Undemokratische Massenkultur

Weil's ein Thema für sich ist, wenn es auch nichts ohne Zusammenhänge gibt, und eine Eigendynamik entwickeln könnte, trenne ich's vom auslösenden Anlaß ab und stelle es gesondert ein.

Massenkultur sei die undemokratischste Form der Kultur, notierte Pier Paolo Pasolini einmal. In welchem seiner Werke ich das gelesen habe, das weiß ich nicht mehr, auf jeden Fall zum ersten Mal in den Siebzigern und dann noch zwei- oder dreimal. Es war und ist eine seiner vielen Polemiken, sie darf eben nicht am Strich gelesen, also an der Naht entlang übersetzt werden, wie das leider immer wieder geschieht. Dennoch nehme ich sie mal eben so dran, sie gehört nämlich unmittelbar hierzu und hierher auf diese Seite, die schließlich vom (Ewig-)Gestrigen genährt wird, das auch vor Sedlmayrs Verlust der Mitte oder Ortega y Gassets Der Aufstand der Massen oder Henrik de Mans Vermassung und Kulturverfall nicht zurückschreckt. Denn die reine, nicht interpretierte Aussage modifiziert sich geradezu ungeheuerlich seit Mitte des ersten Dezenniums des dritten Jahrtausends.

Das aktuelle oder auch akute Problem scheint offensichtlich die unterschiedliche Form der Darstellung auf verschiedenen Bildschirmen. Ob es dabei eines zwischen Apfel und Dose gibt, entzieht sich meiner Kenntnis. Auf dem meines G5-Eies kommt die Schrift wesentlich kleiner als auf dem des G4. Ich dippele jedoch weiterhin auf dem Lampenschirm-EiMäck, da ich Genius zwar unbegreiflicherweise den Rechner mit dem (höchst selten genutzten) Hollywood-Breitleinwand-Format renaissanciert habe, aber nicht in der Lage bin, dessen eMail-Gewerk neuerlich ingang zu bringen.

Daß ich das Lay out an sich nicht verändere, allenfalls mal Kleinigkeiten wie die Schrift, um scheinbare Verbesserungen zu erzielen, jedenfalls diejenigen, die vor meinem Auge bestehen müssen, hat nichts mit Scheu vor Veränderungen zu tun. Bestand hat bei mir eine Gestaltung, solange sie meinem formalästhetischen Blick gerecht wird; wie erwähnt: mir muß sie genehm sein. Trotz aller mir eigenen Geschwätzigkeit käme ich auch nicht auf die Idee, einen meines Erachtens einmal wohlformulierten Satz umzubauen; ich greife nur dann ein, wenn der Picabia in mir dem förmlichen Denken mal wieder eine neue Richtung diktiert hat. Das, was viele Menschen Abwechslung nennen, etwa das Herumschieben von Möbeln, benötige ich nicht nur nicht, sie sind mir ein Greuel. Ich bin dabei sehr französisch: einmal ein Haus gebaut wie es einem gefällt, bleibt es, wie es ist. Geld ausgegeben wird nicht alle fünf Jahre für neue Möbel aus Schweden beziehungsweise aus russischen oder chinesischen Wäldern und Fabriken, sondern eher für das, was auf den Tisch soll. Hierbei mag es opulent zugehen, ansonsten beherrscht wärmender Minimalismus meine Zuhause und Arbeitsplätze. Allenfalls an den Wänden finden hin und wieder Veränderungen statt, aber auch nur dann, wenn Frau Braggelmann mal wieder etwas aus meinem Fundus ausgegraben hat, das zu umfangreich war, um in dem kleinen Automobil entführt zu werden. Frau Braggelmann ist eine leidenschaftliche Archäologin und offensichtlich neuerdings auch noch Detektivin, sie fahndet, unter Hinterlassung bedenklicher Spuren, nach einem Ötzi aus dem Voralpenland. Vermutlich zu diesem Behufe bekommt sie alle drei Jahre ein zwar lüttes, aber doch neues (jetzt schon wieder). Mir reicht mein fast dreißig Jahre altes, das auch von einem Schmied repariert werden kann, ob von einem in der Franche Comté oder in Holstein.


Fremde fremdeln bei mir allenfalls bei den von manchen als Unordnung empfundenen Niederlagen von Büchern am Rand von Regalen, wo Gedrucktes beziehungsweise Gebundenes sich nunmal ständigem Hin- und Hergezerre unterworfen ist, doch auch andere Ablageplätze finde ich immer wieder; bei der cuisine américaine beispielsweise habe ich sie unten dezent verborgen, etwa nach der braggelmannschen Drohung: Wenn hier mal jemand zu Besuch kommt, der wird sich seinen Teil denken! Möge er es tun, ich habe das sogenannte Chaos lediglich aus dem Bild für die US-amerikanische oder deutsche Landhausfrau genommen, mich irritiert das weniger, es ist Bestandteil meiner bald seit siebzig Jahren mehr oder minder problemlos funktionierenden Festplatte, von freiheitlich gesinnten, also glaubensfernen, keinerlei Ismus wie dem puren anhängenden Gestalter, von ihnen irgendwie zufällig oder auch nicht oben montiert.


Gestalterisch orientiere ich mich nach wie vor am Erscheinungsbild des Laubacher Feuilleton, das zwar immer wieder mal Veränderungen erfuhr (1, 2, 3), aber eben auch nur minimale, für den ungeübteren Seher kaum merkliche. Ich hänge eben nach wie vor dem Prinzip der Bleiwüste an, bin zu sehr dem Holzblättchen verhaftet, auch im Zeitalter der Digitalisierung. Mich macht dieses Gehüpfe und Gezappele, samt dem emoticonionalen Gezwinkere, nicht zuletzt der ständige Wechsel von Schriftarten und -größen, die Vermischung beispielsweise von Grotesk- und Serifenschriften (die ich, obwohl sie besser lesbar sein sollen, wie mir Henner Reitmeier mitteilte, nicht anschauen mag), die mit der Vermassung des Computers bereits in den Mitneunzigern bei Seminar- bis hin zu Doktorarbeiten und gar Habilitationen einsetzten, als die akademische Welt meinte, auch typographisch mitwirken zu müssen. Daß bei solchen formalen Anstrengungen manchmal der eine oder andere Inhalt ins Hintertreffen geriet und zunehmend gerät, ist eine der Randerscheinungen, die nicht hingenommen werden müssen.
 
So, 20.05.2012 |  link | (2630) | 5 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Form und Sinn


enzoo   (21.05.12, 09:34)   (link)  
das kennenlernen
von fremden menschen, so denn überhaupt möglich, verwenigt sich ja in zunehmendem alter, manchmal geschieht es aber doch, und dann folgen, nach treffen an neutralen orten die wechselseitigen einladungen zwecks näherem beschnuppern und bekochen, gemeinsames betrinken nicht ausgeschlossen. so erging es mir, bzw. uns, denn meine unverzichtbare ist dies auch hier, vor einiger zeit mit einem paar, das wir in der schule, die dem erwerb der kenntnisse des gesellschaftstanzes (oh was fürchte ich mich jetzt vor vernichtendem urteil!!!) dienen soll, weitgehend aber, trotz jahrelanger bemühungen, ohne wirkung auf takt und bewegungsgefühl geblieben ist, kennen und schätzen lernten. beide sehr gebildete leute, zuvorkommend, nett und gut im erzählen von schnurren und wissenswertem, ein glückstreffer allemal. in unserer wohn- und schlafstatt befinden sich die bücher, so wie ihre bilder zeigen, in ähnlicher, dem aussenstehenden an chaos erinnernder, römischer gelageformation. ein herrliches bild, das mir täglich den tag versüsst, so wie der freie blick auf den westlichen wienerwald, hinter dessen sanften rücken ich jeden abend einen tag per häufig spektakulärem sonnenentergang schwinden sehe. als wir diese lieben menschen zum ersten male gegenbesuchten, traute ich meinen augen kaum: es sind nämlich menschen, die ihre bücher nicht nach den geläufigen kriterien wie sachbuch/belletristik/autor/ratgeber/herkunftsland/sprache und was es sonst noch gibt, sortiert haben, sondern nach - grösse und farbe!!! eine idee der frau, man ist geneigt "natürlich" zu sagen, und tatsächlich stellte sich bei nachfrage dies auch heraus. zuerst dachte ich, natürlich im spass und ganz, oder vielleicht doch nicht ganz, bei mir, ich müsse mich sofort entlieben und jeglichen kontakt abbrechen, nach näherem nachdenken aber fand ich das gar nicht mehr so schlecht, ohne auch nur im entferntesten an nachahmung zu denken. es sieht nicht nur hübsch aus, und das tut es wirklich, es ist auch, wenn man, was ich fluktuierende ordnung, mein frau hingegen schlamperei nennt, seit vielen jahren lebt, gar nicht so unpraktisch. ich kann nämlich bei beinahe jedem buch, das ich jemals erwarb, die farbe des buchrückens und der schrift darauf aus dem gedächtnis wiedergeben und finde auf diese weise ein buch, das sich vielleicht ordnungstechnisch ein bisschen verirrt hat, meist recht schnell wieder, falls es sich noch in den regalen befindet, was bei manchem gesuchten ja leider nicht mehr der fall ist, meist gschuldet dem drang, anderen menschen zur leihe aufzudrängen, was man selbst für gut befunden hat, in letzter zeit auch den raubzügen der in eine eigene beahusung gezogenen tochter. wenn man nun über diese fähigkeit verfügt, bücher auf grund ihres buchrückens wieder zu erkennen, dann ist eine konzentration der buchrücken auf optische ähnlichkeit gar nicht so abwegig. darüber sprach ich dann auch mit der einladenden farbskalenwütigen frau, und wir kamen überein, dass neben hintergrundfarbe und grösse des buchrückens als drittes kriterium die schriftfarbe gelten solle, ein vorhaben, das sie nach eigenen erzählungen unmittelbar nach unserem besuch angegangen sei. die kontrolle nach erfolgreicher umsetzung steht allerdings noch an, vielleicht ergibt sich einmal gelegenheit, davon zu berichten.


jean stubenzweig   (21.05.12, 11:44)   (link)  
Die Sortierung nach Farben
habe ich vor etwa dreißig Jahren auch mal ausprobiert; es gibt keinen Neuschnee. Ich habe die Versuchsanordnung wieder aufgehoben, weil ich möglicherweise leichte Anflüge eines verwirrten Synästhetikers hatte. Hörte ich bestimmte Musiken, gab mir die Erinnerung an ein Buch, das ich flehentlich suchte, weil ich vergessen hatte oder zu bequem war, eine Anmerkung zu notieren, es gab an meinem Arbeitsplatz schließlich noch keinen Computer, beispielsweise die Farbe Blau vor, wechselte ich die Schallplatte von Bebop zum Schlippenbach-Piano, lautete der Befehl, nach Rot zu suchen, beim kreischenden Tirilieren von Frau Callas hieß es dann Schwarz. Und so weiter, alles bei ein- und demselben Buch. Es war hoffnungslos, ich hob es wieder auf, das Alphabetisieren war, um die deutsche Bundeskanzlerin zu zitieren, alternativlos. Allerdings will ich damit nicht behaupten wollen, seit der Rückkehr zur sogenannt normalen Ordnung wieder oder überhaupt zu ihr gefunden zu haben. Und es spielt keinerlei Rolle, wie ich Bücher innerhalb der Regale sortiere oder ob sie am Boden oder auf der Steige oder sonstwo liegen. Ich suche fast immer. Auch Schrifttype, -größe und -farbe ist dabei auch kein ernstzunehmendes Suchmaschinenkriterium für meine obere Festplatte. A bis Z hilft mir noch am ehesten weiter, Buchstaben sind mir einzig Krücken.


terra40   (22.05.12, 16:31)   (link)  
kaltes Maximum
Nicht alle, lieber Herr Stubenzweig, können sich einen wärmenden Minimalismus leisten!
Gruß, T.


jean stubenzweig   (23.05.12, 09:50)   (link)  
Das verstehe ich
jetzt nicht so recht. Aus welchem Grund sollte sich den nicht jeder leisten können? Ist es nicht so, daß die meisten wohl eine überfließende Vielfalt bevorzugen?


terra40   (23.05.12, 15:04)   (link)  
Rat aus der falschen Ecke
Das war natürlich wieder mal ironisch gemeint. Bei uns kommen die meisten Ratschläge für Einsparungen und Kürzungen von wohlhabenden Leuten die gut reden haben.
Gruß, T.















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