Während der Retsinataucher

die Warenweltwirtschaft des mittleren Meers gefährdet, da er sämtliche Bierventile geöffnet hat und sich dann wundert, daß auch vorm Hades ein Kontrolleur steht und Gebühren verlangt für die Benutzung der (Daten-)Autobahn heim ins Reich, muß unsereins mühsam im Festland graben. Aber ich habe die alte Seite der harten Linie schließlich ausgebuddelt, trotz aller eingebauten Suchcodierungen in Form verfälschender Datierungen.

So will ich anhand eines Versuchs dieses erklärten Solipsisten nach, nenne ich's mal so, stirnerscher Gebrauchsanleitung, über die Zusammenhänge von Christentum, Kapitalismus und Wissenschaft auf dieses wohl einzigartige Machwerk hinweisen, bei dem so manche wunderbar aus der Verfassung geraten dürften. Möge es nicht nur dem seines Franken-reichs beraubten Ighor F. Bergher ein wenig Linderung verschaffen und ihm erheiternd den Tag eröffnen, bei gebührenfreiem Eintritt.

«[...] Das was Max Weber in seiner Untersuchung der Entwicklung des Kapitalismus und der prothestantischen Ethik schon 1900 festgestellt hat, feiert derzeit — ich hoffe — seinen Höhenflug. Ganz kapiert hab ich's noch nicht ... wir sind frei in unserem Tun (weitab von der evangelischen Mutterkirche) und durch unsere kräftige Einmischung in den kapitalistischen Prozeß und den uns daraus beschiedenen Erfolg bezeugen wir den Willen Gottes und unsere ... Nähe zu Gott? baldige Erlösung? Das ist religiös fundamentierter, deterministischer Kapitalismus. Das ganze verbunden mit der Enteignung der Menschen wird es nicht mehr lange dauern und wir schießen die Arbeitslosen zur Glaubensprüfung ins Weltall. Wer nicht zurückkommt hat Einlass oder den Glauben nicht gefunden. Bei so einem Ausflug fühlt man sich wie eine Spermie, denn nur wenige finden Einlaß. [...]»

Freiheit oder Determination
 
Fr, 08.11.2013 |  link | (13643) | 8 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftsspiele



 

Von der Maas bis an die Memel,

von der Etsch bis an den Belt.

Einige Tage bevor ein Kanzelminister typischen deutschnamens Pofalla wohl stellvertretend für alle erdenklichen Politiker der Europäischen Union die Angelegenheit ein für alle Male als erledigt bezeichnete, referierte im Fernsehen etwa eine Stunde lang ein Herr, der seit Jahrzehnten die Praktiken der Geheimdienste aller Herren Länder verfolgte, sie untersuchte und darüber auch ein Buch veröffentlichte. Seit Adenauers Zeiten sei Horch auch in der BRD gängige Praxis, das sei jedem einigermaßen informationswilligen Bürger nicht nur des freien Westens hinlänglich bekannt, ebenso die Tatsache, daß es seit Jahren der Internationale der Ab- und Aushorcher möglich sei, kodierte Mitteilungen per Mobiltelephon oder eMail et cetera zu entschlüsseln; größtenteils hätten etwa soziale Dienste, auch bekannt unter der Bezeichnung Netzwerke, jene, die sich mittlerweile darüber beklagen, sie seien ebenfalls abgehört worden, sowie an den Börsen notierte mehrwertorientierte Neumedien-gesellschaften bereitwillig zum Entkodierungsrätsel beigetragen. Dabei hätten die deutschen und anderen europäischen Lauscher sich stets an die Gesetze gehalten, angezapft worden sei jeweils außerhalb des Gebiets des vereinigten Europas.

Man hat diese Aufzeichnung einer Hörfunksendung des Südwestdeutschen Rundfunks notgedrungen auf einen Sendeplatz um drei Uhr früh gesetzt; vermutlich war die Hauptsendezeit durch andere Tatorte belegt. Leider steht mir die Aufzeichnung nicht mehr zur Verfügung; der der sozialen Gemeinschaft äußerst dienliche Vertrag zwischen privatwirtschaftlichen Zeitungsverlagen und öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten hat sie im Nirgendwo verschwinden lassen.

Glücklicherweise haben seit den Aufklärern Denis Diderot et all noch einige ihrer Art überlebt. Einer von ihnen hat vor ein paar Tagen festgestellt: «Merkels Handy soll abgehört worden sein. Seit 2002. Oh Gott! Was für eine sensationelle Neuigkeit?» Eine Einführung in die

Politische Wissenschaft.
 
Sa, 02.11.2013 |  link | (8290) | 6 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftsspiele



 

Ein letztes Lächeln in die Ermitage

Rund dreißig Jahre ist es her, da ging ein guter Bekannter, heute würde man ihn bei Gesichtsbuch einen Freund nennen, ein Kollege in den Ruhestand. Ich schätzte ihn sehr, er war der einzige Sachse, dessen Dialekt in meinen Ohren keinerlei Mißklang erzeugte, wohl auch deshalb, da er ihn konstant mit diesem Mutterwitz seiner Region sprach, dessen Schwester eine köstliche Ironie zu sein scheint. Lange Zeit war er zentrale Anlaufperson eines Unternehmens, das sich der Kunst- und Kulturförderung, ein Begriff, der heute ausnahmslos in dem des Sponsoring aufgegangen ist, das den Mäzen nicht mehr kennen will, da der nicht ausreichend Werbewirksamkeit erzielt, verschrieben hatte. Ein außerordentlicher Fachmann war er, der in jungen Jahren nach seiner Übersiedlung aus der DDR sein kurz vor der Vollendung stehendes Studium der Kunstwissenschaften dann in der Fakultät Kunstgeschichte in der BRD fortsetzen wollte. Es kam aber über die Immatrikulation nie hinaus, wurde er doch quasi in eine berufliche Laufbahn als Vermittler und Berater hinausgeschossen, auf Umlaufbahn geschickt wie ein Satellit, ein Sputnik eben, einer aus dem Osten mit einer geradezu herausragenden Ausbildung, reich an Kenntnissen der Kultur, dem keine Verbindung zwischen den Disziplinen verborgen blieb; es war noch eine andere Zeit, in der im Westen der Anschluß an die Welt der Arbeit rascher vonstatten ging als heutzutage. Sein Werdegang nahm seinen Anfang als Berater von Galerien und Kunstsammlern, das in Deutschland ansässige US-Unternehmen versicherte sich bald seiner Dienste. Fortwährend reiste er durch die Lande, es gab kaum eine Veranstaltung, zu der er nicht eingeladen worden wäre. Er nahm sie allesamt an, soweit es seine Zeit zuließ. Auffällig war dabei, daß er nicht allzuviel Freude an den begleitenden Partyplappereien hatte. Bereits bei Vernissagen fiel er, in kleiner Runde ein ungemein unterhaltsamer Plauderer und auch Diskutant, durch Zurückhaltung auf. Das dort übliche Herumgereichtwerden war ihm unangenehm. Wirklich wohl fühlte er sich lediglich unter Künstlern, welcher Art auch immer, am liebsten saß er mit anderen am Tisch, gerne in einem Restaurant, im Wirtshaus, in der Kneipe. Das persönliche Gespräch, beileibe nicht nur unter Gleichgesinnten, erfüllte ihn weitaus mehr als seine im Lauf der Zeit ihn immer mehr beanspruchende Aufgabe seines Auftraggebers, zu vermitteln zwischen Leihgebern, welcher Art auch immer, und Geldmachern. Die obere Etage der Sponsoringgesellschaft behagte ihm nicht sonderlich, die dächte, meinte er einige Male, immer nur an eines, an die sogenannte Erotik des Mammons, der dekorierenden Umgebung, an Innenleben zeige sie kein wirkliches Interesse.

Der bekannte Tabakwarenhersteller zog sich aus der Förderung der bildenden Kunst zurück und wandt sich zukunftsorierentiert jüngerem Publikum, der populäreren Musik zu. Da sah er sich bereit für den Ruhestand. Versorgt war er, seine Lebensart war keine des ihn umgebenden Luxus und Moden, die verdienten Honorare waren gehortet worden, seinerzeit nannte man solches Sparen, der Strumpf war gut gestopft, Zukunftsängste kannte er nicht. Lediglich eines fürchtete er über alle Maßen: abgeschnitten, ausgeschlossen zu werden von dem, das Kunstbetrieb genannt wurde und wird, er suchte sein Heil in einem für seine leicht unterkühlte Art, heutige Weltkenner würden sie vielleicht als very british erkennen, nahezu leidenschaftlichem Engagement für Berlin als Bundeshauptstadt, als künftige Metropole Europas. Als ein wenig wehleidig belächelte ich ihn, es war mir nicht vorstellbar, daß ausgerechnet er aufs Abstellgeleis geschoben würde. Doch tatsächlich sparten die zuvor übereifrigen Gastgeber von Veranstaltungen nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses geradezu schlagartig die Einladungen ein. Als Bindeglied zwischen Kunst und Geld war er ausgesondert worden. Als Gefährten, die ein Stück des beruflichen Wegs gemeinsam gegangen waren, trafen wir uns noch hin und wieder, wobei ich ihm darüber zu berichten hatte, was sich so tat am Rand des Laufstegs um die Künste. Auch mir, der ich mich, wenn auch sehr viel später gänzlich freiwillig aus diesem oberflächlichen Gewusel, das ich ohnehin als artverwandt mit Freundschaften nach den «modernen» Kriterien des Gesichtsbuchs gleichsetze, zurückgezogen habe, war er, ein wenig dieser Logik unterlegen, ebenfalls aus dem Blickfeld geraten. Nun wurde mir in meine Eremitage weitab der Kulturevents zugetragen, er sei völlig vereinsamt dahingegangen. Vergessen auch von mir. Aber sein sächsisch humoriges Lächeln ist mir geblieben.
 
Mi, 10.10.2012 |  link | (2261) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftsspiele



 

Die öffentliche Hand

Sollte ich noch wirrer als sonst sein, führe man das getrost auf ungesundes, aufgeklärtes Leben bis zum Alter zurück.

kann viele Aufgaben nicht mehr wahrnehmen. Sagt sie, die offene Hand, aus der sich so viele bedient haben und bedienen, indirekt auch diejenigen, die daraus ihre Gewinne, wie das neuakademisch volkshochschulisch heißt, generieren. Nun, da der löchrige Schirm gerettet werden darf, da er lediglich noch aus einem Loch besteht, wird erst gar nicht mehr darüber nachgedacht, wer oder was es gerissen haben könnte. PPP wurde zu Zeiten angesetzt, als es noch nicht wirklich Anlaß dazu gab. Es waren die unentwegten Privatisierer, die das immer betrieben haben. Datiere ich es jetzt mal assoziativ zurück in die Zeiten, in denen Frau Thatcher zum Sturm auf die Bastion einer geregelten Finanzwirtschaft geblasen hatte. In den Folgen meinte manch ein von der Freiheit des Monetären beseelter Kleinstadtpolitiker, wo auch immer, in der gemeinsamen Tätigkeit mit allen möglichen Geldgebern, die behaupteten, sie fühlten sich qua Eigentum der Gemeinschaft gegenüber verpflichtet, einen Verein gründen zu müssen, der die Steuersäckel zu «erleichtern» vermochte, was auch geschah, indem auch die Sparstrümpfe dünner wurden. In der Fortsetzungsgeschichte fällt mir dazu beispielhaft die Aufforderung an Griechenland ein, aber auch wirklich alles zu verhökern, mit dem sich trödeln läßt. Wenn alles in die private Hand gelangt ist, dann hat die öffentliche nichts mehr, das sie gesunden ließe.

Womit wir bei der Marginalie zur Gesundheit wären, die mir bei der Gelegenheit einfällt. Was in den selteneren Fällen angegriffen wird, da findeln sie sich eher via EiPhone zu einem Blitzkriegmob gegen die GEMA zusammen: die pharmazeutische Industrie, dieser andere Gewinnmoloch. Da geht man lieber auf die Ärzte los. Dorf- oder Kinderärzte verdienen eben nicht unbedingt allesamt hunderttausend Euro und mehr jährlich bei sechzig, siebzig, achtzig, so manches Mal end- oder ruhelosen Wochenstunden Arbeit. Die Landärztin, die sich um ihre Patienten sorgt und ihnen lange zuhört, erhält oft genug gegen die hintere Mitte eines Quartals überhaupt kein Honorar mehr, da sie ihren Etat überzogen hat. Eine meiner guten Bekannten bittet immer wieder mal darum, ein von anderen dringend benötigtes Medikament bei anderen verbuchen zu dürfen. Es sind beispielsweise die Radiologen mit ihren ebenso von einer anderen Industrie preisbestimmten teuren Gerät-schaften, die es sich leisten können, immer wieder neue Geräte wie auch die mit dem beSUVten Stern zuzulegen. Und was ist mit den gesetzlichen Krankenkassen? Sie zahlen den Ärzten eben teilweise nur wenige Minuten für eine Behandlung. Die privat Versicherten erhalten mehr Aufmerksamkeit, sprich Zeit, sprich Geld. Aber im Alter sind auch die Alten oftmals ratlos, wenn die entsprechende, über die Rente hinaus abgeschlossene Lebens- bis hin zur Krankenversicherung nicht ausreicht für eine sorgloses Restdasein. Die Völker werden doch auch in der Gesundheit oder der Altersversorgung auf geradezu perfide Weise auf Privatisierung hin getrimmt, die müssen das doch für «normal» halten. Weshalb geht denn so gut wie niemand mal auf die Straße gegen diese Machenschaften aller möglichen, nenne ich sie mal seltsamen Vereinigungen? Man darf dafür ruhig auch sein EiPhone benutzen. Wie bei allden frühlingsartigen Revolutionen der Neuzeit.

Ich habe wahrlich nichts gegen Eigentum. Aber das ist scharf zu trennen von dem der Gemeinschaft. Vor Jahrzehnten habe ich gegen das US-amerikanische System beispielweise in der Kunst- und Kulturvermittlung gewettert. Es war klar, daß mal wieder niemand auf mich hören würde, der ich behauptete, die reichen Amis würden nunmal keine Steuern für cultural events zahlen, weshalb sie auch Geld reinstecken müßten dafür, hier aber erledige das die Gemeinschaft, die damit die Freiheit der Kunst vor dem Diktat des Geldes erhalte. Heutzutage geht nahezu nichts mehr ohne den Einfluß sogenannter Sponsoren. Längst üben sie, ich habe es kommen sehen, erheblichen Einfluß, ja Macht durch die Hintertür aus, indem sie Lehrstühle, letztendlich also die darauf Sitzenden bezahlen, Laboratorien, auch die des Geistes, finanzieren. Das ist dasselbe wie mit den Wasserspielen. Bildung ist ist ein Grundnahrungsmittel, das nicht den Gesetzen eines dubiosen Marktes unterworfen sein darf. Wohin Deutschland, aber auch andere Länder mit der Bildung geraten sind, wird ersichtlich, wenn man sich der verkürzten, auf «Effizienz» zielenden Studienzeiten vergegenwärtigt.

Man will meines Erachtens offensichtlich keine eigenproduzierten Gedanken aufkommen lassen, die möglicherweise darin münden könnten, es gäbe eventuell noch Angenehmeres, als sich für irgendwelche Firlefanzereien abzuarbeiten. Gäbe es den in den letzten zwei, drei Jahrzehnten in Mitteleuropa, Deutschland, geh' du voran, extrem vorangetriebenen, allein darauf ausgerichteten Konsum nicht, würde sich möglicherweise manch einer griechisch oder auch levantisch einfach aufs Stühlchen unter den etwas anderen Schirm setzen, unter den, der vor allzuviel Sonne schützt. Aber das wird's sein, man hat zuwenig Sonne, dafür zuviel protestantische Arbeitsmoral.

Ich weiß, ich wiederhole mich. Aber wie ich's Ihnen heute früh ins Poesiealbum geschrieben habe: Es gibt so manches, das man, bevor ich jetzt dann mal weg bin zu Frau Braggelmann, gar nicht oft genug sagen kann, auch auf Seite eins, wo ansonsten zunehmend mehr Belanglosigkeiten Platz nehmen, in diesem Wartezimmer der Privatmenschen, die in der Antike Idiotes hießen und die wohl in der Sehnsucht nach dem guten Alten dort heutzutage wieder so gerne viele bunte Bildchen kucken. Genau, wenn mir danach ist, wenn ich derartige Visionen habe, gehe ich, wie der Allesgesunder namens Herr Schröder Deichgraf und Sintflutretter namens Schmidt empfahl, zum Arzt.
 
Sa, 15.09.2012 |  link | (3258) | 19 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftsspiele



 

Sittlichkeiten. Nackedeierei zwei.

Als Folge der Nackichtmachung und damit zugleich eine Antwort auf Nniers Kommentar.

Das zwanghafte Gerede. Ich hatte nie den Eindruck, als ob dabei etwas, nenne ich's mal so, Vernünftiges herausgekommen wäre. Es blieb, wie auch immer das Gespräch ingang gekommen war, im Dunklen. Entweder, es war Stammtisch oder Männerwitz und damit quasi ein- und daselbe, oder es wurde in einer Weise problematisiert, bei der nicht minder das Lächerliche im Sinn von Hilflosigkeit zutage trat. Und bis heute hat dieser mein Eindruck sich nicht geändert, Zufällig switchte ich gestern abend in Frau-TV hinein, wo man die immerfrische und allzeit locker-gelöste, als wäre sie Moderatorin beim privaten oder öffentlich-rechtlichen, doch das ist längst ein- und dasselbe, Frühstücksfernsehen, Frau Lisa feststellte, in fünfundfünfzig Jahren WDR hätte man noch nie einen Beitrag zu Länge und Breite und Höhe des Penis' veröffentlicht, aber sie täten(n) das jetzt, sie und Frau-TV. Ganz wie nebenbei erwähnte sie noch löblich den, in etwa, einzigen Mann, der ohne Frauenzwang freiwillig regelmäßig diese Sendung genieße, und er dann, ja, mit dieser Lebenshilfe sei man in der Lage, sich in die Denkweisen der Frauen an sich einzufühlen. Bei alldem kuckt die Verklemmtheit aus allen erdenklichen Löchern. Da kommt das Gefühl in mir auf, Oswald Kolle könnte wesentlich fortschrittlicher gewesen sein in seiner Herangehensweise, die im übrigen seinerzeit eindeutig als Pornographie deklariert worden war, und zwar von jener breiten Öffentlichkeit, die heute kichernd über Schwanzformate redet, also nicht etwa spricht, ist doch kein kommunikativer Austausch zu erkennen, an deren Haltung also sich meines Erachtens nichts wesentliches geändert hat. Sexualität ist und bleibt ein Tabu. Daß Jugendliche oder gar Kinder heutzutage auf diese Weise «aufgeklärt» werden, wird daran auch nichts ändern. Meine Vermutung geht dahin: Es wird sie nicht entklemmen, eher noch mehr verunsichern. Pornographie ist eine andere Welt, die der sogenannten Erwachsenen, wer immer das sein mag, nach welchen Kriterien und von wem auch immer die Pflicht- sowie auch die Kürbewertung für diesen gesellschaftlichen Eiskunsttanz aufestellt werden. In diesen Stand gelangt nämlich nur, wer Erfahrungen macht, die niemandem anerzogen werden können. Ein Besteck richtig und dabei den Rücken gerade halten zu können, das mag man bei den selbsternannten Erben Knigges lernen. Was der alte, wahrhaftige Freiherr mit Haltung gemeint hat, ist eine andere Art von Benimm, das sich erst mit den Zeiten heranbildet, dessen Abstraktion Kinder noch nicht nachvollziehen können, auch die nicht, die ihnen der Norm gemäß ihre Lehren erteilen

Jedenfalls sind das meine, meine guten Erfahrungen, die ihren Anfang in der Dunkelheit einer vom freien Leben nicht eben erhellten Frau ihren Anfang nahm. Es ergibt sich im Lauf der Zeit, daß ein Licht aufgeht, daß einem gegebenenfalls ganze Kronleuchter aufgehen. Denn nicht diese Art Aufklärung wird die Menschen freier machen, darüber zu sprechen, sondern das Freilassen des Geistes. Ich habe dabei nicht die Absicht, Psychologen in die Arbeitslosigkeit entsenden zu wollen. Doch ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, sie zerredeten im Rahmen der ihnen vorgegebenen Normenvorgaben mehr, als daß sie Probleme lösten. Wenn man darüber sprechen möchte, dann sollte es auf eine Weise geschehen geschehen können, als ob man übers Essen spräche, nicht wie mit dem Nachbarn übern Gartenzaun übers Wetter, doch durchaus leicht, aber eben über Inhalte des Lebens und dessen Mittel. Aber wer nicht die Möglichkeit fand, einen Geschmack heranzubilden, weil ihm dazu nie Gelegenheit gegeben wurde, der wird über Geschmack nicht einmal reden können, der wird immer auf der unteren Ebene bleiben, etwa der der ansonsten zu sich genommenen Nahrung etwa vom Discounter, bei dem die Nahrung lediglich einen Wert für die Gewinnzone der Anbieter hat. Da verhält es sich meines Erachtens nicht anders als mit der anderen Aufklärung. Wer in der bibila pauperum «liest», dazu gezwungen ist, gleich dem Anschauen einfacher Bilder, der wird nie im Siècle des Lumières ankommen. Zwar wird der eine oder andere sich als moderner Mensch bezeichnen, aber erleuchtet ist er von Energiesparlampen, die schlechtes Licht abgeben und zudem hochgiftig sind. Die Faktoren sind ihm zwar allesamt bekannt, dennoch bleibt er brav im Laufstall und gedenkt nicht aus dem auszubrechen, dessen Regeln er durch seine Kreuze unterschrieben hat und die er immer wieder an die gleiche Stelle setzen wird. Als von oben Gebildeter wird er bis an sein Ende seufzen: Welchen anderen Gang soll ich denn nehmen? Das ist schließlich mein Kreuzweg.

Von welchem Belang das Thema ist und welche andere Faktoren damit hineinspielen, zeigt die für meine Seitenverhältnisse ungewöhnlich hohe Einschaltquote. Das mag auch mit an dem Titel liegen, der unzweifelhaft auf Eindeutiges hindeutet, aber ich als Wallenstein kenne meine Pappenheimer so gut, um zu wissen, was beinahe ein jeder so mit sich herumschleppt in seinen Gedanken. Ich führe das zu großen Teilen darauf zurück, das sich gestern am frühen Abend nach unseren Gesprächen über Golf und die Welt in den Worten der einzigen anwesenden Frau äußerte: Sie sei von Geburt an evangelisch. Da bin ich dran an dem von mir immer wieder angeführten wesentlichen Punkt. Es wird erst gar nicht angezweifelt, wohin man gehört. Und in dieser Familie gleich Gemeinde ist man von Anfang an Regeln, sprich Geboten unterworfen, die keine andere Sichtweisen zulassen. Ich mag als zwar kultiges, aber immerhin fröhliches Beispiel die Bacchanten anführen, in dem dem freien Spiel der Liebe und allen Bei- und Zugaben gefrönt wurde, das nicht nur mit Einführung sittenhafteren Benehmens durch die Römer aufgelöst, sondern das später durch einen einzigen Gottesbefehl ausgelöscht wurde. Wir sprechen heutzutage beispielsweise über Hetero- und Homosexualität, als ob das ein Problem wäre, das erst mit der Moderne eingeführt worden sei. Gleich den Künsten der Ärzte in der Antike, Jahrhunderte war deren Wissen verschwunden, aus welchem Grund auch immer, die weitaus mehr wußten und demgemäß handelten beziehungsweise behandelten, als viele unter uns auch nur erahnen, ging all das unter in einem Geist der absoluten Reduktion, das einem Nichtwissen gleichkommt. Es spiegelt sich vortrefflich im derzeit so überbeanspruchten Begriff der sogenannten Sparsamkeit, geboren nicht etwa aus materieller Armut, sondern ist hervorgegangen aus einer in diesem Zusammenhang fast schon strahlend zu nennenden Opulenz jener Biederkeit, die in einem schwäbisch-uckermärkischen oder auch schwedischen oder andersähnlichen Pietismus wurzelt, der myzellisch, also unterirdisch die Gesellschaft durchwächst und deren Leben bestimmt. Homosexualität beispielsweise drückt sich innerhalb unseres aufgeklärten Bemühens beispielsweise im Recht auf Gleichstellung christlich normierter Paarbildung aus. Alle anderen sexuellen Neigungen laufen hingegen Gefahr, als Straftatbestand verfolgt zu werden. Bereits Bisexuelle gelten als pervers, auf jeden Fall als nicht «normal». Letztendlich werden sie diskriminiert. Greift dort das gerade mal sechs Jahre junge Gesetz, geschaffen von Erwachsenen mit dem Recht, über andere zu urteilen?

Man könnte meinen, ich sei gestern in den Zuber voller Weingeist gefallen. Nein, ich bin bei vollem Bewußtsein.


Ich setze meine Überlegungen zum Thema, zum Aufgehen der Sexualität im Kapitalismus morgen fort, oder aber übermorgen oder überübermorgen, denn es sind Temperaturen abgekündigt mit einer Schwüle, bildhaft darstellbar mit der allenthalben so beliebten, aber dennoch geistigen Regularien unterworfener Verklemmtheit, bei der mir jede Lust vergeht. Da werde ich allenfalls dem köstlichen Laster des Baumelns der Beine am Bach frönen.
 
Fr, 17.08.2012 |  link | (2475) | 8 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftsspiele



 

Sehnsucht nach Differenz,

bester Jagothello, wurde tatsächlich 1999 verfaßt, jedenfalls steht es so bei Lettre zu lesen: Sommer 1999. Es gesondert zu vermerken, das schien mir nicht notwendig. Unter Berücksichtigung von Produktionszeiten und was sonst noch dazugehört im Betrieb solcher Publikationen, die obendrein ohnehin nicht von allzu umfangreichem Personal begleitet sein dürften, ist es denkbar, daß Benvenuto den Essay auch früher geschrieben hat. Für mich, der ich das aus den USA kommende Geschehen immer einigermaßen im Blickfeld hatte, nicht zuletzt wegen übriggebliebener Verwandtschaft, und sei es geistiger, ist das auch unerheblich, denn es dient mir in erster Linie als Erinnerungs- oder Erweiterungskrücke. Dennoch kamen mir, als ich, der ich mich auch Frankreich betreffend für einigermaßen gut informiert hielt, aus Rick Fantasias Aufsatz Amerika in unseren Köpfen in Le Monde diplomatique Neuerungen entgegen, die offensichtlich aus des Soziologen Erfahrungsschatz stammten, die bis 1985 zurückreichten. Und auch die hier im Vorfeld meiner Links-rechts-Drehungen bereits erwähnte Akte Henry Kissinger aus Lettre International, die mich dann doch recht erschütterte, dürfte ncht an einem Tag gebaut worden sein.

Mir jedenfalls hilft es, die Ereignisse immer wieder mal abzurufen und sie durch «eigenes», letzendlich auch wieder aus anderen Quellen, nenne ich sie mal vertraulichen Charakters, erhaltenen Wissens, zu ergänzen. Es geschah bis zur Jahrtausendwende ja selten genug, tiefer in den Morast einsteigen zu können, da einem die gängigen Medien ein solches Schlammbad in Informationen nicht gönnten, obwohl sie es durchaus hätten tun können. Oder vielleicht auch wieder nicht, weil es dem Einen oder der Anderen aus der Zunft des investigativen Journalismus untersagt gewesen sein mag, allzu offenherzig zu sein. Es waren immer irgendwie unabhängige Publizisten, die bereit waren, sich weit aus dem Fenster zu lehnen, wobei sich zugestandenermaßen häufig Forscher darunter befanden, die befreiter aufschrei(b)en konnten, da sie entsprechenden Rückhalt hatten, der eben nicht allein nach dem US-amerikanischen, von der Wirtschaft dirigierten Prinzip der Nützlichkeit dirigiert worden war. Und es hat den Anschein, es könnte bei diesen Status quo geblieben sein, wenn heutzutage auch weitaus mehr ans Tageslicht kommt als noch vor zehn, zwölf Jahren. Aber man ist nach wie vor auf entsprechende Post angewiesen. Um so bedauerlicher empfinde ich es, daß, wie gestern hier erwähnt, wenn sich jemand aufmacht, im Stil einer Online-Zeitung «unabhängig» zu berichten, letztendlich doch nicht mehr dabei herauskommt als beliebige, bloggerübliche Polemisiererei, bei der erst gar nicht der Versuch gemacht wird, über die üblichen Informatiönchen hinauszugelangen. — Eine, gemäß meinem Verständnis von Kürze entsprechende Anmoderation.

Ich stimme Ihnen absolut zu. Benvenuto dürfte heute weitaus radikaler geschrieben haben, oder es hätte zumindest zwangsläufig radikaleren Inhalts sein müssen, hat uns der bildungstechnische Utilitarismus doch längst voll im Griff. Das Apodiktische sei mal dahingestellt. Der zehn Jahre junge Bologna-Prozeß wurde ja gerade gebührlich still und leise bejubelt, etwas lauter allenfalls von denen, die daraus ihren Gewinn ziehen, etwa die Arbeitgeber, die über einen Bachelor rascher an die heiß ersehnte sogenannte Fachkraft kommen, und sei es, daß die junge Bachlorantin, die wie eine Verrückte, bis hin zum jugendlichen Ausgebranntsein, das nicht einmal Zeit ließ für überlebens-notwendige Jobs beim Einsortieren von Waren beim Billigheimer, der bereits seine Stammkräfte lebensunwürdig bezahlt, prächtig auszuschlachten ist in noch 'nem Praktikum in der Werbeagentur, die den Markenkonsumismus bewirbt. Unlängst erklärte mir ein, ach ja, Kunsthändler, aber einer von der umfangreicheren Art, er könne mit diesem Bacholores nichts anfangen, da sie in der Regel nicht einmal einen Anflug selbständigen Denkens mitbrächten, er aber brauche das, da er sonst alles gleich selber machen könne, denn Hilfe sei ihm dieses hilflose, semitheoretische Herumhantieren in der Logik keine, manche verwechselten das mittlerweile mit der aus dem Militärischen stammenden Logistik. Da greife er lieber zu bei Absolventen des an sich schon kuriosen Studiengangs allgemeine Kulturwissenschaften, die wüßten zwar auch nicht sonderlich viel von Kultur und gleich gar nichts von Wissenschaften, aber das seien verwert- und verwendbare Ansätze. Ihm sei allerdings grund-sätzlich jemand, der sich im Laufe eines Studiums ausführlich mit der Materie befaßt habe, angenehmer, die Praxis im Berufsleben stelle sich bei Menschen rascher ein, die das Denken gelernt hätten, sie seien letztendlich effektiver, meinet-, seinetwegen effizienter einsetzbar als diese verlängerten Pennäler. Da lege er gerne einen Dollar drauf.

Ich bin davon überzeugt, daß es diese global operierenden Konzerne sind, die eine entscheidende Rolle in diesem System spielen, die es, ja, nicht nur fördern, sondern es sich ausdenken, begründen, um die Menschen zur Hochzeit ihrer Leistungsfähigkeit besser nutzen zu können. Nützlich-keitsprinzip unter dem Deckmantel der Identifikationsmöglichkeit für Ich-Suchende im Kreis der Familie genannten Firma. Im Alter von vierzig Jahren sind sie dann ausgelaugt und kommen in die Abstellkammer Psychatrie, einer Berufsgruppe, die dann auch nochmal reichlich Gewinne dort heraussaugt. Auch das ist meines Erachtens typisch US-amerikanisch, das in nächster zeitlicher Nähe auch den Süden des Kontinents okkupieren wird, die Ausbeuter nicht nur der Bodenschätze sind bereits anwesend. Man will keine mündige Menschen, die in der Lage sind, selbständig zu denken. Denn es könnte zur Folge haben, daß diese diesen Rummel um den Konsum, der die kulturellen Unterschiede bis zur Unkenntlchkeit auflöst, nicht mitzumachen bereit sind. Dann wären all die schönen Gewinne dahin. Ja, das ist Ur-US-amerikanisch, nur zu gerne übernommen mitten in Europa und längst auch in Asien. Und es scheint weiten Teilen der Völker gut zu gefallen, wie die Nominierung des, fast steht es zu befürchten, kommenden US-Vize-Präsidenten andeutet. Andererseits, die dortige demokratische Partei als politisch «links» einzuordnen, wie das in Europa häufig geschieht, halte ich für ebenso waghalsig wie diesen Kapitalismus, der von den meisten Republikanern und durchaus auch von Demokraten propagiert wird. Warten wir's ab, wie lange es noch dauern wird, bis die Monsantos und wie sie sonst noch alle heißen, sich auch das Recht auf menschliches Leben werden patentieren lassen. Bei den Tieren, also nach der Devise Fleisch ist mein Gemüse, geschieht das bereits mittels Klonen. Verfügten die Bevölkerungen, ob in Frankreich oder in Deutschland oder in den USA oder sonstwo, wobei es mir in Mutti Merkels Land bald so heftig zu sein scheint wie bei unseren amerikanischen Freunden, über umfassendere Ausbildungen, sie würden diesen Tanz ums goldene Kalb nicht mittanzen.

Ach, ich bin ein offenbar hoffnungsloser Romantiker, der entgegen seiner ständigen Verlautbarungen des Nichtglaubens, dann doch glaubt, daran möglicherweise, wie gut alles hätte werden können, hätten die Deutschen die Care-Pakete zurückgeschickt und den Marshall-Plan verweigert. Dann klaffte vermutlich heute nicht so eine riesige Schere zwischen arm und reich, vor allem aber zwischen geistiger Armut und nach wie vor erstrebtem Glück durch Schein. Aber der Romantik gegeben ist nunmal, jedenfalls im weit verbreiteten Verständnis, der Glaube, meinetwegen an das Gute im Menschen. Hier zitiere ich gerne aus der Erklärung von Wikipedia: «Abwendung von der Antike und von klassischen Vorbildern», außen glanz- und prachtvoll, innen aber hohl. «Das heißt, die mit dem Terminus Romantiker bezeichneten Autoren erschließen sich Themen aus ihrer eigenen Kultur und Geschichte und wenden sich ab von klassischen Formen, was aus der nachträglichen und historischen Perspektive die Vorliebe für eine fragmentarische Schreibweise in der Romantik erklärt. Die Hinwendung zur eigenen Kultur bedeutete zugleich eine stärkere Hinwendung zur Sagen- und Mythenwelt des Mittelalters.» Aus dieser geographisch dem Süden zuzuschreibenden Epoche stammt auch der von mir immer wieder erzählte Roman: ziemlich lang und voller Mythen. Die jedoch, das sei abschließend angemerkt, nichts anderes bedeuten als Überlieferung, erzählte alte Welt. Und Mittelalter paßt auch gut. Ich bin ungefähr mitten im Alter. Im Jüdischen gratuliert man mit den Worten zum Geburtstag: Bis 120. Wenn ich auch nicht daran glaube.
 
So, 12.08.2012 |  link | (6489) | 13 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftsspiele



 

Links- und rechts der Schublade

Nicht erst seit gestern oder vorgestern oder vorvorgestern frage ich mich und bisweilen auch mein nicht immer rechtsfreies Umfeld, weshalb sich manch einer allzu gerne daran abarbeitet, den Linken die Dummheit zuzuschreiben.
«Die Linke darf nicht nur dumm sein, sie ist es auch. Schon immer gewesen, zu jeder Zeit, wird es immer sein. Das ist zwar tragisch, aber nicht schlimm. Schlimm ist es, wenn sie an der Macht ist – und das ist sie in Deutschland, in fast Europa, in allen Bereichen.
PS: Parteinamen und angebliche Programm sollten nicht darüber hinweg täuschen, dass Linke auch in sog. bürgerlichen Parteien längst die Mehrheit haben. In den Medien sowieso.»
Störsender, FAZ-Stützen der Gesellschaft
Eine ganze Weile ist es her, da lief diese meine allgemeine Fragestellung an die linke Seite auf eine recht allwissende Antwort hinaus, die keinen Zweifel daran ließ, mich für einen Dummen, also nichtwissenden, vermutlich gerademal Rechtschaffenden zu halten. Der Herr seiner Rede verwies mich gefälligst auf die Unterscheidung von Neo-, Ordoliberalen und so weiter, als ich es gewagt hatte, einen ehemaligen deutschen Innenminister für einen recht freien Geist zu halten und auf diese Weise einer politischen Partei zugeordnet worden war, dem das mehrtwertsteuerreduzierte Hotelbett näher lag als das Ruhebedürfnis etwa einer nationalen Gemeinschaft. Es handelte sich also um jene Schubladisierung, der nach meinen nicht allzuwenigen Erfahrungen anscheinend zwangsläufig darin enden mußte.

Ich war einige Jahre unter der organisierten sogenannten Linken zugange, angefangen bei der SEW bis hin zur Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft. Von der sozialistischen Einheitspartei West-Berlins rückte ich in den Endsechzigern rasch wieder ab, da mir der militärische Tonfall innerhalb dieser zudem äußerst hierarchischen Struktur mißfiel, meine dreißigjährige, vor ein paar Jahren gekündigte Zugehörigkeit zur Gewerkschaft hielt in erster Linie so lange an, da ich nicht ausscheren wollte, als dieser kleine Verein der Solidarität, der seinerzeit Rundfunk-Fernseh-Film-Union hieß und beispielsweise mit Organisationen wie Amnesty International oder Journalisten helfen Journalisten oder AIDA kooperierte, in die Fusion mit anderen geschickt wurde, die zusammen das große Ganze darstellen sollte. Während meiner Tätigkeit beispielsweise in der Honorarrahmenkommission, vielleicht mehr in diese erweiternde Veranstaltungen habe ich diesen Typus kennengelernt, der sein Linkssein ausstellte wie einen von Ulbricht bis Honecker persönlich an die Brust gehefteten Orden für den fleißigen, sein Soll erfüllenden Arbeiter. Ich habe mich zurückgezogen wegen dessen unerschöpflicher, nicht endenwollender Debattierlust- und Diskutierkultur, die mich auf Ergebnisse hin Zielenden und das Formularwesen wie die strikte Einhaltung von Geschäfts- und Tages-ordnungen Hassenden irgendwann die Flucht vor dieser immer massenhafter werdenden Unbill ergreifen ließen. Nahezu alles wurde normiert, so manches Mal konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, Mitglied eines Sparkassenvereins zu sein, der seine Anlagebehältnisse an den Wänden von Kneipen hängen hatte. Ohne vorgefertigte Ordnung sprich Schublade war nichts möglich.

Das ist die Pauschalisierung, unter der die Linke — zu recht — zu leiden hat. Aber sie kommt als An- oder Beschuldigung in erster Linie von denjenigen, die vom Gedanken, von der Idee der Stärke durch Gemeinschaft auch nicht mehr wissen oder wissen wollen als von der Ideologie, dem Dogma des täglichen Gebets, der Mühle des alltäglichen Gebots sogenannter Rechtschaffenheit, die manifestiert ist im vermutlich via Kindheit oktroyierten protestantischen, bisweilen im calvinistischen Abgang aufgehenden Leistungswillen, der über und in der Mär nicht nur des mittleren Westens Verbreitung findet, mit Gottes Hilfe und eigener Tatkraft könne es jeder schaffen, vom Tellerwäscher zum eigenen Haus, Boot, Kreditkarte et cetera und damit zu einem Renommée als Stütze der Gesellschaft. Weshalb klammern sich diese, mit Verlaub, Affen an ein Cliché, das allen bekannt sein sollte — es jedoch unter den so gerne intellektuell Daher-kommenden offensichtlich nicht ist, muß doch einer wie Sergio Benvenuto, der auf ein Lesepublikum hoffen darf, das nicht unbedingt derart unterbelichtet ist, sogar, um sicher zu sein, verstanden zu werden, offenbar auf diese über zweihundert Jahre alte Begebenheit hinweisen: «Nun fragen sich manche, ob die politischen Bezeichnungen ‹rechts› und ‹links› nicht einfach daher rühren, daß die Moderaten zur Zeit der Französischen Revolution der verfassunggebenden Versammlung rechts vom Oberhaupt der Versammlung saßen, die Radikaleren dagegen zu seiner Linken.»

Jedermann oder -frau mag es eher gelingen, wenn auch unter Aufbietung aller freizusetzenden Energien, trotz alternativloser, häufig durch das Elternhaus vorgegebener Chancenlosigkeit an ein Gut jenseits von Haus, Boot und so weiter zu gelangen. Ich nenne es Bildung, wenn ich darunter auch anderes verstehe als das seit einiger Zeit vorherrschende, im besonderen mit dem nunmehr zehnjährigen europäischen Bologna-Procedere, das gerade in Deutschland auf Haus, Boot und so weiter als Beruhigungsmittelchen hinausläuft, primär dem Welthandel dienend, davor vielleicht noch der global agierenden Industrie zugute kommt. Ich meine damit eine Errungenschaft, die ich hier einmal so formuliert habe: Bildung, so wie sie heutzutage verstanden wird, hat mit der Fähigkeit, zu unterscheiden, ein eigenes Denkgebäude entwerfen zu können, wenig zu tun. Intellegere bedeutet: wahrnehmen und erkennen, abwägen zu können zwischen dem Denken des einen oder der übernommenen Schablone des anderen, das eigene Wissen mit einzubringen und daraus eine eigene Meinung zu formulieren. Daß es dabei zu Übereinstimmungen mit der anderer kommen kann, steht außer Frage. Aber derjenige, der lediglich zur Steigerung des Bruttosozialprodukts (seit etwa der Jahrtausendwende Bruttonationalprodukt) nicht einmal mehr 333 als Issos Keilerei auswendig lernt, der mag, sollte er's dennoch tun, vielleicht ahnen, daß sich seinerzeit da irgendwo in der damaligen zivilisierten Welt mal wieder einige die Köpfe eingeschlagen haben, mag sein aus Macht- und Ruhm-, damit verbunden wohl Gewinnsucht, aber er weiß deshalb noch lange nicht, warum sie's tatsächlich taten. Er mag also vielleicht das Angebot kennen, auf welchen Märkten für ihn eine Markenzukunft angeboten wird, aber Merkmale zur Unterscheidung hat er deshalb noch lange nicht gelernt, die ihn befähigen könnten, zu differenzieren zwischen schwarz und weiß, zwischen gut und schlecht, als Gottesanbeter möglicherweise noch zwischen gut und böse.

Mir sind einige Menschen von unten begegnet, denen mehr daran gelegen war, ihre Unterscheidungsfähigkeit zu schärfen, als einen sozusagen sündhaft teuren scharfen Boliden pilotieren zu wollen, um damit seine Schlampen abschleppen zu können. Wobei es kaum einen Unterschied macht, aus welcher Gesellschaftsklasse so jemand kommt. Das kann genauso ein sich hinaufarbeitender oder -dienender Gewerkschafter sein wie jemand, dem der Gedanke an Gemeinschaft, meinetwegen Solidarität, so fremd ist wie ein Fuchsschwanz an seinem BMW- oder Golf- oder Mercedes-Cabriolet, für das er lebt ud dessentwegen er es nie, nicht einmal zu Omas klein' Häuschen bringen wird. Andererseits der auch nur einen dieser doch recht vielen Sarkozys, die einen Lift nehmen zu denen, denen die Anhebung auch in die höhere Vermögensklasse letztendlich kaum mehr als die Langeweile erbringt wie das Vorzeigen von irgendetwas mehr Klunkern im Vergleich zum Straß der unter ihrer Würde auf dem Laufsteg der Billigheimer Herumstakelnden. Ich habe Reiche kennengelernt, die darunter nicht so leiden, da sie Angenehmeres zu tun haben, zum Beispiel sich um ihre Verantwortung innerhalb der Gesellschaft zu kümmern. Ja, das gibt es auch. Und manch ein Bäcker, ein Maurer oder LKW-Fahrer kreuzten meine Wege, mit denen es eine Freude war, zu plaudern, aber nicht etwa über Pferdestärken und ihrem Drumherum zu Erden oder zu Wasser, sondern über Dichtung und Wahrheit, damit verbunden meist höchst differenzierende Kenntnisse, beinahe diffizile Meinungen über gesell-schaftspolitische Entwicklungen. Sie alle waren gerne in ihren Berufen tätig und zeigten keinerlei Absicht, «hoch hinauf» zu wollen. Und hätte man sie nach ihren politischen Orientierungen gefragt, so hatte mir zumindest einer geantwortet, er mißbillige in diesem Zusammenhang zunächst den Begriff Orientierung, da er quasi theologisch besetzt sei, aber wenn es denn unbedingt einer Schublade bedürfe, so möge man ihn denn in die der Linken schieben. Freigeist klinge zwar mindestens genauso altbacken wie die zweihundert Jahre alte Revolution, die kurz nach der Köpfung einiger weniger damit ihren Geist wieder drangegeben habe, da das Volk dem neuen Kaiser mehr oder minder zujubelte, aber er träfe noch am ehesten zu.

Freigeistig, so sehe ich das, sind viele Linke, weitaus freier im Geist als diejenigen, die sich trauen, sich als Rechtsintellektuelle zu bezeichnen oder zumindest so bewertet werden möchten. Rechts vom Oberhaupt der Versammlung sitzend muß einem doch langsam das Licht ausgehen, weil der alten, immer nur bewahrenden Lampe der Sauerstoff ausgeht und sie erlischt. Die Radikaleren im Geiste hingegen zu seiner Linken lassen frische Luft in die Örtlichkeiten, da sie nicht an ihren Gütern festhalten, sich an sie klammern müssen wie die Affen, weil sie sonst nichts haben als den Schein, darin gefestigt zu sein. Das macht sie menschlicher. Und von zivilisierten Idioten lasse ich mich nunmal lieber unterhalten, geschweige denn nicht nur von ihrem Geist sanft streicheln.
 
Fr, 10.08.2012 |  link | (2059) | 6 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftsspiele



 

Die Zivilisationskrankheit

Ich hebe Sie, Enzoo, und damit das Thema auf die erste Seite, da ich momentan zu faul bin, keine Lust verspüre, nach nordisch-mitteleuropäischem Leistungsprinzip den beinahe täglichen Tagebucheintrag mit Neuem zu aktualisieren.

Das Gebrechen also heißt Griechenland. Jedenfalls das, was wir daraus gemacht haben, was die Griechen daraus haben (mit sich) machen lassen, vermutlich, weil sie partizipieren wollten. Es steht allerdings an zu vermuten, daß der überwiegende Teil der griechischen Bevölkerung im Prinzip gar nicht mitgewirkt hat an der Aufgabe ihrer Lebensweise. So richtig beurteilen können das ohnehin nur diejenigen, die etwas länger im Land verweilten und es auch durchstreiften als die zwei- bis vierwöchigen Urlauber auf meist einer Insel oder an einem Hotelschwimmbad. Griechenland kann man auch in Marseille erleben, letztlich ist die Stadt so etwas wie von homerischem hellenischen Ursprung, aus Liebestriebetraumschaum emporgestiegen. Legendischer (das haben die ärmel-geschonten Schriftregenten aus dem Volksbildungswerk getilgt, vermutlich mutete es zu boulevardiös an, wurde aus der Schublade der Unseriösität entfernt; dabei entdecke ich nicht erst seit heute im Märchenhaften, und sei es im Tratsch, so manche Wahrheit, die eben mit der Wirklichkeit wenig zu tun hat und wohl deswegen häufig ein wenig durcheinandergebracht wird):
Nachdem Protis an Land gegangen war, um sich mit der schönen Ligurerin Gyptis zu vereinen. Protis war Phäake, und die Phäaken, dieses Seefahrervolk von der Insel Scheria, hatten nicht nur einen gastfreundlichen König namens Alkinoos, der den schiffbrüchigen Odysseus aufnahm, um ihn dann in sein Ithaka zu geleiten. Er hatte auch eine schöne Tochter. Nausikaa war es, die den gestrandeten Odysseus fand und ins Haus ihres Vaters führte. Immer diese Mädels. Wie in Marseille. Es wurde von der Liebe gegründet. Aber diese sehr viel eher mit Griechenland als mit Frankreich verwandte Schönheit ist ja sowieso längst selbst Mythos. Und die Mythologie (über-)lebt eben nur in ihres ürsprünglichen Wortes Bedeutung — in der Erzählung, in der Überlieferung. Hier eben als Liebesgeschichten.
Nebenbei bemerkt: Diese Griechen wanderten übrigens auch nach Corsica aus. An diesen exklavisch-levantischen Gestaden, es sei mal wieder an Jean-Claude Izzo erinnert, der von seinem Zuhause geschrieben hat, dort äßen alle gefüllte Weinblätter, tendiert man ohnehin zu Arbeits-verdrängungsmaßnahmen, aber auch nur als jemand, der etwas zu verdrängen hat. Bei mir beispielsweise legt etwa ab dem französischen Äquator, der knapp südlich von Lyon liegt, so eine Art Witterungswendegrad, von dem ab man mit einem Mal sogar vom Auto aus Cigales hört, sie zunächst für einen Gelenkwellenschaden hält, aber niemand in den Nachmittagsstunden selbst einer ärgsten Entenstörung Gehör schenken will, und das will was heißen bei diesem via europäischer Nostalgiegemeinschaft zum Nationalheiligtum wachgeküßten Kleintreckerersatz, man also selber Ruhe gibt und den fahrbaren Gartenstuhl seiner einstigen antriebslosen Funktion zurückgibt. Dort beginnt die Region, in der mein innerer Dirigent den Taktstock aufs Pult legt, kurz in mir einen, dennoch für alle sichtbaren Zettel hochhält, auf dem geschrieben steht: Ab sofort nur noch Adagieto, besser Adagio non lento, letzteres bei Chopin ein mehr als gemäßigtes Tempo für einen Walzer, besser noch horizontale, also nicht philosophisch schwere Stille, dafür muß man Pariserin sein, lediglich umzirpt vom konstanten Geräusch der Grillen. Diesen eigentlichen Griechen anheim-gegeben ist also eine gewisse Leichtigkeit, die dem strebsamen, leistungsbedachten Europäer Erschwernisse erbringen.

Man versteht es nicht, wie wohltuend es ist oder zumindest sein kann, einfach nur zu sitzen und das einfach zu bleiben. Selbst bei höchstsommerlichen Temperaturen, wie sie zur Zeit auch den Norden beherrschen, sind beispielsweise Menschen wie mein Vermieter nicht in der Lage, im Sitzen oder Liegen alles auf sich zukommen zu lassen und dem Gras beim Wachsen zuzuschauen. Nein, es muß gemäht werden, am besten in der Mittagszeit, weil der Pensionär ansonsten sein Tagwerk nicht in den Griff kriegt. Er befindet sich damit im Einklang mit dem großen Chor, einer faulen Sau dürfe nicht auch noch der Arsch geschmiert werden. Raus sollen sie aus dem Euroland, diese Nichtsnutze.

Und ich als ein solcher sitze da und sinniere darüber, was die Zivilisation da an Krankheit geschaffen hat. Sie ist protestantischen, calvinistischen Ursprungs, was der in der Mode verkommene Punker in seiner Unwissenheit oder Dumpfheit nicht weiß, den der olle Calvin gewaltig an die Kandarre nehmen würde. Diese Zivilationskrankheit verdunkelt den nordischen Menschen, auch Wien hat genügend davon, es liegt schließich nördlich des Balkans, dieses Dasein. Es wird geschafft, daß es bald nicht mehr zu schaffen ist, diese un-, nein, blödsinnige Rennerei hinter dem her, das man für diesen Ersatzrausch benötigt, dieses Haben als Sein, da will ich gar nicht einmal auf den braven, letzt-endlich auch von der Demut, also dem Religiösen geprägten Erich Fromm verweisen, das tatsächlich die Individualität, den Einzelnen ausblendet, auch aus der Gemeinschaft, die diesen ganzen Monetenmumpitz nicht wirklich benötigt, der von Natur aus ganz gut ohne Wecker auskommt. Ich beispielsweise weiß, daß der Körper, der Mensch an sich ganz gut ohne dieses Geklingle funktioniert, seit bald fünfzehn Jahren. Gut, seinen Lebensunterhalt muß man irgendwie unterhalten. Zugegeben, ich hatte dabei auch Unterhaltung. Aber ich weiß, es geht auch ohne dieses permanente Streben. Da fliegt man eben etwas später mit seinem EiPhonePott auf den Mars. Wie die Griechen, die die Ruhe schätzen, denen ich mich geistesverwandt fühle und ich wie sie nicht einsehe, weshalb aufgrund der politisch geförderten Raffgier einiger Finanzjongleure, dieser uns krank machenden Bazillen und Viren und Trojaner also, des friedlichen Lebens beraubt werden sollen.

Deshalb werde ich nichtsnutziger fauler Sack mich jetzt auf die faule Haut legen und höchstens in Adagio non lento dem Wachsen des Grases und nicht der Geldsäcke zuhören. Zum späten Nachmittag gibt's dann etwas Preisgünstiges, aber viel besseres als das von den meisten Angestrebte zu trinken.


 
Fr, 27.07.2012 |  link | (1697) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftsspiele



 

Neue Gastarbeiter braucht das Land

Autant pèche celui qui tient le sac que celui qui l'emplit.*

Über fünfzig Prozent, mal mehr, mal weniger, entnehme ich den deutschen Medien, der spanischen jungen Menschen, ab wann man nicht mehr jung ist, wird nicht näher erläutert, seien ohne Zukunft, genauer: bekämen keine Arbeit. In der Regel heißt es neudeutsch: keine Jobs. Ein Job ist für mich immer noch eine Gelegenheitsarbeit, etwa meine Tätigkeit in jungen Jahren, als mich die Randbereiche der Künste noch nicht ernähren wollten, als Töter von Cucharachos oder Vergifter von Tauben im Park. Einen Job will er also nicht, der Nachwuchs von Andalusien bis Katalonien, über Galicien, dort, wo soviele Gläubige oder auch nicht dann mal hinweg sind, nach Navarra. Er will Arbeit. So geht er nach Deutschland. Das ist das Land, in dem gerade wieder darüber abgestimmt wird, abgestimmt werden muß, sogar die Politiker werden deshalb temporär aus dem Urlaub zurückgepfiffen, ob dem nach wie vor aristokratisch quasi stimmungsbeherrschten Land hundert Milliarden Kredit genehmigt werden soll. Oder besser nicht, so die Mehrheit (?) der adelsfrei regierten Bundesbürger, sollen die doch die von ihnen selbst verursachten Schulden selber abbezahlen.

Denselben Medien entnehme ich Reportagen über Flaschensammler aus Not, über Pfandleihen aus Not, über Zwangsräumungen aus Not, auch in allen Fällen junger Menschen, über Tote, die monatelang ihn Kühlhäusern aufbewahrt werden, da die Behörden Kosten für Begräbnisse nicht zu übernehmen bereit seien, obwohl sie dazu gesetzlich verpflichtet wären.

Dennoch zieht es junge Menschen aus Spanien, von den griechischen spricht kaum noch jemand, denn der Schuldenberg ist weitergewandert wie eine Düne unter dem Wind aus dem wilden Westen der Finanzspekulationen, in das Land, von dessen Osten es einmal hieß, er werde blühen. Denjenigen, der die Bevölkerung seines Landes einmal so verkohlt hat, interessiert es ebensowenig wie die ihm nachfolgenden Politiker und, selbstverständlich -innen, was aus dieser verblühten Landschaft werden soll. Ihr Interesse reicht lediglich bis zur nächsten (Wieder-)Wahl. Zu der kann es nur kommen, wenn die Wirtschaft weiterhin so boomt, wie es im rummelplatzigen Deutsch der Journaillen mittlerweile allüberall tönt. Es ist die Sprache, das Gebrüll, auch in leisen Tönen ist gut brüllen, derjenigen, die an oder auf den Märkten mehr oder minder ridicule das anpreisen, was in den seltensten Fällen tatsächlich benötigt wird, oder das, was unbedingt raus muß, weil es woanders kaum jemand haben wollte. Sicher, nicht vergessen werden darf die Made in Germany, die Resteuropa sowie die Welt im Inneren beglücken soll. Von Binnenforschung und und ebensolcher -produktion zugunsten aller ist geradezu mannigfaltig die Rede. Dabei wird häufig oder zur Gänze gar nicht g'schamig verschwiegen, wo das tatsächlich geschieht. Dafür wurden Studiengänge beschleunigt. Aber, das zeigt die Wirkichkeit, ein Bachelor macht noch kein Sommermärchen. Auch im blühenden Deutschland, das ist hinlänglich bekannt, hüpft so manch einer dieser nach vorne verkürzten Jungakademiker von Job zu Job, anders mag ich diese Praktikakultur nicht bezeichnen. Hinzu gesellen sich nun die jungen Menschen aus dem Süden.

Spanien, das ist das Land. von dem sogenannte Experten, wenn ich mich recht erinnere, 2007 behaupteten, es würde innerhalb weniger Jahre die geballte Wirtschaftskraft Deutschlands wenn nicht zumindest eingeholt, so voraussichtlich gar überholt haben. Dann kam diese Springflut, aus der eine Sturmflut wurde, weil niemand der Verantwortlichen die auflandigen Winde aus dem Westen, den Tidenstrom zu beachten Lust verspürte. Lust hatte man alleine auf die hohen Wogen der Gewinne, an dieser wunderschönen Blase, in deren Inneres zu schauen nur wenige bereit waren. Die ist dann geplatzt, und auch Spanien stand vor den Trümmern, die dieser aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten sich aufbauende Tsunami im Hafenbecken erzeugt hatte (und der demnächst wohl auch die Insel Zypern und noch einige Festlande wegspülen wird). Tausende und abertausende auch junge, wer oder was das auch immer sei, Spanier wollten endlich aus elterlicher gefangenschaftsgleicher Umarmung entfliehen — so lange ist das noch nicht her, daß man im stolzen Köngigreich Kastilien auch im Alter von vierzig, eben noch jungen Jahren nachhause ging, wenn Stillzeit war — und legten sich immobile Güter zu, die sich selbst einigermaßen gesattelte Ältere nicht leisten konnten, ungeachtet dessen, von welchen Fonds oder sonstigen Schlachtbanken auch immer sie bedient wurden. Reich belohnt wurden dabei nur diejenigen, die auf diesem Markt leise, aber unaufhörlich geschrien habe. Die Alten wehren sich nun, El Jefe de Estado, Señor Rajoy, hat bei seiner deutschen Kollegin rasch gelernt, legte ein «alternativloses» Sparpaket vor.

Und die Jungen ziehen aus. Sie ziehen in ein Land, das offenbar neue Gastarbeiter braucht, wie es uns die Marktstrategen verkünden, die hierzulande eine Hausse sehen, obwohl es fast nur noch regnet und stürmt, also auch dort die Baisse sich abzeichnet, weil auch die Wirtschaft nunmal keine Wetterwunder zu vollbringen vermag, da mag sie noch so katholisch oder auch calvinistisch beten und uns etwas von der unbefleckt schwangeren Jungfrau erzählen. Die jungen Spanier werden diese im deutschen Fernsehen spätnachts, auf jeden Fall nicht zur gängigen Zeit ausgestrahlten Sendungen nicht sehen und schon gar nicht hören, von denen da oben die Schreibe war. Sie müssen nämlich erst einmal die deutsche Sprache erlernen, um in eines dieser deutschen Praktika hineinkultiviert zu werden, die ihnen eine unbeschwerte Zukunft versprechen. Davon sind sie noch um einiges enfernt, von dem, wie Frau Herzbruch es schildert, daß man beispielsweise «in duesseldorf mit kleinkind ja schwieriger eine wohnung findet als mit einer pitbullzucht. kennen sie vielleicht aus anderen staedten auch: 120 m2 maisonette, 5 zimmer mit garten, gerne an solvente paare und singles.» Bis zu dieser Solvenz ist es noch ein Weilchen hin. Auch diejenigen, die in den Sechzigern eines vergangenen Jahrtausends aus Griechenland, Italien (Mein kleiner Italiener war der überall geträllerte Schlager dieser Jahre, als die Ausreisewelle ins Land der Gastarbeiter eingesetzt hatte), Portugal, auch aus Spanien, dann aus der Türkei ins gelobte Land zogen, um reich zu werden, waren zum Teil bald arm dran. Heutzutage sind sie es, die zu großen Teilen Deutsche geworden sind, schaut man sich die Meldungen über die Arbeitslosigkeit des Nachwuches der «integrierten» Einwanderer an. Ich bezweifle die Wirksamkeit solcher Lobhudeleien oder gebets-mühlenhaften, nahezu unredigiert übernommenen Verkündungen von «Angelas Wunderland» in den Karriereseiten: «Auch konnte die Arbeitsmarktpolitik in Deutschland nur deshalb so erfolgreich sein, weil es hier einen Mittelstand mit vielen Unternehmen gibt, die ständig neue Produkte erfinden, sie überall verkaufen und dadurch einen Großteil der Arbeitsplätze zur Verfügung stellen. Davon kann die verlorene Generation in Spanien, Griechenland oder Portugal nur träumen.» Ich empfehle für solche Vorhaben eher den Schlaf. Am besten noch mit Karl Marx, in diesen androgynen Zeiten kein gesellschaftliches Problem, als Bettgesellen:
«[...] heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden.»
Marxismus als Restgröße

 
Do, 19.07.2012 |  link | (1948) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftsspiele



 

Österreich oder nicht Österreich

Das ist eigentlich nicht die Seins-Frage. Wir sind alle Österreicher. Sie, lieber Enzoo, inspirieren mich einmal mehr zu einem Dosenöffner, wie intern im Laubacher Feuilleton das linksspaltige Erstseitige genannt wurde, vor rund zwanzig Jahren angeregt durch das fast immer treffliche süddeutsche Streiflicht, hier als Beispiel herangenommen die zuvor erwähnten Investment-Punks, denen ich süddeutsche Journalisten zur Hilfeseite stelle.

Ein Versuch, den Themenblickhorizont zu erweitern, und doch bleibt er wieder hängen im Engen dessen, das mich sozialisiert hat. So gerne ich möchte, ich bekomme den Schlagbaum nicht richtig hoch, schaffe es nicht, wie die Jungen, für die mittlerweile alles grenzenlos zu fließen scheint, ihn verschwinden zu lassen. Zu sehr stecke ich fest im kleinen Grenzverkehr, der mich sozusagen anhaltend geprägt hat. Ein Zöllner stand mir immer irgendwie im Weg, sogar hoch oben auf den Pyrenäen, der hatte Langeweile und war froh, daß sich endlich mal jemand zu ihm hinauf verirrte, auf ein Gipfeltreffen. Und nun das Wetter.

Monsieur le Président bling-bling hatte ich gestern noch einmal abgehakt. Nun kreise ich den Rest des Volkes ein. Das muß «sparen», was immer das auch sein mag, was andererseits eine der Eigenschaften ist, die die Deutschen bewegt — ich weiß gar nicht, ob das ebenfalls zu den hervorstechenden Mentalitätszeichen der Austriaken gehört, wenn ich hier auch ein wenig an den punkig-libertären Investor erinnert werde —, wenn's ansonsten auch vergleichsweise wenige sind, die den Geldzusammenhalt beherrschen. Beim Sparstrumpfen dürfte es sich allerdings ohnehin eher um die Rudimente der älteren Generation handeln, die ihre mühsam gefangenen und langzeitgepflegten Felle davonschwimmen sehen. Die jüngere hat erst gar keinen Wärmeschutz mehr, die Grenzenlosigkeit hat ihren Tribut gefordert, so sieht der Triumph der Freiheit aus. So geht sie gleich nackt zur Party, und sei es unter dem barmherzigen Kardinalsmantel der kleinen Massenkunst vorm großen, hohen Haus des Gesamtkunstwerks, in dessen Götterdämmerung es sich, wie könnte es anders sein, einmal mehr um den Schatz der Nibelungen, hier im besonderen um den Euro dreht. Das ist es wohl, was den Bewegten bleibt, während sich anderswo die Bilderberge(r) stapeln; nun gut, die drängeln nicht so, bleiben würdevoll auf Distanz. Denen ist auch beim Ananaszüchten in Alaska noch warm genug. Wenn ihnen auch keine radikalfeministische Sarah Palin mehr den Inhalt ihres Dekolleté als republikanisches Transparent vor die politische Balustrade hängt; aber deren teepartytantenhafte Sittenhaftigkeit war ohnehin eher was fürs Volksschaulaufen, das läßt der Blick auf die Verkaufszahlen ihrer Autobiographie zu. Von den Kanzeln hoch oben über den Kanzleien der verdeckt Agierenden, den Volksglauben unterstützt vom naturschützenden und pflanzlichen Schmieröl-Verein mit dem niedlichen Panda-Emblem, wird Kunst für alle gepredigt. Damit meine ich das Wasser, das wird insofern als Kostbarkeit für alle dargestellt, gepriesen durch die Steigerung seines Wertes, durch den Verkauf des Erden- und Volksgutes an eben diese wenigen. Den daraus produzierten Wein trinken sie gleich Preciosen selber. Ob die Proteste letztendlich einiger weniger besser Informierter, die Bildung dahingehend richtig verstanden haben, als die sich nicht in der Steigerung firmenspezifischer Gewinne durch das Auswendiglernen von Daten und Fakten zu erschöpfen hat, ob ich das noch erleben werde, das wage ich anzuzweifeln, geht beispielsweise die deutsche Masse doch allenfalls zur Schau ihrer eigenen Beerdigung, zum Public Viewing nicht nur auf die Straße des 17. Juni, die eigentlich einer anderen Freiheit gedenken soll, der des Volksaufstands in der DDR. Der 17. Juni war einmal deutscher Gedenktag. Er mußte weichen zugunsten des Tages der «friedlichen Revolution». Die Zeiten ändern sich eben, werden geändert von den Vertretern des Volkes, das kann nichts daran ändern.

Diese wundersame Geldvermehrung treibt immer ärgere Blüten, als ob ihr System sich ein letztes Mal aufbäumen würde, bevor es sein Leben endgültig dahinhaucht. Auch wenn der Boden längst ausgelaugt, kaum noch Früchte hervorzubringen scheint, wird er weiterhin heftig künstlich, fast künstlerisch oder auch «kreativ» gedüngt von Politikern aller Länder, die darin einig sind wie ein Volk von Brüdern. Es lebe der Kapitalismus — nur noch in seinen schlimmsten Auswirkungen. Da bereitet die bundesdeutsch republikanische Regierung ein Gesetz vor, das den Verkauf von in behördlichen Amtsstuben gesammelten privaten Daten anstrebt. Was die Unternehmen der Datenkrakerei können, meinen die Politiker wohl, das können sie allemale, wen interessiert denn heute noch so etwas wie Datenschutz oder auch informationelle Selbstbestimmung, man muß schließlich im internationalen Wettbewerb bestehen. Wie das Wasser wird des Volkes Gut verhökert, Tafelsilber gleich zur Schuldentilgung, Privatisierung genannt, sollen die Griechen doch ihre Akropolis, überhaupt ihre Inseln verscherbeln, also beileibe nicht nur in den unterentwickelten Ländern der von Erstklassigen so genannten dritten oder vierten Welt.

Und auch der Völker Sparguthaben geht den Weg alles Irdischen, nämlich hinab wie die achteckige Fleischkiste, auf deren Inhalt gefräßige Würmer warten. Wer vor dreißig Jahren im herkömmlichen Verständnis des Begriffes, also tatsächlich gespart hat, die ganz Klugen beispielsweise über seinerzeit noch sichere deutschstaatliche Schatzbriefe oder auch Bundesanleihen, vergleichbar dem französischen emprunt à l'état, der schaut heute nur noch in die tiefe Grube. Von einst bis zu zehn Prozent oder gar noch höheren Zinsen etwa für die geschätzten Briefe sind allenfalls noch ein Zehntel und weniger übriggeblieben. Eine 1982 abgeschlossene Lebensversicherung, zu der Zeit war noch nicht die Rede von dringendst notwendiger Altersversorgung, da versprach ein Politiker in blümigen Worten noch deren Sicherheit, die am Ende zweihunderttausend Mark erbringen sollte, wurde nicht nur durch den abnehmenden Euro-Wert halbiert, auch die zunehmende Geldentwertung nagt mehr als heftig an dem Haufen Nahrung, den der nach der Theorie der Aktion Eichhörnchen handelnde Hamster angelegt hatte. Wer will denn heute tatsächlich noch sparen? Man muß doch bereits dafür zahlen, wenn man den Banken Geld leiht.

Von Schulden ist allenthalben die Rede, die die Völker, ob deutsch, französisch oder sonstwie, abzutragen hätten, und das, obwohl sie die im wesentlichen nicht einmal angehäuft haben, sieht man einmal davon ab, daß die einen oder anderen mit in den Genuß eines Schwimmbades oder eines superben Autobahnkreuzes gekommen sein dürften, das letztlich zur Lagerhaltung nicht nur der PKW-, sondern auch der Billigheimer-Produktion dient, das die einen oder anderen Lokal- oder auch Regionalpolitiker zur eigenen Heiligsprechung haben errichten lassen und auf deren für das öffentliche Publikum veranstalteten Sektempfängen sie herumstolzieren. Die Feierlichkeiten für ihrer Länder Banken will ich nicht vergessen, während derer es auch schon einmal Gesöff aus der Champagne gibt, das sie oftmals nicht von dem aus dem Billigheimer unterscheiden können, weil sie's nicht wirklich mit dem internationalen Austausch haben, den beispielsweise ihre Geldhäuser ziemlich verlustig veranstaltet haben und für deren Niedergänge der wackere Demokrat nun auch noch löhnen soll, in Österreich oder anderswo.
 
Fr, 06.07.2012 |  link | (3655) | 9 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftsspiele



 





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