Dem Guten, Inneren und Schönen

Nein, ein Obstverächter bin ich nicht. Das Gegenteil meine ich belegt zu haben. Als Schlagzeile macht es sich jedoch hervorragend, das sorgt für Einschaltquoten., von denen auch ich nicht frei bin. Es kommt allerdings immer auch auf die Inhalte an.

Ich dachte mir, es den Gestaltern der Drehvorrichtung des EiMac G5 zu überlassen, doch es scheint nicht so angekommen zu sein, dieses klägliche Tröpfchen an der Apfelseite hat nicht den richtigen Biß. Allzu gestaltungssicher im Sinne des klassischen Frog design sind sie nicht, diese Designer; aber vermutlich handelt es sich hierbei ohnehin um ein fremdgestaltetes Nebenprodukt. Doch insgesamt mag ich als einstmaliger, beinahe rauschhafter Konsument von noch 'ner Uhr oder noch 'nem Rasierapparat oder einer Küchenmaschine mittlerweile ja auch kaum noch Braun-Produkte kaufen, denn die sind teilweise (besonders im Haushaltsbereich) derart angepaßt an den Warenhausgeschmack des Gelsenkirchner Post-Barocks, daß ich oft gar nicht mehr hinschauen mag. So bewahre ich mir den Sch(r)ein des alten Guten mit mehr oder minder fein funktionierendem Innenleben im stillen Kämmerlein.



Und gerade über die Assoziation edle Einfachheit, stille Größe verstehe ich Ihre Gelüste. Ich war diesem Design von Anfang an verbunden, quasi fest verwurzelt in meiner Liebe zur ganzheitlichen Urmutter Bauhaus. Im Bereich der Unterhaltungselektronik gab es während der Anfänge der Apfelgestaltung meines Erachtens auch nur ein Design, das bei mir annähernd Gnade finden konnte: Sony; davon habe ich mir auch einiges zugelegt. Das lag sicher nicht zuletzt daran, daß die Japaner seinerzeit eigens für den europäischen Markt einen Gestalter engagierten, der ebenfalls aus der Schule der ehemaligen Gestaltungsschaltstelle Dieter Rams kam, der zusammen mit Hans Gugelot unter anderem meinen oben gezeigten Schneewittchensarg entwarf. Bei ihm spielte in Fortsetzung der bauhäuslichen Ganzheitstradition immer auch der Grundgedanke an form follows function eine entscheidende Rolle, nach dem Gestaltung nicht der reinen Schönheit ohne Inhalt unterlegen sein darf; ich halte Begriffe wie Designerbrillen, -möbel und so weiter ohnehin für nichts als volksverdummendes Marketing- und Reklamegesabbel, da grundsätzlich jedes Produkt gestaltet werden muß, bevor es produziert und anschließend auf die Märkte losgelassen wird.

Für mich Analphabeten der Technik und überdies Verweigerer jeglicher Lektüre zur Betriebsanleitung hatte bei Kaufentscheidungen die einfache Bedienbarkeit der Geräte immer Priorität. Seit meinen Computer-Anfängen hat ein Rechner zunächst einmal nichts anderes zu leisten als Arbeitserleichterung (zum Beispiel kein mühsames Umkleben mehr von Manuskripten et cetera), quasi der Verlängerung meiner im besten Doppelwortsinn schwergewichtigen Kugelkopf-Schreibmaschine von IBM (die eine Olivetti abgelöst hatte). Gefallen sollte mir ein solches Gerät allerdings in jedem Fall; Produkte anderer Hersteller kamen nicht nur wegen ihrer meines Erachtens mangelhaften Formgebung nie infrage (Sony bildete auch hierbei eine Ausnahme), auch mit der Bedienbarkeit haperte es enorm. Mit Schrecken erinnere ich mich an meine Versuche an einem Rechner, der unter MS DOS lief, einer sogenannten Dose. Die war um 1990 ins Gespräch gekommen, als es ums Geld ging. An die dreißigtausend Mark sollte der von mir gewünschte Quadra inclusive der (für Apple immer etwa um ein Drittel teureren) Software, alleine Photoshop schlug mit rund dreitausend Mark zu Buche, postscriptfähigem Drucker et cetera kosten. Ich verzichete aus Flüssigkeitsproblemen darauf, ein solches Gerät zu leasen war mir ebenfalls zu teuer, und wir legten uns zum Bücher- und Blattmachen dann solch ein zusammengestoppeltes Gerät zu, das einschließlich der noch benötigten Weichware zehntausend Mark kostete. Ich aber ging da nie dran, meine kalte Spaltenfüllerei betrieb ich an meinem niedlichen klassischen Äpfelchen mit einer Festplattenkapazität von, wenn ich mich recht erinnere, unter dreißig MegaByte.

Wir kennen ja das alte Snobisten-Witzchen: Ich bin zu arm, um mir billige Schuhe leisten zu können. Aber was heißt schon billig. Als ich mir vor fünfzehn Jahren ein Paar meinem Schönheitssinn entsprechende italienische Stiefeletten für dreihunderttausend Lire kaufte, wohl nicht zuletzt, weil es eine offerta speciale (nur für Frauen, die Männer mit gutem Geschmack bevorzugen) war, wurde mir rasch klar: Alles ist relativ. Nach kurzer Zeit war die Ledersohle durchgelaufen. Der deutsche Flickschuster mit den Koran-Sonderangeboten zuckte mit den Schultern, dafür gäbe es schließlich Schutzsohlen. Aus Erdölgummi! Da spürt man doch nichts mehr. Da nahm ich lieber das Kreuz auf mich und ging beim nächsten Besuch im Süden den Weg der Reklamation. Und siehe, man war einsichtig und besohlte neu. Gummi unter diesen Schuhen wäre für mich Semipuristen nämlich dasselbe, wie einen EiMäck mit Software von Bill Gates zu betreiben.

Als Stilleben-Gestalter würde ich wohl keine Karriere (mehr) machen. Zwar ist er immer noch ein bißchen kaputt, der faule Apfel, aber deshalb noch lange nicht so schief, wie ich ihn hier — exclusiv für Jagothello — darstelle.

Der Vereinigung von Gestalt und Inhalt wegen habe ich mich auch stets für andere Produkte wie beispielsweise meine Fernseher von Loewe entschieden. Da ist zum einen meine zwölf Jahre alte Bildbratröhre und zum anderen der neuere Xelos, der mich im Büro in den Schlaf brabbelt wie weiland die Erwachsenen meiner Kindheit in den nach dem Mittagessen.

Fliehende Linien, schief wie ich — exclusiv für Sie.

Die Gestaltung gefiel mir damals wie heute ausnahmslos gut, und zum anderen führten mir die Händler vor, daß auch ein technisch Minderbemittelter wie ich diese Geräte einfach bedienen kann. Was nicht hieß, daß sie mich nicht doch noch einige Male aufsuchen mußten, um Einstellungen zu korrigieren, die ich unbrauchbar gemacht hatte, weil meine Ungeduld mich immer wieder in den Griff bekommt. Aber das ist eben das nächste, auch nicht zum erstenmal geäußerte Glaubens-, besser: Wissensbekenntnis: Im Fachhandel kaufen.

Nicht nur, daß ich diese Geiz ist geil-Gesinnung nicht ausstehen kann (von der Tatsache mal abgesehen, daß diese monströsen Läden ohne fachkundiges oder richtiger: eigentlich nie anwesendes Personal in der Regel nicht einmal kostengünstiger anbieten), diese Pfennigfuchser, die sich beim kleinen Händler alles vorführen und erklären lassen, dann wahrscheinlich beim großen Anbieter oder gar via Internet einkaufen, um dann wieder in den Laden von Onkel Emil (gibt es in der Branche eigentlich schon Emmas?) zu rennen, weil sie irgendetwas nicht zum laufen bekommen. Nun denn, ich habe eben nur gute Erfahrungen mit Fachleuten gemacht. Einer, eigentlich Fachmann für Weichware, hat mir sogar zweimal meinen harten 5er EiMäck repariert, nachdem auch dem dritten Verkäufer des recht bekannten Markenspezialisten letzten Endes nichts besseres einfiel, als mich zum Kauf eines neuen überreden zu wollen.

Ich werde mir keinen mehr kaufen, nicht zuletzt, weil diese neuen Dinger eigentlich nur noch kaputtzugehen scheinen; erst DVD-Laufwerk, dann zweimal Festplatte. Wie erwähnt: Sollbruchstellen. Die alten, zum Teil vor zehn Jahren, auf jeden Fall vor 2006 gekauften (bevor Herr Gott Jobs Intel-Festplatten in seine Rechner schrauben ließ?) schnurren nach wie vor problemlos für sich hin. Aber heutzutage prüft ja sogar der Mercedes-Käufer, ob sein erstandenes Edelprodukt alltagstauglich ist. Sie sollten sich jedoch nicht von Ihren Gelüsten abbringen lassen. Erfahrungen macht man schließlich am besten selbst. Und Verständnis bringe auch ich durchaus auf. Es geschieht nämlich hin und wieder, daß ich im Kreis der Familie auch vom Enkel ans EiPädchen gelassen werde, um ein bißchen damit zu spielen. Das macht schon Spaß. Durchaus auch den Augen.

Nur diese EiPott- und EiPhonerei, die habe ich nie mitgemacht und mache ich nicht mit. Ich singe selber, und das Mobile ist ohnehin schon seit einiger Zeit abgemeldet. Für Notfälle unterwegs gibt's ein altes, bereits abbezahltes, bestückt mit vorausbezahltem Geldkärtchen. Ich spanne damit sozusagen einen Schirm auf und lasse die armen Großunternehmen der Telekommunikations-industrie nicht im Regen stehen, die siechen schließlich alle dahin und benötigen, bevor auch sie der Streßtest ereilt, prophylaktisch eine Auffrischung des Stammkapitals.
 
Fr, 14.10.2011 |  link | (3780) | 7 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Form und Sinn



 

Der Apfel fault nicht weit vom Stamm

Nein, um solche verfaulten Äpfel geht's nicht dieses Mal. Das habe ich längst abgefeiert, es bereits mit der Diskussion um die Design-Genetik? quasi beerdigt. Die im schönen Schein des Nichtwissens hochglänzenden, von der mehrstreamigen Vielheit im Superdiscounter gekauften sind auch nicht gemeint, derentwegen alle anderen keine Chance mehr haben, noch einen Winzling am Marktanteil zu ergattern. Um die letztgenannten Apples geht es, die kaum noch jemand haben will, obwohl sie mit Abstand besser schmecken als diese in Schönheit allzu rasch dahinsiechenden Luxusgebilde der inneren Fahlheit. Immer wieder wird auf deren und andere Vorzüge beziehungsweise den Lebensmittel genannten Müll hingewiesen, aber keiner geht mehr hin, um sie zu ernten, weil die meisten nicht auf die Idee kommen mangels Anregung, die im Privatfernsehen kaum oder überhaupt nicht stattfindet, die Information darüber nämlich, wie schmackhaft, vom Vitamingehalt erst gar nicht zu reden, auch oder gerade beispielsweise ein grün- bis gelblicher Apfel sein kann. Sie lassen sich lieber volldudeln mit diesem Werbegedöns, in dem alles herrscht, nur keine Aufklärung darüber, was einen alles von innen heraus zerstört. Macht kaputt, was euch kaputtmacht, hat ausgedient. Wir wollen Luxus, lautet die neojugendliche Devise, zur Not, wenn's Geld nicht reicht, geht's auch von Hempel & Moritz, dieser anderen schwedischen Nichtsnutzigkeit des sogenannt Billigen.



Aber na gut, ich habe leicht reden, ich gehöre schließlich der Kaste der Privilegierten an. Ich habe einen Garten Eden vorm Haus, und ich bekomme dessen Früchte auch noch persönlich serviert. Am Sonnabend war's, ich wollte mich aufmachen zu einem Besuch bei Frau Braggelmann, die mich mit Apfelpfannkuchen gelockt und auch etwas von einem solchen ohne Pfanne in Töchterleins zitronenknallgelbes (unnatürliche Aromen?) EiPhone, weil wochenendlich gebührenfreies gesprochen hatte. Da ereilte mich von hinten ein Ruf. Der Gatte von Madame Lucette war's, meinetwegen von einem seiner vielen Spielzeuge abgestiegen, in den vorgestreckten Händen drei frisch gepflückte Äpfel, die ohne die wenigen bräunlichen Fleckchen jede Schönheitskonkurrenz eines Supermarkthyperdiscounters hätten gewinnen können.

Nun ließe sich zwar nicht behaupten, Frau Braggelmann wäre mir nicht grün, aber daß sie eine solche sei, am Ende noch eine alles Fleischliche, gar Schweinernes verachtende, das wäre dann doch zu weit hergeholt. Dennoch äußerte sie, zurückgekehrt von einem Schwatzausflug nach Lübeck, die Altgrünen seien ihr lieber, selbst wenn sie nur Vegetarisches böten. Häkeln und stricken tut sie gelegentlich auch, für mich sogar einen Schal aus feiner, unchinesischer Seide, auf daß ich mich nicht verkühle wie ihr Lieblingshaustier namens Harrald. Und sie kam nicht nur wegen meines Präsents darauf, dieses leuchtendfleckigen, vor allem aber wohlschmeckenden Apfels. Bei alteingesessenen Grünen war sie nämlich zum schwatzen, in einem Gasthof, der in dem Jahr eröffnete, in dem ihnen der Einzug in den Bundestag gelungen war. Einige Male lobend erwähnt hat sie es, das Café Affenbrot, so daß ich beinahe schmerzlich daran erinnert wurde, welche Schwierigkeiten ich seinerzeit hatte mit denen, nicht zuletzt wegen der teilweise vielen braunen Flecken auf ihren Apfelgesichtern. — Und wie sehr ich mir sozusagen heutzutage Abbitte leistend wünsche (nein, kein Konjunktiv!), es gäbe ein paar mehr von ihnen, die kämpferisch gesinnt auf die Straße gehen und davon erzählen, daß es noch anderes gibt, das kaputtmacht. Und nicht diejenigen, die Fallobst predigen und doch nur noch den EiKult der Postnachmoderne propagieren.
 
Mo, 10.10.2011 |  link | (3181) | 5 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Form und Sinn



 

Unpassende Rahmenhandlung

Den mich hier und nicht im Logbuch der Tagebücher der Kurz- und Knappwissenden Verfolgenden dürfte bekannt sein, daß die Kunst(mund)räuberin hin und wieder in meinem in der Revolutionskate gelagerten Nordbüro auftaucht, um mich von den Sorgen zu befreien, die sich im Lauf der Jahre angesammelt und einen stillen Ort dort gefunden haben, in dem normalerweise Damen vor einer Fülle stehen, die sie verzweifelt ausrufen lassen: Ich habe nichts anzuziehen. In Hotels der gehobeneren (Preis-)Klasse zahlt man in der Regel für eine solche räumliche Opulenz das Doppelte der Tagesmiete von etwa zweihundert Euro aufwärts, in meiner Miete ist das enthalten, da mein Büro ursprünglich für eine Tochter entworfen und auch gebaut wurde, die mal für einen richtigen Beruf vorgesehen war und diesen in Hamburg auch drei Monate ausübte, bevor sie sich für eine weniger anstrengende, zudem reinere Karriere als Mutter entschied und in einen Flachdachbungalow am Rand des Familiengrundstücks zog, das damit die Latifundie ex francia erweiterte. Auch der zehn Quadratmeter große, ursprünglich als Vorratskammer vorgesehene Raum neben der zweckentfremdendeten Jungfrauenwohnung wurde von der damals selbigen nicht genutzt, da Frau Maman kocht wie die ardennische Großmutter, mit der ich, so wir uns in Klein-Versaille begegnen, immer nur über eins rede, weil es unter Landsleuten eben nur eines gibt, über das man stundenlang und nicht nur während eines vielgängigen Mahls reden kann: Essen und Trinken.

Kunst kommt dabei nie zur Sprache, auch über die sogenannte des Kochens wird nicht gesprochen. Denn das ist keine, wie mir Madame Lucette bestätigt, das sei Handwerk, so wie das, mit dem sie einige regionale Maurer versucht hat zu beschäftigen, die in die Fassade eines holsteinischen Schweinestalls filigrane, maurisch anmutende Intarsien aus gebranntem Ton integrieren sollten. Auch die Tatsache, daß zur letzten Documenta ein <a href="http://de.wikipedia.org/wiki/Ferran_Adri%C3%A0">nordspanischer Koch eingeladen worden war, der sich immerzu in der Alchimie versucht, aus Luft künstlerischen Marktwert zu molekularisieren, ändert daran nichts. Aber es mag am Niedergang handarbeitlicher Fähigkeiten liegen, durch den sie zusehends in die Nähe einst hehrer Tätigkeiten zurückgerückt wird, die sie mal waren, als ein Maecenas nicht nur namens König Kirche noch sein Portefeuille offenhielt für die kunsthandwerkliche Verherrlichung und dabei viele Arbeitsplätze schuf, zum Beispiel für Köche, die mitrühren durften; was auch die gegenwärtige Nähe von Kunst und Küche erklären könnte.

Frau Braggelmann war also mal wieder eingebrochen in mein zur Rumpelkammer zweckentfremdetes Ankleidezimmer; Beutekunstzüge nennt sie das. Es ist mir ein Rätsel, wie sie das schafft, jedes Mal aufs neue mir von der Herkunft zunächst völlig unbekannte Werke hervorzukramen. Aber immerhin füllt sie, auf diese fine Art sozusagen, auch meine mittelfristige Langzeiterinnerung ein wenig auf. So köchelte aus dem spätsommerlich-frühherbstlich aufsteigenden Nebel meiner früheren konsumistischen Aktivitäten und beruflichen Tätigkeiten die Ursuppe ein wenig auf, weshalb dieses gerahmte Rechteck dazu beigetragen haben könnte, den Zugang zu überlebensnotwendigen Utensilien zu verdunkeln wie den völlig in Vergessenheit geratenen Geist in der Flasche aus dem Bordelais, den ich 1990 als Neunjährigen zur Einlagerung für meinen neunundneunzigen Geburtstag ausgerechnet dort erstanden hatte, wo etwas weiter südlich ansonsten ausnahmslos dieses quasi von Urgroßvater Cognac gezeugte, im fortgeschrittenen Stadium Pineau des Charantes genannte Manna entsteht. Aber von einem Dänen stammte das kleine Aquarell, Aquavit wäre in der Assoziation also näher drangewesen, aber dann fiel mir ein, wie französisch dieser Bildschöpfer geworden war in seinen Pariser Jahren als Akademielehrer und daß er zu Lebzeiten einer der besten Kreateure von Fischsuppe war, die einer wie ich sich vorstellen kann.

© Jean Stubenzweig; siehe auch hier

Ich ginge schon arg nachlässig und ungebührlich mit meinem früheren Leben um, meinte die Kunstarchäologin, die ihre Ausgrabungen durchweg vor mir ins eigene Depot rettet und deshalb wohl in Bälde bei der Gemeinde Büddenwarder eine (An-)Baugenehmigung für ihr Dorfmuseum beantragen wird (das ist gewissermaßen verständlich, hat heutzutage doch jedes vom Fremdenverkehr berührte Kaff eine volksbildende (Konfweekend) Institution dieser Art, vor allem dann, wenn der langjährige Dorfpfarrer einen Künstler kannte und nach seinem Tod seine Sammlung biblischer Bilder in eine Stiftung hineintestamentierte). Allerdings meinte die Ausgräberin in diesem Fall den unpassenden Rahmen für das Kunstwerk, also nicht nur das Lager als solches, sondern die spezielle, allzu popelige Einfassung. Die habe professioneller ausgeführt zu werden, sprach die Kunstfachfrau, außerdem sei die Gefahr außerordentlich, daß das derart gerahmte Gemälde zu rasch altere und damit verblasse, weshalb es neu, also licht- und staubsicher, vor allem aber würdiger eingefaßt werden müsse, am besten von einer ihr bekannten Handwerkerin des Rahmens, die ohnehin alle meine Desinteressen an meiner Vergangenheit bereits gesichert habe.

Zwei Tage später schreckte mich gegen elf Uhr das Telephon aus meiner nachhaltigen, höchst ungern gestörten Altersruhe. Die Rahmenwerkerin weise alle Schuld von sich, erklärte aufgeregt die völlig aufgelöste Auftraggeberin auch der Formalästhetisierung von Kunst. Auf der Vorderseite des Originals befinde sich eine quasi zusätzliche Rahmung in Form eines Rechtecks, zustandegekommen durch einen nicht einmal weichen Bleistift. Das müsse schon ein übler Stümper gewesen sein, der das zuwege gebracht habe, als er die ohnehin bereits minderwertige Umgebung installierte. Mit Mühe erinnerte ich mich des damaligen Rahmenkunsthandwerkers. Doch auch der wies ebenfalls und sehr entrüstet alle Schuld von sich und schalt mich einen Ignoranten seines Verständnisses der Konservativisierung von Werten. Ich warf meine Erinnerungsmaschinerie an, und so langsam, etwa zwei weitere schläfrige Tage dauerte es, da riß der Nebel endlich auf. Der Künstler selbst hatte seinerzeit ein Passepartou vorgeschlagen, das meinen Formatwunsch berücksichtigen sollte. Er würde das in Auftrag geben.

Nachdem ich die Arbeit in meinen Händen hielt, hatte ich als sogenannter Erwachsener vertrauensselig auf die kindliche Praxis verzichtet, auch die Rückseite eines Bildes zu ergründen; auf diese verschüttgegangene Möglichkeit der Wahrnehmungserweiterung (Picasso vor Kinderzeichnungen: Dazu habe ich dreißig Jahre gebraucht!) hatte mich mal ei.n auch künstlerisch tätiger Holograph hingewiesen. (Die sich daraus wiederum ergebende Nähe zur heisenbergschen Unschärferelation vermittelte mir der wegen seiner bisweilen kirchenselbstironischen Dialoge (ob der Hauptdarsteller als niederbayrisch-katholische Eiche da mitschreibt?) durchaus geschätzte Pfarrer Braun, der als didaktischer Schildchenmaler seiner haushaltsführenden und rasend einen zum Erbe gehörenden SUVlenkenden Roßhaupterin eingehend erläuterte, wie unterschiedlich ein- und dasselbe Bild wahrgenommen werden könne, und als sie begriffsstutzig reagierte, er ihr und damit mir verständlich machte: Wenn sie den Backofen öffnen, um nachzuschauen, wie der Soufflé wird, bricht er zusammen.)

Kurzum, ich als geistig Restkreativer bastelte mir eine Erklärung zusammen: Künstler haben auch heute noch Assistenten, die, wie weiland bei Rembrandt und anderen, nach den Ideen ihrer Meister die Künste umsetzen. Allerdings sind die heutigen offensichtlich nicht mehr alle so kunsthandwerklich begabt wie zu Zeiten, als bereits die Leonardos, Michelangelos e Collega ihre Hilfskräfte zur Verschönerung der himmlischen Welt in Lohn und Arbeit brachten (von Mindestlohn soll jetzt mal nicht die Rede sein). So wird der hier auftragsgemäß Ausführende Schwierigkeiten dabei gehabt haben, das Passepartout passergenau über dem Blatt zu fixieren. Da nahm er den stabilen Bleistift, mit dessen Hilfe er zuvor noch seine zu tätigenden Einkäufe für die Fischsuppe fixiert hatte, und versuchte, ein das Maß leicht erweiterndes Rechteck um das Original zu zeichnen, sozusagen zur Vorstellung eines Rahmens. — So kommt die Kunst zurück zum Können.
 
Mo, 03.10.2011 |  link | (2584) | 5 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Form und Sinn



 

Umhüllungen musikalischen Begehrens

Es wird in unserer Überflußgesellschaft außerordentlich viel Überflüssiges dokumentiert, und das oft genug mehrmals. Nahezu jeder Verlag, der mit seinem Programm irgendwann einmal die bildende Künste streifte, meint, unbedingt noch ein Verzeichnis des Pablo Ruiz, am liebsten die (noch) guernicaferne blaue Periode, oder den zigtausendsten Jahreskalender nach dem allergrößten Baumeister des 20. Jahrhunderts auf den Markt bringen zu müssen. Schwer hingegen tut sich, wer Kleinode für die Nachwelt erhalten möchte und dafür einen Verlag benötigt, der für Produktion und Vertrieb verantwortlich zeichnet, also ein Risiko einzugehen bereit ist. In der Regel zucken vor einem solchen Wagnis die renommierten Verlagshäuser zurück.

Die schweizerischen Lars Müller Publishers in Baden haben dies nicht nur nicht getan, sondern sich hingegeben. Sie haben der edlen und hochwertigen Solitaire-Sammlung des Münchner Musik-Produzenten Manfred Eicher und seiner Firma ECM ein angemessenes Behältnis geschaffen und es unter dem Titel Sleeves of Desire — A Cover Story der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Lars Müller selbst hat dieses Unternehmen mit dem — dem Objekt der Begierde vieler adäquaten — Satz begründet: «Die Übersicht über die ECM-Covergestaltung der vergangenen 25 Jahre begeistert mich.»

Er ist es auch, der in der darauffolgenden Sentenz die Irritation vieler ausspricht, die vor diesem Faszinosum stehen: «Vor dem Hintergrund einer einschlägigen beruflichen Erfahrung als Gestalter macht sie mich in gewisser Hinsicht auch ratlos: Da breitet sich etwas aus, was doch offensichtlich visuelle Kommunikation darstellt und sich trotzdem einer Beschreibung nach den Kriterien der Disziplin widersetzt.» Dem letzten Teil der Müllerschen Aussage sei jedoch widersprochen: So manches Mal wird auch schon vor zehn, fünfzehn oder mehr Jahren ein anderer Begeisterter auf den abendlichen Kneipenbesuch verzichtet haben.


Einen kenne ich persönlich sehr gut. Wenn ich mich recht erinnere, war es 1973 (da existierte ECM Records bereits vier Jahre), als ich in einem Aachener Plattenladen Chick Coreas LP Return to forever in der Hand hielt, sie erstand — und so die fulminante Stimme von Flora Purim kennenlernte. Ähnlich ging es mir mit Ralph Towners Old Friends, New Friends, eine Platte, mit der ich verschiedene Besucher nervte, da sie immerfort kreiste. Und so manch ein Plattenkauf, zu dem mich häufig zusätzlich das Cover inspirierte, animierte mich zu einem Konzertbesuch — später vor allem zu den glorreichen Jazzer-Auftritten im Münchner Amerika-Haus, die der ehemalige Bassist mit Studium der klassischen Musik Manfred Eicher veranstaltet hatte.

Das Durchblättern dieses Kataloges bzw. das darin Verweilen fördert einen verblüffenden und doch zugleich logischen Effekt zutage, der die Brillanz dieses Design-Konzeptes unter Beweis stellt: den des Wiedererkennens. Auf Anhieb weiß der Freund der ECM-Produkte, welches er im Plattenschrank, im CD-Regal stehen hat und möglicherweise, welches er noch erstehen muß von den über 500 erschienenen Titeln, bespielsweise diejenigen, die einen Keith Jarrett mit dem Hilliard-Ensemble vereinen, Arvo Pärt und/oder ...

Es hat einige Versuche gegeben, diese Gestaltungs-‹Philosophie› (die mit dem Diktum von Paul Celan «alles ist weniger, als es ist, alles ist mehr» im Buch so treffend unterlegt ist) zu übernehmen. Doch dürften sie von der Konsequenz und der Stringenz, mit der Barbara und (dem verstorbenen) Burkhart Wojirsch sowie, seit 1978, Dieter Rehm die ECM-Cover ‹komponieren›, in die Schranken verwiesen worden sein. (So, wie man vielen Buchumschlägen ansieht, daß ihre Gestalter das Innenleben ihrer Produkte nicht studiert haben, ist bei vielen Plattenhüllen offensichtlich, wie wenig sich ihre Gestalter in die Musik einzufühlen vermochten; sie sind Designer, die das Produkt, die den Anspruch ihrer Profession nicht verstanden haben, der nach Ganzheit verlangt.)

Zu Recht schreibt Lars Müller in seinem Katalogbeitrag ‹Was zählt, ist der zweite Blick›: «Diesen Schallplattenhüllen ist eher mit der Sprache der bildenden Kunst beizukommen. [...] Einige dieser Cover zeigen Arbeiten von Burkhart Wojirsch oder gehen auf solche zurück; strukturale Malerei, minimalistische Interventionen auf der Fläche, einschliesslich deren Verletzung. Das Aufbrechen der Oberfläche macht die Hülle zu einer visuellen Membran, die das Hören und Sehen von Musik zwingend in Zusammenhang bringt. [...] Die [...] Cover sind Prototypen eines bis heute erfolgreichen Gestaltungsprogrammes; dessen Merkmale einer auf Reduktion beruhenden Bildauffassung lassen sich auf typografischen Cover ebenso nachweisen wie auf fotografischen oder auf frei künstlerischen. Das Fehlen von grafischer Effekthascherei und unbedingtem Informationszwang bestätigt das ECM-eigene Verständnis der Covergestaltung als künstlerische Disziplin.»

Entscheidend für diese ‹Musikumhüllungen› ist jedoch, daß, wie Müller in seiner Skizze der Arbeitsweise von Dieter Rehm anreißt, sie «nie ausdrücklich einen musikalischen Inhalt» andeuten. Es ist immer «das Ahnungsvolle, das Hinter-dem-Bild-Liegende, das die Gestaltung auf die Absicht zurückführt, Verpackung für Musik zu sein».

Diese Aussage erleichtert es auch, für dieses Werkverzeichnis die richtige Zuordnung im Bücherregal zu finden. Es wird seinen Platz unter den Design-Standards haben — auch oder gerade weil Peter Kemper (‹An den Rändern des Lauschens›, Peter Rüedi (‹Die hörbare Landschaft›), wie bereits erwähnt Lars Müller (‹Was zählt, ist der zweite Blick›) sowie Steve Lake (‹Looking at the Cover›) mit ihren Texten Verbindungen herstellen zwischen den Disziplinen, die in und um das Thema Musik greifen.

Im Hinblick auf die internationale Verkaufbarkeit eines Buches, das Standard sein will (und soll!), ist es nur richtig, die Texte in deutscher und englischer Sprache zu drucken. Um so unverständlicher wird es aber dann, wenn ein Text wie der von Steve Lake lediglich in Englisch erscheint. Hat der Autor sein Manuskript so spät geliefert, daß keine Zeit mehr war für eine Übersetzung durch Catherine Scheibert, die alle anderen Texte ins Englische übertragen hat? Sollte der (italienischen) Druckerei das Papier ausgegangen sein; hat sie sich in der Bogenkalkulation vertan?

Eine deutliche Grußadresse wegen ‹Typesetting and production› bzw. Layout soll an das Atelier Lars Müller bzw. an ihn persönlich gehen: Für eine Groteskschrift einmal Anführungen aus ebensolchem Fundus und zum anderen aus dem der Serifenschriften? Das ist eine unschöne Mischung. Wie man auch ein wenig sorgfältiger auf die teilweise häßlichen Sperrungen hätte achten sollen bzw. sie beseitigen; was ein Computer-Layout-Programm nicht mehr bewältigt, schafft ein selbst durchschnittlicher Lektor alle Male (wie es ihm überhaupt gelingen dürfte, die Einheitlichkeit von Schreibweisen et cetera herzustellen).

Genug der Erbsenzählerei. Es ist ein ansonsten sorgfältig gemachtes, übersichtliches, ja teilweise schönes Buch mit guten Farbabbildungen, das nicht nur Dokumentation ist, sondern dem Faszinosum ECM-Cover inhaltlich und formal durchaus verwandt ist.

Und deshalb lege ich jetzt, als CD (auch das Problem der Verkleinerung auf das CD-Format hat das ECM-Cover-Team gemeistert), auf: I Took Up The Runes mit Jan Garbarek, Rainer Brüninghaus, Eberhard Weber, Nana Vasconcelos, Manu Katché, Bugge Wesseltoft und Ingor Àntte Àilu Gaup und fahre ab — durch südliche Landschaften.

ECM — Edition of Contempory Music
Lars Müller Publishers, CH-Baden 1996
© Abbildungen: ECM

Flohmarkt: savoir-vivre, 1996


Nachtrag viele Jahre später, im Juli 2011: Längst wird das Buch selbst als edle Rarität gehandelt. Etwa von 200 Euro an aufwärts möchte manch einer dafür haben. Daß die Nachfrage auch nach so langer Zeit vorhanden ist, versteht sich angesichts der, wie Manfred Sack 1996 in der Zeit schrieb: «537 Titel in 37 Jahren, jedes Jahr also 14 Platten und manchmal eine mehr: ein kulturelles Wunder in einer profitgierigen Welt.» So verkaufe ich also ein kulturelles Wunder. Von 200 Euro an ist es zu haben. Wer möchte, der biete.

Wem das zuviel Geld sein sollte — es gibt ja noch die ECM-Webseite (die in ihrer unaufdringlichen Präsenz bereits eine Attraktion darstellt). Da sind sie dann unverhüllt zu sehen, die Hüllen des Begehrens. Na ja, nicht so ganz unverhüllt, sind die Texte doch ausschließlich in englischer Sprache verfaßt. Aber es geht letzten Endes ja um Musik. Und die muß nicht übersetzt werden ...
 
Mi, 20.07.2011 |  link | (3719) | 4 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Form und Sinn



 

Verfaulte Äpfel

Der Markt für Obst und junges Gemüse ist auch nicht mehr das, für den ich ihn mal fast ehrerbietig hielt: schön und voller Gehalt. Als ich anfing mit der 0+1-Elektrik, mochte ich diese Frucht sehr. Für technisch völlig Unbedarfte wie mich, der um 1990 gezwungen war, von jetzt auf sofort umzustellen von der guten alten kugelkopfigen Tante IBM auf Bits und Bytes, bot der Apfel die idealen Voraussetzungen. Weil er für Benutzer und nicht für Elektronikbastler erdacht und konstruiert war, geriet selbst ich innerhalb kurzer Zeit in die angenehme Situation, im wesentlichen so weitermachen zu können wie bisher mit meinem Adler-System des Verfertigens von Gedanken beim Schreiben: Sichten, einkreisen, draufstürzen. Auf kryptisch und hieroglyphisch anmutende Tastenkombinationen an anderen Gerätschaften sollte ich später zwar auch hingewiesen werden, aber meine rigide Ablehnung wurde ihnen rasch zuteil, kam das doch Morsen auf Kisuaheli gleich.


Es sei zugestanden, daß das Prinzip von der intakten Funktion und der ihr nachfolgenden Form auch hier mir insofern besonders behagte, als ich das aufs wesentliche Reduzierte seit Jahrzehnten bevorzuge und ohnehin schmückendes Beiwerk, noch mehr in Form sinnentleerter HighTech-Applikatiönchen strikt ablehne. Aber ich bin schließlich auch durch eine andere Schule von Form und Sinn gegangen. Diese Gerätschaften taten meinen an Rams-Design gewöhnte beziehungsweise an dessen Vorgänger geschulten Augen sehr viel wohler als diese Absonderlichkeiten, die seinerzeit unter dem Spottnamen DOSE teilweise angeboten wurden, häufig nicht einmal sonderlich begriffsbehübscht durch Bezeichnungen wie etwa ergonomisch vorteilhaft, wobei allemale allzu oft ein ohnehin bereits mißratener Colani dahintersteckte. Logischerweise blieb ich also dabei, Gates keine Chance zu geben; die Unterlage für das radfreie Mäuslein ziert nach wie vor mein heimeliges Büro. Weit mehr als anderthalb Jahrzehnte lang kaufte ich also nicht nur aus reinen Vernunftgründen die Produkte dieses Herrn der angefressenen Äpfel, der sich später als Verkünder einer neuen Religion auf die Weltbühne stellen und als neuer Heiland angegospelt werden sollte. Doch das berührte mich nicht weiter, da ich eben keinerlei Glauben anhänge, auch nicht dem an die erotische vulgo sexuelle Stimulans von Markennamen. Das EiPott- und das anschließende EiPattgetöse berührte mich deshalb nicht weiter, übers lustige Ausprobieren und Lustigmachen im familiaren Kreis ging das nicht hinaus; ich bin mittlerweile ja nicht einmal mehr mobil erreichbar, weil ich ihn liquidiert habe, diesen Allzeit-bereit-Terror. Sieben oder acht dieser Rechner legte ich mir zu, wollte ich doch an möglichst jedem erdenklichen Ort adäquat ausgestattet sein, und ein 2000 erstandenes iBuch (zehn Gigabyte Festplatte) für unterwegs in Hotel und Café mußte selbstverständlich ebenso sein und tut nach wie vor seinen Dienst. Hin und wieder verhakelte sich mal ein wenig die Weichware, was aber relativ unkompliziert zu beheben war, zumal doch immer irgendwie ein Helferlein in der Nähe war, da in der Verlagsbranche eigentlich alle genußvoll in dieses Äpfelchen bissen und beißen. An den Maschinen selbst hatte ich nie einen Schaden zu verzeichnen, all die gekauften versehen nach wie vor geschmeidig ihren Dienst, sogar der vor ein paar Wochen versuchsweise mal wieder angeworfene Classic mit vierzig MB Festplatte fing klaglos an, langsam, aber bestimmt zu rödeln; also wird das der andere, den ich dem freundlichen Möbelpacker aus Berlin geschenkt hatte, ebenso tun.

Nun, einer dieser Äpfel ist völlig verfault, und zwar der frischeste und bislang auch noch teuerste. Kaum war der G5 der Garantie entschlüpft, hatte die Festplatte nicht nur eine EiMacke, sie segnete gar das Zeitliche; zuvor hatte er bereits das DVD-Laufwerk in sich getötet. Einige hundert Euro sollte es mich kosten, ihn wieder beatmen zu lassen, wobei ich noch das Glück eines Mechanikusses hatte, der das innerhalb von drei Tagen schaffte und nicht, wie seitens der (seither auch nie wieder frequentierten) Verkäuferfirma angekündigt, Wochen. Mindestens. Nun hat er sich schon wieder verabschiedet. Wieder die Festplatte. Das eigens hinzugekaufte externe Laufwerk tut's, aber was soll ich damit, wenn er nicht mehr geht? Nun verabschiede ich ihn. Endgültig. Ich mag nicht mehr. Fortan werde ich wieder meiner guten alten Schreibtischlampe aus dem Jahr 2002 in die Tastatur dippeln. Ein wenig gewöhnungsbedürftig ist das durchaus mit diesem winzigen Bildschirm im vergleichweise großen Bürogerät. Auch fehlen dem System 10.3 einige komfortable Funktionen wie etwa das mir einst von Herrn Nnier empfohlene spurenfreiere Arbeiten durch privates Surfen oder die Empfehlung des Abblockens von Werbung durch Kristof. So muß ich mich eben alleine mit dem Sperren von Javascript und Cookies behelfen. Aber vielleicht finde ich ja noch eine Möglichkeit, diesen ganzen kriminellen Datengeiern die Landung zu erschweren. Richtig böse bin ich allerdings auf diese als schädlich bekannten Apfelwickler, von denen ich, naiv wie ich bin, früher tatsächlich mal überzeugt war, sie produzierten wenigstens Qualität. Aus hat sich's geäppelt. Ab sofort schmeiße ich nur noch nach denen mit ihrem Mist. Mögen sie an ihrer nur noch reinen Schönheit um Kaputtheit oder Inhaltsleere zugrunde gehen.

Nachdem ich mehrfach gehört und gelesen habe, unter welchen Bedingungen (für Menschen) auch der einstige US-amerikanische Edelhersteller solcher Geräte in Asien ebendiese herstellen läßt, wundert mich jedoch ohnehin nichts mehr. Selbst wenn keine Sollbruchstellen, wie beispielsweise an meinem eigens wegen seiner hochwertigen Qualität ausgewählten, sprich sehr teuren Drucker, eingeplant beziehungsweise ausgeführt würden, ergeben sich Defekte von selbst. Denn nicht das Material Mensch, sondern auch im Nichtmenschlichen darf das nichts mehr kosten. Nicht nur, daß der (Zwangs-)Konsument mittlerweile gezwungen wird, den Herstellern die Gerätschaften innerhalb des Gebrauchs zu testen, es wird zusehends zunehmend mehr Dreck produziert, weil sonst die Gewinnmargen in den zweistelligen Bereich fallen könnten. Längst habe ich das Gefühl, nochmals geboren werden zu müssen, um in frischer Jungdynamik definitiv auf die Barrikaden zu gehen, um Schlachten zu schlagen. Nein, ein solcher Wutbürger werde ich nicht. Mir reicht dieser bibelfeste Gesundbeter in seinem grünen Gärtchen, der große Vorsitzende der umgefärbten Partei der Besserverdienenden. — Ziehe sich den Schuh an, wer mag.

Womit ich fast schon wieder bei meinem aktuellen Thema Euroglobalisierung wäre.
 
So, 22.05.2011 |  link | (6170) | 13 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Form und Sinn



 

Ruinen-Kult nach der Moderne

Die schöne Welt vor fünfundzwanzig Jahren

50 Jahre nach dem Bildersturm
[...] Tatsächlich scheint die Kunst des Dritten Reichs, scheint die dort verwendete Ästhetik in unserer Zeit, die allgemein als postmodern apostrophiert wird, eine gewisse Renaissance zu erleben. Jedenfalls halten allerlei Symbole, die untrennbar mit Nationalsozialismus und Faschismus verbunden sind, Einzug in die zeitgenössische Kunst. Allenthalben finden sich Hakenkreuze, auf Bildern, bei Aktionen, auch Rutenbündel und Opferschalen. Letzteres verwendete der Münchner Künstler Gerhard Merz etwa bei seinen Rauminszenierungen im Münchner Kunstverein und in der Kunsthalle Baden-Baden. Er und andere, so erklärte vor kurzem Manfred Schneckenburger, künstlerischer Leiter der documenta 8, «riskierten Pathos-Formeln, Strahlkräfte», die für uns »lange hohl und tabu gewesen« seien, es seien «Archteypen von Suggestivität, Monumentalität, Festlichkeit». Leni Riefenstahl Propagandafilm vom Parteitag 1934, Titel Triumph des Willens, gilt als Kultfilm, Albert Speers Architektur als genial, was bloß in Deutschland keiner wahrhaben wolle. Die Raumentwürfe des hitlerschen Leibarchitekten und Rüstungsministers sind wieder zu finden in Bildern und Inszenierungen renommierter zeitgenössischer Künstler heutzutage. Die Postmoderne — bringt sie, zumindest ästhetisch, den Faschismus zurück? Gewissermaßen im zweiten Aufguß? Jean Stubenzweig hat augenfällige Zusammenhänge entdeckt:
Nachdem Adolf Hitler das Tausendjährige Reich ausgerufen hatte, bediente er sich, um die Bevölkerung darauf einzustimmen, in hohem Maße der Architektur und der Kunst. Mit entscheidend war dabei, daß er seine Lieblingsdisziplin Architektur wieder heimholte ins Reich der Künste — ein Akt gegen die von ihm so gehaßte, vom Sozialen und Aufklärerischen bestimmte Architektur-Avantgarde. Die hatte 1933, dem Jahr, als der Möchtegern-Kunstmaler aus Braunau am Inn Reichskanzler wurde, die Charta von Athen veröffentlicht. Mit ihr forderten die Vorreiter einer neuen Architektur nicht nur Licht, Luft, Sonne und Grün auch für die weniger Betuchten, sie wies den Architekten auch eine neue Aufgabe im sozialen Bereich zu: Nicht mehr als Künstler sollten sie sich verstehen, sondern als Ingenieure, die kostengünstig möglichst viel Wohnraum schaffen. Dieser Modernen Architektur, auch Neues Bauen genannt, machten Hitler und seine Vasallen im Reichsbauministerium mit einer Baukunst den Garaus, deren Palette von der biederen Verzerrung des wieder aufgenommenen Heimatschutzstils hinreichte bis zum gigantomanischen Staatsstil im Sinne eines Hauses der Deutschen Kunst in München oder eines Zeppelinfeldes, dem von Hitlers Leibarchitekten Albert Speer geplanten Nürnberger Reichsparteitagsgeländes. Dieses auf Ewigkeit getrimmte Bauen nannte der Frankfurter Architekturhistoriker Dieter Bartetzko in seinem Buch Illusionen in Stein «Stimmungsarchitektur».

Nachdem während der ersten zwei, drei Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkrieges ein Teilaspekt der Modernen Architektur, nämlich das kostengünstige Bauen durch rationelle Planung und Teilevorfertigung, zugunsten eines Bauwirtschaftsfunktionalismus schamlos ausgeschlachtet wurde, verkündeten Stimmungsarchitekten den Tod der Moderne, einer Moderne, die in der Bundesrepublik Deutschland architektonisch wenn überhaupt, dann unter erschwerten Bedingungen stattgefunden hat. Trotzdem nannten sie und ihre Apologeten diese dann folgende, als neu propagierte Ansammlung von Versatzstücken aus den verschiedensten vergangenen Architekturepochen Postmoderne, also quasi Nach-der-Moderne — im übrigen ein Begriff, der bereits seit dem zweiten Dezennium unseres Jahrhunderts durch die Weltkulturrezeption geistert und den der US-amerikanische Architekturpublizist Charles Jencks von seinem literaturwissenschaftlich tätigen Bruder für seine Theorien übernommen haben soll.

Will man diese Postmoderne unbedingt verharmlosen, muß man sich denen anschließen, die der Meinung sind, es handele sich bei ihr um eine neue Romantik. Das kann sie jedoch nicht sein, denn in und mit der Romantik hat man zwar versucht, den negativen Teil der Aufklärung aufzuhalten, den ideologischen Auswüchsen entgegenzusteuern, nicht jedoch, die Aufklärung an sich zu liquidieren; dazu waren in ihrem Namen zu viele kritische Geister unterwegs. Allesfalls ist die Postmoderne ein neuer Post-Historismus, der, um Jürgen Habermas zu paraphrasieren, die Welt als Ausstellung inszeniert und die genießenden Zeitgenossen geschichtslos gewordene Zuschauer verwandelt. (Schnitt)

«Stimmungsarchitektur», nennt Dieter Bartetzko das auf die Ewigkeit eines Tausendjährigen Reiches gerichtete Bauen der Nationalsozialisten. Als «Werk des schönen Scheins» bezeichnet Bartetzkos Kollege Heinrich Klotz die von ihm so heftig propagierte und verteidigte Architektur der Postmoderne. Hinter diesem schönen Schein Postmoderne, einer inszenierten Aneinanderreihung verschiedenster Baustile zurückliegender Epochen versteckt sich, so der Architekturhistoriker an der Bremer Universität Michael Müller, eine «Entpolitisierung kultureller Modernisierungsprozesse». Der Angriff der Postmoderne gegen die Moderne richte sich nicht gegen ihre Kunstrichtung, sondern gegen die Avantgarde-Architektur, die aus den ersten zwei, drei Jahrzehnten unseres Jahrhunderts hervorging und in ihrer kompromißlosen Trennung von Kunst und Architektur letzterer einen sozial- und kulturpolitischen Anspruch gab. «Solange wir nicht mit der Vorurteilslosigkeit des Betriebsingenieurs an die Stadtprobleme herantreten», so der Bauhaus-Lehrer Hannes Meyer, «erdrosseln wir durch Ruinen-Kult und überkommene Vorstellung das Leben der Stadt.» So rigide rational dies gerade heute auch klingen mag, wie klar steht es doch gegen die Stimmungsarchitektur, den Tempelkult, das Pathos beispielsweise des postmodernen Architekten Alexander Freiherr von Branca, dem Erbauer der Münchner Neuen Pinakothek. Von Branca ist der Meinung, «daß der Erwartungshorizont des Menschen von einer ungeheuren Vielschichtigkeit und Tiefe ist und daß von daher das architektonische Kunstwerk so angelegt sein soll, daß es diese Dimensionen erkennt, sie darstellt und ihnen antwortet». Seine Neue Pinakothek war einer der ersten der in den letzten Jahren eröffneten Museumsneubauten, denen eines gemein ist, wie Dieter Bartetzko feststellt:
«Pfeilerreihen, strenge Symmetrie, große Feierlichkeit, also Parallelen in der Postmoderne zur Staatsbaukunst.»
Und er gibt zu bedenken:
«Vielleicht ist diese Architektur sozusagen eine gebaute Gnade der späten Geburt. Will heißen: die Architekten gehen zu unbefangen und zu leichtfertig mit Motiven um und schaffen plötzlich Parallelen zur Nazi-Baukunst. Man kann sagen, daß bei der Kulturschirn man das zwar bemerkt hat, diese Parallele, aber nicht weiter darüber nachdenkt, sondern umgekehrt die Bevölkerung in der Zwischenzeit beginnt, dieses Bauwerk als feierliches Bauwerk zu schätzen und damit eben genau auch diese Unbedachtheit den Formen gegenüber jetzt auch in der Bevölkerung um sich greift.»
Eine detailliertere Antwort auf die Frage nach Parallelen zwischen postmoderner Architektur und nationalsozialistischer Baukunst gibt Dieter Bartetzko im Zusammenhang mit einem anderen Museumsbau, dem nach der Planung von James Stirling 1984 eröffneten Annex der Stuttgarter Staatsgalerie:
«Die Gesamtform des Gebäudes bezieht sich zum einen auf den Klassizismus, also auf den historischen Nachbarbau, sie bezieht sich aber sozusagen über alle Stationen der Geschichte hinweg auf das Urmuster eines Würdebaus, nämlich den Totentempel des Hatschepsut. Dazu hat sie ihre Pfeilerreihen, ihre Materialien, die Kalksteinverkleidung, und hat sie von der Stimmung, nicht vom Motiv her, das Wichtigste: die Rotunde. Die Großform der Rotunde hat neben dem Schinkel-Zitat als wichtigstes Motiv das der künstlichen Ruine. Das Absurde und Aufschlußreiche an dieser Architektur ist, daß die künstliche Ruine ihres eigentlichen Sinnes beraubt wird in diesem Motiv. Sie signalisiert nämlich Dauerhaftigkeit, Unveränderlichkeit, und damit würde ich die erste Parallele zu der Stimmungskunst der Nazis sehen. Alles, was von den Nazis gebaut wurde, vor allen Dingen in bezug auf die Staatsarchitektur, war eine inszenierte Architektur, so wie heute die Postmoderne inszeniert.»
Doch da ist auch noch die sogenannte Kleinform. Mit bunt gestrichenen Geländern, grünen Noppenböden, einer geschwungenen Glasfront, popfarbigen Türen wollte Stirling die Feierlichkeit konterkarieren. Doch nun verändern sich bereits die Farben, man paßt sie dem Stein an, sie erhalten einen pastellenen, würde-, stimmungsvolleren Ton.

Mit Tempelarchitektur hat auch die Raumkunst des in letzter Zeit so gefeierten Münchners Gerhard Merz zu tun. Seine postmodernen Räume, ob 1986 im Münchner Kunstverein, Anfang dieses Jahres in der Kunsthalle in Baden-Baden oder jetzt bei der documenta, seine kultischen Stätten voller kalter Pracht, der Weihe, Beklemmung und Einschüchterung erinnern nachhaltig an die Innenarchitektur etwa der hitlerschen Reichskanzlei.

Ein weiterer hochgelobter Künstler ist der nach Joseph Beuys international zur Zeit wohl renommierteste Repräsentant bundesdeutscher Kunst: Anselm Kiefer. Seine materialschweren, großformatigen und dräuenden Gemälde sind sowohl nach seiner eigenen wie auch der Meinung vieler Kommentatoren kritisch gemeint, was die Aufarbeitung nationalsozialistischer Vergangenheit betrifft. Doch selbst wenn dies zuträfe, so bliebe ein Aspekt nicht berücksichtigt. Dieter Bartetzko spricht ihn aus:
«Seine Zeichnung zum Beispiel, ich denke jetzt an das Gemälde Grabmal für den unbekannten Künstler, transportiert vollkommen ungebrochen und zelebriert diesen Totenkult, die Weihestimmung oder seine Zeichnung des Hauses der Deutschen Kunst. Also da macht er den Fehler: Er reproduziert nur die Feierlichkeit, aber er bricht sie nicht durch seine malerischen Mittel.»
Hier liegt das Problem, ein Problem, mit dem die Deutschen schon einmal nicht fertiggeworden sind: Die Ästhetisierung der Mythologie. (Wobei in unserer Zeit als typisches Symptom der Postmoderne noch die Überhöhung alles Mystischen hinzukommt, quasi als Gegenposition zur Vernunft, zur Aufklärung.) Unsere bauenden und malenden Künstler, die über ihre eklektizistische Vorgehensweise ein neues Geschichtsbewußtsein suggerieren, unterliegen einer fatalen Unbefangenheit. So beispielsweise der Schweizer Helmut Federle als Maler der sogenannten Neuen Geometrie, auch Neo-Geo genannt, einem durchweg diffus gehaltenen Ausweg (?) aus der konstruktivistischen Kunst etwa eines Max Bill, Piet Mondrian oder Richard Paul Lohse. Federle stellte, seitenverkehrt, ein Hakenkreuz dar und nannte sein Bild Asian Design — asiatisches Zeichen. Bei aller historischen Richtigkeit — wer so unbedacht mit diesen nunmal negativ besetzten Symbolen umgeht, muß sich fragen lassen, ob ihn am Ende gar nicht doch latent seltsame Sehnsüchte beherrschen — und seien es seitenverkehrte.

Ein weiteres Beispiel, das mögliche Folgen aufzeigt: In Frankfurt am Main, dem sogenannten Mekka der Postmoderne, steht zwischen Römer und Dom und neben der sogenannten historischen Häuserzeile aus den achtziger Jahren unseres Jahrhunderts eine neue Kulturhalle, die Kulturschirn. Ihr hat Volkes Stimme die — zunächst — ironisch gemeinte Bezeichnung Reichsparteitag angedichtet (wobei diese Architektur sich im Vergleich mit der geplanten Münchner Staatskanzlei nachgerade zurückhaltend gibt).

Diese Postmoderne von Architektur und Kunst ist also nicht harmlos. Schon alleine deshalb nicht, da sie verharmlost, Begriffe zu verwischen droht. Zudem zeigt sie in ihren Äußerungen bedenkliche Parallelen zum Kunstverständnis der Nazi-Ideologen auf: indem ihre Realisatoren hineingreifen in einen Farben- und Formensteinbruch des einfach nur Gestrigen und so mit Hilfe von aus dem historischen Kontext entrissenen Stilelementen eine zeitgeistige Formel des Vagen bilden: Das Ziehen der Wurzel aus einer Unbekannten.


Auszüge aus der der Sendung Verfemt, verfolgt, vernichtet. 50 Jahre nach dem Bildersturm, ein Magazin zur Kunstpolitik des Nationalsozialismus und deren Folgen. Mit Augzeugenberichten, historischen Tondokumenten und kritischen Reflexionen, Moderation: Wilhelm Warning.

Bayerischer Rundfunk (B 2), 15. Juli 1987, 20.05 – 21.45 Uhr.

 
Mi, 13.04.2011 |  link | (3178) | 8 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Form und Sinn



 

Schöner Wohnen

Die Zukunft vor fünfundzwanzig Jahren

Der Deutsche Werkbund fordert menschenfreundliche Städte


Hamburgs alte Rote Flora am Schulterblatt Photographie (das Original): Arno Krüger CC
So sieht sie aus, die Hafenstraße, etwa von den Landungsbrücken aus gesehen.

Bei dem Begriff Stadterneuerung gelangte die Sozialpolitische Umschau der Bundesregierung im Mai dieses Jahres (1986) zur Erkenntnis, sie sei die «kommunalpolitische Aufgabe Nummer eins». Von den Verantwortlichen, allen voran den Politikern, wird allerdings allzu gerne verdrängt, daß besagte Erneuerung unserer Groß- und Kleinstädte (aber auch so manches Dorfes) mehr ist als ein planerisches und organisatorisches Problem, mit dem Milliardensummen hin- und hergewälzt werden.

«Stadterneuerung ist Kulturarbeit» war deshalb das sich als Konsequenz ergebende Motto des 16. Darmstädter Werkbundgespräches. Der 1907 in München gegründete Deutsche Werkbund ist eine Vereinigung von Architekten, Designern, Journalisten und Pädagogen, die die Gestaltung der Umwelt schon am Jahrhundertbeginn nicht nur fachspezifisch abgehandelt wissen, sondern den politischen Kontext mit einbezogen haben wollten.

Die Gründung des Deutschen Werkbundes ging einher mit dem Aufkommen der Moderne, deren Avantgarde die Architektur aus der Kunst herausnahm. Unter den fortschrittlichen und wegweisenden Architekten der Moderne waren viele mit einem ausgeprägt sozialen Denken.

Etwa seit Mitte der siebziger Jahre wird, vor allem von den Anhängern einer wieder zur Kunst erklärten Architektur, die Moderne als beendet erklärt. Und das, obwohl sie, nach Jürgen Habermas, unvollendet ist oder gar, wie Alexander Mitscherlich meint, noch gar nicht begonnen hat. Denn sie beginne «mit der Annullierung der Besitzverhältnisse über den Menschen» und «schreitet zur Formulierung der Menschenrechte fort».

Bei den Besitzverhältnissen ist zunächst einmal auch anzusetzen, will man zu praktizierbaren Konzepten der Stadterneuerung gelangen. Erneuert werden müssen unsere Städte ja wohl in erster Linie deshalb, weil sie durch rigoroses Wirtschaftswunderdenken nach den Bomben des Zweiten Weltkrieges von mehrwertorientierten Bauherren und verantwortungslosen Architekten und Städteplanern kurzfristig ein zweites Mal zerstört wurden.

Beispiele für einen verantwortungsvollen Wiederaufbau gab es genug. In München sah zum Beispiel der Abel-Plan eine konsequente Trennung von Fahr- und Fußgängerverkehr vor und somit eine urbane Vielfalt mit Passagen und Ladenzonen, in der auch Cafes, Straßentheater sowie andere Kunstforen ihre Bedeutung gehabt hätten. All diese «Neuerungen», die nach 1970 als «Revision der Moderne» von Flensburg bis Garmisch (im Flickwerkverfahren) entstanden, waren bereits 1946 (!) Bestandteil der Planung von Adolf Abel und anderen (nachdenklichen) Städtebauern.

Daß diese frühe Chance einer heute so herbeigesehnten menschenfreundlichen Urbanität nicht genutzt wurde, lag an denen, die sich durch Eigentum alles andere als in die Pflicht genommen sahen — hätte man doch in die Besitzverhältnisse eingreifen müssen.

So entstanden Innenstädte, die sich gleichen wie ein Ei dem anderen. Raus aus den ursprünglich für den Menschen gedachten Zentren und hinein in die «Pissoirhaus- oder Legebatterienarchitektur», wie Bazon Brock die Monströsitäten Märkisches Viertel Berlin oder München Neu-Perlach bezeichnet hat, mußten diejenigen, die sich die horrenden Mieten in den Zentren nicht leisten konnten.

So muß Stadterneuerung zunächst einmal heißen: Verhinderung weiterer Zerstörung von Wohnraum zugunsten von Geschäftshäusern oder Luxussanierung via Bauherrenmodell.

Eberhard Mühlich vom Darmstädter «Institut Wohnen und Umwelt» plädiert angesichts der Tatsache, daß zunehmend Sozialwohnungen auf den freien Markt gelangen, für «Gewaltenteilung in der Wohnraumversorqung». Es müsse dafür gesorgt werden, über Finanzierungszentralen billige Wohnhäuser aufzukaufen, deren Bewirtschaftung (Mieten, Instandhaltung etc.) jedoch den Bewohnern zu überlassen, also eine «weitreichende Mietermitbestimmung» zu schaffen, wobei Mühlich sich auf «Vorerfahrungen aus England und Holland» stützt.

Aber: Ist ein solches Konzept im Bereich der Innenstädte überhaupt durchführbar? Gerade dort dürfte es kaum «billige Häuser» geben, weil das Gesetz von Angebot und Nachfrage die Preise doch eher nach oben nivelliert als nach unten.

Soll aber die Stadt dahingehend emeuert werden, daß sie dem Menschen zurückgegeben wird, müssen, wie der Frankfurter Kultur- und Architekturkritiker Dieter Bartetzko arqumentiert, «die monofunktionellen Inseln (die reinen Büro- und Geschäftsviertel) eliminiert», muß also die Trennung von Arbeit und Wohnen abgeschafft werden.

Um eine im Sinne aller Menschen positive Stadterneuerung durchzusetzen, bedarf es jedoch der Arbeit — der Kulturarbeit. Hardt-Waltherr Hämer von der «Gesellschaft der behutsamen Stadterneuerung Berlin mbH» (S.T.E.R.N.) sieht beispielsweise in der Stadtteilarbeit in Berlin-Kreuzberg einen Demokratisierungsprozeß, der zur Entscheidungsfindung beiträgt.

Und wer an der Möglichkeit der «Mitgestaltung der Gesellschaft nicht teilnimmt», so der Osnabrücker Kulturdezernent Siegfried Hummel, «der taucht ab», wobei er sich auf Robert Jungk bezieht, «in das Reich der gleitenden Bilder und Symbole».

Der alternativen Kulturszene der Bundesrepublik, die nach Hummel «Spitze in der Welt» ist, räumt der SPD-Mann eine entscheidende Bedeutung bei einer durchzuführenden ökologischen Stadterneuerung ein.

Dabei dürfe allerdings nicht vergessen werden, daß die Friedens- und die ökologische Bewegung ihre Wurzeln in der Arbeiterbewequng des ausgehenden 19. Jahrhunderts haben. Die «proletarische Ökologiebewequng des ausgehenden 19. Jahrhunderts, nämlich die Naturfreundebewequng», habe «sicher über achtzig Prozent dessen schon artikuliert, was die Ökologiebewequng sagt». Daß dies nicht erkannt werde und daß «ein paar Veteranen nicht merken, daß sie ihre eigene Geschichte massakriert haben», sei einer der Gründe warum dauernd irgendeine Partei «Wahlkämpfe in Städten verliert».

Aufklärung ist also angesagt, zumal sich, nach Hummel, schon längst eine Gegenbewegung formiert hat — die «young urban professionals», kurz «yuppies» genannt, jene «postmodernen Narzißten» (Selbstbespiegler), die das, «was sie ästhetisch als hochwertig empfunden haben, sofort aus dem gesamtkulturellen, gesellschaftspolitischen Zusammenhang herauslösen, um es dann narzißtisch genießen zu können».


Flohmarkt: savoir-vivre, April 1986

Steinbrüche der Formen Von Bau- und anderen Häuslern Architektur des Alltags

 
Mo, 11.04.2011 |  link | (1877) | 3 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Form und Sinn



 

Zerstreute Betrachtungen ...

Es bricht etwas auf in unserem Land. Eine noch vor kurzem nie erwartete Eruption hat einen riesigen Krater in die politische Landschaft der parlamentarischen Demokratie gerissen. An dessen Rand stehen etablierte Volksvertreter und schauen entgeistert in dieses «grüne» Loch. Eine neue Generation leistet Widerstand, stellt gegen eben noch selbstverständliche gesellschaftliche Normen neue Sinn- und Seinsfragen. Sie zielen auf eine Abkehr von einer Zukunft im Sinne rein materiellen Wohlstands, warnen vor einer technoid ausufernden Zivilisation.

Hierbei geht es nicht nur um aktuelle politische Fragen, wohl aber um die Frage nach den Ursachen einer Bewegung, die sich die Farbe Grün, auch als Symbol für mehr Demokratie, aufs Banner gemalt hat, das weht als mahnende Fahne für die Errettung beziehungsweise Bewahrung unserer natürlichen Umwelt.

Eine Teilantwort ist dabei in der Kunst verborgen. Sie hat von jeher ihre Wurzeln im gesellschaftlichen Gefüge. Dabei ist Ästhetik nicht etwa — wie gemeinhin angenommen — ein allein Schönheitsbewertungen unterworfener Begriff, sondern sie faßt alle Aspekte von Kunst und Leben zusammen.

Historisch gesehen ist die Ästhetik die Lehre vom Schönen. Doch seit 1750 hat man sich mit Alexander Gottlieb Baumgarten von dieser These verabschiedet. Seitdem überschreitet die Ästhetik die Grenzen, umfaßt alle Aspekte des täglichen Lebens. So schrieb Friedrich von Schiller in seinen Zerstreuten Betrachtungen über verschiedene ästhetische Gegenstände: «Das Angenehme vergnügt bloß die Sinne und unterscheidet sich darin von dem Guten, welches der bloßen Vernunft gefällt [...]. Das Gute, kann man sagen, gefällt durch die bloße vernunftgemäße Form, das Schöne durch vernunftähnliche Form [...].»

Das erinnert an das Postulat der Bauhaus-Gründer nach der guten Form, die auch das industriegefertigte Produkt ausweisen sollte, die sich ergibt aus vernunftbestimmtem Materialeinsatz und entsprechendem Gebrauch. Diese Architekten, Gestalter, Handwerker und Künstler strebten eine Formensprache an, die unter anderem von der Aufhebung der Gegensätze der einzelnen Disziplinen gekennzeichnet war. Architektur, Handwerk und Kunst sollten unter ein Theoriedach der Gemeinsamkeit, die Produkte sollten für jedermann erschwinglich sein, ermöglicht durch entsprechend schlichte Planung und Teilevorfertigung. Diese Ästhetik- und damit Gesellschaftstheorie veranlaßten die Nationalsozialisten, diese Institution 1933 zu schließen, die in der überseeischen Emigration überlebte und auch heute noch weltweit Einfluß auf die Gestaltung unserer Umwelt hat. Allerdings konnten Bauhaus-Lehrer wie Walter Gropius, Mies van der Rohe, Le Corbusier oder Hannes Mayer — es waren überwiegend Architekten, die die Direktiven vorgaben, aber auch Künstler wie Johannes Itten, Wassiliy Kandinsky, Paul Klee, Laszlo Moholy-Nagy und viele andere gehörten der Führung an — seinerzeit kaum ahnen, welche Mißverständnisse oder, präziser formuliert, gezielte Fehlinterpretationen das in den fünfziger und sechziger Jahren auslösen würde. Die funktionalistische Moderne, ursprünglich erarbeitet um einer höheren Lebensqualität aller willen, kam in der Phase des Wiederaufbaus der Bundesrepublik manch einem Großunternehmen und dessen Vasallen in den Architekturbüros und kommunalen Amtsstuben gerade recht. Was beispielsweise aus der Bauhaus-These der Umsiedlung in die Vorstädte entstand, nannte Bazon Brock: «Architektur als Verbrechen».

Das hohe Maß an Aggressivität dieser, so Brock, «Kaninchenstall-, Legebatterien- oder Pissoirhausarchitektur» ist auch in energiefressenden Industrieprodukten enthalten. Obschon: Wer ist noch nicht der Faszination perfektionistisch gestalteter Produkte erlegen — einer eleganten Hochhaus-Spiegelfassade etwa, der Erotik einer Concorde oder gar einer Rakete. Auch der Kontrollturm eines Kernkraftwerkes, das Röhrengewirr einer Raffinerieanlage, das kinetische Spiel von Computerbändern oder gleisendes Neonlicht können schön sein, können Reize ausüben, die als ästhetisch zu bezeichnen sind.

Wider besseres Wissen ist die Uraltkanone Freie Marktwirtschaft im Einsatz. Doch die frißt jedes aufkeimende Pflänzchen vernunftähnlicher Form auf, okkupiert sofort jeden Selbstgestaltungswillen. Das kulminiert architektonisch in der sogenannten Postmoderne, dem historisierenden Zusammentragen aller möglichen Baustile. Es hat den Anschein, als ob gewachsene optische Formen wie Säule, Giebel et cetera als Bedeutungsträger ausgeschaltet werden sollen, indem man sie in einer für die Baukaufhäuser aufbereiteten Ex- und Hoppfunktion verbraucht.

Nach Meinung der Marktstrategen läßt Kreativität sich auch fördern, ohne daß der Konsumverweigerung Vorschub geleistet werden muß. Gedruckte Malvorlagen, ein riesiges Angebot vorgefertigter Basteleien im Kaufhausdesign — schließlich ist das Geschenk am vom Handel erfundenen beziehungsweise okkupierten Muttertag auch selbstfabriziert, also der eigenen Schöpfungskraft entsprungen (oder auch dem Mißverständnis der ohnehin so nie getanen Äußerung von Joseph Beuys, jeder Mensch sei ein Künstler) und der Kopf somit wieder frei für neue Konsumtaten.

Aus marktpolitischen Erwägungen wird eine private ästhetische Ordnung vorbestimmt. Heraus kommt dabei das, was gemeinhin Geschmack genannt wird. Der mag die eigenen Verhältnisse zunächst befriedigen, den Augenblick des Genusses verlängern, kann aber kein übergreifender Lösungsvorschlag sein. Die permanente Reizüberflutung vernebelt dem Menschen die Wege, die ihn zur Selbsterkenntnis führen könnten. Aufkommender Wille zur Erkenntnis unterliegt im Kampf gegen den uniformen Geschmack. Die Gesellschaft, tanzend um das Goldene Kalb Bruttosozialprodukt, verzehrt sich in Nostalgie, die, nach Wolfgang Ruppert, nichts anderes heißt als «Verklärung der Erinnerung». Sie kulminiert in Trödel, Ramsch und wirklichkeitsverstellenden gigantomanischen Ausstellungen über Monarchien aus aller Welt; wobei hier die ewigen Sehnsüchte derer von unten eine elementare Rolle spielen, eines Tages doch noch in höfische Kreise aufgenommen zu werden.

Und längst hat eine neue Glorifizierung eingesetzt. Gezeigt werden die Anfänge des Maschinenzeitalters — als Vorläufer materiellen Wohlstands. Seriöse Kulturwissenschaftler bemühen sich, Industriekultur aus der Perspektive der Arbeiterschaft zu dokumentieren. Und Kulturpolitiker machen, im Einvernehmen mit der Industrie, daraus ein wirksames Repräsentationsinstrument wirtschaftlicher Macht. Feierlich und geschmäcklerisch wird historische Wirklichkeit zudekoriert, wird nur noch die Schönheit der Form präsentiert. Selbstredend zieht der Handel mit und bietet der postindustriellen Gesellschaft High-technical-Accessoires für Haus und Garten an — Technikgeschichte im Trachtenlook. Der technische Vorgang wird nicht mehr mit ästhetischen Mitteln verstehbar gemacht. Ästhetik als Medium des Menschen, Zusammenhänge geistig (und somit sich selbst) zu erfahren, ist zu einem Objektivierungsmittel für eine kleine Minderheit verkommen. Doch die sitzt im Glashaus und nimmt am aktiven politischen Leben längst nicht mehr teil. Die Kunst wird konsumiert in monumentalen Zusammenschauen von Exponaten, die ihrem historischen Kontext entrissen und so zu Amputaten wurden.

Der reflektierende Mensch hat Angst. Technische Potenzierung seiner körperlichen und geistigen Möglichkeiten sowie soziale Systeme der Existenzsicherung sollen Ängste bewältigen helfen. Dabei wird Kunst zur großen Ablenkung, zur quasireligiösen Ersatzhandlung. Kunst verkleidet und verbrämt eine immer bedrohlichere Wirklichkeit oder zieht sich dort, wo sie aufrichtig ist, aus der Darstellung der sinnlichen Realität zurück. In beiden Fällen gestaltet sie unser Leben nicht mehr, sondern verleiht unseren Lebensängsten Ausdruck.

Doch eine neue Generation hat begonnen, neue Sinn- und Seinsfragen zu stellen. Vielen Menschen bedeutet die Rückkehr zum kleinen geschlossenen Kreislauf weniger neurotische Idyllisierung als neue Werterkenntnis. Doch bei aller Berechtigung einer Bewegung, die sich grün, alternativ oder schlicht Umwelt- und Naturschützer nennt: Es gilt, durch alle politischen Gruppierungen hindurch, einem neuen ideologischen Unwetter zu entgehen — einer neuen Heilslehre, die zur Volksreligion ausgerufen wird. Nicht geschehen darf, was der Kulturpolitiker und Schriftsteller Hermann Glaser die «Betäubung des Logos zugunsten des Mythos» genannt hat.


Heim und Heimat
Von Bau- und anderen Häuslern
Steinbrüche der Formen


Aus: Essay und Kritik — Fragen zur Zeit, Saarländischer Rundfunk (SR 2), Dezember 1983, hier leicht gekürzte Fassung

 
Mo, 31.01.2011 |  link | (2870) | 4 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Form und Sinn



 

Fortschritt durch Rückblick

Die Technik hat sich nicht zuletzt aufgrund fortschreitender Technologie ein wenig verändert in den letzten Jahren. Vor Jahrzehnten begann man darüber nachzudenken, wie man das Ende des Maschinenzeitalters würdig musealisiert bekommt. Der Hauptgrund dieser Initiativen dürfte jedoch vor dreißig Jahren in erster Linie darin gelegen haben, daß die Politiker merkten, daß tatsächlich mehr Menschen in die räumlich geschlossene Vergangenheit blickten als aufs Fußballfeld. Nicht vergessen sein möge: Andy Warhol, der große Philosoph der ausgehenden Siebziger, war es, der feststellte, die Leute gingen immer dann ins Museum, wenn es regne. So bot sich die einmalige Chance, Kultur für alle verständlich zu machen. Und irgendwie einfach abreißen wollte man diese ganzen unbrauchbaren Bruchbuden schließlich auch nicht. Damit hätte man den ganzen Malochern ja Gesicht und Geschichte genommen. Und sich selbst Stimmen. Den aktuellen Stand der fortgeschrittenen Kulturalisierung entnehme man bitte dem Welterbe.

Photographie: Michael Dawes (CC)

Wer nicht weiß, warum ein Auto sowohl mittels Erdöl als auch mit Sonnenkraft bewegt werden, weshalb ein Bügeleisen so schlimm heiß werden und wehtun kann wie das dabei begutachtete Fernsehprogramm und die Energiekrise vermutlich eine selbstgemachte ist, dem kann geholfen werden. Nach Meinung der Politiker am besten im Technikmuseum. Denn das Museum ist das billigste Kulturvergnügen — es kostet ungleich weniger als beispielsweise das Theater.

Kaum ein Bundesland, in dem zur Zeit nicht ein größeres Projekt in Arbeit ist. Und aus den bereits vorhandenen technischen Kuckanstalten soll der Muff, der Vaters Talarblick bis heute anhaftet, endgültig raus. Das wachsende Interesse der Stadt- und Landesväter am Herzeigen technischer Entwicklung kommt nicht von ungefähr. Die Museen erlebten in den letzten Jahren einen schier ungeheuren Zuschaulauf. Von den rund siebenhundert bundesdeutschen Schauen sind zwar nur dreißig reine Technik-Sammlungen, doch in fast jeder Heimatschau wird Technisches vorgezeigt — vom mittelalterlichen Holzpflug bis zur maschinenbetriebenen Hammerschmiede. Ob die großen Automobilhersteller oder die Produzenten von Panzern hart wie Kruppstahl — sie alle haben ihre Vergangenheit, teilweise aber auch Futura kommender Technologien in eigenen Räumen ausgestellt. Und für die neuen Großprojekte haben die Mäzene der Neuzeit reichlich Unterstützung zugesagt.

In Nürnberg plant seit Anfang des Jahres ein Team um den rührigen Kulturdezernenten Hermann Glaser das Museum Industriekultur. Die Frankenmetropole spielte um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts, als in Deutschland das Maschinenzeitalter richtig loslegte, eine führende Rolle in Europa. Als Ausstellungszentrum haben die Planer eine leerstehende Fabrik ins Auge gefaßt. Daneben wollte man 1982 eine große Industrieschau veranstalten. Das bayerische Kultusministerium machte Glaser und seinem Planungsteam freilich einen roten Strich durch die Subventionsrechnung — es vergab die Show nach Augsburg, wo's schließlich auch MANig zugeht. Der eigentlich nicht so streng protestantische SPD-Mann Glaser war mit seiner Vorstellung, Geschichte mal weniger aus der Perspektive der Etage des Herrn Direktor als vielmehr aus der grasigen des Fließbandarbeiters zu zeigen, dem katholischen CSU-Kulturminister Hans Maier offensichtlich zu forsch gestartet.

Weniger Schwierigkeiten haben die Berliner mit ihrem neuen Museum für Verkehr und Technik. Schon 1981 soll in den Anhalter Bahnhof einfahren, was bislang an Technischem in sämtliche Himmelsrichtungen der alten Hauptstadt verstreut ist: vom Kino- über das Rundfunk- bis zum Vergaser- und Verkehrsmuseum alles unter einem Dach.

Auch in Stuttgart sitzt eine Planungsgruppe an einem Museum, in dem die Geschichte des Maschinenzeitalters, Abteilung Baden-Würrtemberg, dokumentiert werden soll. Dreh- und Angelpunkte des Technischen Landesmuseums sind die Chemie sowie der Maschinenbau, die im Musterländle bis heute eine bedeutende Achse bilden.

Im Essener Haus der Technik, das zur Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen gehört, brüten derzeit Fachleute ein Energiemuseum aus, das mit achttausend Quadratmetern Ausstellungsfläche zu den größten seiner Art zählen wird. Wie in Nürnberg steht auch hier der Standort noch nicht fest. Im Gespräch für diesen Museumsgiganten sind Hamm oder die «Stadt der Energie» selbst.

Bis all die neuen Projekte ihre Riesentore öffnen, braucht der Technik-Verrückte freilich nicht zu verzweifeln. Schließlich gibt es das Deutsche Museum in München, seit der Grundsteinlegung 1906 die Alma mater aller einschlägigen Institutionen. Bis heute bestimmt das Motto des Gründers Oskar von Miller die Riesen-Schau: «In diesem Museum darf jeder tun, was ich will.» Aber selbst wer sich eine Woche Zeit nimmt, hat noch lange nicht alle Knöpfe gedrückt, über die der Obermeister der Technik dieselbe erklärt.

Es gibt noch andere Museen, die das Prädikat deutsch führen, etwa das Bergbaumuseum in Bochum, das Schiffahrtsmuseum in Bremerhaven oder das Werkzeugmuseum in Remscheid. Nicht zu vergessen sind so leicht skurrile Einrichtungen wie das Museum für Technik und Musik, die ein wenig chaotische, aber durchaus ernstzunehmende Sammlung von Heinz Panke, Direktor, Restaurator und Führer in Personalunion. Hier funktioniert alles. Die Laterna magica von 1900 zum Beispiel, die noch immer ein rechtes Licht auf das freizeitbetriebene Vergangenheitsarsenal wirft. An die Zeiten, als die Bundesrepublik noch hoffnungsfrohe Hochpumperin des schwarzen Goldes war, erinnert das Museum der Erdölförderung in Wietze bei Celle, wo heute nur noch die Lüneburger Heide blüht. Hier wurde bis 1963 nach dem gebohrt, was jetzt weltweit auszugehen droht.

Eine der interessantesten Sammlungen beherbergt das Westfälische Freilichtmuseum technischer Kulturdenkmale in Hagen. In dem schier endlos langen Mäckingerbachtal ist nahezu alles über die beginnende Industrialisierung zu erfahren. In einem Handwerkerdorf wird wieder gearbeitet wie anno dunnemals: In Goldschmiede, Gerberei oder Sattlerei wird gezeigt, mit welcher Präzision unsere Urgroßväter werkelten. Weitere Attraktionen sind verschiedene Wasserräder, die beispielsweise Öl- und Papiermühle antreiben.

Der Technik-Liebhaber kommt beim kürzlich erschienenen Deutschen Museumsführer für fünfunddreißig Mark nicht ganz auf seine Kosten. Zwar sind alle Sammlungen aufgeführt, wen allerdings nur die technischen interessieren, der muß schweißtreibend fahnden: das Stichwort «Technik» fehlt. Fündig wird man allerdings in Sachbereichen wie beispielsweise Buchdruck und Eisen- oder Stahlerzeugung.

Zumindest die Museumsfachleute könnten sich demnächst leichter Überblick verschaffen Die Bundesregierung hat den Plan zu einem Berliner Institut für Museumskunde auf den Tisch gelegt. Darin soll allles, was in deutschen Landen an Objekten herumsteht, an einen Computer verfüttert werden.


Flohmarkt: Savoir-vivre, 11.1979
 
Fr, 28.01.2011 |  link | (4416) | 8 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Form und Sinn



 

Der schöne Strich

«Jebn Se mal her die Kladde, ick schreibe quer», sagte der melancholische Pseudonomiker und zückte sein Schreibgerät. Wer das bei ihm liest, weiß selbstverständlich, daß es sich dabei nur um eine edle Feder gehandelt haben kann, vermutlich eine von Montblanc.

Photographie: wnd.andreas (CC)

Der Unterschied zwischen einer schlichten Mitteilung und einem von Hand geschriebenen Liebesbrief verhält sich heutzutage wie ein Beförderungsmittel aus digital-elektronisch gesteuertem öffentlichen Personennahverkehr zu einem beschaulicheren Gefährt. Der durch Reklameappli-kationen in der Regel besonders verhäßlichte Kugelschreiber hat die Menschheit nivelliert, und zwar ziemlich nach unten. Wo weder Auf- noch Abstrich sichtbar werden, verliert die Handschrift ihren Charakter, wird aus einem ursprünglich angestrebten Mahl zum Fest ein bei der Nahrungsmittelgroßindustrie erworbenes und immergleichen Hitzewellen ausgesetztes Gemisch aus Widrigkeiten.

Der Börsenjobber, der Generaldirektor, der Illuminator der güldenen zwanziger Jahre, zu denen gleich heute die einen tanzten und die Mehrheit hart ackerte, die fixierenden oder memorierenden Zeitgenossen wie etwa Roth oder Tucholsky, die wären mit einem dieser 1927 aus den Hirnwindungen eines Chemikers namens Bruno von Zychlinsky in die Fabrikation übergegangenen kugelig schmierenden Schreibers undenkbar gewesen. Der Mann von Welt ließ (s)eine Edelfeder Striche ziehen. Und die Dame tat es nicht anders. Solch ein feines Gerät wurde gar vererbt. Über meine Frau Maman erreichten mich auf diese Weise ein von ihr in den späten Zwanzigern in London erstandener Parker sowie ein Burnham.

Heute wüßte ich gar nicht einmal mehr, in welchem der vielen Kartons auf den Dachböden ich suchen sollte, wo sie samt den anderen, die ich mir im Lauf der Zeit auf der Suche nach der verlorenen zugelegt hatte und mit denen ich meine dreißig und mehr Seiten langen leidenschaftlichen Briefe der Liebe geschrieben habe, vor sich hin antiquieren. Doch ich könnte ohnehin nicht mehr mit ihnen kalligraphieren. Irgendwann hatte ich nämlich begonnen, noch jeden Notizzettel maschinell zu beschriften. Und als mich nach dem Eintritt ins Computerzeitalter mit einem Mal wieder die Lust wenigstens am schönen Schreiben überkam, war die Handschrift dahin. Es war offensichtlich: Das Laufen, das Schwimmen oder das Radfahren verlernt man nicht, der schöne Tintenstrich hingegegen wird zum auslaufenden Modell. Mit viel Mühe wurde im Lauf weiterer Zeit und quasi im Zug einer Reha-Maßnahme aus einer einstmals flotten und stolz aufgerichteten hohen Schrift *, die ich vermutlich ebenfalls von Frau Mutter geerbt hatte, ein nach rechts geneigtes, geradezu bieder wirkendes Gekrakle mit kaum noch sichtbaren Höhen und Tiefen, bei dem die Erbmasse des naturwissenschaftlich orientierten Vaters zu obsiegen schien. Und das alles — das ist die eigentliche Tragik — nur noch mit (weichem!) Bleistift. Es hatte sich ausgekleckst.

«Die rechte Hand wird wie ein Tanker in den Hafen gezogen von Lotsen. Die schwere starre Hand. Die bedrückend kalkige Hand. Die Gipshand, die Frustrierhand, die Hand an der Amtskette, weiß von Frustration, die Hand die schreiben kann, die aber von Anfang an nicht zum Schreiben begabt war. Nicht zum Schreiben, nicht zum Stricken, die fleißige Hand, die Schönschreibhand, die 5. Kolonnenhand, aber natürlich auch die Sublimierhand. [...] Auf der einen Seite die Frustrier- & Kulturhand, auf der anderen das Händchen.»


Jochen Gerz' Spiegelschrift in Die Schwierigkeit des Zentaurs beim vom Pferd steigen

 
Mi, 22.12.2010 |  link | (4060) | 1 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Form und Sinn



 







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