Sparstrumpf Kunst? Mit großem Erstaunen stelle ich fest, daß es Menschen gibt, die sich Kunst als Wertanlage zulegen. Mit Kunst ist hier jetzt kein van Gogh, kein Rembrandt, kein Rodin, nichtmal eine Claudel, auch keine abgetragene Hose von James Dean oder ein einstmaliges Hörrohr an Beethovens Ohr gemeint. Es geht um Zeitgenössisches — gekauft von einem Ehepaar offensichtlich jüngeren Bildungsstandes: eine hölzerne Plastik, geschaffen von einem Bildhauer, dessen Werk nicht unbedingt dominant am Markt vertreten ist. Um Sicherheit gehe es den beiden, ließen sie verlauten. Die Inflation stünde vor der Tür. Die Immobilie dazu habe man sich bereits zugelegt. Nun füge man mittels bildender Kunst weitere bleibende Werte hinzu. Das ruft zunächst die neuere Untersuchung der Verbraucherverbände bei mir ab, nach der nahezu alle Banken, ob die des Volkes oder der weiter oben Angesiedelten, mit ihrer Beratung so weitermachen wie bisher, als sei nichts geschehen, als hätte man diesem Geldgewese nicht deutsch einen gesetzlichen Riegel vorgeschoben. Der auf Wahrung seines Besitzes bedachte Mensch will seine paar Kröten behalten, weshalb er ausdrücklich jede Zockerei ablehnt — und läßt sich ein feines Stückchen Kunst ins klein Häuschen stellen, an dem mit Sicherheit nur einer verdient: der Händler. Dessen braver Angestellter handelt wie das Bankkauffräulein, das sich am frühabendlichen Tresen von Harry-Charles' Bar als Bänkerin umschwänzeln läßt und nächtens vom Zauber träumt, der sie umgibt und an den sie tagsüber in der wirklichen Welt möglicherweise selber glaubt, weil ihr das von oben so vermittelt wurde. Wenn dann für die Kunden wieder mal eine heile Welt unheilvoll zusammenbricht, ist es mit einem Kirchenaustritt nicht getan. Dieser religiöse Wahn um das goldene Kalb nimmt Tanzfigurationen an, denen jedwede Abstraktion der Vernunft abgeht. Was für die Aktie an der Börse gilt, ist am Markt der Kunst von noch wesentlicherer Bedeutung: Spekulation gibt keine Sicherheit, und etwas anderes ist die Tapete an der Wand nicht. Aber die Priester des Geldes haben es dank ihrer Gefolgschaft in den Medien geschafft, ihre Schäfchen vom Gegenteil zu überzeugen. In Information gewandeter Glaube ist das. Ständig wird, wie im dauernden Lauf der Spruchbänder im privaten (Geld-)Fernsehen (mittlerweile sogar im öffentlich-rechtlichen), der Eindruck vermittelt, mit Kunst sei Geld zu machen (irgendwo habe ich in letzter Zeit gelesen, zwei oder auch vier Prozent des deutschen Volkes besitze Aktien, aber hundert würden darüber dauerinformiert). Das ist derart über die Ufer getreten, daß sich gar ein Kunstraubhandel entwickelt hat, obwohl es dafür überhaupt keinen Markt gibt, weil das Bild vom kunstwahnsinnigen Diebesgutkäufer nur in den obligatorisch informationsfreien und deshalb wohl inniglich konsumierten TV-Serien existiert und die meisten Museen und Galerien aus Kostengründen Gemälde nicht versichern, also kaum Kasse erlöst werden dürfte. Und nun hält sie auch noch als Sparstrumpf her, von edlem Lampenlicht aus dem feinen Laden an irgendeiner Kö oder anderen Champs Élysées beleuchtet und gelagert vor dem Kaminfeuer des Zeitgeistes. Fast vierzigtausend Euro schob das jungbegüterte Paar für die zweifelsohne anregend anzuschauende Plastik aus Holz dem Galerist genannten Kunstverkäufer ins Täschchen. Etwa diese Summe wollte auch die Scheinkundin bei den Banken bleibend in ihre Zukunft investieren. Das Geld könnte sich problemlos halbieren, da trotz aller Gesetzesvorgaben wieder windige Papiere hineingeflossen waren in das angebotene Portefeuille. Den Kunstfreunden wird das nicht passieren, behält das Gebilde doch zumindest rein äußerlich sein Gewicht, wenn auch unter Umständen nicht seinen Wert. Wer mal Kunst von lebenden, vermutlich noch länger werkenden Künstlern zu verkaufen versucht hat, wird davon wissen. Zwar ist es bereits ein Weilchen her, fand also zu einer Zeit statt, als die Marktgänger noch nicht am blinden Durchdrehen waren, noch eine gewisse bleibende Ruhe im Getriebe vorherrschte, da versuchte ein Freund ein Gemälde eines zu dieser Zeit durchaus gefragten Künstlers zu verkaufen. Mit dem Verkauf sollte eine Steuerschuld getilgt werden, eine Nachzahlung, mit der das Finanzamt dem Freund in den Haushalt gerückt war. Nimmt man den mittlerweile heutigen Wert des Euro, also eins zu eins, dann war das genau die obige Summe, die sich dieser ernsthafte Sammler für diesen Notverkauf erhofft hatte, da er sich am Marktwert orientierte. Erhalten hat er ein Drittel weniger (worauf er leidgeprüft noch was verkaufen mußte). Kein «Galerist» bot mehr. Man habe noch ausreichend auf Lager, zumal der Maler weiterhin wie besessen male (nichtmal acht Jahre nach dessen Tod kennen seinen Namen nur noch tatsächlich an Kunst und weniger am Markt Interessierte, von seinen phänomenalen Gemälden abgesehen). Und auch ich befand mich mal in Nöten und habe mich, ohne Leid, aber unter Druck, von einem Bild trennen wollen oder auch müssen. Als ich schließlich einen Käufer gefunden hatte, dessen Freizeitbeschäftigung im Sammeln von Anerkennung via (Kunst-)Geld bestand, gab er mir die Hälfte des Preises, den ich bezahlt hatte. Zwar habe ich deshalb schon mal laut Oh Lord! ausgerufen. Aber das gerät zusehend in die Mühlen der Vergessenheit. Dieser Tage rief mich eine neuerdings kunstinteressierte Exdame eines pillendrehenden Gatten an und fragte mich, von dem sie wisse, er habe die Kunst am Hut, ob ich ihr zu dem im Internet aufgespürten Blatt von Joan Miró in einer Auflage von fünfzig aus fünfzig Exemplaren für elfhundert Euro rate, ob dessen Wert sich beim baldigen Wiederverkauf denn auch steigern ließe ... Ach ja, davon mal abgesehen, daß nicht nur Dalí seine Druckblätter zu tausenden blanko signiert hat, wodurch es zu ziemlichen Marktverirrungen kam, auch die mehr oder minder geglückten Nachbildungen sind nicht unbedingt unter Rarität einzuordnen. Und diejenigen, die mit Sicherheit gut an der Kunst von Lebenden verdienen, sind die nichtvirtuellen Händler (die zusehends mehr ihre Stände in Boom-Berlin installieren). Die Etablierten unter ihnen, die seit langem eine Art Numerus clausus erlassen haben, kassieren für eine in jüngerer Zeit entstandene Arbeit traditionell fünfzig Prozent, durchaus auch mal mehr. Und eines möge nicht vergessen werden: Wie im richtigen Geschäftsleben treiben sich auch oder gerade die Seriösen gegenseitig die Preise in die Höhe. Auf daß sie nicht fallen. «Das Problem des Kunstbetriebs», formulierte Hans Platschek mal als einzig bleibenden Wert, «besteht darin, das richtige Verhältnis zu finden zwischen dem Ohr- und dem Halsabschneider.»
Astronomenalltag Ein Buch samt Waschzettelsammelsurium kam mir aus einem Karton entgegen, das ich schleunigst in den alten Giftschrank retten mußte. Aber zuvor nahm es mich seiner an. Der Astronom Nicolaus Copernicus war zu Lebzeiten weniger bekannt als Astronom denn als Arzt und Administrator. Die vorliegende Ausgabe enhält zwanzig Briefe, die von ihm stammen oder ihm mit hoher Wahrscheinlichkeit zugeschrieben werden können. Deren häufigster Adressat ist der ermländische Bischof Johannes Dantiscus (1485–1548). Der einzige erhaltene wissenschaftliche Brief, eine ins Persönliche gekleidete astronomische Abhandlung aus dem Jahr 1524, die an den Krakauer Domherrn Bernhard Wapowski gerichtet ist, wurde in dieser Edition nicht berücksichtigt; sie wird — so die Begründung der Herausgeber (1994) — einem künftig erscheinenden Band von Kleinen Schriften vorbehalten bleiben. Der übrige Briefwechsel zur Astronomie, der sehr umfangreich gewesen sein muß, gilt als unwiederbringlich verloren. Ein interessantes Detail ist das Schreiben Copernicus' an seinen langjährigen Freund, den ermländischen Domherrn Felix Reich. Hier kommt der preußische Finanzexperte wieder ins Bild. Darin erläutert er Einzelheiten aus den zähen und langwierigen Münzverhandlungen zwischen dem polnischen König, den preußischen Städten und den Vertretern des Deutschen Ordens. Weniger zahlreich sind die die von Copernicus empfangenen und erhalten gebliebenen Briefe. Ihr häufigster Absender ist der Hochmeister des Deutschen Ordens und spätere preußische Herzog Albrecht von Brandenburg, der Copernicus häufig in medizinischen Fragen und Notsituationen konsultierte. Ein dritter Teil der Edition versammelt Auszüge aller Briefe von Zeitgenossen des Copernicus, in denen sein Leben oder seine wissenschaftliche, ärztliche und administrative Tätigkeit erwähnt werden. Neben den großen, die Geschichte der Reformation begleitenden historischen Ereignissen, dem letzten Krieg zwischen Polen und dem Deutschen Orden, dem Machtkampf zwischen Bischof und Domkapitel und der mühseligen Arbeit an der Drucklegung seines Werkes kommen viele kleinere Begebenheiten im Leben von Copernicus zur Schilderung, etwa die Auseinandersetzungen um den Elbinger Karneval von 1531, auf dem der katholische Klerus karikiert wird, oder Copernicus' Haushälterinnenaffäre, die zu einem scharfen Verweis des Bischofs führt, sind von einer Anmutung, als hätten sie sich justamente abgespielt; nun ja, jedenfalls zu einer Zeit, als katholische Kirchenobere noch ordentlich Haushalte und evangelische noch keine Fahrzeuge führten. Anhand der Briefausgabe läßt sich die Frage nach Copernicus' geschriebenen Sprache, die nichts mit der immer wieder unternommenen und ebenso müßigen Suche nach seiner Nationalität zu tun hat, schnell beantworten: in der Regel in einem korrekten, aber nicht sonderlich eleganten Gelehrten-Latein. Einige seiner Briefe, besonders diejenigen, die an Hochmeister Albrecht gerichtet sind, wurden deutsch verfaßt; in einem stark mundartlich eingefärbten Frühneuhochdeutsch, dessen Orthographie und Grammatik auch in ein und demselben Brief variieren. Genau das Richtige für mich, der ich mich vom altmodernen Sprachpuristen zum Gegner jedweder Gängelei wandle — Nieder mit der Ottografie, freier Blick auf Oxitanien. Auch Radikalreformer sähen hier kein Wörtchen Land mehr. Höchste Erheiterung. Trotzdem sind die deutschen Briefe — von speziellen Begriffen abgesehen, die in den Anmerkungen erläutert werden — auch ohne einschlägige Vorbildung recht gut zu verstehen. Die lateinischen Briefe wurden allesamt ins Deutsche übersetzt — größtenteils zum ersten Mal. Gerade das macht dieses zwar schlanke, aber durchaus hochstehende Buch auch für den kulturhistorisch interessierten Laien zu einer interessanten Lektüre. Den umfangreichen editorischen Apparat darf er, muß aber nicht, dabei getrost beiseite lassen. Aus den kleinen Mitteilungen am Rand des historischen Geschehens, den Schilderungen von Lebensumständen und alltäglichen Sorgen, entsteht in Umrissen ein lebendiges, gar lebhaftes Portrait des großen Gelehrten. Diese insgesamt an wissenschaftlicher Akribie nichts zu wünschen übrig lassende Edition läßt sich auch als Biographie in Briefen lesen. Die teilweise umfangreichen Erläuterungen in den Kopfregesten (res gestae = getane Dinge) stellen den Kontext her und liefern dort Verständnishilfen, wo der reine Text viele Fragen offen läßt. Anders als frühere, ideologisch gefärbte Lebensbeschreibungen erlaubt dieser vor Mäusen und Mardern gerettete Schatz einem Altgierigen wie mir, sich einmal mehr ein Bild von Copernicus und seiner Zeit vorzustellen. Quasi Kopfkino. Eben auch ohne bunte Bildchen. Die vielzitierte Mahnung von Johann Gustav Droysens an die Historiker (auch an die dilettierend delierenden?) — «Das Factum steht nicht in den Quellen» — hat nach wie vor ihre Gültigkeit. Aber der Trüffel läßt sich auch vom gemeinen Schwein erschnüffeln. Komplette Übersetzung des oben abgebildeten Briefauszugs: Ehrwürdigster Vater und Herr in Christus, gnädiger Herr. Mit dem gebührenden Erweis von Gehorsam und Verehrung. Ich habe von Euch, Ehrwürdigste Herrschaft, einen Brief erhalten, den eigenhändig an mich zu schreiben Ihr erneut geruht habt, und der zuvorderst eine Mahnung enthielt. Diesbezüglich bitte ich demütigst, es möge Euch, Ehrwürdigste Herrschaft, nicht entgehen, daß die Frau, derentwegen Eure Ehrwürdigste Herrschaft mir geschrieben haben, sich nicht auf meine Veranlassung oder mein Zutun hin verheiratet hat, sondern, als sich dies so ereignete, bemühte ich mich mit höchstem Eifer, da sie früher bei mir eine treue Dienerin gewesen war, jene zu veranlassen, ehrsame Eheleute zu bleiben. Darüber wage ich es, Gott zum Zeugen anzurufen, aber auch die Eheleute würden das beide auf Befragen hin bestätigen. Aber als sie sich über die Impotenz ihres Mannes beklagte, was dieser bei der Verhandlung und außerhalb zugab, waren meine Bemühungen umsonst, denn der Prozeß fand statt vor dem Herrn Dekan, Euer Ehrwürdigsten Herrschaft Neffen guten Angedenkens, dann vor dem verehrten Herrn Kustos; ob er oder sie, oder ob beide in gegenseitigem Einvernehmen auseinandergegangen sind, kann ich nicht sagen. Ich gestehe aber Euer Herrschaft, um zur Sache zu kommen, daß diese Person, als sie kürzlich mit ihrer Freundin aus Elbing vom Markt in Königsberg hierherkam, bei mir bis zum nächsten Tag geblieben ist. Da ich einsehe, daß mein schlechter Ruf davon herrührt, werde ich mich so verhalten, daß keiner gerechte Veranlassung hat, von mir erneut Schlechtes zu denken, besonders auf die Ermahnung Euer Ehrwürdigsten Herrschaft hin, der ich gern in allem gehorchen möchte und der ich auch Gehorsam schulde, mit dem Wunsch, daß meine Dienste immer genehm seien.im Buch Seite 162f. Nicolaus Copernicus Briefe, Texte und Übersetzungen Akademie Verlag, Berlin 1994. XXIX, 413 Seiten, sechs Faksimiles Documenta Copernicana, Bd. VI,1
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