Neue Gastarbeiter braucht das Land

Autant pèche celui qui tient le sac que celui qui l'emplit.*

Über fünfzig Prozent, mal mehr, mal weniger, entnehme ich den deutschen Medien, der spanischen jungen Menschen, ab wann man nicht mehr jung ist, wird nicht näher erläutert, seien ohne Zukunft, genauer: bekämen keine Arbeit. In der Regel heißt es neudeutsch: keine Jobs. Ein Job ist für mich immer noch eine Gelegenheitsarbeit, etwa meine Tätigkeit in jungen Jahren, als mich die Randbereiche der Künste noch nicht ernähren wollten, als Töter von Cucharachos oder Vergifter von Tauben im Park. Einen Job will er also nicht, der Nachwuchs von Andalusien bis Katalonien, über Galicien, dort, wo soviele Gläubige oder auch nicht dann mal hinweg sind, nach Navarra. Er will Arbeit. So geht er nach Deutschland. Das ist das Land, in dem gerade wieder darüber abgestimmt wird, abgestimmt werden muß, sogar die Politiker werden deshalb temporär aus dem Urlaub zurückgepfiffen, ob dem nach wie vor aristokratisch quasi stimmungsbeherrschten Land hundert Milliarden Kredit genehmigt werden soll. Oder besser nicht, so die Mehrheit (?) der adelsfrei regierten Bundesbürger, sollen die doch die von ihnen selbst verursachten Schulden selber abbezahlen.

Denselben Medien entnehme ich Reportagen über Flaschensammler aus Not, über Pfandleihen aus Not, über Zwangsräumungen aus Not, auch in allen Fällen junger Menschen, über Tote, die monatelang ihn Kühlhäusern aufbewahrt werden, da die Behörden Kosten für Begräbnisse nicht zu übernehmen bereit seien, obwohl sie dazu gesetzlich verpflichtet wären.

Dennoch zieht es junge Menschen aus Spanien, von den griechischen spricht kaum noch jemand, denn der Schuldenberg ist weitergewandert wie eine Düne unter dem Wind aus dem wilden Westen der Finanzspekulationen, in das Land, von dessen Osten es einmal hieß, er werde blühen. Denjenigen, der die Bevölkerung seines Landes einmal so verkohlt hat, interessiert es ebensowenig wie die ihm nachfolgenden Politiker und, selbstverständlich -innen, was aus dieser verblühten Landschaft werden soll. Ihr Interesse reicht lediglich bis zur nächsten (Wieder-)Wahl. Zu der kann es nur kommen, wenn die Wirtschaft weiterhin so boomt, wie es im rummelplatzigen Deutsch der Journaillen mittlerweile allüberall tönt. Es ist die Sprache, das Gebrüll, auch in leisen Tönen ist gut brüllen, derjenigen, die an oder auf den Märkten mehr oder minder ridicule das anpreisen, was in den seltensten Fällen tatsächlich benötigt wird, oder das, was unbedingt raus muß, weil es woanders kaum jemand haben wollte. Sicher, nicht vergessen werden darf die Made in Germany, die Resteuropa sowie die Welt im Inneren beglücken soll. Von Binnenforschung und und ebensolcher -produktion zugunsten aller ist geradezu mannigfaltig die Rede. Dabei wird häufig oder zur Gänze gar nicht g'schamig verschwiegen, wo das tatsächlich geschieht. Dafür wurden Studiengänge beschleunigt. Aber, das zeigt die Wirkichkeit, ein Bachelor macht noch kein Sommermärchen. Auch im blühenden Deutschland, das ist hinlänglich bekannt, hüpft so manch einer dieser nach vorne verkürzten Jungakademiker von Job zu Job, anders mag ich diese Praktikakultur nicht bezeichnen. Hinzu gesellen sich nun die jungen Menschen aus dem Süden.

Spanien, das ist das Land. von dem sogenannte Experten, wenn ich mich recht erinnere, 2007 behaupteten, es würde innerhalb weniger Jahre die geballte Wirtschaftskraft Deutschlands wenn nicht zumindest eingeholt, so voraussichtlich gar überholt haben. Dann kam diese Springflut, aus der eine Sturmflut wurde, weil niemand der Verantwortlichen die auflandigen Winde aus dem Westen, den Tidenstrom zu beachten Lust verspürte. Lust hatte man alleine auf die hohen Wogen der Gewinne, an dieser wunderschönen Blase, in deren Inneres zu schauen nur wenige bereit waren. Die ist dann geplatzt, und auch Spanien stand vor den Trümmern, die dieser aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten sich aufbauende Tsunami im Hafenbecken erzeugt hatte (und der demnächst wohl auch die Insel Zypern und noch einige Festlande wegspülen wird). Tausende und abertausende auch junge, wer oder was das auch immer sei, Spanier wollten endlich aus elterlicher gefangenschaftsgleicher Umarmung entfliehen — so lange ist das noch nicht her, daß man im stolzen Köngigreich Kastilien auch im Alter von vierzig, eben noch jungen Jahren nachhause ging, wenn Stillzeit war — und legten sich immobile Güter zu, die sich selbst einigermaßen gesattelte Ältere nicht leisten konnten, ungeachtet dessen, von welchen Fonds oder sonstigen Schlachtbanken auch immer sie bedient wurden. Reich belohnt wurden dabei nur diejenigen, die auf diesem Markt leise, aber unaufhörlich geschrien habe. Die Alten wehren sich nun, El Jefe de Estado, Señor Rajoy, hat bei seiner deutschen Kollegin rasch gelernt, legte ein «alternativloses» Sparpaket vor.

Und die Jungen ziehen aus. Sie ziehen in ein Land, das offenbar neue Gastarbeiter braucht, wie es uns die Marktstrategen verkünden, die hierzulande eine Hausse sehen, obwohl es fast nur noch regnet und stürmt, also auch dort die Baisse sich abzeichnet, weil auch die Wirtschaft nunmal keine Wetterwunder zu vollbringen vermag, da mag sie noch so katholisch oder auch calvinistisch beten und uns etwas von der unbefleckt schwangeren Jungfrau erzählen. Die jungen Spanier werden diese im deutschen Fernsehen spätnachts, auf jeden Fall nicht zur gängigen Zeit ausgestrahlten Sendungen nicht sehen und schon gar nicht hören, von denen da oben die Schreibe war. Sie müssen nämlich erst einmal die deutsche Sprache erlernen, um in eines dieser deutschen Praktika hineinkultiviert zu werden, die ihnen eine unbeschwerte Zukunft versprechen. Davon sind sie noch um einiges enfernt, von dem, wie Frau Herzbruch es schildert, daß man beispielsweise «in duesseldorf mit kleinkind ja schwieriger eine wohnung findet als mit einer pitbullzucht. kennen sie vielleicht aus anderen staedten auch: 120 m2 maisonette, 5 zimmer mit garten, gerne an solvente paare und singles.» Bis zu dieser Solvenz ist es noch ein Weilchen hin. Auch diejenigen, die in den Sechzigern eines vergangenen Jahrtausends aus Griechenland, Italien (Mein kleiner Italiener war der überall geträllerte Schlager dieser Jahre, als die Ausreisewelle ins Land der Gastarbeiter eingesetzt hatte), Portugal, auch aus Spanien, dann aus der Türkei ins gelobte Land zogen, um reich zu werden, waren zum Teil bald arm dran. Heutzutage sind sie es, die zu großen Teilen Deutsche geworden sind, schaut man sich die Meldungen über die Arbeitslosigkeit des Nachwuches der «integrierten» Einwanderer an. Ich bezweifle die Wirksamkeit solcher Lobhudeleien oder gebets-mühlenhaften, nahezu unredigiert übernommenen Verkündungen von «Angelas Wunderland» in den Karriereseiten: «Auch konnte die Arbeitsmarktpolitik in Deutschland nur deshalb so erfolgreich sein, weil es hier einen Mittelstand mit vielen Unternehmen gibt, die ständig neue Produkte erfinden, sie überall verkaufen und dadurch einen Großteil der Arbeitsplätze zur Verfügung stellen. Davon kann die verlorene Generation in Spanien, Griechenland oder Portugal nur träumen.» Ich empfehle für solche Vorhaben eher den Schlaf. Am besten noch mit Karl Marx, in diesen androgynen Zeiten kein gesellschaftliches Problem, als Bettgesellen:
«[...] heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden.»
Marxismus als Restgröße

 
Do, 19.07.2012 |  link | (1951) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftsspiele















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