Geschichte unterm Schichtl

Ich war einmal ein Liebhaber. Fürs Kabarett bin ich vor etwas zurückliegenderer Zeit weite Wege gefahren, habe auch unbequeme Umwege inkauf genommen. Glücklicherweise habe ich die Reisen dorthin manchmal bezahlt bekommen, allerdings erst später, nachdem ich diese Landleidenschaft bereits auf eigene Kosten erkundet hatte. Dann brauchte ich in der Regel lediglich Bayern in den gen Norden ausgerichteten Telephonhörer zu sprechen, um ein Ja, sehr gerne zu hören. Es ging nicht um die Münchner Lach- und Schießgesellschaft, die, deren Ensemblemitglieder ich gleichwohl sehr schätzte wie auch all die anderen aus der sogenannten Kleinkunst. Dann ging es um diesen neuartigen, aus den Urwäldern ins Binnenland eingewanderten bayerischen, manchmal gar feinen, filigranen Humor, den köstlich grantelnden Witz aus Niederbayern, der Geburtsstätte heute alt- bis ausgedienter Koryphäen intelligent-komischer Tugendboldereien, er war exotisch genug, um offene Rundfunktore einzurennen. Ich hatte meine Liebe in Passau gefunden, ohne danach gesucht zu haben. Als ich dorthin gefahren war, um über Festspiele in der Nie-Gelungen-Halle zu berichten, dort, wo seinerzeit Franz Josef Strauß seine Belfereien ins Volk trötete und die katholischen Oberen Sitte und Moral bestimmten, ein heutiger getreulicher Diener des Papstes noch als Linker die wahrlich nicht, wie es besänftigend heißt, «liberale» Passauer Kleine Zeitung redigierte, da führte mich mein Weg geradezu zwangsläufig ins dortige Scharfrichterhaus. An diesem fröhlichen und zugleich kämpferischen Ort begegnete ich Ottfried Fischer wieder, den ich bereits als semiprofessionellen Primus inter pares der Machtschattengewächse in München kennengelernt hatte, die bereits, anders als in Wikipedia behauptet, vor dem Hinterhoftheater am Hart existierten. Hinzu kamen der damals bitterböse Bärbeißer Siegfried Zimmerschied (Mia druckn ois, nur des [so ein linkes Druckdreckswerk], des druck ma ned.), der ernsthaft komische wortziselierende Bruno Jonas, der mir später in der Wohnstube die Karikatur des sponsoridierenden Großmetzgers Maier-Frischart ins Mikrophon gab, eine von mir bis heute gern gehörte Persiflage auf einen sich in den Strahlen des Mäzenatentums sonnenden Bäckers der bajuwarischen Metropole, der zunächst übers Klavier, ebenfalls in der alles andere als gemütlichen Donaustadt bekannt gewordene junge Rudolf Klaffenböck war fast schon die nächste Generation.

Mein Interesse daran ist schwächer geworden, auch, da mich ein anderes Metier, zudem außerhalb des Rundfunks in Beschlag nahm, aber völlig erlahmt ist es nie. Nach wie vor höre und schaue ich gerne hin, wenn die Kinseherin oder der, im Gegensatz zu anderen, nach wie vor ordentlich austeilende Django Asül (hier ein Hinweis, weil der ans letzte hiesige Thema anschließt: Die Baywa-Ausgabe von Dominique Strauss-Kahn) ihre Auftritte haben. Ich ähnele mittlerweile jedoch immer öfter der bundesdeutschen Kanzlerin, die Mundwinkel kippen mir immer öfter nach unten, die Karikaturen dieser zugestandenermaßen ohnehin schwierig zu karikierenden Figur werden immer flacher, bald so eindimensional wie antimuslimische Zeichnungen nicht nur aus Dänemark. Es mag daran liegen, daß ich ein ewiggestriger, wegen Altersstarrsinns nicht rundzuerneuerender Freund des sogenannten Nummernkabaretts bin. Vermutlich deshalb höre ich auf bei einem Jüngeren wie Max Uthoff, zu dessen wahrhaftig zubeißendem Vater Reiner ich bereits gerne ins Rationaltheater in der Münchner Hohenzollernstraße gegangen bin. Doch diese Solitäre scheinen immer öfter zu verglühen im Universum. Da muß es ein schwarzes Loch geben. Auch die das All übernehmenden Damen scheinen es kaum zu füllen. Gestern wollte ich mich fremdverschämt in mein Mauseloch verkriechen, nachdem ich ins von Lizzy Aumeier begleitete Frauenkabarett geriet, weil die Darbietungen dürftig bis peinlich waren. «Nichts wird geschont», heißt es dickbrüstig im bayerischen Volkskanal, «weder die große noch die kleine Politik mit ihrem Ämter-Karussell-Lifting und Viagra — alles kommt mit rabenschwarzem Humor aufs Tablett. Ein rasantes Programm mit preisgekrönten Kabarettistinnen, das neue Lachhorizonte eröffnet.» Geschont wurden meine bedürftigen Muskeln, mein so gern bewegtes Zwerchfell war bar jeder Kontraktion. Mehr noch, mir wurde rabenschwarz vor Augen und in den Ohren, ich mußte abschalten.

Einemaria war es, der meine Erinnerungen an die gute alte Zeit ausgelöst hat. Er war, wie meistens, die Hartelinie gefahren, dieses Mal hatte er bei König Leopold im Kongo Station gemacht. Er hat mich nun hier mal wieder ausschweiferisch zum Menetekeln oder Motzen*, zum Assoziieren, auf Umwegen zum Kabarett gebracht. Deshalb hier die Wiederholung meines zwar ein wenig abgewandelten aber deswegen dennoch als Zitat deklarierten Kommentars:
Ich fühle mich dabei in diese neuere Art von Kabarett versetzt, diesen Klamauk zwischen Schichtl und nicht minder schaustellererischer Promibankhockerei, bei der die Leutchens immerfort gickern oder gar schallend laut an Stellen lachen, das mir nicht einmal ein müdes Grinsen abverlangen will. Mir fällt dabei jedesmal der Kommentar eines Kollegen ein, als ich mich vor Jahrzehnten über den Andrang der besseren Gesellschaft auf den Grünen Hügel wunderte, auf dem diese eine mehr als dürftige Inszenierung rasend beklatschte. Er meinte, sie hätten viel Geld ausgegeben für diese Veranstaltung, Bahn- oder Autofahrt übers weite Land, zuvor ein neues großes Schwarzes, ein neuer Smoking, auch das abschließende Abendmahl, bei dem man schließlich be(ob)achtet würde, käme nicht eben so preiswert wie beim ansonsten aufgesuchten Billigheimer, sie seien also gezwungen, zumindest zufrieden, besser noch glücklich zu sein über ihre Anwesenheit, sie applaudierten sich also selbst. Die Darbietungen sind aus meiner Perspektive oft (auch) deshalb so anpasserisch dünn, weil das Publikum immer weniger Hintergründe kennt, aus denen heraus, würde es sich mehr allgemein bilden, köstliche Miniaturen gestalten ließen: kleine, zurückgenommene, neudeutsch, ursprünglich aus der (bildenden) Kunst geboren, minimalistische Wortfiguren, die der Phantasie der Erinnerung von einstmals intellektuell Verarbeitetem aufhälfen oder gar weiterführten. Da es diese jedoch in der Regel nicht gibt, man also nicht nur eine, sondern die Geschichte nicht kennt, muß ein dünnes Brettchen die Bühne bohren, das kein weiteres (Nach-)Denken erfordert. Dann haben wir das Volkstheater, das keinen Deut besser ist als das vom Chiem- oder Tegernsee oder einer anderen Bühne des Fremdenverkehrs, über das die Nachtwaschsalonhocker abfällig die Nase rümpfen, weil es intellektuell nicht ihrem Niveau entspricht. Sie wissen es oft genug nicht, daß genau dies viele Politiker sich wünschen, diese liebliche Bildungslandschaft, in der kaum jemand den eigentlichen Mehrwert sehen soll, den verborgenen Kernpunkt, um den drumherumgestaltet worden ist wie beim Norwegen durch Slartibartfast, in dem die Vogonen unbemerkt unten drunter oder oben drüber oder mitten durch eine Umgehungstraße bauen, auf daß ihre monströsen langlinigen fahrbaren Lager der Teilevorfertigung noch rascher vorankommen in ihrem Wirtschaftwunderuniversum. Die heute so schlicht auf den Idiot reduzierte Privatperson, die jungdynamische Neupolitiker vermutlich deshalb abgeschafft wissen wollen, weil die ohnehin keinen Neu-Wert haben und das dann aus ihrer Bachelor-Bildung heraus auch noch unwissentlich unter direkte Demokratie firmieren lassen, nähert sich unaufhaltsam dem, nein, nicht dem Mittelalter, in dem das Volk einfache Bildchen kuckte, weil es nicht lesen konnte, sondern eben der Antike, in der das Volk nunmal wirklich nichts zu sagen, geschweige denn zu lesen hatte. Vielleicht will die obere Kaste Europas, der «gebildeten» alten Welt ja deshalb Griechenland retten, um endlich den Urzustand wieder herzustellen. Man stelle sich vor, ein Kabarettist oder eine Kabarettistin machte eine intelligent-witzige Andeutung über König Leopolds rasende Ritte durch den eigenen Vorgarten der mehrfachen Größe seines Landes, nicht eben wenige dürften das für eine komische, eigentlich oder vermutlich seltsam meinende, vielleicht die Werbung karikierende Einblendung halten, über deren Inhalt sie sich zwar nicht im klaren sind, über die sie aber dennoch laut lachen würden, weil sie schließlich nicht ausgesperrt sein wollen aus der Unterhaltung, die die Geschichte an sich bietet.
* À propos Motzen: Ende der Siebziger wollte ich eine Zeitschrift gründen mit dem Titel Motz. Enthalten sein sollten Rundfunkbeiträge, die von Hauptabteilungsleitern bis hin zum Intendanten abgelehnt worden waren mit der Begründung mangelnder Qualität, wobei aber eindeutig zuviel Kritik an Kirche und Gesellschaft ausschlaggebend war. Ausgangspunkt war die Sendung einer Kollegin über Otto Muehl, in der dieser wohl allzu ausschweifend den Begriff Ficken zu erläutern trachtete. Der damalige Redaktionsleiter setzte sich über das Sendeverbot hinweg, da er den Beitrag kulturell als für zu wichtig erachtete. Allerdings legte er über jedes inkriminierte Wörtchen einen Ton von ich weiß nicht mehr wievielen Hertz und sendete spätabends. Am nächsten Tag gab es im Sender nur ein Thema: die Piep-Show. Der Herr Redakteur machte im Haus keinen Stich mehr, leitete aber später, lange nach einer Karriere in einem großen Verlagshaus, die Hauptabteilung Kultur einer heute allüberall sehr geschätzten Rundfunkanstalt mit Sitz in Berlin. Aus Motz wurde nichts mangels Angebot. Die Schere im Kopf hatte damals bereits ihren Siegeszug angetreten.
 
Fr, 11.05.2012 |  link | (3612) | 9 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ansichten


g.   (12.05.12, 07:20)   (link)  
Nicht dass es mir viel anders gehen würde, nur: Eierlikör ist wunderbar.


jean stubenzweig   (12.05.12, 15:18)   (link)  
Die Missfits
sind ja bereits wieder ein fast anderes Genre. Diese eigenartige, umwegige Emanzipationsphilosphie hat ihre eigene, zweifelsohne unverwechselbare Sprache, nicht nur, weil sie aus dem Kohlenpott spricht. Manchmal mag ich sie sehr, dann gehen mir die beiden doch wieder zu anzüglich zu Sache, an die Wäsche, das ist nicht unbedingt mein Waschgang, ich mag feine Spitzen lieber. Gingen, muß ich mich korrigieren, denn Frau Jahnke macht ja alleine weiter, was ich insgesamt bedauere. Ich habe auch in deren Sendung immer wieder mal reingehört und -geschaut, bin aber insgesamt zum obengenannten Urteil über das sogenannte Frauenkabarett gelangt. Das schließt wahrlich nicht alle Akteurinnen ein, da gibt es einige, die auch mich erheitern und nachdenklich machen, was ja vielleicht auch Sinn des Kabaretts sein könnte, aber das meist Menschlich-Allzumenschliche aus dem Alläglichen schwärmt mir zu sehr aus in Richtung weiblicher Moderation, in der Art, was gemeinhin für weiblich-allzuweiblich gehalten wird. Mir sind auch Frauen am liebsten, die ihr Mundwerk an den Möglichkeiten der Sprache wetzen. Und, ums nicht zu vergessen, Eierlikör komt auch bei mir an, ist mir letztlich aber doch zu komödiantisch, witziger als ein weiblicher, weiterentwickelter, meinetwegen modernisierter Heinz Erhardt zwar, doch mich auch nicht mehr unterhaltend, als daß ich das mehr als wohlwollend benicken würde. Es ist mir wohl zu wenig hintersinnig. Es kann aber auch sein, daß es an meiner Ertaubung liegt.


g.   (13.05.12, 08:00)   (link)  
Nun, was ich ganz schön finde, ist die Selbstironie im Rückblick. Und dass sie rechtzeitig aufgehört haben als die Zeit, sich über feministische Auswüchse lustig zu machen, vorbei war. (Dass Gerburg Jahnke allein weiter macht habe ich gar nicht mitbekommen.)


jean stubenzweig   (13.05.12, 15:00)   (link)  
Alleine weitermachen
ist vielleicht etwas zu hoch gegriffen. Gerburg Jahnke führt durch Ladies Night. Andererseits sehe ich gerade, daß es heißt: «Gerburg Jahnke und Co spielen am 4. Mai in der Halle Münsterland», am 10. Mai waren sie auch im Stadttheater Lippstadt: «Um es mit Heinz Erhardt zu sagen: ‹Frauen sind die Juwelen der Schöpfung. Man muss sie mit Fassung tragen.› ». So lange ist das noch nicht her. Und dann noch: Die beiden hätten bereits zuvor wieder gemeinsam auf der Bühne gestanden, mit Sehnsucht. Auch ich war also nicht richtig informiert. Aber glücklicherweise gibt es ja den Informationsdienst Internet. In früheren Zeiten hätte ich alldem hinterhertelephonieren müssen. Wenn ich denn dieses Frauenkabaretts wegen weit gereist wäre. Es mag daran liegen, wie die Damen solche wie mich beschreiben: Alter, schlapper Sack.

Aber ich will Ihnen recht geben. Die Selbstironie im Rückblick schätze auch ich durchaus. Das wird auch bei Gerburg Jahnke als zwischenmoderierender Solistin deutlich. Sie ist häufig von einer feinen Spitzfindigkeit, die zwar häufig den Mann an sich meint, aber dabei nahezu durchweg selbstbezüglich reflektiert. Das ist weitaus nadelstichiger und erzeugt bei mir eher tiefere, voodooartige Hinterlassenschaften als das frühere Kohlenpott-Gekloppe gemeinsam mit Stephanie Überall. Aber gekichert oder wenigstens geschmunzelt habe auch ich dabei einige Male. Das gekonnt Komödiantische eben.

Nebenbei: Jutta, die Schwester von Gerburg Jahnke war und ist wohl nicht nur die Agentin von Missfits und anderen, sondern auch die von Queen Bee, mit einer alles anderen als der, seit einiger Zeit, zumindest in ihren fernsehigen Kneipenauftritten, so schrecklich laut gewordenen Ina Müller, zu der ich in deren Anfängen am liebsten ins Körbchen gekrochen wäre. Sie hatte zusammen mit Edda Schnittgard auch durchaus fein ziselierte ironische Untertöne drauf, die meines Erachtens sogar das neuere Kabarett ein wenig vorwegnahmen, urgeboren in der in den Siebzigern nach der «Revolution» aufkommenden ich-bezogenen, fast solipzistischen Innenbeschau der Literatur. Aber auch ich habe wohl weniger das bißchen Kabarettistische an den beiden wirklich gemocht, sondern eher Frau Müllers melancholische, manchmal nordfriesisch gesungenen Balladen. Das war zur Zeit meiner Schwermut. Die ist vorüber. Nun mag ich's wieder bissig und beißend. Aber auch das bitte leise.


jagothello   (12.05.12, 12:40)   (link)  
Mir scheint
Sie sind auch heute noch einer. Also, ein Liebhaber! Und eine Zeitschrift von Ihnen... die würde ich glatt kaufen. Es ist nicht zu spät!


jean stubenzweig   (13.05.12, 13:23)   (link)  
Der Titel Motz,
um an obige, an den Hinkeboten gerichtete Worte anzuschließen, kam übrigens von einer Frau, die meine einzige Fähigkeit sehr bald erkannte. Aber Zeitschrift: Damit scheinen Sie mir einer, um ein aktuelles Lieblingswort der Medien aufzugreifen, extremen Minderheit anzugehören. Bunte, sich dem Adel sowie dessen untergeordeten Klassen gewidmete Blätter erregen zwar weiterhin die Breite, aber eine in die Tiefe gehende Bleiwüste, wie ich sie unverdrossen in die Landschaft setzen würde, bedürfte mittlerweile eines sehr privaten Liebhaber-Vereins (zu dessen potentiellen Gliedern ich Sie tatsächlich zähle). Aber, aber: Bereits das 1991 gegründete und 1996 dahingeschiedene Laubacher Feuilleton konnte sich ohne die Künste, ohne die mittlerweile raffgierig gewordenen Künstler nicht halten. Es müssen abwegige Romantiker gewesen sein, die das Blättchen subventionierten, indem sie einzelne ihrer Arbeiten zur Verfügung stellten, geradewegs, als ginge es wie anderswo bei Kunst gegen Aids. Die zwei Auktionen waren legendär. Sie hatten wenig Ähnlichkeit mit den Veranstaltungen bei Christie's oder Sotheby's, und ich kann mir gut vorstellen, daß Sie sich dabei auch wohlgefühlt hätten.

Nun gut, es sei an die Worte von Annemarie Monteil erinnert: «Wer im Nabel der Welt sitzen will, darf nicht nach Einschaltquoten schielen.» Es befinden sich noch einige wenige Werke einzelner Künstler im Fundus. Vielleicht sollten die für eine Bewässerung der Bleiwüste dienen, auf daß daraus wie beim Gang in des Künstlers Garten ein See entstehe. Fußabdrücke aus dieser Zeit der Kunst sind noch vorhanden.

© Jochen Gerz, 1989.

Also auch aus meinem Lager täte ich durchaus Künstliches zur Befruchtung der Erde zur Verfügung stellen. Doch wer will schon einen solch alten, am gar noch hieroglyphisch-hermetischen Kram, der sich zudem mit dem Schrei nicht messen kann, weil er eben weder bei Christie's oder Sotheby's zwischengeparkt wurde. Gut, auch ich habe einen Giacometti, der die Welt erobert, aber der dürfte nicht ausreichend edel gerahmt sein. Irgendein Wert muß schließlich sichtbar sein. Andererseits ist die Halbwertzeit der Künste eine lange, wenn sie die Zivilisation auch nicht überdauern wird.

Dennoch fürchte ich, das mit der Zeitschrift wird nichts mehr. Ich bin lahmend geworden, als Spring-ins-Feld für die essayistischen Versucher erlahmt. Ich könnte mich allerdings damit herausreden, die Jugend möge auch mal zum Zuge kommen. Doch auch hier habe ich Befürchtungen. Die digitalisiert doch alles, will das auch noch kostenlos, was, wie oben, verstärkt via Hermetisches Café bereits angemerkt, zum Sterben führen kann.

Und außerdem: Wer tötet heutzutage noch Bäume, um zu lesen?! Wer hat dafür überhaupt noch Zeit? Deren kümmerlichen Reste werden schließlich gefressen vom Hinaus-in-die-Natur, auf dem Mountain-Bike, mittlerweile für die Fortgeschrittenen mit Elektromotor. Bäume umarmen. Wie weiland die schöne Alexandra, nur jetzt mit Geräusch, mit Gestank im Ohr («voll traurig aber gleichzeitig wunderschön, weil ich so was kenne ... auch wenn mein bester Freund keim baum war ....»)


enzoo   (14.05.12, 09:48)   (link)  
ihre geschichte
mit "motz" erinnert mich an eine solche von friedrich torberg, die von einem journalisten erzählte (im unvergleichlichen buch "die tante jolesch"), der eine zeitung gründen wollte namens "der arsch" mit den wochenendbeilagen "der kinderarsch" und "der frauenarsch" (vielleicht damals "der damenarsch", so genau erinnere ich mich nicht). er träumte davon, dass die zeitungskolpoteuere durch die strassen laufen und den menschen (natürlich in breitem wiener slang) nachriefen: "der oarsch! der oarsch!" dazu kam es nicht, auch weil die kaiserlich königlichen hofzensurbehörden dies untersagt hätten. einmal aber kam besagter journalist seinem traum sehr nahe. er wurde in die tschechische stadt mit dem damals deutschen namen "asch" berufen, für eine reportage; als er damit nicht so recht vorankam, weil er nicht die gewünschten auskünfte erhielt, titelte er seine geschichte "man neckt mich in asch" und setzte durch, dass sie so auf die titelseite kam.


jean stubenzweig   (14.05.12, 14:24)   (link)  
Die Torberg-Asche,
die Sie da so wunderschön aufgewirbelt haben, senkt sich vulkanisch fruchtbar auf mein plattes Haupt. Bei mir beginnt es zu keimen. Aber ingesamt scheint es offensichtlich zu lange her zu sein, daß ich in Tante Joleschs Beet gelegen habe, den Geschmack ihrer köstlichen Früchte habe ich nur noch in fast jugendlicher Erinnerung. Ich muß sie ausgraben, die Tante. Dafür gehe ich nun in die Büchergruft des Dachbodens. Danke. Ganz fein. Sie sind ein gehaltvoller, ein prächtiger Wiedererzähler.

Ihr erinnernder Vergleich dürfte allerdings weniger auf Motz zutreffen, das vermutlich viel zu ernstgemeint ausgefallen wäre, sondern allenfalls auf das Laubacher Feuilleton. Es entstand aus dem Mißfallen gegenüber der Kulturseiten der Zeitungen, die Anfang der Neunziger immer dürftiger wurden und zunehmend weniger Hintergrund lieferten, zudem die zurückliegenden Ereignisse durch den Rost des aufkommenden Aktualitätenwahns fallen ließen (auch die Rundfunker begannen, Historisches in 1'30 abzuhaken). Auf der Suche nach Linderung von dieser Qual sprach eines Tages der damalige Direktor des Ludwigshafener Wilhelm-Hack-Museums, Bernhard Holeczeck selig, der einst solche bemerkenswerte und auch an Aktualität kaum zu überbietende Sätze schrieb wie:
«Preisnotierung aus dem Getränkefachhandel: DM 5,95 für eine Flasche englischen Mineralwassers. Keine Zukunftsvision auf das Jahr 2007, vielmehr Alltagsrealität von 1993. Dem Wasserunkundigen hat der Inhalt vergleichbaren Liquiden gegenüber kaum einen schmeckbaren Qualitätsvorsprung, der eine derart exorbitante Preisdifferenz rechtfertigen würde. Es kann also nur an der spezifischen Natur der Verpackung liegen, wenn der Kunde solche Unverfrorenheit hinnimmt. Das Etikett informiert uns, daß die Flasche einen Preis für Glasdesign errungen hat. Dies wohl zum geringeren Teil wegen ihrer unübersehbaren Keulenform eines entsprechenden französischen Produkts nachempfundenen Gestalt, sondern eher an der Farbe des Glases, einem Blau von intensiv-transparenter Strahlkraft unweit der Schmerzgrenze. Eine Auszeichnung also durch letztlich zwei Preise für Farbe. Sei's gepriesen.»
Strahlkraft
Von ihm, letztendlich dem Initialzünder des Laubacher Feuilleton, da er meinte: einfach selber machen, stammt auch:
«Wenn du das Licht suchst, bist du allein,
wenn du es gefunden hast, sind alle da.»
Längst sind alle tot. Der Initiator samt Blättchen. Aber: Wat ham wa jelacht gelacht uff die Beerdijung. Die Kinna wollten innen Sarch rin.


enzoo   (15.05.12, 10:20)   (link)  
"das licht am ende des tunnels
erweist sich häufig als entgegenkommende lokomotive" ist auch so ein licht-spruch, den ich gerne verwende, dessen urheberschaft mir entfallen ist, aber ich denke, aus mark twains feder geflossen zu sein ist eine vernünftige annahme hiefür.

herrn holeczeks lichte erkenntnis jedenfalls wird sich zumindest temporär in meine private aphorismensammlung einreihen, die nie besonders gross wird, weil ich glaube, dass, wenn ich einen neuen einreihe, ein anderer aus dem cerebralen regal fällt, eventuell sogar zwei oder mehrere, was meine vermutung unterstützt, dass ich schon mehr vergessen habe, als ich jemals wusste.

ich kenne ja die beerdigungstraditionen ihres landes bzw. ihrer länder nicht. da, wo ich herkomme, findet anschliessend an ein begräbnis oder eine verabschiedung der sogenannte "leichenschmaus" statt, ein essen für alle trauergäste, bei dem erfreulicher weise, entgegen des wortlautes, der anderes vermuten liesse, nicht der oder die verblichene selbst verspeist wird, sondern entweder würstel mit saft oder gekochtes rindfleisch mit sogenanntem semmelkren, einem brei aus zerkochten semmelbröseln mit meerrettich. dazu gibt es natürlich auch was zu trinken, auch alkoholisches, und wenn sich das, wie es manchmal vorkommt, in die länge zieht und dem alkohol ordentlich zugesprochen, es also recht feucht wurde, dann heisst es hernach, dass man "der leich' ordentlich die füsse gewaschen hat". das gefällt mir nicht nur der wortwahl wegen, sondern es ist auch ein schönes beispiel dafür, wie etwas am eigenen verhalten, was man eigentlich, zumindest nachträglich, für unpassend hält, durch geschickten ausdruck relativiert wird.

ich habe auch ein bisschen ein schlechtes gewissen, dass ich sie durch mein gestriges posting dazu animiert habe, im staubigen dachboden nach der tante jolesch zu graben. so ein privater durchsuchungsbefehl in eigenen residuen macht zwar viel spass, selbst wenn man das gesuchte selbst gar nicht findet, aber ich ersuche sie inständig, von klettereien auf leitern und ähnlichem abstand zu nehmen. die tante jolesch gibt es derzeit um wohlfeile 6,95 aus amazonien frei haus geliefert - das neue taschenbuch wird zwar nicht so gut riechen wie das alte exemplar, aber mit sicherheit besser als ein gipskorsett oder ähnliches!















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