«Bade im Schaum der Claqeure.»

Das gefällt mir sehr gut, liebe Kopfschüttlerin.

Achtung, auf lange Textsicht gesehen, mißbrauche ich Sie! Als Aufhänger. Es ergab sich so. Vergebung.

Auch wenn, wie ich vermute, die Titeltextzeile nicht von den Findelkindern sein dürfte, wenn es mir jetzt auch nicht einfällt, bei wem genau ich das gelesen haben könnte. Ich bilde mir eben auch nur ein, wenigstens ein bißchen gebildet zu sein. Möglicherweise bin ich ebenfalls das, was ich anderen hin und wieder vorhalte, nämlich ein Klappentextgebildeter.

Es scheint mir ein wenig in Richtung der dreißiger Jahre zu verbalen, Benn böte ich ahnungsweise an. Aber es stört mich nicht weiter wirklich. Auch Konstantin Wecker, den ich im übrigen nach wie vor oder besser, mehr noch mag als früher, als ich ihm mal vorgehalten hatte, «Genug ist nicht genug ist nicht genug». Aber das war zu einer Zeit, als ich noch mehr Idiot war als heute, weil ich viel von dem nicht wußte, was ich heute weiß. Entscheidend dabei dürfte ohnehin gewesen sein, ihm tatsächlich dann mal zugehört zu haben, wozu sich beispielsweise Theater- und Drehpausen geeignet haben, an die ich gerne zurückdenke. Zum Beispiel bin ich im Lauf solcher Gespräche, auch denen mit mir selbst, zu der Erkenntnis gelangt, daß es durchaus zulässig sein darf, mit Genuß Benn zu lesen, auch wenn er zu Zeiten der deutschen Nachkriegsrevolution verdächtig war, national-sozialistisches Gedankengut zumindest in seiner Gedankenschmiede gedengelt zu haben und man ihn nicht lesen durfte wie etwa auch Nietzsche oder Ortega y Gasset, da sie nicht ins Raster der Ideologie paßten. Auch ich bin in jungen Jahren bisweilen bereit gewesen, Menschen geistig in Sippenhaft zu nehmen.

Mir fällt dabei die junge Olympionikin ein, die geschaßt wurde, weil sie Verkehr mit einem Rechtsradikalen gehabt haben soll. Ein großer Teil der Bevölkerung hat ihren Abgang mit Ovationen bedacht, obwohl zum Zeitpunkt der Veröffentlichung den meisten nicht unbedingt klar gewesen sein dürfte, ob das tatsächlich so zutrifft, wie's durch die Medien der Massen geisterte. Erstmal laut klatschen, am liebsten noch auf die Schenkel, so verschafft man sich zumindest Aufmerksamkeit, dringt es ein in die Gedankengänge des mittlerweile in internationalem Gedankengut geübten Volkes. Nicht nur in der NEOpresse, die sich links geriert, war das Orchestrion in seinen leicht ausgeleierten, quietschenden Tönen zu vernehmen. Da wurde alles zusammenkomponiert, was an Verlautbarungen aus dem Markt der Billigheimer verfügbar schien.

Andererseits bin auch ich Eindrücken ausgesetzt, die während der letzten sportlichen Ereignisse einen seltsamen Ausdruck auf mich machten. Hatte ich kurz vor Einsatz des Londoner Events dieser nationalhymnisch begleiteten Parade der Leistungsbereitschaft noch unserem Jüngsten gegenüber äußern müssen, seine neue Frisur irritiere mich sehr, da sie mich arg an die Heroen des Berliner Olympiastadions von 1936, wie sie Lena Werthmüller so vortrefflich abgebildet hatte und die auch noch in der Nachkriegszeit einem nicht erst seit heute auf mich eher komisch im Sinne von seltsam wirkenden Ideal von Schönheit, gepaart mit Erziehung entsprachen, das fröhliche Urständ' zu feiern scheint. Mehrfach fielen mir gestählte männliche Körper auf, die behäuptet beziehungsweise, wie man heute sagt, gestylt waren wie deren Vorbilder (?) in Frau Werthmüllers und ihres Führers nationalem Geist, der der Truppe germanischer Elite eigen war: geschoren bis an den Rand einer haarigen Krone aus vollem, dichtem, aber immer noch irgendwie gebändigtem, an einen Rest von Ordnung gemahnendes Gestrüpp. Und dabei galoppiert ungezügelt mein Gaul der Assoziationen weiter, der festgehalten ist in einer Meinungsmache, die ich ansatzweise nicht weit entfernt sehe vom Strickmuster des vierbuchstabigen nationaldeutschen, einer zielgerichtet auf den Punkt, aufs Wort genau allerbilligst zusammengeschusterten Armenbibel gleichkommenden Blatts, in das ich aus Gründen sogenannter Pietät nicht einmal einen ganz toten Fisch einwickeln würde.*

Vereinzelt kamen Töne auf, die zwar im Tenor mein Lesegehör ein wenig unangenehm reizten, vermutlich, weil ich's mit dem Rock'n'Roll oder dem, was man heute sprachlich darunter versteht, nicht so habe, die ich jedoch ansatzweise als getroffen bezeichnen will: Eigentlich hätte man nach dem Drygalla Eklat* die halbe deutsche Nationalmann- und Frauschaft nachhause schicken müssen. (Ich erlaube mir, ein wenig den Korrektor zu geben und wenigtens der Kommataterei ein bißchen zu ihrem alten Rechtschreibglück zu verhelfen, das es lesbarer macht.) «Nicht nur dem Glücklichen schlägt die Stunde, wenn die Politik Einzug in den Sport hält. Nadja Drygalla beispielsweise wird vorgeworfen, sich mit den falschen Menschen abgegeben zu haben, mit einem Typen, der einer Organisation angehörte, die mutmaßlich verfassungsfeindlich sein soll. Dies muss ihre sportlichen Qualitäten in irgendeiner unzulässigen Art beeinflusst haben. Verboten ist diese Partei dennoch nicht (auch die dopende Wirkung ist nicht nachgewiesen), dazu reichen die Beweise nicht. So wie es aussieht, werden jetzt noch viel mehr deutsche Sportler kurzfristig zurückrudern müssen, obschon Nadja Drygalla hierfür eindeutig die besseren Qualifikationen vorzuweisen hat. Grund für den Massenexodus der deutschen Sportler aus London ist eine interne Untersuchung, die man natürlich nicht öffentlich macht, denn da liegt eine Menge Sprengstoff herum. Nachweislich soll ein Großteil der Sportler verfassungsfeindliche Parteien gewählt haben oder sogar mit Leuten bekannt sein, die beweisbar verfassungsfeindlich agieren.»

Ob das so zutrifft, was Wilfried Kahrs da hinausposaunt, vermag ich nicht zu beurteilen, bin ich doch ein Idiot, ein antiker Restprivatmensch, dem die Tore zum Wissen um das Wesentliche verschlossen bleiben wie den meisten anderen nicht am Innenleben der Macht Beteiligten. Als Nichtwissender habe da aufgrund meiner Beobachtungen durchaus eine Ahnung, nach der ich dem grob inhaltlich zustimmen könnte, müßte, wollte. Genaues weiß ich eben nicht. Doch ich bin der Meinung, es sollte in einem Blatt, und als solches muß ich die elektronische NEOpresse von der Charakteristik her bezeichnen, etwas mehr Präzision herrschen als die Produktion einer Polemik, mit der die Gefahr verstärkt wird, Verschwörungstheorien Vorschub zu leisten. Was hier zu lesen ist, da mag an alldem noch soviel dran sein, hat Fischblattcharakter, weil es in eine rechtsseitig bekannte Kerbe haut. Ich möchte, wenn es schon heißt,
«NEOPresse.com ist ein kritisches, freies und unabhängiges Online-Medium. Es ist unabhängig von Investoren, politischer Einflussnahme, Institutionen und politischen sowie wirtschaftlichen Interessensgruppen. NEOPresse.com möchte seine Leser und Leserinnen frei und unvoreingenommen zu den Themen Politik, Wirtschaft, Geldwesen, Gesellschaft, Sport und Kultur informieren. Dabei stützt sich NEOPresse.com nicht auf Agenturmeldungen und vermeidet somit eine Beeinflussung sowie eine eventuelle Unausgewogenheit bei den thematischen Schwerpunkten.»,
etwas mehr Informationen beziehen als beliebige Meinung, die eben nicht unabhängig ist, da sie sich beispielsweise aus Portalen nährt, in denen zu lesen ist
… qpress lässt sich nicht nur hervorragend für „Qualitäts-Presse“ setzen, nein, viel besser noch für „Quatsch-Presse“. Und bei genauer Betrachtung ergeben 4/2 Halbwahrheiten immer noch eine doppelte Wahrheit, dass ist keine Hexenkunst sondern blanke Mathematik. Die Beiträge hier können sie durchaus ernst nehmen, allerdings geben viele der hier versammelten Artikel einen leicht verzerrten Blickwinkel auf tatsächliche Gegebenheiten wieder. In nicht wenigen Fällen auch mit einer düsteren Beimengung an diversen nicht alltäglichen Ingredienzien, vom leicht säuerlichen Humor bis hin zu tiefschwarzen Zynismus-Attacken. Auch kann ein erfrischendes Maß an Spekulation beinhaltet sein, welche sich im Verlauf der Geschichte möglicherweise als gar nicht so abwegig erweist. Bekanntlich hat jede Geschichte einen wahren Kern und der des „Pudels“ wird hier fortlaufend gesucht.
Und, das ist für mich entscheidend, genau wie alle anderen größeren oder kleineren Datenkraken wie diese elektrische Onlinezeitung selbst versucht, beispielsweise über sogenannte LSO-Cookies das Internetverhalten Einzelner auszuspionieren. Es sei zugestanden, daß es einen Grund gibt, hier etwas genauer hingeschaut zu haben, wenn es auch ein läßlicher ist. Im Januar schrieb mich der heute presserechtlich Verantwortliche der NEOpresse an und fragte, wie anzunehmenderweise bei vielen anderen auch, um Mitarbeit an. Ich war skeptisch, auch, weil ich keine Zeitung oder ähnliches mehr machen wollte. Die Korrespondenz schlief verständlicherweise ein. Am Donnerstag bot ich ihm mein Links von der rechten Bibel der Armen an. Zielrichtung war mein Verständnis von einer leichten Weise der Art nieder mit der Hochkultur. Eben Kultur, die er ebenfalls anzubieten gedenkt, die ich jedoch im brockhausschen Sinn allenfalls partiell entdecke, wo es heißt, sie sei die Summe eines Volkes. Aber bei Lettre wird's eben international. Und so wie ich's auslege, gefällt's sicherlich nicht jedem. Das mag angenehm sein, aber ist nicht unbedingt meine Absicht. Mit der österreichischen Kulturperspektive des Paragleitens und des Segelns in den Lüften tue ich mich ohnehin schwer, vermutlich weil ich Angst vor der Schwerkraft habe. In weit über dreißig Jahren, die ich in in Bergnähe verbracht habe, bin ich nur ein einziges Mal wirklich hinaufgestiegen wie ein Olympionike in Londons Höhen. Als ich meinen zu kugelnden Stein raufgestoßen hatte, war mir schlecht geworden und ich am Mythos von Sisiphos angekommen.

Aber gar keine Reaktion auf mein Angebot, kein mir völlig ausreichendes Nein, danke, das scheint mir dann doch ein allzu leichtfertiger Umgang mit dem Kulturverständnis anderer. Ich hätte meinen Text sogar, wenn auch widerwillig, da ich keine Zeitungsschreibe mehr betreiben will, so durch-redigiert, daß er in ein gepflegtes Blatt hineingepaßt hätte, das habe ich mein Leben lang, na ja, gut dreißig Jahre lang gemacht, das Umschreiben. Vermutlich konveniert's nicht. Auch recht, dann eben nicht. Doch ein paar nicht ganz so leichtfertig agierende Mit- und Zuarbeiter- und -innen seien ihm durchaus gegönnt.

Ach, nun ist's mir einmal mehr aus dem Ruder gelaufen, bin ich schon wieder erheblich vom Weg abgekommen. Dabei wollte ich doch, behaupte ich jetzt fadenscheinig, lediglich die neuere Schlager- und Frisurenmode kommentieren. Ich muß etwas viel Weibliches in mir haben, kann ich doch rechts und links nicht unterscheiden. Wie die einstige Gefährtin und Copilotin an der Landkarte erteile ich die Anweisung, in den Osten abzubiegen, obwohl ich doch die westliche Richtung meine. Ob es wohl klüger sein wird, mir endlich wie alle anderen ebenfalls ein Navigationsgerät zuzulegen?

Und dann diese Längen, diese fürchterlichen Längen.


* Ich weiß durchaus, wovon ich schreibe, da ich hin und wieder Frau Braggelmann samt deren Familie voller Ansprüche heimsuche, deren Vermieter seit seiner Übersiedlung vor etwa dreißig Jahren aus der DDR ewigtreuer Bezieher dieser Volksbildungsmeinungszeitung ist und ich ebenso ab und an espressotrinkend — ja, sogar im sich langsam euroglobalisierenden Norddeutschland gibt es das mittlerweile, wenn auch nur personaleinsparend automatisch — in einem Café sitze und zuschaue, zu welchen dort angebotenen Journalen überwiegend gegriffen wird neben der einstigen sozialdemokratischen und heute dem immer allgewaltiger werdenden dumontschen Haus angehörenden Hamburger Morgenpest, die genauso gerne gegen den Pressekodex verstößt wie beispielsweise die «liberale» Münchner Abendzeitung, gegen die Hans Pfitzinger selig unter anderen deshalb seine Windmühlenkämpfe kämpfte.

** Wie ich bereits mehrfach erwähnte: schon in normalen, sogenannt seriösen Tageszeitungen fehlen seit langem Korrekteure, vielleicht hätten dabei auch -innen eine Chance gehabt, sich zu bewähren wie in anderen Berufen, weil die keiner mehr bezahlen will, weil es ohnehin egal ist, liest sie doch lediglich eine Minderheit, während die Masse das Sagen, sprich das Schreiben hat. Der Hysterie der Anglizismen sind in der deutschen Sprache via sich international gerierenden Werbebotschaften mittlerweile auch die Bindestriche zum Opfer gefallen. Wie wohltuend lesen sich internationale Lettre, in denen nicht nur die Akzente wie zu Bleisatz Zeiten gesetzt bleiben, wo sie hingehören, sondern die auch in den deutschen Übersetzungen beibehalten werden wie überhaupt ein Deutsch vor dessen revolutionärer Reformation.

 
Sa, 11.08.2012 |  link | (2949) | 1 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ertuechtigungen


kopfschuetteln   (13.08.12, 15:48)   (link)  
mißbrauch? ach.
ach, ich tauge doch nicht zum aufhänger. wenn ich ihnen jedoch mit der titeltextzeile einen guten aufhänger gegeben habe, schön.
das würde mich schon interessieren, woher das baden im schaum der claqueure stammt. ich meine, vom gemeinen claqueur bis zum baden in deren schaume, da ist doch irgendwie ein gedanklicher dreh drin. vielleicht bin ich auch nur überdreht, weil ich nachts gedichte lese, zum beispiel tucholskys „sorrent“, da gibt es nämlich auch claqueure und schaum, zwar nicht bade- dafür aber sektschaum.

mal schauen, ob ich die nächsten nächte in der lettre „baden“ kann, die erreicht mich, so hoffe ich sehr, so steht es geschrieben, schon morgen.















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