismus entblödete sich nicht einmal, die offizielle Staatsmeinung zu vermitteln, nach der Algerien keine Kolonie, sondern eine französische Provinz war. Gott muß in Afrika geborener Franzose sein.

Der französische Obama. Da ist etwas dran. Viele junge Menschen setzen ähnliche Hoffnungen in Hollande, jedenfalls die gemäßigten, wenn sie das Glück hatten, etwas mehr Bildung erhalten zu haben, die tatsächlich ihr Land als das der Revolution sehen. Dabei weiß ein Großteil der Bevölkerung nicht einmal wirklich, welche tiefere, historische Bedeutung der Nationalfeiertag hat. Für die meisten ist das der Jahrestag der landesweiten Party mit abschließenden Feuerwerken. Nun gut, neu ist auch das nicht, das hat bereits Tucholsky geschildert. Eine kleine Erinnerung:
Sicher hat Kurt Tucholsky nicht ganz Unrecht, wenn er in Paris, den 14. Juli schreibt, viele wüßten gar nicht mehr, aus welchen Gründen sie zur Fête Nationale auf den Straßen tanzten. Es dürfte sich noch ein wenig mehr verflüchtigt haben als vor rund achtzig Jahren, als er das notierte. Aber spielt das noch eine Rolle? Die Bereitschaft, die Bastille zu stürmen, ist grundsätzlich vorhanden. Wie im Mai 2002, als es galt, Le Pen zu verhindern. Und wenn Nicolas Sarkozy so weitermacht, wird er, ohne Carla, nach Sainte-Hélène übersiedeln müssen.
Unterschiede
Genau genommen ist Hollande tatsächlich so etwas wie dieser US-amerikanische sozialistische Führer: tief drinnen ein Bourgois. Es ist geradezu abstrus, ihn oder den anderen als Sozialisten zu bezeichnen. Auch wenn beide eine höhere Besteuerung der Sehrvielbeserverdienenden versprechen, so ist ihnen die Welt der Bankiers durchaus vertraut, Hollande hat, um in der Nähe zu bleiben, allenfalls eine politische Verwandtschaft zu Schröder, dessen politischer Praxis er sich wohl auch wird annähern (müssen). Das hätte oder wird zur Folge haben, sich dessen rechtsrheinischer Nachfolgerin oder Weiterführerin quasi anzupassen, möglicherweise mit den von Europa-Schulz angebotenen EU-Mitteln zur Strukturförderung, wahrscheinlich, um mehr Arbeitsplätze bei niedrigeren Löhnen zu schaffen. Darauf kann's hinauslaufen. Wie auch anders. Die paar Firmen, die aus Fernost nach Deutschland zurückgekehrt sind und das sicher auch weiterhin werden, haben das, sehr grob gesagt, auch nur deshalb getan, weil die Löhne, die Kosten in den Billigheimerländern derart im Anstieg begriffen sind, daß es sich nicht mehr lohnt, hochwertiges Gerät im fernen Ausland fertigen zu lassen. Der Tinnef und elektronische Punder, dem die Franzosen mehr noch anhängen als die Deutschen, wird wohl weiterhin in der Ferne prodiziert werden, und sei es, daß die Chinesen, nachdem sie halb Deutschland und vielleicht bald auch Frankreich aufgekauft haben, Afrika soweit modernisiert, also mit Maschinen Made in Germany oder Produit en France ausgestattet haben, daß sie in der Wiege der Menschheit bei Billigstlohn fertigen lassen.

Aber daß Hollande völlig nach Rechtsaußen rücken wird, diese Prognose halte ich für ebenso waghalsig wie die geradezu verschwörerische These, Strauss-Kahn sei auf diese Weise abserviert worden. Der hat sich meines Erachtens selbst vernichtet. Obwohl ich mich anfänglich selbst auf eine Verschwörung eingeschworen hatte, bin ich davon abgekommen, nachdem er, wie sich herausgestellt hat, ganz offensichtlich mehreren Damen an die Wäsche gegangen ist und er auch mittlerweile der Zuhälterei beschuldigt wird. Ich bin nicht davon zu überzeugen, daß sei Bestandteil einer Verschwörung. Es war so lange Ruhe, weil das früher als Kavaliersdelikt galt, nun aber hat er's überdehnt, die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Parteikollege François hat mit der schönen Ségolène immerhin gleich vier Kinder gezeugt, und auch die ihr nachfolgende Gefährtin hat drei, das macht ihn volksnäher als diesen Triebtäter, diesem «Kaviar-Linken», dem zu Ehren sie kürzlich sogar eine Art Schwing-Bude gestaltet haben sollen, eine Feierstätte in Form eines zur Bar umgewandelten ehemaligen Sexshops.

Regierungskrisen, die haben in Frankreich eine Tradition wie die Marseillaise, die links wie rechts laut gesungen wird, schließlich stammt das Lied aus Zeiten der Revolution, richtiger: sie wurde anläßlich des Marsches gen Paris verfaßt beziehungsweise komponiert. Marchons, marchons ! Aus dem von Ihnen angedeuteten Stechtritt ist die Grande Armée allerdings ein wenig gekommen, wenn die Nationalrevolutionäre das auch nicht wahrhaben wollen, die sogar die von ihnen in Beschlag genommene, die von ihnen mariannenbemütze Jeanne d'Arc möchten sie als Führerin wieder in die Bataille schicken, wahrscheinlich gegen die Kaviar-Revolutionäre. Damit wären wir dann endlich im Mittelalter. Auf dem Scheiterhaufen verbrannt, das nebenbei, wurde das Volksmädchen übrigens in Rouen, dort, wo François Hollande geboren ist.

Zum Schluß, aber nicht zuletzt: Man wird übrigens beim Plaudern aufpassen müssen in Berlin, sollte, wie angenommen wird, da dies eine leicht rechtsgedrehte Verbeugung gegenüber Madame Merkel wäre, der Pragmatiker Jean-Marc Ayrault, Bürgermeister der schönen Atlantikstadt Nantes und als ehemaliger Deutschlehrer des Deutschen mächtig, Premier werden. Und da auch Monsieur Hollande der Schönheit gegenüber nicht abgeneigt ist, wird es in der künftigen Regierung einige Damen geben, aber solche, gegen deren Intelligenzquotient sich der von Carla Bruni ausnimmt wie fünf unter Toastbrot.


einemaria   (10.05.12, 10:38)   (link)  
äh,
nicht Hollande wird nach rechts rücken, sondern die Wählerschaft könnte bei der nächsten Möglichkeit, sich mit durch Ankreuzen zu äußern, eine größere Bereitschaft aufweisen, mit dem Stift etwas nach rechts zu rutschen, nachdem man Hollande und seinen Kumpanen Mißerfolge nachweist und behaupten kann: Sehr, er hat es auch nicht besser gemacht.
Und Strauss-Kahn bezüglich: gut daß zumindest er nicht mehr so ungeschoren unter Röcke greifen kann. Suspekt war vorwiegend der Zeitpunkt, als endlich mal öffentlich geäußert wurde, was nicht nur die Spatzen schon länger von den Dächern geträllert. Der Mann, der versäumt hat zu zeigen, daß er die EZB sozialisieren wollte, wäre durch seine Geschichte eben nicht der Gutmensch gewesen, den wir nun in Hollande sehen sollen. Nennen Sie es mal nicht Verschwörung, sondern politisches Kalkül.


jean stubenzweig   (10.05.12, 20:22)   (link)  
Mißverstanden
hatte ich Sie da wohl oder anders oder auch fehlinterpretiert. Bei mir kam das jedenfalls so an, weshalb ich mich auch tapfer vor le nouveau Président ins Brüstchen geworfen habe. Aber Sie haben's ja ins rechte Licht gerückt, das mit dem nicht Rechten. Gleichwohl ist (nochmals) anzumerken: Der linke Sozialist ist er nicht. er wird sich wohl dem eigenen Pragmatismus unterwerfen wollen oder auch unterwerfen müssen. Da ist er schlicht an ein Europa kleinkindergegattert, eingesperrt in der von der Lobby der Konzerne befehligten Freiheit, die keine Grenzen kennt, schon gar keine, die von der Geliebten des Göttergottes Zeus in den lieblichen Sandstrand der Freizeit gemalt worden sind. Alles andere wäre, wenn auch nicht gerade Mittelalter, aber doch eine Romantik, wie selbst ich alter Sympathisant der Romantiker sie nie geschätzt habe: eine Verherrlichung des Glaubens an das Gute im Menschen, vermeintlich entlehnt aus der Antike, in der der Idiot aber eben nichts zu sagen hatte. Mir behagten immer eher die Durchblicker dieser Epoche. Und die waren unter ihren Zeitgenossen nicht sonderlich geschätzt.

Übereinstimmung herrscht zwischen Ihnen und mir, was die (Ver-)Stärkung der Rechten betrifft, möglicherweise aus den von von Ihnen genannten Gründen. Zwar bin ich nicht der Meinung einiger, Marine Le Pen wäre die übernächste oder gar nächste Präsidentin, doch mehr als zwanzig Prozent dürfte sie problemlos erreichen. Mich macht alleine die Erinnerung an 2002 schaudern, als ihr Vater mit 17,8 Prozent in die Stichwahl einzog. Den dann hohen Sieg Chiracs kann nicht er selbst für sich verbuchen, sondern er gebührt den Massen, die vor zehn Jahren geradezu revolutionär die Straßen bevölkerten. Dieses aktuelle Mal ging es zwar nicht gegen eine solche Art der Führerschaft, sondern gegen einen anderen dieser Art, der es vermutlich lediglich nicht rechtzeitig bemerkte, wo er das rechte Volk abholen kann. Zu spät, nun wird er im schwarzen Loch der Privatwirtschaft verschwinden wie einst der Sozialist Schröder in der Gaswolke. Doch es wird kommen, was an einem völlig überholten Nationalstolz vieler obsolet oder auch gestrig Gebildeten oder allgemein Wissens- oder Informationsbedürftigen liegen mag, zuvorderst jedoch an einem Europa, das, gleich der antiken Demokratieform, auf die Privatperson ohne Amt und sonstige Würde keinerlei Rücksicht nimmt. Ich habe hier auf meiner Seite mehrfach darauf hingewiesen, daß die kleinen privaten Freuden der Einzelnen wie etwa das Heimatgefühl auch in Frankreich im Grunde erst als Ausgleich dafür zustande kam, als alles den Gesetzen einer europäischen Ökonomie gleichgemacht werden sollte, beispielsweise daß man im Vorfeld des sich abzeichnenden steingemeißelten Status quo das Verbot regionaler Sprachen wie das Bretonische oder, allen voran, das Okzitanische, sozusagen das Urfranzösische, das Langue d'oc, die Sprache nicht nur der ketzerischen Katharer, nicht nur aufzuheben, sondern sogar zu fördern begann. Das waren meines Erachtens Sedidative, wie sie auch in anderen europäischen Ländern zu beobachten waren und sind. Gib dem Volk beruhigendes Spiel wie die «dialektische» Heimatkunde, und es wird weniger aufmucken; ersatzweise oder besser noch zusätzlich den Aufsitzstaubsauger oder preiswerten Viertfernseher, ich zitiere aus einem Vortrag von 1983:
«Wieviel Arbeit, wieviel Freizeit, also wieviel Zweitkühlschränke, Dritt-Trimm-dich-Jogging-Anzüge aus Goretex und Viertfernsehgeräte benötigen wir denn? Wieviele Sonderangebote, also leichtfertig gekauften und nach (meist baldigem) Nichtgefallen schwierig zu (wie sich ein euphemistisches, von Politikern geprägtes Modewort abzeichnet) entsorgenden Sperr-Müll, also Überflüssigem aus dem Baumarkt, der sich, bezeichnend für unser Geschichts- und Geschmacksverständnis und mit seinem kleinteiligen, um nicht zu sagen kleingeistigen Ornamentsangebot völlig gegenläufig zur klaren Struktur dieses Mutterhauses der Vernunft-Form verhält, vielerorts Bauhaus nennt?! Wieviel hat denn die Industrie, der Handel seinerzeit bei den überall propagierten Zweitbremsleuchten innerhalb einer kürzesten Zeitspanne umgesetzt — 15 Millionen Mark. Da hat man den ewig Sicherheitsbedürftigen gewaltig auffahren lassen.»
Es ist die Roß-, moderater Augentäuscherei, die in Frankreich fast so etwas wie Tradition hat, und tatsächlich stammt auch dies aus einer historisch doch etwas zurückliegenden Epoche, hier der bildenden Kunst, Trompe-l'œil, wie man es aus der ehemaligen Weberstadt Lyon nicht nur kennt, sondern glücklich feiert. Wie beim von Parrhasios im Wettbewerb mit Zeuxis augentäuschend echt gemalten Vorhang, den Letztgenannter vergeblich zu öffnen versuchte. Zuvor hatten sich auf die von Zeuxis vorgegebenen Trauben gar Vögel gestürzt, um sie aufzupicken. Große Verbreitung fand diese Augentäuscherei dann in der Renaissance. Und einer solchen leben wir ja ebenfalls. Jedenfalls im Wiederbelebungsrausch derer, die diese Gesetze machen, samt ihrer unmittelbaren Klientel (Mövenpick-Steuer-Begünstigte). Man ist nach wie vor der allgemein als Abstraktion bezeichneten Darstellung nicht fähig, im Grunde nicht einmal diejenigen, die sie bestimmen (ich habe das einmal am Beispiel Neo Rauch erläutert). Marius et Jeannette alias Lieschen und Fritzchen Müller — und das meine ich allenfalls bezüglich einer bestimmten Breite despektierlich — wollen es im Prinzip einfach haben, nicht schlicht oder gar reduziert. Das sind die meisten ohnehin, es sei denn, sie kennen es, wie die älteren Jahrgangs, also ab sechzig Jahre aufwärts oder, je nach Perspektive, abwärts, aus der Küche. Und bei der handelt es sich, jedenfalls im deutschen Fernsehen, ebenfalls um eine Rennaissance, wenn auch um eine fast schon komische oder augentäuscherische AbArt. Einfache, lebenserleichternde Erklärungen in reduzierten Forme(l)n wird Marine Le Pen liefern. Die kocht ihr Süppchen. Gründe dafür habe ich beispielhaft genannt. Das wird so manch einem noch überkochen. Aber wahrlich nicht nur in Frankreich, wo zuletzt ein kleiner Nicolas mit dafür gesorgt hat, es den Großen gut und immer besser gehen zu lassen. Nun versucht einer von links den Styx zu umschiffen, aber der Sturm wird von rechts kommen, ihn vermutlich in den Hades blasen. Dieses letztendlich vom ungezügelten Wachstum, von der Profitgier geschaffene Totenreich fürchte auch ich. Mir ist ein gemütlicherer Handel immer lieber gewesen. Aber keiner im Sinne von Banalisierern wie Madame Le Pen. Warten wir's ab, wie es wird, wenn es kalt wird auch in Deutschland. Die Sozis oder Linke, wie in Griechenland, werden wohl kaum das Ruder übernehmen. Da wird wohl eher die Marine den Rhein überqueren.

Strauss-Kahn, noch ein Sozialist, ein Chevalier eben alter Schule. Bevor ich ein bißchen besser durchkuckte, hatte ich den Eindruck, er lebte nach einem sekundären Prinzip des Ius primae noctis, Erstrecht aus zweiter Hand. Ich habe es selber erlebt, als ein gestandener, als überaus seriös geltender Mensch aus der Politik meiner Begleiterin beim Treppesteigen von unten in den Schritt griff; mich wurde in jungen Jahren von einem Herrn namens Papa gelehrt, man habe treppauf hinter einer Dame zu gehen, auf daß man diese auffangen könne für den Fall, daß Maman einem rücklings entgegenkäme. Der offenbar unge- oder belehrte Herr entgegnete auf meine Erbostheit, ich solle mich nicht so haben, das sei doch normal. Unter Normalität verstand ich bereits zu dieser Zeit, es ist rund dreißig Jahre her, etwas anderes, auch ohne Heiratsanträge. Aber was habe ich schon verstanden? Ich habe keine Vorstellung davon, woraus so etwas resultieren könnte. Als Kind zuwenig Brust bekommen? Demnach müßte auch ich einer dieser Verkorksten der alten Ritterlichkeit sein. Man wies mich hier auf sexuelle Besessenheit oder Hörigkeit hin, von der ich zugestandenermaßen keine Ahnung hatte. Allerdings hatte ich bereits zu früheren Zeiten, lange vor seiner Zeit als Dirigent des Internationalen Währungsfonds, keine sonderlich gute Meinung von DSK, weil mir schon immer der gauche caviar, der Salon-Linke wenig behagte. Er war, so habe ich ihn erlebt, und ist wohl nach wie vor von einer gerne als Arroganz bezeichneten Abgehobenheit, die vergleichbar ist mit diesem sehr freien demokratischen, dem Namen nach aus Polen stammenden, aber phonetisch eingedeutschten Schleswiger oder Holsteiner (nein, das ist keine Fremdenfeindlichkeit, sondern insofern lediglich eine Feststellung am Rande, die sich darauf bezieht, als es vor noch nicht so langer Zeit die Regel war, solche Namen auch polnisch wie Kubitzky auszusprechen) mit denen man zwar gut ins Gespräch kommt, wenn's um irgendwelches Gescherbele wie beispielsweise Sponsoring geht und die dabei auch durchaus angenehme Unterhalter sein können innerhalb ihrer dreißigsten Etage, aber die, wie Frau Braggelmann als dessen ehemalige Dorfnachbarin kürzlich erwähnte, häufig nicht einmal alltäglich den Bauern zu grüßen bereit sind, den sie nicht kennen. Ich empfinde solche Menschen also letztlich als äußerst unangenehm. Da werde ich vermutlich, nicht nur von weiblicher Seite aus, nicht unbedingt im Abseits stehen.

Aber nationale Volksfrontdamen wie Marine, mit denen mag ich nicht einmal ins Gespräch kommen, da mögen sie noch so charmant und rhetorisch versiert sein. Da schwillt mir andersgeartet bereits der Kamm, wenn ich nur den Namen lese.















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Jean Stubenzweig motzt hier seit 5807 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 22.04.2022, 10:42



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