Schwere Umwölkung

Seit einigen Tagen stelle ich fest, daß alle irgendwie älter geworden sind. Schrecklich viele Lebenserfahrungsspuren durchziehen mittlerweile die Gesichter derjenigen, mit denen man doch erst gestern noch ein wenig wild um die Häuser gezogen ist. Nie käme ich auf die Idee, eine der von der Büddenwarderin so oft und gerne in meine Richtung hin geäußerten Anmerkungen — «den fahr'n sie auch längst mit der Sackkarre auf die Bühne» — auf mich zu beziehen. Doch nun ruft es mit einem Mal selbstkritisch in mir: Meine Güte! Ich werde doch nicht auch älter geworden sein?! Am Ende gar so alt, wie die alle aussehen?!

In ein tiefes Loch bin ich gefallen. Dabei verschmutze ich nicht nordisch mit Skistöcken bewaffnet die kulturelle Umwelt, setze keinen Helm auf, um in einer Zweiradhorde gesund zum Sonntagsfrühschoppen zu radeln. Höre noch immer nicht Johannes Heesters (so)wie Charles Trenet und lese auch nicht bevorzugt die bunte gelbe Presse ... Was ist geschehen? Nur noch müde bin ich. Zu nichts habe ich irgendeine Lust, nicht einmal zum schlafen, weil Schlaf so anstrengend ist, wenn man ihn immerzu sucht.

So geht es mir seit Tagen. Seit meine ganz persönliche Frau Doktor Blaulicht mir Pillen und Wässerchen verordnet hat, die mich revitalisieren, mir zu einem neuen Kreativitätsschub verhelfen sollen. So langsam beginnt der Verdacht sich zu erhärten, es könnte an diesen Drogen der pharmazeutischen Industrie liegen, die, anstatt mich zu befeuern, schwerst bewölken.

Ich glaub, ich leg mich erstmal für eine ganze Weile hin. Wenn der Himmel sich schon an die Abdeckerei zu machen beginnt. Dann liege ich schonmal.



 
Sa, 10.10.2009 |  link | (2411) | 21 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Seltsamkeiten



 

Diesen rot leuchtenden Vierteln

könnten Sie, bester Nnier, so elegant Sie mich am Ende auch ausgeschrieben haben mögen, nicht einmal ausweichen — in Marseille, führen Sie denn einmal hin, befindet das Quartier lediglich scheinbar am Rand des musikalischen Lebens oder ist unbetonter Mittelpunkt. Selbst wenn Sie die Oper vermeiden wollten, weil keiner Ihrer Lieblingsvokalisten mangels Neigung sich dort zum besten zu geben bereit wäre, müßten Sie schon außerordentliche Anstrengungen unternehmen, den Kontakt zu vermeiden, da die Vöglein genau dort zwitschern, wo der schnöde Alltag vor sich hinbummelt: seitlich des Alten Hafens.

In Lyon begleiten sie geographisch zwar nicht unmittelbar die Königin der Nacht, aber wenn Sie beispielsweise auf nicht ausgetretenen oder -gefahrenen Pfaden zum Markt am Ufer der Saône möchten oder der touristische Drang Sie in eine dieser Sträßchen treibt, die in der Schwesterstadt Frankfurt am Main Freßgass' heißen könnte, hier aber tatsächlich nahezu ausnahmslos aus Restaurants bestehen, wird die (visuelle) Berührung nicht ausbleiben. Es geht dort, nahe der Place d'Albon sowie unweit der sich als Beichtstätte anbietenden Église Saint-Nizier, je nach Sichtweise, allerdings weitaus gesitteter zu als in der Rue du Président Edouard Herriot, wo in beinahe gesamter Länge, von der Place des Terreaux bis zur Place Bellecour, die schöne Warenwelt prostituierlicher blinkt, als es das Tonnendach beim Furioso zuwegebrächte. Es gibt keine Sperrbezirke, das durchkatholisierte Land kommt damit ebenso gut klar wie mit ohne Kirchensteuer.

Doch ich will ein bißchen gerecht sein — vor noch nicht allzu langer Zeit ging das auch im protestantisch disziplinierten Berlin, am Savignyplatz, ähnlich dezent wie im französisch-katholischen Süden. Aber mittlerweile haben sich auch dort Sitte und Anstand und rechts und links weitere dieser nichtssagenden, sozusagen sterilen (sterilisierten?) Restaurants durchgesetzt, in die sich niemand setzen mag, es sei denn ein gänzlich orientierungsloser Mensch wie die gestern gehörte Abiturientin: (Helmut Kohl? «Bundeskanzler der DDR?»). Die übriggebliebenen Achtundsechziger, die ja erwiesenermaßen an allem schuld sind, weinen sich schräg gegenüber im noch nicht kastrierten Zwiebelfisch aus.

À propos Andreas Möller, womit wir wieder in der vom Geld gebildeten Lyon-Schwester Frankfurt am Main wären sowie bei dessen nicht nur geographisch tödlichen, wie die im außereuropäischen Ausland dahinvegetierenden Schweizer es ausdrücken würden, «Verunfallungen» (danke für den Link, ein amüsanter Text!) beziehungsweise dem darin enthaltenen Hinweis auf «Mein Freund ist Ausländer», dieser anderen Form der Prostitution — zu dem Thema hat sich Anfang der Neunziger bereits jemand aus, wie anders, Nordrhein-Westfalen ausführlich geäußert: Mein Ausländer ist ein Fußballspieler.
 
Di, 06.10.2009 |  link | (1728) | 2 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ansichten



 

Vom Küchenzettel der Comtesse de Schwerin

Mimi, Comtesse de Schwerin (sehr altes Katzenblaublut), ist nicht nur eine quasi Landlordische, sie ist sich auch ihrer Verantwortung als Besitzende bewußt. Denn sie ist aufgeklärt. So weiß sie beispielsweise, daß ihre frühere Königin Marie Antoinette nie gesagt haben kann, wenn das Volk kein Brot habe, dann solle es eben Kuchen essen. Denn die wußte überhaupt nicht, was Brot ist. Deshalb habe sie nicht Brot, sondern Brioche gemeint. So ähnlich jedenfalls. Die Qualität der Quellen ist so unterschiedlich wie die des Futters. Nun ja, ein bißchen gebildet ist sie eben durchaus, die Mimi, schwerinische Gräfin.

Sie diniert in ihrem von ihr über alle Maßen geliebten Latifundium grundsätzlich aushäusig, Innenräume sucht sie nur auf, um beispielsweise in der gemütlichen Bücherecke zu entspannen. Ausnahmsweise war sie neulich einmal mitgefahren in die große Handels- und Hanse-Stadt und hatte sich beim Anblick der städtischen Wohnverhältnisse geradezu schockiert gezeigt.


Das Leben in der Campagne ist Bestandteil ihrer gepflegten Kultur der Freiheit. Dabei wähnt Mimi sich geistig durchaus ein wenig inmitten dieser aristocatrischen, schwedische Königsfarben im Banner führenden deutschen Partei globalen Gedankengutes, die das Aparte und Edle zum Sieg über das Volk führen wird. Als Landlordin pflegt sie demnach ausnahmslos dort zu speisen, wo die Lüfte der Freiheit des Einzelnen und sonstige Genüsse sie umwehen.

Deshalb wird ihr, nachdem sie den ihr dienenden Marder mit ihren jeweiligen Fressenswünschen zur Wunschberichterstattung in die Küche entsandt hat, auf der Terrasse ihres bescheidenen Immeublements serviert. Manchmal, wenn der Koch, trotz aller Erziehung, mal wieder dieser merkwürdigen deutschen Anwandlung des Sparzwangs und dem damit verbundenen Zugriff auf das sogenannte Sonderangebot unterlegen ist oder in seiner vom vielen Träumen verursachten Tranigkeit schlicht mal wieder einzukaufen vergessen hat und deshalb im Dorfladen auf das Übliche zurückzugreifen gezwungen ist, geschieht es, daß ihr Futter mit einem Fleischanteil unter zehn, nicht selten fünf Prozent gereicht wird. Solche minderwertige Kost überläßt sie anderen, häufig dem Protein oder ähnlichen Seltsamkeiten verfallenen Igelfamilien, die sich nächtens, wenn sie also auf die Jagd nach Hundertprozentigem zu gehen gezwungen ist, aus dem Laub herausgetrauen. In besonders sanftmütiger Stunde läßt sie sogar diesen höchst unangenehm kläffenden Köter an ihr schlichtes Porzellan, dem es hin und wieder gelingt, aus seinem nachbardörflichen Gefängnis zu entweichen und der in Folge völlig ausgehungert ist; aber diese ärmlichen Geschöpfe fressen ohnehin alles. Und auch diesem flatternden Getier, das sich Rabe oder Krähe oder Elster heißt, überläßt sie solches Futter. Es mag zwar ein wenig dégoûtant sein, aber hin und wieder holt sie sich dafür eines ihrer Jungen aus einem der vielen in ihrem Revier herumstehenden Bäume. Gehaltvollere Speisen würden denen sicherlich einen sehr viel exqusiteren Geschmack verleihen. Aber den hat sie nunmal selber.


Dieser Tage ließ sie in kleiner Abendrunde mit dem eigentlich ganz passabel anzuschauenden, aber doch leicht einfältigen schwarzen Nachbarn diesen wissen, die handelsüblichen Produkte, die den Menschen in deren seltsamen Guckkästen, mit denen sie sich einbilden, in die Ferne zu sehen, vermeintlich tierliebhaberisch angepriesen würden, hätten jedoch oftmals nicht mehr als fünf und häufig noch weniger fleischige Teile von hundert anderen durchweg undefinierbaren. Das aber mache ihre Species spätestens nach zehn Jahren nierenkrank. Eine Katze sei nunmal keine Vegetarierin. Seit Jahrtausenden sei das so und überall nachzulesen, das hätten schließlich bereits die alten Ägypter gewußt, von denen sie sicherlich bereits wegen ihres guten Geschmacks heilig gesprochen worden waren. Ein klein wenig Bildung, zumindest aber die Bereitschaft zur Grundinformation täte diesen Menschen hin und wieder gut. Dann müßten sie auch nicht mehr den Tierarzt oder die -Klinik der hohen Rechnungen wegen beschimpfen, die anfielen, wenn ihre Katzen litten, da deren Innereien versagten und ihnen Spendernieren transplantiert werden müßten.

Aber glücklicherweise habe ihr Leibkoch nur höchst selten solche Rückfälle in deutsche Freßkultur, nach der Nahrung möglichst wenig kosten darf, was angesichts der enorm hohen Preise für sogenannt hochwertiges Futter ohnehin nichts sei als eingedoste Lüge. Deshalb also serviere er ihr in der Regel über Sechzigprozentiges. Außerdem fräße sie von den vielfleischdosierten und suchtstoffenfreien und deshalb wohlschmeckenden, eben nicht naturnahen oder -identischen, sondern tatsächlich natürlichen Gerichten nicht so bekannter, weil nicht unter Werbesperrfeuer stehenden Köche wesentlich weniger. Was sie rank und schlank und somit schön bleiben ließe. Von dem mal gar nicht zu reden, was der Mensch Milchmädchenrechnung nenne.

Nahezu konsterniert zog der der kleine Schwarze ab nach nebenan, als ob sie ihn beleidigt hätte. Aber wahrscheinlich gelüstete ihn lediglich nach seiner gewohnten deutschen Hausmannsdosenkost. Die ihn nicht eben zu einem sonderlich attraktiven Liebhaber macht. Weshalb sie die Ihren schließlich auch mit dem entzückenden Gestreiften habe, dessen geballte Kraft des grauen Tigers zur Gänze behauptet hat. Wobei einer von ihnen besonders wohlig geraten zu sein scheint.



Ihr Tiger von Esch-en-Bourg schaut nach wie vor gerne auf ein tête-à-tête vorbei, wenn seine intensive Reisetätigkeit ihm das erlaubt, und das, obwohl er sich im klaren darüber ist, daß sie sein Erbgut nicht mehr in sich reifen lassen kann. Aber er ist eben ein Gourmet und weiß deshalb zwischen Brot und Brioche zu unterscheiden, was ihn am echten süßen Kuchen naschen läßt.
 
Sa, 03.10.2009 |  link | (4547) | 9 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Katzenleben



 







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