Des Dichters Antwort Ich lasse bei dieser Feststellung, nicht zu vergessen diesen Leidensweg, mal einen anderen den Kommentator geben. Sein Faust, seine Gestalten (-Krüppel), sie lernen oder lehren Philosofie usw. Als ob sich all dies anders als durch's Leben lehren, lernen läßt. Überhaupt hat er sich auch zu anderen Hütern des mehr oder minder Wahren, des Guten und des Schönen trefflich geäußert. Auch diese ganzen goetheschen Jüngelchen, Oberlehrer, Dichterlinge, Kaiserchen, Bennchen: man merkt es ihnen allen an, sie haben alle ‹ihren› Goethe, ihre Kehrrichttonne viel zu gut gelernt. Ob sie nun Bahr, Hoffmannsthal, Kerr, Hauptmann oder weiß der Teufel, wie sonst sich diese Friseure nennen: was ist von ihnen heut noch lebendig? fast nichts, und stellt man sich vor, daß manche dieser schmierigen Sudler ihre ‹Werke› resp. ihren Auswurf bereits ‹gesammelt› — wer liest sie heut noch? Menschen nicht, höchstens Oberlehrer und greisinnenhafte Intellektuelle. Dehmel resp Dämlich: (so ein Tichter war dieses Kamel:) gläubig greifen wir zur Wehre / für den Geist in unserm Blut / Volk tritt ein für seine Ehre / Mensch dein Glück heißt Opfermut / dann kommt der Sieg, der herrliche Sieg ... / Mensch! Wat, dat is scheen dapfer? Oder Mann — ein blöder Jesuit. Ach und zum Kotzen langweilig, was für brave folgsame Muttersöhnchen spinnt sein Sacharinhirn. Vom größten Schuften Hofmannsthal ganz zu schweigen! Hi, hi! wie nur ein Vieh Hugo heißen kann ... Man könnte sie alle der Reihe nach aufhängen diese Bürschelchen: Mäxchen Brod, wozu ein dutzendekliges, philosofisch sein sollendes Geschwätz, da ist mir wirkliche Philosophie schon lieber als so übel verwässerte. Kellermann, Ponten, Haselclever, Werfel, Hauptmann, Schnitzler: elendes Gewäsch, natürlich bei allen mit sozialer Tunke: Die Dollarfürstin, die ein Spital gründet etc. Ach, sie sind ja alle heute schon erledigt, total erledigt. Unsre Zeit eben hat Schriftstellerei zum leichtesten Handwerk erniedrigt, denn es gibt Schuster, Schneider, Könige, Feldherrn und andere Gauner, die gute Bücher geschrieben haben. Aber von all diesen heutigen Schmierern kann keiner schustern, schneidern — nur zum Krieg resp. Massenmord waren sie tauglich. Und auch die besseren unter ihnen, sofern es überhaupt noch welche gibt, sie haben alle vergeßen, daß alle richtige Kunst fragmentarisch ist. Ein Vogel singt, wie sich's gehört, der Fisch schwimmt. Warum wollen diese ‹schaffenden› Laffen soviel voraus haben: sie werkeln, formen, arbeiten und feilen, machen einfach noch mehr Dreck aus ihrem Dreck. Herrlich, wie dieser Massenmörder Goethe vertrottelt war, dieser Vater aller Curt Mählerchen. Man höre: Über gothische Baukunst: «kauzende, übereinander geschichtete Heilige der gothischen Ziereien — unsre Tabakspfeifen Säulen...» Oder: «In Indien möcht' ich selber leben, hätt' es nur keine Steinhauer gegeben ... die indischen Götzen sind mir ein Graus ... der Italiener darf sich keiner eignen Baukunst rühmen ...» und später natürlich schmiert dieser Geck über Paladio: «es ist wirklich etwas Göttliches, völlig wie die Form des großen Dichters ...» Für ihn ist E. Th. A. Hoffmann «unerträglich ... pathologischer Fall.» Seine Gemeinheit Beethoven gegenüber ist mehr als schamlos. Sein Faust, seine Gestalten (-Krüppel), sie lernen oder lehren Philosofie usw. Als ob sich all dies anders als durch's Leben lehren, lernen läßt. Es liegt mir fern, diesen Verbrecher zu kapitelisieren, seine Schweinereien und Trotteleien aufzuzeichnen, ich habe Wichtigeres zu tun, sei es auch bloß überhaupt Nichts zu tun. Ich verweise auf das Treffliche, was Heine, Börne, Grabbe, Nietzsche und andere Ehrliche und Kluge, über dies Aas festgestellt. Auch Seb. Brunner, Alex. Baumgartner, Postkuchen, Eugen Dühring, J.K. Manso (1759 – 1826), J. Froitzheim (F. von Sesenheim), Chr. Fr. Nicolai, Willmann, W. Menzel, I.G.A. Wirth, Tolstoi und viele Andere wussten klar und tapfer Bescheid. Und recht erfreulich, daß auch die Jüngeren nicht vergreist: so stand im ‹Sturm› 1921 Richtiges. Und C. Sternheim, R. Hülsenbeck, M. Hermann-Neisse, E. E. Kisch bemerkten viel Wichtiges. Den andern fehlt eben der Mut, gegen diese Seuche zu kämpfen, sie bleiben eben Affen, die wacker im Chor mitgrunzen. Jakob Haringer Der hier auszugsweise wiedergegebene Text erschien zuerst 1929 in der von Haringer herausgegebenen Zeitschrift Die Einsiedelei. Ein Stundenblatt als Nummer V-VIII im Berliner Strom-Verlag. Hier ist er zitiert nach: Leichenhaus der Literatur oder Über Goethe, hrsg. und eingeleitet v. Hansjörg Viesel, hier: I Die kleinen Männer mit den großen Aussichten; Lager-Schaden 1, Karin Kramer Verlag, Berlin 1983 (2. Aufl.), S. 5–8; genehmigter Nachdruck in: Laubacher Feuilleton 10.1994
Der Herr Geheimrath! Ich hatte vergessen, eine weitere, nicht unwesentliche Beobachtung des vorgestrigen Einkaufstages weiterzugeben: Zwei extrem schlanke Herren, unverkennbar Relikte der hippieesken siebziger Jahre, vermutlich in einer ländlichen resthofartigen WG-Gruft von einem langanhaltenden Trip runtergekommen, kauften mit Hilfe eines großformatigen Kochbuchs ein. Sie schlurften innerhalb der Obst- und Gemüseabteilung von Stand zu Stand, prüften jeweils die einzelnen Erzeugnisse, lasen darüber in ihrem Buch nach, besprachen die Situation in aller Bedächtigkeit, um dann die eine oder andere Frucht in den Einkaufskorb zu legen. Ohne zuvor ein iTüpfelchen zu bemühen. Allerdings konnte ich nicht genau erkennen, wer das Kochbuch verfaßt hatte. Aber eines weiß ich gewiß: Goethe war's nicht. Hat's ihm was gebracht, dem Namensgeber alles Deutschen, daß er Goethe geschrieben hat?! Auf sein Sozialverhalten hatte es jedenfalls nur mäßig günstigen Einfluß. Immer nur rumschäkern und -saufen in und mit der Society und auf dem Heimweg zur Christiane in der Postkutsche, dem damaligen Intercity, dann lange Poeme an junge Mädchen und edle Damen et vice versa und wirre, vermutlich unter Mutterkorneinfluß, Teufeleien schreiben, während zuhause sein Weib immerfort sehnend das Bett zu wärmen hatte, wie überhaupt er zu seinem Wohle alles hat die andern machen lassen. Was hat er vollbracht, als den Fürsten und Paukern zu dienen und Schüler zu verunsichern? — Oder so: Ich habe ihn gelesen, zumindest einen Teil der von ihm verfaßten herzöglichen Anna-Bibliothek und durchaus freiwillig, und bin dennoch kein besserer Mensch geworden. Wobei hinzuzufügen wäre, daß das auch kein Kochbuchautor schaffen würde. Ich lese keine Kochbücher. Ich verabscheue sie. Schreiben, darüber denke ich nach. Im übrigen verursachten diese modernen Kommunikationsgeräte bereits vor gut zehn Jahren bei dem einen oder anderen sowas ähnliches wie Blockaden.
Dringende Einkäufe sollten während der panikversonnenen Einkaufszeit vier Wochen vor der jungfräulichen Niederkunft mit anschließendem multikulturellen Aufmarsch eigentlich unterbleiben. Denn die Weisheit dürfte ja hinlänglich bekannt sein: «Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um.» Andererseits bieten sich demjenigen, der als Quasi-Unbeteiligter irgendwo in die Ecke (ab-)gestellt wird, um nicht ständig verbales Unheil anzurichten, mannigfaltiges Theater aus der italienischen Stadt mit dem schiefen Turm. «Duu», fragt der vermutlich zu den Vergessen- oder Verlegenheitsheitseinkäufen Abgeordnete sein endlich aus einer der vielen Taschen seiner edlen Elch- und Grizzlyjägerjacke herausgenesteltes mobiles Kommunikationsgerät mit dem Tüpfelchen auf dem i, «ich steh jetzt hier vor dieser Theke. – Nein, nicht an der Theke. Vor der Theke. Die mit dem ganzen ollen Fleischkram und so. – Ein halbes Kilo hast du gesagt. Das ist doch ein Pfund? Oder?»
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