Nachwuchs




Neinnein! Er wurde wieder freigelassen. Es handelte sich ja um einen deutschen Frosch ...

Grenouille ist etwas völlig anderes.
 
Di, 22.09.2009 |  link | (3281) | 7 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Geschmackssache



 

Junges Glück, Sühne und Schuld

Für Anschlußwillige

Bis fast in die Mitte der siebziger Jahre gab es noch das Böswillige Verlassen. Solches wurde während eines Sühnetermins geklärt. War die Frage der Schuld vom Vorsitzenden Richter festgehalten worden, mußte der eigentliche Scheidungstermin gar nicht mehr wahrgenommen werden. Von der familienfreundlichen Gesetzgebung moralisch gestärkt, schlüpften Söhne und Töchter wieder unter die Fittiche beziehungsweise in die Behausung der Eltern.


Auf den doch ein wenig arg jungen Studenten, durchaus als Jüngelchen zu bezeichnen, hatte die noch Jüngere blondäugige Blitze auf den gestaltungsbeflissenen Tänzer geworfen, der Bewegung in ihr Leben bringen könnte. Die Tanzerei zu zweit machte was her zu dieser Zeit, als die Musik noch nahezu ausnahmslos zum wochenendlichen Schwoof des sinnlichen Abschleppens und Abgeschlepptwerdens aufspielte. Und es war zudem sein einziges Aphrodisiakum. Das die erwünschte Wirkung zeigte. Die beiden fielen nach Beendigung der Musik übereinander her, wie wegen des Saftüberdrucks kurz vor dem Platzen stehende junge Menschen sich eben ineinander verschlingen. Sie blieben länger in dieser verwirrten Körperhaltung, als er es gewohnt war. Es war nicht unangenehm gewesen. Denn als sie, die, bis auf die Augenfarbe vielleicht, dafür aber mit einem noch entzückenderen Näschen versehen, seinem Schönheitsideal extrem nahe kam, ihre meerwasserblauen Augen in seine ziemlich andersrassigen versenkt hatte, um ihm zu eröffnen, daß sie gedenke, bei ihm zu bleiben, kam durchaus Wohlgefühl auf. Dies würde ihn auf nicht unangenehme Weise wohl aus der Heimatlosigkeit befreien, schloß er, die ihn seit seiner frühesten Kindheit peinigte. Er gab rasch seine Bude in der Wohngemeinschaft in Charlottenburg auf, da man dem jungen Paar eine kleine Wohnung vermietete, obwohl es nicht verheiratet war.

Berlin war in den späten sechziger Jahren dabei, sich an seinen Ruf als ehemalige metropole de tolérance zu erinnern. Ach, Studenten, die sind eben anders, und wenn dann auch noch jemand dabei ist, der einer geregelten Arbeit nachgeht, also Sicherheit bietet! Vielleicht war es auch einfach nur die Not des Vermieters, die Wohnung nicht so ohne weiteres für teures Geld vermieten zu können. Der große Treck aus West-Deutschland war damals noch nicht so recht in Bewegung gekommen. Erst beträchtliche steuerliche Begünstigungen sowie Übernahmen der Umzugskosten durch die Behörden ließen ihn Fahrt aufnehmen. Der jungen Kauffrau war das unter vielen Anreiz gewesen, sich in die weite Welt aufzumachen, sich in das Abenteuer des fernen Insellebens zu stürzen.

Man richtete sich ein. Die ersten Möbel eines damals recht edlen und entsprechend hochpreisigen finnischen Herstellers wurden gekauft; das von ihr eingebrachte Markenbewußtsein überdeckte seine politisch gerade erst anerzogene Ablehnung durchgestalteteter Güter. Andererseits: an Geld mangelte es auch nicht — die Eltern ließen, nicht ohne Gegenwehr der Mutter, den Sohn nicht darben, und sie erarbeitete fast nochmal soviel. Nach drei Monaten kam das jüngste Gericht in Gestalt eines erfahreneren Paares über die beiden. Es war nach des Töchterleins euphorischer Telephonplapperei gegenüber Mutti eilends angereist aus einer Kleinstadt inmitten der westlichen Republik. Der Vorstehende stand mitten im Zimmer und dirigierte die Frucht seiner Frau mit einer einzigen, sehr gradlnigen Armbewegung in Richtung Tür. Solange ihr nicht verheiratet seid, belferte der Weltkriegsgeübte mittleren Rangs in den Raum, lebt ihr auch nicht zusammen! Die verweinten Augen der Jüngeren und die wohl im Weiblichen begründete Sanftmut der Älteren stimmten den Feldherrn der Moral unter der Bedingung um, daß innerhalb von zwei Monaten geheiratet würde. Es geschah der Wille des Herrn; keines göttlichen, denn eine Mischehe mit einem Unchristlichen, das hätte gerade noch gefehlt.

Da die Aussteuer, die von der Taufe an angehäuft wurde, von beachtlicher Masse war und vom südlichen Zonenrandgebiet aus ihrer Funktion zugeführt werden mußte, hatte die Wohnung im Umfang angepaßt zu werden. Es gelang ohne weitere Anstrengung. Die Umgebung wurde einem jungen, solventen Ehepaar gerecht, dem die Zukunft gehörte. Der Mietpreis für die aus dem Jugendstilhaus in Schwarzarbeit herausparzellierten hundertzwanzig Quadratmeter befand sich bereits außerhalb der gesetzlichen Preisbindung. Mehr als zweihundert Mark monatlich nur für Miete, die waren in diesen Zeiten nicht jedem gegeben. Auch die Lage paßte zur ins Abseits praller Lebenslust beförderten stillen Liebe, eine nicht unbeträchtliche Entfernung zum Zentrum der Stadt, der Anliegerverkehr kurz vor dem Forst, hinter dem Berlin scharf bewacht Ost genannt wurde, verhieß hinter der beschaulichen Loggia die Ruhe einer sich abzeichnenden jahrzehntelangen Zweisamkeit. Spandau bei Berlin, sagte der Busfahrer beim Grenzübertritt. Und wenn er besonders regionalisch eingefärbt war, rief er in der Gegenrichtung in der Ruhlebener Straße: Berlin bei Spandau. Doch das junge Paar machte seine gelegentlichen mitternächtlichen Zwanzig-Kilometer-Ausflüge zu den Vergnügungen am Lehniner Platz — dort, wo später das ehemalige revolutionäre Theater Schaubühne von Peter Stein eine moderne neue Heimat finden sollte — ohnehin zumeist mit dem väterlichen Geschenk ehemännlicherseits.

In diese mittelständische Karosse war er, der dann nicht mehr ganz so frischgebackene Gatte, weitere drei Monate später, dann auch eingestiegen, nachdem er sich von seiner eigens für die Eheschließung als volljährig erklärten Gattin, tschühss, bis übermorgen, verabschiedet hatte. Um in einer anderen großen Stadt eine junge Frau zu besuchen, die ihn ein paar Tage zuvor am Bahnhof Zoo nach dem richtigen Weg gefragt hatte.

Die Ehefrau und deren Schwiegermutter, beide anfänglich wegen unterschiedlicher Standes- oder auch Stammeszugehörigkeiten unvereinbar, gaben gemeinsam eine Vermißtenanzeige auf. Der Gesuchte gilt bis heute als verschollen. Vielleicht sind sie ja noch verheiratet, die beiden.

Woher ich diese Geschichte so gut kenne? Ich war einmal im Leben Trauzeuge. Aber auch nur, weil mich diese meerwasserblauen Augen unwiderstehlich bittend angeblitzt hatten — als sie den andern nahm.
 
Fr, 18.09.2009 |  link | (2467) | 4 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ansichten



 

Eine Liebesheirat ...

Solches lese und höre ich immer wiede (gerne präsentiert vom Qualitätsjournalismus des ersten Jahrtausend-Dezenniums). Gibt es heutzutage denn einen anderen Grund zu heiraten? Gibt es überhaupt (noch) einen Grund, in den «Heiligen Stand» der Ehe einzutreten? Mit Gütertrennung und sonstigen präjudikativen Absicherungen? Ehevertrag! Einbeziehung des möglichen, fast sicheren Zerreißens eines gesegneten Bandes. Jedem Anfang wohnt ein Ende inne? «Die neueren Theorien», schrieb Ortega y Gasset, «haben den kosmologischen Gesichtspunkt verloren und sind fast ausschließlich psychologisch geworden. Die verfeinerte Psychologie der Liebe hat, indem sie eine scharfsinnige Kasuistik ausbildete, unsere Aufmerksamkeit von der kosmischen, der elementaren Seite der Liebe abgelenkt.«* Wie recht er hat! 1933 hat er das veröffentlicht. Meine Güte — wenn der geahnt hätte, was da noch alles den Lauf der Liebe bestimmen würde!

Wenn ich nur daran denke, wie dieser Mann verunglimpft wurde während meiner späten Jugend, also während des Studiums. Es war sozusagen ein Verbrechen, den überhaupt zu lesen. Dabei hat dieser Klarseher davon geschrieben, daß er die Liebe meint und nicht die Verliebtheit, diese «psychische Angina» . Es ist wie heute — man sagt Erotik und meint die Sexualität. In den späten Sechzigern sprach man vom Bumsen und meinte — heimlich — die Verliebtheit. Rausch eben. Aber Liebe? Das war ein absolutes Tabu. Zumindest im Elfenbeinturm der gebildeten Abgeklärtheit. Liebe hatte ein Anachronismus zu sein. Und Stendhal — den Theoretiker des Don-Juanismus, nicht etwa den geradezu glorifizierten Erzähler! — hat Ortega y Gasset ebenso der Unfähigkeit zur wirklichen Liebe geziehen wie auch Platon mit seinem platonisch-naiven, ja theoretischen Geplappere. Doch auch die durfte man ja nur aus der Perspektive der reinen (gesellschaftspolitischen) Vernunft, für die Theoriefestigkeit lesen. Zu Diskussionszwecken eben. Also haben — mal wieder — ein paar Zusammenhänge gefehlt. Und dann wundert man sich, daß unsere Kinder die Blaue Blume mit der Roten Rose im Knopfloch verwechseln. Aus der Möglichkeit, das Leben als Roman, als Liebe zu leben, wird ein Leben, von dem man für die Brunft den Klappentext hernimmt. Da werden dann Anzeigen geschaltet, in denen vom zärtlichen Abendessen vorm kerzenscheinbestandenen Kamin bei einem Glase roten Weines gesäuselt wird. Dabei war's arschkalt an den Kaminen der Romantik. Aber man fühlte eben hoffnungslos glücklich, weil man die Kälte der Beziehungslosigkeit nicht kannte und die innere Zimmertemperatur eher damit aufheizte: «Über den Turbinen und Maschinen mannigfaltiger Art, die wir in den Strom hineinsenken, dürfen wir nicht seine uranfängliche Kraft vergessen, die uns geheimnisvoll umgibt.» Das hat Ortega geschrieben, als das zweite Jahrtausend bereits gute dreißig Lenze zählte. Das also könnte ein Anlaß zur Heirat sein! Heutzutage. Wieder? Das ist durchaus eine Erkenntnis. Und vielleicht war es ja genau das, was geschah und sich lediglich aus dem bedauerlichen biologischen Ereignis der schwachen Erinnerung genauer Kenntnis entzieht. Denn damals, in den Anfängen der wilden Sechziger, die hinaufführten auf die Barrikaden der Siebziger?

Das Damals gehört der Zukunft: irgendwann die nächsten Tage wird's erzählt.


* José Ortega y Gasset: Über die Liebe, Meditationen. Die Liebe bei Stendhal. Übersetzt und herausgegeben von Helene Weyl. DVA Stuttgart 1973 (84. – 86. Tausend), S. 124f., 139

 
Do, 17.09.2009 |  link | (2718) | 10 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ansichten



 







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